Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung und Entschädigung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit (BK).
Der im Jahre 1939 geborene Kläger war seit 1956 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Jahre 1988 überwiegend als Fußboden- und Estrichleger bei verschiedenen Betrieben, zuletzt ab Januar 1982 bei der Gebr. H. Estriche-Bodenbeläge GmbH beschäftigt. Vom 26. Januar bis 22. Juni 1988 war er - unterbrochen durch eine vom 24. Februar bis 23. März 1988 durchgeführte medizinische Rehabilitationsmaßnahme - arbeitsunfähig erkrankt. Am 23. und 24. Juni 1988 war der Kläger wieder als Fußboden- und Estrichleger bei seiner letzten Arbeitgeberin tätig, mußte diese Arbeit aber nach diesen zwei Tagen wegen starker Schmerzen abbrechen. In der Folgezeit war er bis zur krankheitsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin zum 31. August 1988 und darüber hinaus bis zum 12. Juni 1989 wiederum arbeitsunfähig erkrankt. Anschließend bezog er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit.
Mit Schreiben vom 21. Januar 1993 beantragte der Kläger bei der Beklagten, das bei ihm vorliegende Wirbelsäulenleiden als BK anzuerkennen und ihm entsprechende Leistungen zu gewähren. Seine behandelnde Ärztin und seine frühere Arbeitgeberin erstatteten entsprechende BK-Anzeigen. Nach Durchführung von Ermittlungen lehnte die Beklagte eine Anerkennung der Wirbelsäulenbeschwerden als BK ab (Bescheid vom 16. April 1993 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1993), weil der Versicherungsfall (Aufgabe der schädigenden Tätigkeit) nicht nach dem maßgeblichen Stichtag (31. März 1988) eingetreten sei.
Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 15. Oktober 1993); das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 3. Dezember 1996). Zwar seien durch die zum 1. Januar 1993 in Kraft getretene Zweite Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 18. Dezember 1992 (2. ÄndVO ≪BGBl. I 2343≫) bestimmte Wirbelsäulenerkrankungen erstmals als "Listenkrankheit" erfaßt worden, jedoch seien hier die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung als BK nicht gegeben. Denn entgegen Art 2 Abs. 2 dieser Verordnung, wonach der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten sein müsse, sei dies im vorliegenden Fall bereits vor diesem Stichtag geschehen.
Der Versicherungsfall sei dann eingetreten, wenn ein Anspruch des Versicherten auf Anerkennung einer BK i.S. des § 551 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestehe. Die Tatbestandsmerkmale der vorliegend in Betracht kommenden Nrn 2108 bis 2110 der Anl 1 zur BKVO i.d.F. der 2. ÄndVO setzten übereinstimmend das Vorliegen von Wirbelsäulenerkrankungen voraus, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hätten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich gewesen seien oder sein könnten. Der Kläger habe die belastende Tätigkeit als Fußbodenestrichleger aber bereits mit Beginn der Erkrankung am 26. Januar 1988 aufgegeben. Unerheblich sei dabei, daß sein Arbeitsverhältnis erst zum 31. August 1988 geendet habe und daß er am 23. Juni 1988 acht und am 24. Juni 1988 noch einmal sieben Stunden in diesem Beruf tätig gewesen sei. Dabei habe es sich lediglich um einen "mißglückten Arbeitsversuch" gehandelt, der sich auf das Vorliegen einer BK schon im Januar 1988 nicht auswirke. Dagegen spreche nicht, daß der Versicherte die ihm übertragene Arbeit während der Zeit seiner Tätigkeit ordnungsgemäß ausgeführt habe. Es komme vielmehr darauf an, ob der Beschäftigte nach seiner inneren Qualifikation insbesondere im Hinblick auf bestehende Leiden und Krankheiten bei vernünftiger Beurteilung als arbeitsfähig habe angesehen werden können. Aufgrund des Ergebnisses der medizinischen Ermittlungen und weil der Kläger den am 23. Juni 1988 unternommenen Arbeitsversuch bereits nach zwei Tagen wegen starker Schmerzen wieder habe einstellen müssen, sei davon auszugehen, daß er spätestens ab dem Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit am 26. Januar 1988 aufgrund der Wirbelsäulenerkrankung gezwungen gewesen sei, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein konnten.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 551 Abs. 1 RVO i.V.m. Nrn 2108 bis 2110 der Anl 1 zur BKVO). Wegen eines "mißglückten Arbeitsversuchs" könne sein Anspruch auf Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung als BK nicht abgelehnt werden. Bei dieser für das Gebiet des Krankenversicherungsrechts entwickelten Rechtsfigur entstehe trotz Vorliegens eines wirksamen Arbeitsvertrages und tatsächlich geleisteter Arbeit kein Leistungsanspruch, da ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht zustandekomme. Um diese Frage gehe es hier jedoch nicht, denn ein neues versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis habe am 23. oder 24. Juni 1988 nicht zustande kommen können, weil ein solches bereits seit dem Jahre 1982 bei derselben Arbeitgeberin bestanden habe und weder durch Arbeitsunfähigkeit i.S. der Krankenversicherung noch durch die Rechtsfigur des "mißglückten Arbeitsversuchs" habe erlöschen können. Das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis habe vielmehr erst am 31. August 1988 durch Kündigung seitens der Arbeitgeberin geendet. Vor diesem Termin könne der Versicherungsfall nicht eingetreten sein, da ein "mißglückter Arbeitsversuch" ein langjähriges versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht verändern könne.
Wegen der vom 24. Februar bis 23. März 1988 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme könne auch nicht von einem Zwang zur Tätigkeitsaufgabe bereits am 26. Januar 1988 gesprochen werden. Aufgrund dieser Maßnahme sei er von den ihn zu dieser Zeit behandelnden Ärzten zum 31. März 1988 wieder vollschichtig für die Arbeit eines Fußbodenlegers gesundgeschrieben worden. Eine Umschulung sei ihm nicht genehmigt und im übrigen auch erst im Juli 1988 angeraten worden.
Der im Krankenversicherungsrecht geltende Begriff der Arbeitsunfähigkeit könne nicht auf die gesetzliche Unfallversicherung übertragen werden; aus einer Krankmeldung am 26. Januar 1988 könne also nicht bereits auf die Aufgabe der Tätigkeit geschlossen werden. Nach dem Leistungsnachweis vom 23. und 24. Juni 1988 habe er an diesen Tagen typische Bodenlegerarbeiten als Kolonnenführer durchgeführt. Frühestens am 24. Juni 1988 habe er seine wirbelsäulenschädigende Tätigkeit als Fußbodenverleger endgültig aufgegeben, wenn man diesen Zeitpunkt nicht erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. August 1988 oder mit dem Eintritt des Versicherungsfalls in der gesetzlichen Rentenversicherung 26 Wochen vor dem 13. Juni 1989 annehmen wolle.
Auch die Regelung des § 551 Abs. 3 Satz 2 RVO spreche für seinen Anspruch. Die Beklagte habe bisher keine einen Rentenanspruch auslösende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) festgestellt und es werde ihr angesichts des Entlassungsberichts der Rehabilitationsklinik auch schwerfallen zu belegen, daß eine rentenberechtigende MdE bei ihm bereits vor dem 31. März 1988 vorgelegen habe. Da er im Jahre 1988 noch nicht habe vorhersehen können, daß Jahre später eine für ihn möglicherweise günstige Neuregelung eingeführt werden würde, sei bei einer natürlichen Betrachtungsweise davon auszugehen, daß er seine schädigende Tätigkeit erst nach dem 24. Juni 1988 bzw. dem 31. August 1988 aufgegeben habe. Im übrigen lägen sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO i.V.m. der BKVO vor.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG vom 3. Dezember 1996, den Gerichtsbescheid des SG vom 15. Oktober 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. April 1993 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule als Berufskrankheit anzuerkennen sowie eine Entschädigung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Bei der hier gebotenen nachträglichen objektiven Betrachtung müsse davon ausgegangen werden, daß der Kläger seine Tätigkeit bereits am 26. Januar 1988, dem ersten Tag der dauernden Arbeitsunfähigkeit, tatsächlich und endgültig aufgegeben habe. Dieser nach objektiven Kriterien bestimmbare Zeitpunkt sei maßgeblich. Daran ändere die tatsächliche Wiederaufnahme der Tätigkeit als untauglicher Arbeitsversuch nichts. Eine zweitägige Tätigkeit sei auch bei Unterstellung der Wirbelsäulenbelastung für den Eintritt des Versicherungsfalles der BK nach Nr. 2108 der Anl 1 zur BKVO nicht relevant, so daß dieser unabhängig von der am 23. und 24. Juni 1988 ausgeführten Tätigkeit bereits vorgelegen haben müsse.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist i.S. der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als BK zu entscheiden.
Der Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da die geltend gemachte BK vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes ≪UVEG≫, § 212 SGB VII).
Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere Verletztenrente. Als Arbeitsunfall gilt gemäß § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKVO mit den sog Listenkrankheiten vor. Durch Art 1 Nr. 4 2. ÄndVO wurde die Anl 1 der BKVO vom 20. Juni 1968 - BGBl. I 721 - (s jetzt die am 1. Dezember 1997 in Kraft getretene BKVO vom 31. Oktober 1997 - BGBl. I 2623 -) u.a. dahingehend geändert, daß dazu nunmehr nach Nr. 2108 "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung", nach Nr. 2109 "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter" und nach Nr. 2110 "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen" gehören. Art 2 Abs. 2 2. ÄndVO bestimmt (ebenso wie § 6 Abs. 2 BKVO vom 31. Oktober 1997) - über die rein medizinischen Voraussetzungen hinaus - ua, daß bei einem Versicherten, der beim Inkrafttreten dieser Verordnung an einer Krankheit leidet, die erst aufgrund dieser Verordnung als BK i.S. des § 551 Abs. 1 RVO anerkannt werden kann, die Krankheit auf Antrag als BK anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist.
Der Versicherungsfall der BK ist eingetreten, wenn alle Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der betreffenden Nummer der Anlage zur BKV erfüllt sind (BSG SozR 2200 § 551 Nr. 35; Koch in Schulin HS-UV § 35 RdNrn 19ff.; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, Bd 3, Gesetzliche Unfallversicherung, 1997, 12. Aufl, § 7 RdNr 9). Die in den Nrn 2108 bis 2110 aufgeführten BKen setzen - ebenso wie eine Reihe weiterer Krankheiten der BK-Liste - neben den arbeitstechnischen und medizinischen Merkmalen übereinstimmend voraus, daß die jeweils genannten Wirbelsäulenerkrankungen "zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Das Tatbestandsmerkmal des Zwangs zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten setzt in der Regel voraus, daß die Tätigkeit, die zu der Erkrankung geführt hat, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden soll und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat (st Rspr, S. z.B. BSG, Urteil vom 20. Oktober 1983 - 2 RU 70/82 - = HVBG-Rdschr 16/84; BSG Urteil vom 27. November 1985 - 2 RU 12/84 - = Breith 1986, 486; S. auch Keller SozVers 1995, 264, 266). Ob der Zwang zum Unterlassen der bisherigen Tätigkeit medizinisch geboten war, d.h. deren Fortsetzung wegen der schon eingetretenen Gesundheitsstörungen oder der Gefahr der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens der Krankheit aus medizinischer Sicht nicht verantwortet werden konnte, ist im Wege einer nachträglichen objektiven Betrachtungsweise festzustellen (s z.B. BSG SozR Nr. 4 zu 5. BKVO Anl Nr. 19 und Urteil vom 29. August 1980 - 8a RU 72/79 = Breith 1981, 398; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand Juli 1997, M 5101, Anm. 3.1 sowie Keller, a.a.O., 266, jeweils m.w.N.).
Nach den von den Beteiligten nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger spätestens ab dem von ihm angegebenen Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit am 26. Januar 1988 aufgrund seiner Wirbelsäulenerkrankung gezwungen, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein konnten.
Der Versicherte muß seine Beschäftigung aber auch tatsächlich und endgültig aufgegeben haben; auf sein Motiv dafür kommt es nicht an (so bereits BSGE 10, 286, 290; vgl. auch BSGE 56, 94, 97 = SozR 5677 Anl 1 Nr. 46 Nr. 12 mwN; Brackmann/Krasney, a.a.O., § 9 RdNr 34; Koch in Schulin HS-UV § 35 RdNr 44). Nach den bindenden berufungsgerichtlichen Feststellungen hat der Kläger seine wirbelsäulenschädigende Tätigkeit als Fußboden- und Estrichleger aufgegeben. Darüber sind sich die Beteiligten auch einig. Streitig ist allein der Zeitpunkt der erzwungenen Aufgabe, der gleichfalls objektiv zu bestimmen ist.
Daß das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Gebr. H. Estriche-Bodenbeläge GmbH zum 31. August 1988 infolge krankheitsbedingter Kündigung durch die Arbeitgeberin endete, hat das LSG für die Beantwortung der Frage nach dem Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit zu Recht als unerheblich angesehen. Denn dieser Vorgang ist nicht zwangsläufig mit der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit verknüpft; der Kläger könnte etwa einer anderen, nicht wirbelsäulenbelastenden Beschäftigung bei derselben Arbeitgeberin oder auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer gleichermaßen belastenden Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber nachgehen (vgl. BSG SozR Nr. 4 zu § 551 RVO). Aus demselben Grunde ist entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der EU in der gesetzlichen Rentenversicherung (26 Wochen vor dem Rentenbeginn am 13. Juni 1989) abzustellen, da auch dies zu unbilligen bzw. Zufallsergebnissen führen würde.
Entgegen der Auffassung der Revision findet hier auch nicht die allgemeine Günstigkeitsregelung des § 551 Abs. 3 Satz 2 RVO Anwendung. Bei Krankheiten, bei denen die Entschädigungspflicht aufgrund der BKVO noch an besondere Bedingungen - hier die Aufgabe der belastenden Tätigkeit - geknüpft ist, kann der Versicherungsfall nicht eher gegeben sein, als nicht sämtliche in der BKVO genannten Voraussetzungen erfüllt sind (BSG SozR Nr. 4 zu § 551 RVO; BSGE 56, 94, 97 = SozR 5677 Anl 1 Nr. 46 Nr. 12 m.w.N.). Erfolgt - wie hier - also die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit in einem Zeitraum, während dessen der Erkrankte arbeitsunfähig ist, so tritt die Tätigkeitsaufgabe am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit ein (BSG SozR Nr. 4 zu § 551 RVO; BSGE 50, 187, 189 = SozR 2200 § 589 Nr. 4).
Im Grundsatz zutreffend stellt das Berufungsurteil auch auf den ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit des Klägers als maßgeblichen Termin ab. Allerdings vermag ihm der Senat insoweit nicht zu folgen, als das LSG davon ausgeht, der Kläger habe am 23. und 24. Juni 1988 einen "mißglückten Arbeitsversuch" unternommen, so daß bereits der 26. Januar 1988 als erster Tag der in diesem Sinne entscheidenden Arbeitsunfähigkeit anzusehen sei. Denn für die Rechtsfigur des "mißglückten Arbeitsversuchs" ist hier kein Raum.
Anwendungsbereich dieser für das Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung entwickelten Rechtsfigur war im wesentlichen die Versicherungspflicht der Beschäftigten nach § 165 Abs. 1 Nrn 1 und 2 RVO, während sie auf andere Tatbestände der Versicherungspflicht nur zurückhaltend angewandt worden ist (Versicherungspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a RVO - BSG SozR 2200 § 306 Nr. 12 - und nach § 155 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫ - BSG SozR 4100 § 155 Nr. 4). Wurde ein "mißglückter Arbeitsversuch" angenommen, hatte dies den Nichteintritt von Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und damit den Ausschluß von Leistungen zur Folge.
In der gesetzlichen Unfallversicherung wurde die Anwendung der Rechtsfigur eines "mißglückten Arbeitsversuchs" im Rahmen der §§ 560 Abs. 1 Satz 1 und 5, 562 Abs. 2 RVO (Verletztengeld, Wiedererkrankung) für angezeigt gehalten (vgl. z.B. Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 560 Anm. 4), wobei sich die Anknüpfung aus dem Tatbestandsmerkmal "Arbeitsunfähigkeit i.S. der Krankenversicherung", also einer krankenversicherungsrechtlichen Fragestellung heraus ergab.
Indes findet der "mißglückte Arbeitsversuch" nach der neueren Rechtsprechung des BSG auch in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Anwendung mehr. In seinen Urteilen vom 11. Mai 1993 (BSGE 72, 221, 224f. = SozR 3-2200 § 165 Nr. 10 und - 12 RK 34/91) hat der 12. Senat des BSG die Bedenken dagegen bereits aufgeführt und nunmehr klargestellt, daß diese Rechtsfigur jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) am 1. Januar 1989 von diesem neuen Recht nicht mehr gedeckt und daher nicht mehr anzuwenden ist (Urteile vom 4. Dezember 1997 - 12 RK 3/97 - = HVBG-Info 1998, 446, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und - 12 RK 46/94).
In der gesetzlichen Unfallversicherung ist der "mißglückte Arbeitsversuch" unabhängig vom Inkrafttreten des GRG weder direkt noch entsprechend anzuwenden. Diese Rechtsfigur wurde wegen der Notwendigkeit der Mißbrauchsabwehr und der Wahrung des Versicherungsprinzips entwickelt: Kein am Versicherungsprinzip orientiertes Leistungssystem könne darauf verzichten, daß jeder Versicherte zumindest der Möglichkeit nach zugleich Leistungsempfänger und Beitragszahler sei, so daß niemand Mitglied der Versichertengemeinschaft werden könne, der von vornherein wegen Arbeitsunfähigkeit als Beitragszahler ausscheide (s z.B. BSG SozR Nr. 63 zu § 165 RVO und SozR 2200 § 165 Nr. 33).
Diese Erwägungen sind mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung - Ablösung der Unternehmerhaftung, soziales Schutzprinzip - nicht vereinbar. Es würde dem Haftungsersetzungsprinzip grundlegend widersprechen, einen in den Betrieb des Unternehmers eingegliederten und tatsächlich Arbeit Leistenden bei Vorliegen eines "mißglückten Arbeitsversuchs" vom Unfallversicherungsschutz auszuschließen (vgl. z.B. KassKomm-Seewald § 7 SGB IV RdNr 22; Gitter/Nunius in Schulin HS-UV § 5 RdNr 141). Es kommt hinzu, daß die gesetzliche Unfallversicherung bei der Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO keine Einschränkungen nach der Entgelthöhe und auch keine Wartezeiten kennt, vielmehr uneingeschränkt sogleich Versicherungsschutz gewährt. Einer Ausnahme hiervon - etwa der Anwendung des "mißglückten Arbeitsversuchs" - stünde der Vorbehalt des Gesetzes (§ 31 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) und das Gebot zur möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. z.B. KassKomm-Seewald § 7 SGB IV RdNr 23; Gitter/Nunius in Schulin a.a.O. § 5 RdNrn 141 bis 143) entgegen.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Mißbrauchsabwehr läßt sich die Anwendung des "mißglückten Arbeitsversuchs" in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht rechtfertigen. Erleidet ein Versicherter einen Arbeitsunfall, so knüpfen seine Entschädigungsansprüche ausschließlich an die versicherte Tätigkeit nach §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO, bei der sich der Unfall ereignet hat, an (vgl. § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO). Außerhalb des Versicherungsverhältnisses erlittene körperliche Schäden scheiden von vornherein aus und können den Unfallversicherungsträger nicht belasten. Bestehende Vorschädigungen werden im Rahmen der Kausalitätsbeurteilung berücksichtigt.
Gleiches gilt, wenn der Versicherte an einer Krankheit leidet, die als oder wie eine BK zu entschädigen ist. Auch insoweit muß er die Krankheit bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erlitten haben (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO), wobei mögliche Vorschäden ebenfalls der Kausalitätsbeurteilung obliegen. Durch Leistungsansprüche aufgrund von BKen wird ein Unfallversicherungsträger somit nur dann belastet, wenn der Anspruchsberechtigte seine Krankheit innerhalb des Unfallversicherungsverhältnisses erlitten hat. Dieses Versicherungsverhältnis wird zudem regelmäßig längerfristig gewesen sein oder über einen sich aus mehreren versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ergebenden längeren Zeitraum hinweg bestanden haben. Wenn der Erkrankte den schädigenden Einwirkungen während mehrerer Beschäftigungsverhältnisse und in mehreren Betrieben ausgesetzt war, für die verschiedene Unfallversicherungsträger zuständig sind, ist zwar nur der Träger mit Leistungsansprüchen wegen der BK belastet, der zuständig war, als der Versicherungsfall eingetreten ist, regelmäßig also der zeitlich letzte. Allerdings entspricht dies der vom Gesetzgeber gewollten Zuständigkeitsabgrenzung und darf dem Versicherten nicht angelastet werden.
Auch eine analoge Anwendung des "mißglückten Arbeitsversuchs" ist im Rahmen des vorliegenden Problems nicht angezeigt. Durch das Tatbestandsmerkmal des Zwanges der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung als zusätzliche Voraussetzung einer BK soll in typisierender Weise der Schweregrad der Krankheit beschrieben werden (BSGE 56, 94, 97 = SozR 5677 Anl 1 Nr. 46 Nr. 12 m.w.N.). Weiter hat das Merkmal den Zweck, ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigungsleistung zu verhüten (z.B. BSGE 10, 286, 290; BSGE 56, 94, 97 = BSG SozR 5677 Anl 1 Nr. 46 Nr. 12 mwN; Brackmann/Krasney, a.a.O., § 9 RdNr 31 m.w.N.). Die Rechtsfigur des "mißglückten Arbeitsversuchs" verfolgt demgegenüber mit den Zielen der Wahrung des Versicherungsprinzips und der Mißbrauchsabwehr völlig andere Zwecke. Es liefe dem Präventionsgedanken des tätigkeitsbezogenen Merkmals des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung zuwider, wenn man es mittels des "mißglückten Arbeitsversuchs" zuließe, daß der Erkrankte - wenn auch nur kurzzeitige, aber qualitativ nicht weniger schädigende - Tätigkeiten verrichten dürfte und der Versicherungsfall gleichwohl eintreten könnte.
Da die Rechtsfigur des "mißglückten Arbeitsversuchs" im vorliegenden Zusammenhang mithin auch nicht entsprechend anwendbar ist, hat aus objektiver Sicht auf der Grundlage der vom LSG bindend festgestellten Tatsachen der Kläger seine Tätigkeit nicht bereits zum 26. Januar 1988, sondern erst mit dem Ende seiner wirbelsäulenschädigenden Arbeiten am 24. Juni 1988 endgültig eingestellt. Der erste Tag seiner Arbeitsunfähigkeit fällt dann auf den 25. Juni 1988. Der Versicherungsfall kann daher nicht vor diesem Zeitpunkt eingetreten sein. Die Stichtagsregelung des Art 2 Abs. 2 2. ÄndVO steht mithin einer Anerkennung und Entschädigung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als BK nicht entgegen.
Ob indessen die weiteren Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung der geltend gemachten BK vorliegen, ist den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen.
Die Sache war daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), die nunmehr entsprechende Ermittlungen anzustellen haben wird.
Das LSG wird in seinem abschließenden Urteil auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 518223 |
NZS 1998, 580 |
SGb 1999, 142 |
Breith. 1998, 834 |