Leitsatz (amtlich)
Auf das Ausbildungsgeld ist das Einkommen des verwitweten Vaters anzurechnen, soweit es 2.500 DM monatlich übersteigt.
Normenkette
AFG § 56 Abs. 3, § 58 Abs. 2 S. 1; RehaAnO 1975 § 27 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Hs. 2, Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 02.12.1987; Aktenzeichen L 12 Ar 162/86) |
SG Detmold (Entscheidung vom 26.06.1986; Aktenzeichen S 3 Ar 36/85) |
Tatbestand
Im Prozeß geht es um die Frage, ob die in § 27 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Halbsatz 2 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (A Reha) enthaltene Regelungslücke dahin auszufüllen ist, daß das Einkommen des verwitweten Vaters in Höhe des 4.000,-- DM oder des 2.500,-- DM monatlich übersteigenden Teiles auf das Ausbildungsgeld (Abg) anzurechnen ist.
Der im Jahr 1963 geborene, behinderte Kläger wurde von 1981 bis 1985 zunächst zum Gartenbau-Fachwerker und dann zum Gärtner ausgebildet. Die BA gewährte ua Abg, zuletzt für den Zeitraum bis 31. August 1984. Den Antrag auf Weiterbewilligung lehnte sie mit Bescheid vom 27. September 1984 ab, weil das Einkommen des verwitweten Vaters - unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 2.500,-- DM monatlich - anzurechnen sei. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Sozialgericht Detmold (SG) hat mit Urteil vom 26. Juni 1986 die angefochtenen Bescheide aufgehoben, die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. September 1984 an unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 4.000,-- DM monatlich Abg zu zahlen, und die Berufung zugelassen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen, die Revision zugelassen und ausgeführt, § 27 Abs 2 Satz 1 Nr 2 A Reha könne nur den Sinn haben, den Freibetrag von 4.000,--DM ausschließlich bei zusammenlebenden Elternteilen zu gewähren und für den alleinstehenden Elternteil nur einen Freibetrag von 2.500,-- DM anzusetzen.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 56 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm den §§ 24 und 27 A Reha. Die A Reha unterscheide zu Recht zwischen den Eltern und dem getrennt lebenden Elternteil. Bei der Mehrzahl getrennt lebender Elternteile lebten die Kinder bei der Mutter, die oft eine eigene Berufstätigkeit ausübe. In solchen Fällen trage in aller Regel der nicht (mehr) zum Haushalt gehörende Vater zum Lebensunterhalt des Kindes bei. In dieser Situation befänden sich Kinder eines verwitweten Elternteiles nicht, da sie gegen den verstorbenen Elternteil keine Unterhaltsansprüche hätten.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß bei der Berechnung des Abg nur ein Freibetrag von 2.500,-- DM monatlich zu berücksichtigen ist.
Die in § 24 Abs 3 A Reha vorgesehene Zahlung von Abg erfolgt bei Teilnahme an Maßnahmen iS von § 40 AFG. Aus § 40 Abs 1b Nr 1 und Abs 3 AFG ergibt sich sinngemäß die Anrechnung von Unterhaltsleistungen auf das Abg. Die Ermächtigung der BA, durch Anordnung das Nähere über Voraussetzungen, Art und Umfang der Förderung der beruflichen Bildung nach dem Vierten Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des AFG zu bestimmen, folgt aus § 39 Satz 1 AFG. In § 27 Abs 2 Satz 1 Nr 2 A Reha ist demgemäß festgelegt, daß auf das Abg Einkommen der Eltern anzurechnen ist, soweit es 4.000,-- DM monatlich übersteigt; bei getrennt lebenden Eltern, soweit es 2.500,-- DM bei dem Elternteil monatlich übersteigt, bei dem der Behinderte lebt.
Daß dem Kläger somit dem Grunde nach Abg zusteht, steht ebenso außer Zweifel wie die Anrechnung des Elterneinkommens. Streitig ist jedoch, ob bei der Anrechnung des vom verwitweten Vater erzielten Einkommens auf das Abg ein Freibetrag von 4.000,-- DM oder von 2.500,-- DM monatlich zu berücksichtigen ist.
Der Wortlaut des § 27 Abs 2 Nr 2 A Reha unterscheidet nur Eltern von getrennt lebenden Elternteilen und sieht für Eltern ein anrechnungsfreies Einkommen von 4.000,-- DM vor, für getrennt lebende Elternteile dagegen nur ein solches von 2.500,-- DM. Da der Zweck dieser Regelung die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen ist und dabei auch die Unterhaltsansprüche der Eltern untereinander von Bedeutung sind (vgl § 1609 Abs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-), ist die Unterscheidung getrennt lebender Elternteile von - zusammenlebenden - Eltern namentlich unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Wohnung sinnvoll. Die Anrechnung des Einkommens der Eltern soll, ähnlich wie in § 134 Abs 1 Nr 2 AFG, § 90 Bundessozialhilfegesetz und § 11 Abs 2 Bundesausbildungsförderungsgesetz, den Unterhaltsanspruch des Behinderten gegen seine Eltern (§ 1601 BGB) in pauschalierter Form gleichmäßig bei Bemessung des Abg berücksichtigen. Unterhaltsansprüche des Behinderten bestehen aber nur gegenüber seinen lebenden Eltern. Sie vermindern sich beim Tod eines Elternteils (§ 1615 Abs 1 BGB) auf den Anspruch gegen den überlebenden Elternteil und enden auch bei ihm dort, wo sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet ist.
Die Freibeträge bei der Einkommensanrechnung sollen in pauschalierter Form die Eltern(teile) vor der Gefährdung ihres angemessenen Unterhalts (§ 1603 Abs 1 BGB) schützen. Diesem Zweck entsprechend kann jeder Unterhaltsschuldner grundsätzlich nur den seinen eigenen Unterhalt schützenden Freibetrag beanspruchen, nicht aber den für zwei Unterhaltsschuldner - ein Ehepaar - vorgesehenen Freibetrag. Deshalb bildet die A Reha hinsichtlich des Einkommensfreibetrages zwei Gruppen. Bei verheirateten und nicht dauernd getrennt lebenden Eltern muß der Einkommens-Anrechnung mindestens der angemessene Unterhalt für zwei Personen vorgehen. Hierfür sind in der A Reha 4.000,-- DM vorgesehen, wobei für jedes Kind noch Zuschläge gemäß § 27 Abs 2 Satz 2 A Reha erfolgen. Leben die Eltern dagegen getrennt, so geht die A Reha davon aus, daß derjenige Elternteil, bei dem der Behinderte lebt, allein deshalb schon stärker mit dem Unterhalt des Behinderten belastet ist als der andere Elternteil, so daß für ihn mit 2.500,-- DM ein über der Hälfte von 4.000,-- DM liegender Anrechnungsfreibetrag gerechtfertigt erscheint. Ob dann für den anderen Elternteil der Restfreibetrag von 1.500,-- DM verbleibt, bedarf hier keiner Entscheidung, ebenso auch nicht die vom LSG bejahte Frage, ob der Freibetrag von 4.000,-- DM davon abhängig ist, daß der Behinderte bei seinen Eltern lebt.
Der verwitwete Elternteil steht in seiner Belastung mit dem Unterhalt des Behinderten dem getrennt lebenden Elternteil gleich, bei dem der Behinderte lebt. Denn er hat - wie dieser - bis zur Grenze des eigenen angemessenen Unterhalts für den Unterhalt des Behinderten aufzukommen und ist nicht mit dem Unterhalt für den anderen Elternteil belastet, während dies beim getrennt lebenden Elternteil möglich ist. Deshalb ist sein Einkommen auch gegen die Anrechnung als Unterhalt nicht in höherem Maße durch einen Freibetrag zu schützen als das des getrennt lebenden Elternteils, und es kann ihm der Freibetrag eines zusammenlebenden Ehepaares wegen des weitaus geringeren Eigenbedarfs nicht eingeräumt werden.
Der Kläger macht demgegenüber geltend, in der Unterhaltsbelastung bestünden zwischen dem verwitweten Elternteil und dem getrennt lebenden Elternteil, bei dem der Behinderte lebt, wesentliche Unterschiede, weil in der Mehrzahl jener Fälle die Kinder bei der Mutter wohnten und von dem getrennt lebenden Vater - zusätzlich zu den Leistungen der Mutter - Unterhalt bezögen. Selbst wenn das typischerweise zuträfe, ergäbe sich daraus keine günstigere Stellung der getrennt lebenden Mutter. Deren Einkommen würde nämlich gleichwohl - wie das des Vaters des Klägers - nach § 27 Abs 2 Satz 1 Nr 2 A Reha angerechnet, und etwaige Unterhaltszahlungen des nicht mit dem Behinderten zusammenlebenden Vaters müßten nach § 27 Abs 2 Satz 1 Nr 1 A Reha ebenso zusätzlich berücksichtigt werden, wie eine etwaige Waisenrente des Behinderten nach dem verstorbenen Elternteil. Der Einkommensfreibetrag bleibt in beiden Fällen wegen des am angemessenen Eigenbedarf des Unterhaltspflichtigen endenden Unterhaltsanspruchs des Behinderten und der darüber hinaus nicht bestehenden Schutzbedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen der für den getrennt lebenden Elternteil festgelegte Betrag von 2.500,-- DM.
Die Revision war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen