Leitsatz (amtlich)
Anders als bei allgemeinen Erfahrungssätzen, die jedermann bekannt sind, muß das Gericht bei der Verwertung eines speziellen Erfahrungssatzes im Urteil angeben, woher es die Kenntnis von jedem Erfahrungssatz hat.
Normenkette
SGG § 128 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 1966 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Die Kläger sind die Hinterbliebenen des Gendarmeriebezirksoberwachtmeisters G D (De.) und des Angehörigen der früheren Landwacht F D (Dü.), die vom Obersten Gerichtshof der Militärregierung in D am 29. Januar 1947 zum Tode verurteilt und am 20. Juni 1947 hingerichtet worden sind, weil sie fünf aus einem Flugzeug abgesprungene feindliche Flieger erschossen hatten. Das Versorgungsamt (VersorgA) B lehnte die Anträge auf Hinterbliebenenversorgung in getrennten Bescheiden vom 2. und 8. August 1956 ab, weil die Hinrichtung nicht als Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Buchst. d des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) betrachtet werden könne. Die Widersprüche hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 12. Februar 1957). Das Sozialgericht (SG) Detmold sprach den Klägern in getrennten Urteilen vom 6. November 1959 die Hinterbliebenenrenten zu. Es hielt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG für gegeben.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die einzeln eingelegten Berufungen des Beklagten zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und sie mit Urteil vom 4. Juli 1966 zurückgewiesen. Es hat gestützt auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 16, 182, 184, 185; 17, 225, 228) ausgeführt, ein gegen einen Deutschen wegen Kriegsverbrechens von einem Besatzungsgericht verhängtes Todesurteil erfülle dann die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG, wenn die Tat nach deutschem Strafrecht damals nicht mit der Todesstrafe bedroht gewesen sei und von einem deutschen Gericht daher nicht mit der Todesstrafe hätte geahndet werden können. Das LSG hat sodann ua festgestellt, am 5. August 1944 sei bei E (Kreis L) ein amerikanischer Bomber abgeschossen und einige mit dem Fallschirm abgesprungene Flieger seien in der Nähe der Absturzstelle ergriffen worden, wo sich St (St.), De. und Dü. befunden hätten. Kurz darauf habe deren Vorgesetzter J, damals Gendarmeriebezirkshauptmann und SS-Hauptsturmführer, St. befohlen, die gefangenen Flieger in das Haus des Bauern B zu bringen, und dem St. mit dem Auftrag, dies auch D auszurichten, den Befehl gegeben, die Gefangenen zu erschießen. Als Grund für die Erschießung könne Widerstand oder Fluchtversuch angegeben werden. St. habe dann die Gefangenen in das erwähnte Bauernhaus bringen lassen. Während ihrer Vernehmung durch St. und De. sei J zurückgekehrt; dieser sei über die Weigerung zweier Gefangener, ihre Personalien anzugeben, in Wut geraten und habe St. sowie De. in Gegenwart aller Gefangenen deren Erschießung, die der beiden renitenten Gefangenen zuerst, befohlen. St. und De. hätten dann je einen dieser Gefangenen weggeführt und erschossen, während der als Angehöriger der Landwacht an diesem Tage von St. als Hilfspolizist herangezogene Dü. bei den übrigen drei Fliegern zurückgeblieben sei. Ihm habe J ebenfalls den Erschießungsbefehl gegeben. St. und De. hätten nach ihrer Rückkehr zusammen mit Dü. die letzten drei Gefangenen hinausgeführt und jeder hätte einen Gefangenen erschossen. Nach diesem Sachverhalt sei daher festzustellen, daß J St., De. und Dü. den Erschießungsbefehl erteilt hat. Er habe dies bei seinen eidlichen Vernehmungen vor dem SG am 14. März 1955 und am 23. September 1958 zwar bestritten, jedoch habe sich eine nochmalige Vernehmung dieses Zeugen wegen seines fast erloschenen Erinnerungsvermögens als unmöglich erwiesen. Die gegenteiligen Angaben dieses Zeugen seien nicht glaubhaft. Dabei habe berücksichtigt werden müssen, daß auch J im Jahre 1947 in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden sei, sich aber der Strafverfolgung habe entziehen können. Nach dem von St., De. und Dü. im militärgerichtlichen Verfahren geschilderten Sachverhalt könne die Tat von De. und Dü. nicht als Mord im Sinne des § 211 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (StGB) in der zur Tatzeit geltenden Fassung angesehen werden. Sie hätten nicht aus niedrigen Beweggründen und insbesondere nicht heimtückisch gehandelt. Heimtücke setze nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) die Ausnützung der Wehr- und Arglosigkeit des Opfers voraus. Arglos sei, wer mindestens zur Zeit der Tötung nicht mit einem Angriff auf sein Leben habe rechnen müssen. Die fünf Flieger seien aber nicht arglos gewesen. Zwar hätten sie die in ihrer Gegenwart erteilten Erschießungsbefehle möglicherweise nicht verstanden und aus der Wut von J über ihr Verhalten bei ihrer Vernehmung hätten sie nicht annehmen müssen, daß sie getötet würden. Sie seien aber dennoch nicht arglos gewesen; denn nach der Erfahrung des Krieges müsse angenommen werden, daß sie bei ihrer Einheit von der offiziellen Nazi-Propaganda und der Rede von Goebbels über die Behandlung von abgesprungenen feindlichen Fliegern unterrichtet gewesen seien, so daß sie mit ihrer Tötung durch die Zivilbevölkerung oder durch Angehörige der Polizei hätten rechnen müssen, falls sie nicht nach dem Absprung in den Gewahrsam der deutschen Wehrmacht gelangten. Aus diesem Grunde seien daher die von De. und Dü. zuerst erschossenen beiden Flieger nicht arglos gewesen. Aber auch die danach erschossenen drei Flieger seien schon deshalb nicht arglos bei ihrer Erschießung gewesen, weil sie die Schüsse von St. und De. bei der vorangegangenen Erschießung ihrer Kameraden gehört hätten. Die Erschießung der abgesprungenen Flieger sei auch nicht heimtückisch im Sinne des § 211 StGB erfolgt. Selbst wenn sie von hinten erschossen worden sein sollten, könne daraus noch nicht auf ein heimtückisches Verhalten geschlossen werden, da St., De. und Dü. die Kopfschüsse wahrscheinlich zur Vermeidung von Qualen aus nächster Nähe abgegeben hätten. Schließlich hätten De. und Dü. auch nicht grausam oder aus anderen in § 211 Abs. 2 StGB bezeichneten Beweggründen die Erschießung vorgenommen. Da somit in der Erschießung der abgesprungenen Flieger der Tatbestand des Mordes gemäß § 211 StGB nicht vorliege, hätte ein deutsches Gericht gegen De. und Dü. nicht die Todesstrafe verhängen können. Die Erschießung der Flieger erfülle objektiv vielmehr nur den Tatbestand des Totschlags im Sinne des § 212 StGB. De. und Dü. hätten jedoch die Tat nicht als eigene gewollt; denn es könne ihnen nicht widerlegt werden, daß sie auf Befehl gehandelt hätten, und sie sich somit nur der Beihilfe zum Totschlag schuldig gemacht haben. Nach § 49 Abs. 2 StGB idF der Verordnung vom 29. Mai 1943 (RGBl I 341) in Verbindung mit dem Strafrahmen des § 212 StGB hätten sie unter Berücksichtigung von Milderungsgründen nur zu einer Freiheitsstrafe von weniger als zehn Jahren verurteilt werden können. Ungeachtet dessen neige das LSG zu der Annahme, daß auch der Schuldausschließungsgrund des Verbotsirrtums vorliege. De. habe als Gendarmeriebeamter sicherlich die Dienstvorschriften über die Behandlung abgesprungener feindlicher Flieger gekannt; er habe aus der Propaganda in der Zeit vor der Tat und aus politischen Veranstaltungen auch gewußt, daß als Vergeltung gegen die feindlichen Terrorangriffe " Notabspringer " getötet werden sollten und kein Deutscher wegen einer solchen Tat zur Verantwortung gezogen würde. Als Beamter des mittleren Dienstes habe er die Erklärungen von Goebbels und anderen höher eingeschätzt als entgegengesetzte ältere Dienstanweisungen. Unter diesen Umständen hätten De. und erst recht der für einen Tag als Hilfspolizist eingesetzte Dü. die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens kaum erkennen können, so daß ihnen keine Schuld vorgeworfen werden könne. Die von der Besatzungsmacht verhängte Strafe stehe in einem groben Mißverhältnis zu derjenigen, auf die ein deutsches Gericht vermutlich erkannt hätte. Der Vernehmung des Zeugen R bedürfe es nicht, weil er an den Geschehnissen des 5. August 1944 nicht unmittelbar beteiligt gewesen und es auch rechtlich belanglos sei, ob J oder St. dem Dü. die Pistole von R oder die einer anderen Person gegeben habe. Die Revision ist nicht zugelassen worden.
Der Beklagte hat gegen dieses ihm am 14. September 1966 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 12. Oktober 1966, beim BSG eingegangen am 13. Oktober 1966, Revision eingelegt.
Er beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 1966 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
In der Revisionsbegründung vom 8. Dezember 1966, die innerhalb der bis zum 14. Dezember 1966 verlängerten Begründungsfrist am 12. Dezember 1966 beim BSG eingegangen ist, rügt der Beklagte eine Verletzung der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch das LSG. Er ist der Meinung, das LSG hätte außer der in den Versorgungsakten befindlichen Abschrift der Beschuldigung die Protokolle über die Hauptverhandlung des Militärgerichts beiziehen müssen, wozu insbesondere das Vorbringen der Rechtsanwälte Dr. W und Dr. F Anlaß geboten hätte. Ferner hätte es zu den nach Meinung des Beklagten noch ungeklärten Fragen den Zeugen H hören, die Namen der von dem Zeugen P genannten Zeugen ermitteln oder die Niederschriften über deren Vernehmung beiziehen müssen. Schließlich hätte es zur Klärung der Frage, ob J den Befehl zur Erschießung gegeben hat, dessen Ehefrau, vor allem aber den Zeugen R, vernehmen müssen. Der Beklagte greift insbesondere die Feststellung des LSG an, daß die erschossenen Flieger nicht arglos gewesen sind. Diese Feststellung habe das LSG nicht allein auf die mit "der Erfahrung des Krieges" begründete allgemeine Annahme stützen dürfen, daß die Gefangenen die Rede von Goebbels über die Behandlung abgesprungener feindlicher Flieger gekannt hätten und daher mit einer Erschießung durch die Polizei hätten rechnen müssen. Das LSG hätte dartun müssen, worauf es seine Erfahrung gründet. Die Arglosigkeit der drei zuletzt erschossenen Flieger könne außerdem nicht mit der Begründung verneint werden, daß diese die bei der vorangegangenen Erschießung ihrer beiden Kameraden abgegebenen Schüsse gehört hätten, da entsprechende Tatsachen vom LSG nicht festgestellt worden seien. Das LSG könne sich auch nicht darauf berufen, daß außerhalb des Hauses B befindliche Personen Schüsse gehört hätten; ebenso sei insoweit nicht erheblich, daß die Polizisten ohne die von ihnen zuerst weggeführten Flieger zurückgekehrt seien. Das LSG habe insoweit auch nicht hinreichend gewürdigt, daß nach den Angaben des Zeugen R die in ihrem Hause befindliche Bäuerin B die Schüsse nicht gehört und die Erschießung der beiden ersten Flieger nicht wahrgenommen habe. Außerdem habe das Berufungsgericht bei der Würdigung der Aussagen von B nicht beachtet, daß dieser damals mit dem Dreschen beschäftigt gewesen sei und das laute Geräusch der Dreschmaschine möglicherweise die ersten Schüsse übertönt habe. Auch die Annahme eines Schuldausschließungsgrundes im Sinne eines Verbotsirrtums verstoße gegen § 128 SGG.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die Verfahrensrügen nicht für begründet. Wegen ihres Vorbringens wird auf ihre Schriftsätze vom 15. November 1966 und 4. April 1967 verwiesen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Wegen ihres Vorbringens wird auf ihren Schriftsatz vom 22. Februar 1967 Bezug genommen.
Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Das LSG hat die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen; der Beklagte hat keine Gesetzesverletzung bei der Anwendung der für die rechtliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs in der Kriegsopferversorgung (KOV) geltenden Kausalitätsnorm im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG dargetan. Die Revision ist daher nur statthaft, wenn mit Erfolg ein wesentlicher Verfahrensmangel des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird (vgl. BSG 1, 150). Der Beklagte hat mehrere Verstöße gegen die §§ 103 und 128 SGG durch das LSG gerügt. Greift eine dieser Rügen durch, so kommt es für die Statthaftigkeit der Revision nicht mehr darauf an, ob auch andere Verfahrensmängel vorliegen, die ebenfalls gerügt sind (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).
Der Beklagte rügt zutreffend eine Verletzung des § 128 SGG durch das LSG, die er darin erblickt, daß das LSG bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale des Mordes nach § 211 Abs. 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung ein heimtückisches Verhalten von De. und Dü. bei der Erschießung der feindlichen Flieger mit der Begründung verneint hat, "nach der Erfahrung des Krieges" sei anzunehmen, daß diese bei ihrer Einheit von der offiziellen Nazi-Propaganda und der Rede von Goebbels über das ihnen bei einem Absprung über Deutschland drohende Schicksal der Tötung durch die Zivilbevölkerung oder die Polizei Kenntnis erhalten hätten, das LSG jedoch nicht näher angegeben habe, woher es diese Erfahrung hat. Nach § 128 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Verfahrensmangel liegt insoweit dann vor, wenn das Gericht die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten, insbesondere auch gegen Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BSG 2, 236). Dies ist der Fall, wenn es seiner Entscheidung einen in Wirklichkeit nicht vorhandenen allgemeinen Erfahrungssatz zugrunde legt (vgl. BSG in SozR SGG § 128 Nr. 16) oder wenn es ohne Angabe der Quelle eine besondere Erfahrung verwertet. Nach der Rechtsauffassung des LSG haben die Kläger einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach § 1 Abs. 2 Buchst. a, Abs. 5 BVG i.V.m. § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG, wenn De. und Dü. deshalb einer mit der militärischen Besetzung deutschen Gebietes zusammenhängenden besonderen Gefahr erlegen sind, weil sie von einem amerikanischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden sind, obwohl De. und Dü. wegen der Tötung der feindlichen Flieger nach dem damals geltenden deutschen Strafrecht von einem deutschen Strafgericht nicht wegen Mordes hätten zum Tode verurteilt werden dürfen. Das LSG hat das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 211 StGB, insbesondere eine heimtückische, d.h. unter Ausnützung der Wehr- und Arglosigkeit der erschossenen Flieger begangene Tötung durch De. und Dü. verneint, weil die Flieger mit einem Angriff auf ihr Leben hätten rechnen müssen. Das LSG hat dazu ausgeführt, "nach der Erfahrung des Krieges" sei anzunehmen, daß die Flieger zu Hause von der offiziellen Nazi-Propaganda und der Rede von Goebbels über die Behandlung abgesprungener feindlicher Flieger unterrichtet worden seien und deshalb mit ihrer Tötung durch die Zivilbevölkerung oder die Polizei hätten rechnen müssen, falls sie nicht bald nach ihrem Absprung in den Gewahrsam der deutschen Wehrmacht kamen. Auf einen solchen Erfahrungssatz konnte sich das LSG jedoch nicht stützen. Im Gegensatz zu allgemeinen Erfahrungssätzen des täglichen Lebens, die jedermann bekannt sind und daher in der Regel eines Beweises oder einer besonderen Begründung nicht bedürfen, kann eine besondere Erfahrung in bestimmten Fällen nur dann als Grundlage der Entscheidung dienen, wenn die ihr zugrunde liegenden Tatsachen festgestellt und die Quellen angegeben sind, aus der sie stammt. Eine allgemeine Erfahrung oder ein Erfahrungssatz "des Krieges", daß die in Gefangenschaft geratenen Flieger in ihrer Heimat von dem Inhalt der bezeichneten Propagandareden Kenntnis erhalten haben und daher mit ihrer Tötung hätten rechnen müssen, besteht nicht. Im Gegenteil durften sie allgemein nach den anerkannten Regeln für die Behandlung von Kriegsgefangenen nach ihrer Gefangennahme darauf vertrauen, daß sie als Kriegsgefangene behandelt, also nicht getötet wurden. Sollte das LSG aber zum Ausdruck bringen wollen, daß es sich bei dem von ihm mitgeteilten Erfahrungssatz des Krieges um eine besondere, ihm bekannte Erfahrung in bestimmten Fällen handelt, so hätte es im einzelnen angeben müssen, worauf sich seine Erfahrung stützt. Gegen den bezeichneten und vom Beklagten angegriffenen Erfahrungssatz bestehen schon deshalb Bedenken, weil es fraglich erscheint, ob die Rede von Goebbels den Inhalt gehabt hat, von dem das LSG bei der Aufstellung seines Erfahrungssatzes ausgegangen ist, daß nämlich abgesprungene feindliche Flieger von Zivilisten oder Mitgliedern der Polizei erschossen würden. Sollten nämlich die Rede von Goebbels und die im Urteil des LSG erwähnten Weisungen der SS sich nur auf die Zusicherung bezogen haben, daß an der Tötung feindlicher Flieger beteiligte Zivilpersonen von einer Strafverfolgung verschont würden und auch nicht mit einem Eingreifen der Polizei zu rechnen hätten, wie vor allem die in den Versorgungsakten befindlichen, vom Bundesarchiv beigezogenen Weisungen anzudeuten scheinen, so könnte für den vorliegenden Fall auch der Schluß gerechtfertigt sein, daß die abgesprungenen Flieger deshalb nicht mit ihrer Erschießung zu rechnen brauchten, weil sie sich nach ihrem Absprung nicht in der Hand von Zivilisten, sondern der uniformierten Polizei befanden. Besteht also der vom LSG aufgestellte Erfahrungssatz in seiner allgemeinen Form nicht und entbehrt er als besonderer Erfahrungssatz der erforderlichen Begründung, so beruht die Feststellung des LSG, daß die feindlichen Flieger mit ihrer Erschießung hätten rechnen müssen und daher nicht arglos gewesen sind, auf einer Verletzung des § 128 SGG durch das LSG. Die insoweit erhobene Rüge des Beklagten greift somit durch.
Soweit der Beklagte ferner eine Verletzung des § 103 SGG mit dem Vorbringen rügt, daß nicht hinreichend geklärt sei, daß De. und Dü. die Erschießung nur auf Befehl von J ausgeführt haben, und daher zur Klärung der Frage des Erschießungsbefehls noch die Vernehmung der Ehefrau von J, vor allem aber des Zeugen R vom LSG hätte vorgenommen werden müssen, greift auch diese Rüge durch. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne dabei an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Die Frage, ob das LSG seine Pflicht nach § 103 SGG verletzt hat, ist allein danach zu beurteilen, ob der ihm zur Zeit der Urteilsfällung bekannte Sachverhalt von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte oder ob er das Berufungsgericht zu weiteren Ermittlungen in der angegebenen Richtung hätte drängen müssen (vgl. BSG in SozR SGG § 103 Nr. 7 und Nr.14; § 162 Nr. 20). Das LSG hat Feststellungen über das Vorliegen eines Erschießungsbefehls zur Entscheidung darüber für rechtserheblich gehalten, ob die Handlung des De. und Dü. den Tatbestand des § 211 StGB oder aber den des § 212 StGB erfüllten und ob sie Täter oder nur Gehilfen gewesen sind, um beurteilen zu können, ob sie - im Gegensatz zu ihrer Verurteilung durch das amerikanische Gericht - von einem deutschen Gericht nicht als Mörder zum Tode, sondern nur wegen Beihilfe zum Totschlag zu einer zeitlichen Freiheitsstrafe verurteilt worden wären. Es hat die Feststellung getroffen, daß De. und Dü. von J den Befehl zur Erschießung der Flieger erhalten haben. Hierbei hat es die dieser Feststellung entgegenstehende Aussage des J bei seinen eidlichen Vernehmungen vor dem SG D am 14. März 1955 und am 23. September 1958 nicht für glaubhaft gehalten, weil sich der Zeuge J, wenn er die Erteilung eines entsprechenden Befehls an De. und Dü. zugeben würde, der Gefahr einer jetzt noch möglichen Anklage nach deutschem Strafrecht aussetzen würde. Das LSG hatte auch deshalb gegen die Richtigkeit der Aussagen von J erhebliche Bedenken, weil sie im Gegensatz zu den Angaben aller anderen unmittelbar beteiligten Personen standen und J nach seiner Mentalität als SS-Hauptsturmführer und politischer Schulungsoffizier im Hinblick auf die Rede von Goebbels und die ihm sicherlich bekannten Befehle bezüglich der "Terrorflieger" auch eher geneigt gewesen sei, den Befehl zur Erschießung zu geben. Zutreffend rügt der Beklagte, daß die Feststellung über das Vorhandensein eines Erschießungsbefehls durch J an De. und Dü. unter Verletzung des § 103 SGG durch das LSG getroffen worden ist, weil sie nicht ohne die Vernehmung weiterer Zeugen nur unter Würdigung des Inhalts der Versorgungsakten und der sonstigen vom LSG hierbei verwerteten Aussagen getroffen werden konnte. J hat nämlich bei seinen eidlichen Vernehmungen vor dem SG Detmold einen solchen Befehl u.a. auch mit dem Hinweis darauf bestritten, daß er dem Gendarmeriemeister R aufgetragen habe, die Luftwaffe in Detmold von der Ergreifung der Flieger zu benachrichtigen und dort die Abholung der Gefangenen zu veranlassen. Eine solche Anordnung von J könnte aber gegen einen von ihm erteilten Erschießungsbefehl sprechen, dem De. und Dü. sich nicht hätten entziehen können. Sie ist vor allem auch von erheblicher Bedeutung für die Beurteilung der Unwiderlegbarkeit der von De. und Dü. zu ihrer Entlastung vorgebrachten Behauptung, nur auf Befehl von J gehandelt zu haben. Unter diesen Umständen hätte das LSG zur ausreichenden Klärung der nach seiner Rechtsauffassung erheblichen Umstände nicht auf die Vernehmung des Zeugen R verzichten dürfen. Wenn es auch nach Auffassung des LSG ohne Bedeutung sein mag, ob zur Tötung der feindlichen Flieger die Pistole von R oder die Pistole einer anderen Person benutzt worden ist, und wenn R an den Geschehnissen des 5. August 1944 auch nicht "unmittelbar" beteiligt gewesen sein mag, so ist er doch unmittelbar Zeuge von Vorgängen und Gesprächen gewesen, die für die Beurteilung des Verhaltens von De. und Dü. erheblich sind. Möglicherweise ist auch von der Vernehmung der Ehefrau von J eine weitere Klärung zu erwarten, die ihren Mann auf der Dienstfahrt am 5. August 1944 begleitet und nach dessen Angaben von den damaligen Vorgängen und seiner Beteiligung unmittelbar Kenntnis erlangt hatte. Somit ist auch die Rüge einer Verletzung des § 103 SGG durch das LSG gerechtfertigt.
Da der Beklagte mit Erfolg eine Verletzung des § 128 SGG und auch des § 103 SGG gerügt hat, ist die Revision statthaft. Die Revision ist auch begründet, weil das LSG möglicherweise anders entschieden hätte, wenn es seine Feststellungen verfahrensrechtlich einwandfrei getroffen und die Beweise in dem notwendigen Umfang erhoben hätte (BSG 2, 197). Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. In der Sache selbst konnte der Senat nicht entscheiden, weil es nunmehr an ausreichenden Feststellungen für eine abschließende Entscheidung des Senats fehlt. Die Sache war daher zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen