Orientierungssatz
Gesamteinkommen - erhöhte Abschreibung - Steuervergünstigung - Werbungskosten:
Bei der Ermittlung des Gesamteinkommens nach § 16 SGB 4, § 205 RVO sind zwar grundsätzlich die Werbungskosten (§ 16 SGB 4, § 2 EStG) abzuziehen, nicht aber die Abschreibungen nach § 7b EStG. Bei dieser Abschreibung handelt es sich um eine Steuervergünstigung iS des § 15 SGB 4 (vergleiche BSG vom 1981-07-22 3 RK 7/80).
Normenkette
EStG § 7b; SGB IV § 15 Fassung 1976-12-23, § 16 Fassung 1976-12-23; RVO § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung 1977-06-27
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 20.02.1980; Aktenzeichen L 4 Kr 16/79) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 31.01.1979; Aktenzeichen S 6 Kr 10/78) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Familienkrankenpflege nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für seine Ehefrau über den 31. Dezember 1977 hinaus hat oder ob die Höhe des Gesamteinkommens seiner Ehefrau einen solchem Anspruch entgegensteht.
Der Kläger ist als Rentner bei der Beklagten krankenversichert. Seine Ehefrau, R W, hat Einkünfte aus "Vermietung und Verpachtung" sowie aus "Kapitalvermögen"; sie hat keinen anderweitigen Anspruch auf gesetzliche Krankenpflege. Mit Bescheid vom 1. Dezember 1977/Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1978 hat die Beklagte festgestellt, daß ein Familienpflegeanspruch des Klägers für seine Ehefrau seit dem 1. Juli 1977 wegen deren Einkommensverhältnissen nicht mehr gegeben sei; die nach § 205 Abs 1 Satz 1 RVO maßgebliche Grenze des monatlichen Gesamteinkommens von 370,-- DM für das Jahr 1977 und von 390,-- DM für das Jahr 1978 werde durch die monatlichen Einkünfte aus "Kapitalvermögen" in Höhe von 433,83 DM überschritten; die angegebenen Verluste aus "Vermietung und Verpachtung" (von monatlich 49,76 DM) seien mit den Einkünften aus Kapitalvermögen nicht aufrechenbar. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) - nachdem der Kläger die Einkommenssteuererklärungen für die Jahre 1976 bis 1978 vorgelegt hatte - festgestellt, daß der Kläger für seine Ehefrau einen Anspruch auf Familienkrankenpflege in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1977 gehabt hat; wegen der Zeit ab 1. Januar 1978 wurde die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt: Unter Zugrundelegung der Einkommensverhältnisse aus dem jeweiligen Vorjahr (SozR 2200 § 205 RVO Nr 15) ergäben die Einkünfte aus "Kapitalvermögen" im Jahre 1977 unter Abzug von 100,-- DM Werbungskosten ein monatliches Gesamteinkommen von 368,-- DM, so daß der für 1977 maßgebliche Grenzbetrag nicht überschritten worden sei. Für das Jahr 1978 ergäben sich aus "Kapitalvermögen" (unter Abzug von 100,-- DM Werbungskosten) monatliche Einkünfte von 453,16 DM; selbst wenn man das Minuseinkommen aus Vermietung und Verpachtung (2.438,-- DM minus 2.240,-- DM = 198,-- DM geteilt durch 12 = 16,50 DM) mit monatlich 16,50 DM in Abzug bringe, verbleibe ein Betrag, der mit rund 436,-- DM über der für 1978 geltenden Einkommensgrenze von 390,-- DM liege. Für das Jahr 1979 sei (unter Abzug von 100,-- DM Werbungskosten) von monatlichen Einkünften aus "Kapitalvermögen" in Höhe von 422,40 DM auszugehen; die Abschreibungen nach § 7b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von (2.438,-- DM geteilt durch 12 =) 203,16 monatliche seien hiervon nicht absetzbar. Von den vom Kläger (- mit Schreiben vom 25. Januar 1980 -) hinsichtlich des Jahres 1980 angegebenen Einkünften (im Jahre 1979) aus Kapitalvermögen (abzüglich 100,-- DM Werbungskosten) in Höhe von (4.594,-- DM geteilt durch 12 =) 382,83 DM monatlich und aus "Vermietung und Verpachtung" (abzüglich Werbungskosten) in Höhe von (2.482,80 DM geteilt durch 12 =) 206,90 DM Monatlich, zusammen 589,73 DM, könnten weder die Abschreibungen nach § 7b EStG in Höhe von (2.702,-- DM geteilt durch 12 =) 225,16 DM monatlich noch der Sparerfreibetrag und die Sonderausgabenpauschale, bei denen es sich um keine Werbungskosten handele, abgezogen werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Hierzu wird vorgetragen: Das LSG habe (bei der Ermittlung des Gesamteinkommens für die Jahre 1979 und 1980) die Abschreibungen nach § 7b EStG zu Unrecht nicht in Abzug gebracht und damit gegen § 205 RVO verstoßen. Es habe im übrigen Ermittlungen darüber anzustellen unterlassen, ob nicht jedem Ehegatten eine Werbungskostenpauschale von 200,-- DM (statt 100,-- DM) zustehe, ob für das Jahr 1977 die tatsächlichen Werbungskosten die Werbungskostenpauschale nicht doch übersteige, ob den Eheleuten für 1977 nicht auch ein Sparerfreibetrag zustehe, ob vom Nutzungswert des eigenen Hauses Schuldzinsen und Abschreibungen für Modernisierungsaufwendungen in Abzug zu bringen seien und ob Aufwendungen zum Zwecke des Wärme- und Lärmschutzes als Werbungskosten anfielen; insoweit lägen Verfahrensmängel iS der §§ 103, 106, 128 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vor.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom
20. Februar 1980 - L 4 Kr 16/79 - und das Urteil des
Sozialgerichts Braunschweig vom 31. Januar 1979
- S 6 Kr 10/78 - sowie den Bescheid der Beklagten vom
1. Dezember 1977/Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1978
abzuändern und festzustellen, daß der Kläger für
seine Ehefrau R W auch über den 31. Dezember 1977
hinaus Anspruch auf Familienkrankenpflege gemäß
§ 205 RVO gegen die Beklagte hat.
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und ohne Verfahrensfehler zustandegekommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 22. Juli 1981 - 3 RK 7/80 - entschieden hat, sind bei der Ermittlung des Gesamteinkommens nach § 16 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV), § 205 RVO zwar grundsätzlich die Werbungskosten (§ 16 SGB IV, § 2 EStG) abzuziehen, nicht aber die Abschreibungen nach § 7b EStG. Bei dieser Abschreibung handelt es sich, wie der Senat in der genannten Entscheidung ausgeführt hat, um eine Steuervergünstigung iS des § 15 SGB IV. Nach der Amtlichen Begründung zu § 15 SGB IV (BT-Drucks 7/4122, S 32) sollten mit der Vorschrift "steuerliche Vergünstigungen (wie Sonderabschreibungen) und Veräußerungsgewinne unberücksichtigt" bleiben. Der gesetzliche Begriff der "steuerlichen Vergünstigung" wird als solcher im Einkommenssteuerrecht nirgends verwendet. Bei der "erhöhten Absetzung" des § 7b EStG handelt es sich zwar nicht um einen Fall der - in der Amtlichen Begründung beispielhaft genannten - "Sonderabschreibung" (vgl § 7a EStG und die bei Littmann, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 12. Aufl 1978, RdNr 4 ff zu § 7a genannten Fällen der erhöhten Absetzung und der Sonderabschreibung). Daß es hier aber um inhaltlich gleichwertige Begriffe unter dem gemeinsamen Nenner der "Steuervergünstigung" geht (vgl Albrod/Beckermann/Kussmann/Martin, Lehrbuch der Einkommensteuer, 2. Aufl 1979, RdNr 1428, 1432), ergibt sich aus der gesamten steuerrechtlichen Terminologie. Unter die erhöhten Absetzungen fällt auch die Abschreibung nach § 7b EStG, die bei den insoweit begünstigten Wohnbauobjekten Teile der Herstellungs- bzw Anschaffungskosten für absetzbar erklärt. Demnach kann kein Zweifel daran sein, daß es sich bei der Abschreibungsvorschrift des § 7b EStG, die einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum und der Eigentumsbildung dienen soll (vgl BSG SozR 2000 § 313a RVO Nr 6 S 26 oben), um eine "steuerliche Vergünstigung" iS des § 15 SGB IV handelt. Ist die Abzugsfähigkeit solcher Steuervergünstigungen aber im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit gesetzlich ausgeschlossen, dann hat dies auch im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu gelten, da der Normzweck hier wie dort derselbe ist.
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) zur Abgrenzung des - freilich nicht mit dem des § 16 SGB IV identischen - Begriffs des Gesamteinkommens iS des (mit Wirkung vom 1. Juli 1977 außer Kraft getretenen) § 313a RVO, der in seinem Urteil vom 24. Oktober 1978 - 12 RK 53/76 - unter Berufung auf das Urteil des 3. Senats - 3 RK 65/62 - vom 17. Dezember 1964, BSGE 22, 173, 181 - die Ansicht vertreten hat, daß bei der Ermittlung des Gesamteinkommens die Werbungskosten, die zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen aufgewendet werden müssen, abgesetzt werden könnten, hierzu aber (bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung) nicht die Abschreibungen nach § 7b EStG zu zählen seien (SozR 2000 § 313a RVO Nr 6).
Das LSG hat daher bei der Ermittlung des Gesamteinkommens für die Jahre 1979 und 1980 die Abschreibungen nach § 7b EStG zu Recht nicht in Abzug gebracht. Darüber hinaus hat es auch zutreffend ausgeführt, daß es sich bei dem Sparerfreibetrag und der Sonderausgabenpauschale nicht um Werbungskosten handelt. Das ergibt sich ganz eindeutig aus § 10 Abs 1 EStG ("Sonderausgaben sind die folgenden Aufwendungen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind*ä") und § 20 Abs 4 EStG ("Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist nach Abzug der Werbungskosten ein Betrag von ... abzuziehen"). Da nach § 2 Abs 2 Nr 2 EStG Einkünfte als der Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten definiert werden und nach § 16 SGB IV das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte iS des Einkommensteuerrechts darstellt, entspricht die Ansicht des LSG der Rechtslage.
Soweit der Kläger als Verfahrensmangel rügt, daß das LSG es unterlassen habe, der Frage nachzugehen, ob für das Jahr 1977 ein Sparerfreibetrag zu gewähren gewesen sei, geht diese Rüge daher schon aus diesem Grunde ins Leere. Soweit der Kläger vorbringt, das LSG habe Feststellungen darüber unterlassen, ob Abschreibungen für Baumaßnahmen abzuziehen und ob höhere als die festgestellten Werbungskosten angefallen seien, greift seine Rüge ebenfalls nicht durch. Entsprechende Tatsachen hat der Kläger weder im Verwaltungsverfahren noch im Prozeßverfahren vorgebracht und sie wurden offensichtlich auch in den von ihm vorgelegten Steuererklärungen nicht ausgewiesen. Bei dieser Sachlage brauchte sich das LSG nicht gedrängt fühlen, weitere Ermittlungen über steuerliche Absetzungsmöglichkeiten sowie darüber anzustellen, ob höhere Werbungskosten als die vom Kläger angegebenen entstanden sind, ganz abgesehen davon, daß die Berücksichtigung einer Werbungskostenpauschale von 200,-- DM (statt von 100,-- DM) an der Feststellung, daß die Einkommensgrenze in den Jahren 1978 (390,-- DM = ein Fünftel der monatlichen Bezugsgröße von 1.950,-- DM), 1979 und 1980 (je 390,-- DM) überschritten wurde, nichts ändern würde.
Die Revision konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
RegNr, 9255 |
KVRS, A-2800/25 (ST1) |
USK, 81223 (ST1) |
VdKMitt 1982, Nr 2, 36-37 (SP1) |
Die Leistungen 1983, 22-24 (ST1) |
SozSich 1981, 379 (SP1) |