Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Höhe des Krankengeldes bei Künstlern und Publizisten. Verfassungsmäßigkeit der besonderen Gestaltung des Regelentgelts
Leitsatz (amtlich)
Die Höhe des Krankengeldes bei Künstlern und Publizisten bemisst sich nach der Schätzung des künftigen Arbeitseinkommens, an die die Beitragsbemessung anknüpft.
Orientierungssatz
Die besondere Gestaltung des Regelentgelts in § 47 Abs 4 S 3 SGB 5 für nach dem KSVG Versicherte widerspricht nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz gem Art 3 Abs 1 GG.
Normenkette
SGB 5 § 44 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Sätze 1, 5, Abs. 4 S. 3, § 234 Abs. 1; KSVG § 3 Abs. 1, § 12 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 13; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Krankengeldes (Krg).
Der 1953 geborene Kläger ist als Redakteur und Fotojournalist nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) versicherungspflichtig Er ist bei der beklagten AOK krankenversichert. Seine Beiträge bemaßen sich nach dem von ihm angegebenen Arbeitseinkommen von 24.000 Euro im Jahr 2005 und von 26.400 Euro im Jahr 2006. Der Kläger erhielt wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (AU) ab 20.3.2006 von der Beklagten vom 3. bis 12.4.2006 Krg. Sie setzte die Höhe des kalendertäglichen Brutto-Krg mit 21,67 Euro fest. Dabei ging sie von den Feststellungen des Einkommensteuerbescheides für 2003 aus, der Einkünfte in Höhe von 11.142 Euro auswies. Die Beklagte lehnte es ab, das Regelentgelt nach dem (höheren) Arbeitseinkommen zu berechnen, das der Beitragsbemessung für die letzten zwölf Kalendermonate vor Beginn der AU zugrunde lag (Bescheid vom 10.5.2006; Widerspruchsbescheid vom 29.8.2006). Sie sah das anhand des letzten Einkommensteuerbescheides ermittelte tatsächliche Arbeitseinkommen als maßgeblich an. Das entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte dazu verurteilt, dem Kläger Krg in der Zeit vom 3. bis 12.4.2006 unter Berücksichtigung des Regelentgelts zu gewähren, das der Beitragsbemessung in der Zeit vom 20.3.2005 bis zum 19.3.2006 zugrunde gelegen hat (Urteil vom 30.10.2007).
Die Beklagte hat deshalb Sprungrevision eingelegt. Der Kläger hat klargestellt, dass er seine Klage von Beginn an gerichtet hat auf die Berechnung des Krankengeldes gemäß § 47 Abs 4 Satz 3 SGB V unter Berücksichtigung des Regelentgelts aus dem Arbeitseinkommen, das der Beitragsbemessung für die letzten zwölf Kalendermonate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit zugrunde gelegen hat, also für den Zeitraum vom 1.3.2005 bis 28.2.2006.
Die Beklagte rügt die Verletzung des § 47 Abs 4 Satz 3 SGB V. Sie trägt vor, der vom KSVG erfasste Personenkreis sei eine Untergruppierung der Selbstständigen. Deshalb hätten auch die allgemeinen Grundsätze für die Berechnung der Höhe des Krg für diesen Personenkreis entsprechend § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V zu gelten, um einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) zu vermeiden. Es sei nicht auf ein fiktives Arbeitseinkommen, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse vor Beginn der AU abzustellen.
Die Beklagte beantragt ,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Auffassung des SG für zutreffend.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte dazu verurteilt, das für die Höhe des Krg in der Zeit vom 3. bis 12.4.2006 maßgebliche Regelentgelt nach dem Arbeitseinkommen zu berechnen, das tatsächlich der Beitragsbemessung für die letzten zwölf Kalendermonate vor Beginn der AU zugrunde gelegen hat. Das für die Krg-Höhe wesentliche Regelentgelt soll danach der Schätzung entsprechen, an die die Beitragsbemessung anknüpft. Das entspricht Wortlaut und Regelungssystem (dazu 1.), Entstehungsgeschichte (dazu 2.) und Zweck (dazu 3.) der für die Krg-Berechnung bei Künstlern und Publizisten geltenden Spezialnorm des § 47 Abs 4 Satz 3 SGB V, die mit dem GG vereinbar ist (dazu 4.). Auf den Einkommensteuerbescheid für das letzte Kalenderjahr vor Eintritt der AU kommt es demgegenüber nicht an. Im Tenor war wegen der Präzisierung des Klageantrags lediglich klarzustellen, dass die Beitragsbemessungszeit vom 1.3.2005 bis zum 28.2.2006 maßgeblich ist, weil auf volle Kalendermonate abzustellen ist.
1. Die Höhe des Krg bei Künstlern und Publizisten bemisst sich schon gemäß dem Gesetzeswortlaut und Regelungssystem ua nach dem Arbeitseinkommen, das der Beitragsbemessung für die letzten zwölf Kalendermonate vor Beginn der AU zugrunde gelegen hat. § 47 Abs 1 Satz 1 SGB V bemisst das Krg mit 70 vH des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Gemäß § 47 Abs 1 Satz 5 SGB V wird das Regelentgelt nach den Absätzen 2, 4 und 6 des § 47 SGB V berechnet. Nach § 47 Abs 4 Satz 3 SGB V ist für nach dem KSVG Versicherte das Regelentgelt aus dem Arbeitseinkommen zu berechnen, das der Beitragsbemessung für die letzten zwölf Kalendermonate vor Beginn der AU zugrunde gelegen hat; dabei ist für den Kalendertag der dreihundertsechzigste Teil dieses Betrages anzusetzen. Die Norm verweist auf § 234 SGB V. § 234 Abs 1 SGB V bestimmt, dass für die nach dem KSVG versicherungspflichtigen Mitglieder der dreihundertsechzigste Teil des voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommens (§ 12 KSVG), mindestens jedoch der einhundertachtzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV der Beitragsmessung zugrunde zu legen ist. § 12 Abs 1 Satz 1 KSVG (idF durch Art 48 Nr 5 des Gesetzes vom 9.12.2004, BGBl I 3242) regelt, dass ua Versicherte der Künstlersozialkasse bis zum 1.12. eines Jahres das voraussichtliche Arbeitseinkommen, das sie aus der Tätigkeit als selbstständiger Künstler und Publizist erzielen, bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung für das folgende Kalenderjahr zu melden haben. Die Künstlersozialkasse schätzt die Höhe des Arbeitseinkommens, wenn der Versicherte trotz Aufforderung die Meldung nach Satz 1 nicht erstattet oder die Meldung mit den Verhältnissen unvereinbar ist, die dem Versicherten als Grundlage für seine Meldung bekannt waren (Satz 2 idF durch Art 1 Nr 11 Buchst a des Gesetzes vom 13.6.2001, BGBl I 1027) . § 12 Abs 3 KSVG (idF durch Art 1 Nr 3 des Gesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2606) sieht vor, dass wenn sich die Verhältnisse ändern, die für die Ermittlung des voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommens maßgebend waren, auf Antrag die Änderung mit Wirkung vom 1. des Monats an zu berücksichtigen ist, der auf den Monat folgt, in dem der Antrag bei der Künstlersozialkasse eingeht. Satz 1 gilt entsprechend, wenn das Jahresarbeitseinkommen geschätzt worden ist.
2. Besonders deutlich belegt die Entstehungsgeschichte zu § 47 Abs 4 Satz 3 SGB V, dass der Beitragsbemessung die Schätzung des Versicherten oder der Künstlersozialkasse zugrunde zu legen ist, und dass diese auch für das Regelentgelt maßgeblich sein soll. Der Gesetzgeber ging stets davon aus, dass die nach dem KSVG Versicherten gegenüber anderen Versicherten eine Sonderstellung haben. Insgesamt ist die Gesetzesentwicklung von einer schrittweise eingeführten, immer stärkeren Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse für das maßgebliche Arbeitseinkommen charakterisiert.
a) § 180a Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 182 Abs 6 Satz 1 RVO ging noch vom voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommen aus der selbstständigen Tätigkeit als Künstler oder Publizist aus und legte fest, dass der als Regellohn geltende Grundlohn den dreihundertsechzigsten Teil dieses Einkommens betrage (vgl Schmidt in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 2, Stand 1.7.2008, § 47 SGB V RdNr 141 mwN).
b) Auch § 234 Abs 1 SGB V sollte ursprünglich eine Regelung enthalten, wonach der Beitragsbemessung für nach dem KSVG versicherungspflichtige Mitglieder zunächst vorläufige beitragspflichtige Einnahmen aus der Tätigkeit als selbstständiger Künstler und Publizist zugrunde liegen sollten. Die endgültigen beitragspflichtigen Einnahmen sollten nach Ablauf eines Kalenderjahres nach dem für dieses Kalenderjahr ermittelten Jahresarbeitseinkommen, mindestens jedoch nach dem in § 3 Abs 1 KSVG genannten Jahresarbeitseinkommen festgestellt werden (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen - Gesundheits-Reformgesetz - GRG - BT-Drucks 11/2237 S 68 und S 224 zu § 243 des Entwurfs, entsprechend §§ 180a Abs 1, 393 Abs 2 Satz 1 bis 3 RVO, eingefügt in die RVO durch das KSVG vom 27.7.1981, BGBl I 705). Diese Regelung wurde jedoch noch vor ihrem Inkrafttreten durch Art 2 Nr 6 KSVG-Änderungsgesetz vom 20.12.1988 (BGBl I 2606) aufgehoben und durch die bis heute geltende Regelung in § 234 SGB V ersetzt.
c) Im Zusammenhang mit diesen Änderungen erhielt auch § 47 Abs 4 Satz 3 SGB V seine heutige Fassung. Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des KSVG (BT-Drucks 11/2964 S 10) sah die Anfügung von zwei Sätzen an § 182 Abs 6 RVO vor. Hiernach sollte bei der Krg-Berechnung für KSVG-Versicherte das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden, das der Beitragszahlung für die letzten zwölf Kalendermonate vor Beginn der AU entsprach (vgl auch Schmidt in H. Peters, aaO, § 47 SGB V RdNr 3). Bei den Ausschussberatungen wurde dies zu einer Ergänzung von § 47 Abs 4 SGB V umgestaltet (vgl Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ≪11. Ausschuss≫ BT-Drucks 11/3609 S 20). Diese Gestaltung begründete der Regierungsentwurf damit, dass abweichend von der Regelung für die übrigen in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten auf einen längeren Zeitraum abgestellt werde, nämlich die letzten zwölf Kalendermonate vor Beginn der AU. Da das Arbeitseinkommen der Künstler und Publizisten starken Schwankungen unterliegen könne, solle die Höhe des Krg nicht von den Zufälligkeiten eines möglicherweise kurz vor Eintritt der AU besonders hoch oder besonders niedrig geschätzten Arbeitseinkommens abhängen (Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des KSVG, BT-Drucks 11/2964 S 20 zu Nr 2 zu Buchst b) .
d) Erst mit der - hier noch nicht geltenden - Ergänzung des § 13 KSVG um Satz 2 bis 4 durch Art 1 Nr 2 Drittes Gesetz zur Änderung des KSVG und anderer Gesetze vom 12.6.2007 (BGBl I 1034) hat der Gesetzgeber eine strengere Überprüfung der Beitragsbemessungsgrundlagen und damit auch der Krg-Höhe für nach dem KSVG Versicherte eingeführt. Danach kann die Künstlersozialkasse von den Versicherten und den Zuschussberechtigten Angaben darüber verlangen, in welcher Höhe Arbeitseinkommen aus künstlerischen, publizistischen und sonstigen selbstständigen Tätigkeiten in den vergangenen vier Kalenderjahren erzielt wurde. Für den Nachweis der Angaben zur Höhe des Arbeitseinkommens kann sie die Vorlage der erforderlichen Unterlagen, insbesondere von Einkommensteuerbescheiden oder Gewinn- und Verlustrechnungen, verlangen. Die Erhebung dieser Angaben erfolgt durch eine wechselnde jährliche Stichprobe. Unverändert bleibt es aber auch in diesen Fällen dabei, dass Änderungen jeweils nur mit Wirkung für die Zukunft möglich sind (zur Zielsetzung einer besseren Überprüfung durch die Ergänzung des § 13 KSVG vgl die Gesetzesbegründung zum Entwurf der Bundesregierung eines Dritten Gesetzes zur Änderung des KSVG und anderer Gesetze, BT-Drucks 16/4373 S 9 zu Art 1 Nr 2 ≪§ 13≫).
3. Die gezielt von der Regelung für andere Versicherte abweichende Berechnung des Krg für nach dem KSVG Versicherte beruht nicht zuletzt auf dem Förderungsgedanken, der mit dem KSVG verknüpft ist: dem Schutz der selbstständigen Künstler und Publizisten (vgl hierzu BSGE 77, 21, 25 ff = SozR 3-5425 § 24 Nr 12; BSG SozR 3-5425 § 1 Nr 4). Der Förderungszweck des KSVG wird ua darin deutlich, dass die Aufgabe der den sog Vermarktern (§ 24 KSVG) auferlegten Künstlersozialabgabe gemäß § 10 KSVG darin besteht, zusammen mit dem Zuschuss des Bundes (§ 34 KSVG) eine Hälfte der für die Versicherung der selbstständigen Künstler und Publizisten benötigen Mittel aufzubringen. Die Versicherten müssen durch ihre eigenen Beiträge lediglich die andere Hälfte dieser Mittel bestreiten. Das Volumen der Künstlersozialabgabe richtet sich dementsprechend nach dem Bedarf der Künstlersozialkasse (§ 26 Abs 1 KSVG). Das Bundesverfassungsgericht hat keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz darin gesehen, dass Vermarkter mit der Umlage nach § 24 KSVG belastet werden (vgl BVerfGE 75, 108, 148 f = SozR 5425 § 1 Nr 1 S 5) .
4. Die besondere Gestaltung des Regelentgelts in § 47 Abs 4 Satz 3 SGB V für nach dem KSVG Versicherte widerspricht entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art 3 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55 mwN; BVerfGE 117, 316 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3, stRspr; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 4 RdNr 9 mwN).
Zur Verwirklichung des besonderen Förderungszwecks steht es dem Gesetzgeber frei, selbstständige Künstler und Publizisten weitergehend als andere Selbstständige zu schützen. Schon dieser Zweck rechtfertigt eine abweichende Regelung der Krg-Höhe. Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats für die Berechnung des Krg bei der - allerdings anders strukturierten Gruppe - der freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen im Sinne einer widerleglichen Vermutung ein Regelentgelt zugrunde zu legen, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der AU Beiträge entrichtet worden sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 7 Leitsatz 1 und RdNr 12; zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen