Entscheidungsstichwort (Thema)

Beendigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit wird durch den Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit (EU), die bis zum Versicherungsfall des Alters fortdauert, beendet. Eine mit oder nach dem Eintritt der EU beginnende Arbeitsunfähigkeit kann deshalb eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr iS von AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 1 unterbrechen.

 

Normenkette

AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 1975 aufgehoben, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist, der Klägerin ein höheres vorgezogenes Altersruhegeld unter Anrechnung einer Ausfallzeit vom 1. September bis 31. Oktober 1973 zu gewähren, und soweit es die Kostenentscheidung betrifft.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. März 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Monate September und Oktober 1973 bei der Berechnung des der Klägerin zustehenden Altersruhegeldes als Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) rentensteigernd zu berücksichtigen sind.

Die am 15. Oktober 1913 geborene Klägerin war nach Ablegung des Staatsexamens für Krankenpflege seit 1935 als Krankenschwester versicherungspflichtig beschäftigt. Die Beklagte bewilligte ihr ab 1. Oktober 1967 Rente wegen Berufsunfähigkeit und - wegen eines im Oktober 1971 eingetretenen Versicherungsfalles - ab 1. November 1971 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Klägerin leistete vor und nach diesem Zeitpunkt seit Anfang 1971 in einer Privatklinik als Nachtwache Bereitschaftsdienst. Nach ihren Angaben erhielt sie pro Nacht ein Entgelt für eine Arbeitszeit von drei Stunden. Ende August 1973 erlitt sie einen Unfall. Nach einer ärztlichen Bescheinigung vom 30. August 1974 bestand wegen der Unfallfolgen Arbeitsunfähigkeit vom 1. September 1973 bis 31. Januar 1974.

Aufgrund des von der Klägerin im November 1973 gestellten Antrags wandelte die Beklagte die Erwerbsunfähigkeitsrente mit Wirkung vom 1. November 1973 in das vorgezogene Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres um. Bei der Rentenberechnung berücksichtigte sie Pflichtbeitragszeiten bis zum 31. August 1973. Eine Anrechnung der nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeitszeit vom 1. September bis 31. Oktober 1973 lehnte sie mit der Begründung ab, es handele sich nicht um eine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG (Bescheid vom 26. Februar 1974).

Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte die Klägerin, ihr ab 1. Februar 1974 ein höheres vorgezogenes Altersruhegeld unter zusätzlicher Berücksichtigung der Zeit vom 1. September 1973 bis 31. Januar 1974 als Ausfallzeit zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 21. März 1975). Auf die Berufung der Klägerin verpflichtete das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte, der Klägerin ein höheres vorgezogenes Altersruhegeld unter Anrechnung einer Ausfallzeit vom 1. September bis 31. Oktober 1973 zu gewähren. Im übrigen wies es die weitergehende Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die Monate September und Oktober 1973 seien gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG rentensteigernd anzurechnen, weil während dieser Zeit die bis dahin ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung der Klägerin durch eine infolge Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden sei. Ausfallzeiten seien grundsätzlich bis zum Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles anzurechnen. Dabei sei die im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG vorzunehmende Prüfung der Unterbrechungsdauer ohne Rücksicht darauf durchzuführen, ob inzwischen der Versicherungsfall eingetreten sei (Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 4.6.1975 - 11 RA 212/73). Nach der Rechtsprechung des BSG schließe eine Erwerbsunfähigkeit die eine Ausfallzeit begründende Arbeitsunfähigkeit nicht grundsätzlich aus (Hinweis auf das BSG-Urteil vom 30.7.1975 - 4 RJ 351/74). Ein Versicherter sei nicht generell aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, wenn er - wie die Klägerin - auch nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit weiterhin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab 1. September 1973 habe in keinem Zusammenhang mit der Erkrankung gestanden, die zur Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente geführt habe. Zumindest in diesem Fall stehe der Bezug der vollen Leistung aus der Rentenversicherung der Erhöhung der Rente durch zusätzliche Ausfallzeiten nach Eintritt des neuen Versicherungsfalles des Alters nicht entgegen. Es müsse vielmehr unabhängig von dem Rentenbezug geprüft werden, zu welchem Zeitpunkt der Versicherte aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Angesichts der Erklärungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sei davon auszugehen, daß sie ihr Arbeits- und Versicherungsleben jedenfalls zum 31. Oktober 1973 habe beenden wollen (Urteil vom 31. Oktober 1975).

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG durch das Berufungsgericht.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist, der Klägerin ein höheres Altersruhegeld unter Anrechnung einer Ausfallzeit vom 1. September bis 31. Oktober 1973 zu gewähren. Außerdem beantragt sie, die Berufung gegen das Urteil des SG Duisburg vom 21. März 1975 zurückzuweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision ist begründet.

Das LSG hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, die Monate September und Oktober 1973 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG bei der Berechnung des vorgezogenen Altersruhegeldes der Klägerin zu berücksichtigen. Im streitigen Zeitraum ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht durch eine infolge Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift unterbrochen worden.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, eine krankheitsbedingte Arbeitsunterbrechung müsse auch dann bejaht werden, wenn der Versicherte bereits vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erwerbsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. § 24 Abs. 2 AVG) gewesen sei, widerspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG. Danach wird eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch den Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit, die - wie hier - bis zum Versicherungsfall des Alters fortdauert, beendet. Eine mit oder nach dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit beginnende Arbeitsunfähigkeit kann deshalb eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 AVG unterbrechen (so bereits Urteil des erkennenden Senats vom 3.5.1968 in BSG 28, 68 = SozR Nr. 20 zu § 1259 RVO und daran im Anschluß BSG in SozR Nrn. 34, 36 und 55 zu § 1259 RVO sowie die Urteile vom 5.2.1976 - 11 RA 70/75 - und 26.5.1976 - 4 RJ 227/74). Der Senat sieht keinen Anlaß, aufgrund der Ausführungen des LSG von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.

Der Hinweis des Berufungsgericht auf das Urteil des 11. Senats des BSG vom 4. Juni 1975 (SozR 2200 § 1259 Nr. 7) vermag schon deswegen keine andere Entscheidung zu stützen, weil es nicht die Zeit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit während einer daneben bis zum Versicherungsfall des Alters bestehenden Erwerbsunfähigkeit betrifft. Für diesen - hier vorliegenden - Fall hat auch der 11. Senat des BSG im Urteil vom 5. Februar 1976 aaO entschieden, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch die Arbeitsunfähigkeit nicht unterbrochen wird und zwar unabhängig davon, ob der erwerbsunfähige Versicherte eine entsprechende Rente bezieht.

Auch das vom LSG hauptsächlich zur Begründung seiner Rechtsauffassung herangezogene Urteil des 4. Senats des BSG vom 30. Juli 1975 (SozR 2200 § 1259 Nr. 9) rechtfertigt keine von der genannten einhelligen Rechtsprechung des BSG abweichende Entscheidung. Der 4. Senat hat dort lediglich ausgesprochen, daß bei einem Versicherten, der gleichzeitig arbeitsunfähig und erwerbsunfähig ist, die Unterbrechung einer Beschäftigung oder Tätigkeit - nicht dagegen ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben - vorliege, wenn von Anfang an die begründete Aussicht bestanden habe, daß die Erwerbsunfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein werde und die spätere Entwicklung mit dieser Prognose übereinstimme. Die Frage, was zu gelten habe, wenn die Erwerbsunfähigkeit bis zum Zeitpunkt der Gewährung des Altersruhegeldes bestanden hat, ist dort offengelassen worden. Für diesen hier maßgeblichen Sachverhalt hat inzwischen der 4. Senat des BSG im Urteil vom 26. Mai 1976 aaO ebenfalls bestätigt, daß die ununterbrochen bis zum Versicherungsfall des Alters fortbestehende Erwerbsunfähigkeit die Beendigung des - versicherungsrechtlich relevanten - Erwerbslebens bedeute und demzufolge in dieser Zeit die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeschlossen sei. Es könne in diesem Zusammenhang weder auf den Rentenbezug noch auf den Arbeitswillen des Versicherten ankommen. Der 4. Senat ist deshalb im Anschluß an die genannte Entscheidung des 11. Senats vom 5. Februar 1976 und in konsequenter Weiterverfolgung der aufgezeigten bisherigen Rechtsprechung des BSG zu dem Ergebnis gelangt, daß es in einem solchen Fall nicht rechtserheblich sein kann, ob der erwerbsunfähige Versicherte zwischenzeitlich gelegentlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Diese Rechtsauffassung macht sich der erkennende Senat für den hier vom LSG gemäß § 163 SGG bindend festgestellten Sachverhalt, wonach die Klägerin auch während der ununterbrochen bis zum Versicherungsfall des Alters vorgelegenen Erwerbsunfähigkeit im erlernten Beruf mit zeitlichen Einschränkungen beschäftigt gewesen war, zu eigen.

Nach alledem kommt die rentensteigernde Anrechnung einer Ausfallzeit vom 1. September bis 31. Oktober 1973 auf das der Klägerin gewährte Altersruhegeld nicht in Betracht. Das mit der Revision angefochtene Urteil des LSG war demnach insoweit aufzuheben, als es der Berufung der Klägerin stattgegeben hat, und die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649374

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