Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenfeststellung
Leitsatz (redaktionell)
Stirbt der Versicherte nach der Rentenantragstellung, aber vor Erteilung des Rentenbescheides ohne Rechtsnachfolger, kann die KK zur Befriedigung ihres Ersatzanspruchs nach RVO § 183 Abs 3 das anhängige Rentenfeststellungsverfahren fortsetzen. Zur Realisierung des Übergangs des Rentenanspruchs auf die KK bedarf es nicht der Erteilung eines Rentenbescheides, der Rentenversicherungsträger hat lediglich den Rentenbeginn und die Rentenhöhe festzustellen, woraus sich der an die KK abzuführende Ausgleichsbetrag errechnen läßt.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12
Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 23.05.1978; Aktenzeichen S 9 K 25/77) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 23. Mai 1978 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den auf die Klägerin übergegangenen Rentenanspruch des Versicherten E H zu ermitteln und den ermittelten Betrag an die Klägerin zu zahlen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob die klagende Krankenkasse von der beklagten Landesversicherungsanstalt die Fortsetzung des Rentenverfahrens verlangen kann.
Die Klägerin gewährte dem Versicherten E H ab 30. November 1974 Krankengeld. Am 11. November 1975 stellte der Versicherte einen Rentenantrag. Am 21. November 1975 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Ersatzanspruch an. Am 25. Dezember 1975 starb der Versicherte. Rechtsnachfolger waren nicht vorhanden. Die Beklagte vertrat deshalb die Auffassung, eine Feststellung der Rente und ein Übergang des Rentenanspruchs auf die Klägerin seien nicht möglich. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Bestehen eines Rentenanspruchs bewirke vor Erteilung des Rentenbescheides noch keinen Anspruchsübergang. Auch habe die Klägerin im Hinblick auf eine etwaige künftige Erteilung eines Rentenbescheides keine eigene Rechtsposition gegenüber dem Rentenversicherungsträger. Stehe ihr zu Lebzeiten des Versicherten keine solche Position zu, dann könne sie ihr auch nach dessen Tod nicht zugebilligt werden.
Mit der zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin Verletzung des § 183 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie meint, wenn der Krankenkasse ein mittelbares Recht zur Fortsetzung des Rentenverfahrens eingeräumt werde, dann müsse auch eine verfahrensrechtliche Möglichkeit bestehen, ihre Ansprüche durchzusetzen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den auf sie übergegangenen Rentenanspruch des Versicherten E H zu ermitteln und den ermittelten Betrag an sie zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich hierzu auf mehrere Urteile des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Nach § 183 Abs 3 Satz 1 RVO endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird. Ist über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden, so geht nach Satz 2 dieser Vorschrift der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse über. Mit Rücksicht auf die sowohl dem Krankengeld als auch der Rente zukommende Lohnersatzfunktion und die deshalb unerwünschte gleichzeitige Gewährung beider Sozialleistungen endet also nach dieser gesetzlichen Regelung der Anspruch auf die eine Leistung in dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch auf die andere beginnt; denn der Tag der Zubilligung der Rente ist der Rentenbeginn, also der Zeitpunkt, von dem an die Rente dem Versicherten zusteht (vgl BSGE 32, 186, 187 = SozR Nr 56 zu § 183 RVO; BSGE 41, 201, 202 = SozR 2200 § 182 RVO Nr 12). Außerdem geht, soweit der Versicherte über diesen Zeitpunkt hinaus die eine Sozialleistung - das Krankengeld - bereits erhalten hat, sein Anspruch auf die andere Sozialleistung - die Rente - auf die Krankenkasse über. Damit stellt das Gesetz eine unmittelbare Ausgleichsbeziehung zwischen dem - rückschauend betrachtet - nur zur Überbrückung eines Notstands gezahlten Krankengeld und dem Teil der Rente her, der anstelle dieses Krankengeldes von vornherein hätte gewährt werden müssen. Die Krankenkasse soll hier dafür entschädigt werden, daß sie für den eigentlich verpflichteten Rentenversicherungsträger eingesprungen ist, indem sie über den Rentenbeginn hinaus Krankengeld zahlen mußte, weil die Rente noch nicht bewilligt war (vgl BSGE 32, 56, 57). Der kraft Gesetzes eintretende Übergang des Rentenanspruchs verschafft ihr die Möglichkeit, den Betrag des dem Versicherten über den Rentenbeginn hinaus gezahlten Krankengeldes aus der Rentennachzahlung mindestens zum Teil zurückzuerhalten (vgl § 183 Abs 3 Satz 3 RVO).
Die Rentennachzahlung läßt sich aufgrund des dem Versicherten vom Rentenversicherungsträger zu erteilenden Rentenbescheides ermitteln; denn aus diesem ergibt sich sowohl die Höhe der Rente als auch der Rentenbeginn. Die Krankenkasse kann also den kraft Gesetzes auf sie übergegangenen Rentenanspruch im Verwaltungswege ebenso durch Anfordern des der Höhe nach ohne weiteres errechenbaren Zahlbetrages geltend machen und erforderlichenfalls im sozialgerichtlichen Verfahren Leistungsklage erheben (§ 54 Abs 5 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), wie das unter gleichgeordneten Sozialversicherungsträgern bei der Geltendmachung von Ersatz- und Erstattungsansprüchen auch sonst möglich ist; denn es handelt sich hierbei nicht um das ihrer Einwirkung entzogene Stammrecht auf Rente. Der von ihr geltend gemachte Anspruch erfaßt vielmehr lediglich den Rentennachzahlungsbetrag, und zwar in voller Höhe oder auch nur zu einem Teil.
Nichts anderes kann hinsichtlich der Geltendmachung des kraft Gesetzes auf die Krankenkasse übergegangenen Rentenanspruchs dann in Betracht kommen, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Versicherte nach der mit der Rentenantragstellung erfolgten Ingangsetzung des Rentenverfahrens, also des Verwaltungsverfahrens des Rentenversicherungsträgers, aber vor Erteilung des Rentenbescheides ohne Rechtsnachfolger stirbt. Zur Realisierung der der Krankenkasse infolge des gesetzlichen Übergangs des Rentenanspruchs gegebenen Ausgleichsmöglichkeit bedarf es dann allerdings nicht der Erteilung eines Rentenbescheides.
Die Rechtsbeziehungen zwischen der Krankenkasse und dem Rentenversicherungsträger ließen sich durch einen Rentenbescheid, der ohnehin nur deklaratorische Bedeutung besäße (vgl BSG in SozR Nr 6 zu § 29 RVO; BSGE 42, 219, 221 = SozR 2200 § 29 RVO Nr 6; vgl auch BSGE 45, 247, 249 = SozR 5750 Art 2 § 51a ArVNG Nr 17) nicht regeln; denn es handelt sich um zwei gleichgeordnete Sozialversicherungsträger, deren Rechtsbeziehungen zueinander nicht durch Verwaltungsakt geregelt werden können. Auch kann aus § 183 Abs 3 Satz 1 RVO nicht entnommen werden, daß der Übergang des Rentenanspruchs den Erlaß eines Rentenbescheides oder die Erfüllung irgendwelcher anderer formeller Voraussetzungen erfordert. Diese Vorschrift verlangt zwar, daß die Rente "zugebilligt wird". Ihr Regelungsgehalt erschöpft sich jedoch darin, anzuordnen, daß der Krankengeldanspruch mit einem bestimmten Termin - dem Zeitpunkt der Rentenzubilligung - endet. Ihr materiell-rechtlicher Inhalt betrifft mithin das Rechtsverhältnis zwischen der Krankenkasse und dem Versicherten und legt in diesem Rechtsverhältnis den Umfang des Leistungsanspruchs fest. Die Vorschrift betrifft dagegen weder das zwischen dem Versicherten und dem Rentenversicherungsträger bestehende Rechtsverhältnis noch den Ausgleich zwischen dem Rentenversicherungsträger und der Krankenkasse.
Das Rentenversicherungsverhältnis wird erst in § 183 Abs 3 Satz 2 RVO angesprochen. Diese Vorschrift aber befaßt sich ausschließlich mit der Frage, ob über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden ist. Ist das der Fall, dann regelt sie den Übergang des Rentenanspruchs. Sie enthält also lediglich materielles Recht und stellt keinerlei formelle Erfordernisse auf. Dasselbe gilt für § 183 Abs 3 Satz 3 RVO, der im Rahmen des Krankenversicherungsverhältnisses die Freistellung des Versicherten von Rückzahlungsverpflichtungen betrifft. § 183 Abs 3 RVO bietet mithin keinen Anhalt dafür, daß der Übergang des Rentenanspruchs erst durch den Erlaß eines Rentenbescheides bewirkt wird. Dieser Anspruchsübergang setzt vielmehr lediglich das Bestehen des Rentenanspruchs voraus, nicht aber dessen verwaltungsmäßige Feststellung. Er tritt kraft Gesetzes ein, sobald die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 183 Abs 3 Satz 1 - Ende des Krankengeldanspruchs - und des Satzes 2 dieser Vorschrift - Zahlung von Krankengeld nach diesem Zeitpunkt - erfüllt sind.
Da die Kränkenkasse Gläubigerin des kraft Gesetzes auf sie übergegangenen Rentenanspruchs ist, muß sie ihn, wenn der Versicherte - wie im vorliegenden Fall - nach der Rentenantragstellung ohne Rechtsnachfolger wegfällt, selbständig geltend machen können (vgl hierzu BSGE 34, 289, 291). Erforderlich ist hierzu lediglich, daß der Rentenversicherungsträger den Rentenbeginn und die Rentenhöhe feststellt. Ist das geschehen, läßt sich der an die Krankenkasse abzuführende Ausgleichsbetrag ohne weiteres errechnen. Die Krankenkasse kann dann auch in diesem Fall den ihr zustehenden Ausgleichsbetrag im Verwaltungswege anfordern und erforderlichenfalls im sozialgerichtlichen Verfahren mit der Leistungsklage geltend machen (vgl zu alledem Heinze, DAngVers 1979 S. 93, 97 ff).
Diese Auffassung wird auch vom 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 28. März 1979 - 4 RJ 45/78 - geteilt. Er hat in diesem Urteil außerdem darauf hingewiesen, daß sie auch durch das am 1. Januar 1976 in Kraft getretene Erste Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB 1) bestätigt wird. Denn § 59 Satz 2 SGB 1 bestimmt, daß Ansprüche auf Geldleistungen, über die ein Verwaltungsverfahren anhängig ist, mit dem Tode des Berechtigten nicht erlöschen. § 58 Satz 2 SGB 1 geht zwar, wenn die Ansprüche weder einem Sonderrechtsnachfolger zustehen noch nach bürgerlichem Recht auf andere Personen als den Fiskus vererbt werden, vom gesetzlichen Erbrecht des Fiskus aus (§ 1936 Bürgerliches Gesetzbuch), bestimmt aber, daß dieser die Ansprüche nicht geltend machen kann. Diese Regelung, die Zahlungen zwischen verschiedenen öffentlichen Haushalten vermeiden soll (Begründung des Regierungsentwurfs zu den §§ 56 bis 59, BT-Drucks 7/868 S. 33), stellt, wie es in dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drucks 7/3786 S. 5) zu § 58 Satz 2 heißt, "sicher, daß eventuelle Rechte Dritter aus den Ansprüchen befriedigt werden können (zB Ersatzansprüche anderer Leistungsträger)". Der Empfehlung des Rechtsausschusses, die Vorschrift in dem Sinne klarzustellen, daß die Leistungsansprüche beim Leistungsträger verbleiben sollen, wurde nicht gefolgt. Damit hat der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung den Interessen von ersatzberechtigten Leistungsträgern gegenüber einer - vom Rechtsausschuß angeregten - Begünstigung des Rentenversicherungsträgers durch Wegfall seiner Leistungspflicht den Vorrang zuerkannt. Diese vom Gesetzgeber gewollte Befriedigung von Ersatzansprüchen setzt aber voraus, daß der Leistungsträger, der einen Ersatzanspruch geltend machen will, dazu das anhängige, bis zum Tode des Versicherten nicht abgeschlossene Verfahren fortsetzen kann.
Die Beklagte behauptet selbst nicht, daß dem Versicherten kein Rentenanspruch zugestanden habe. Auch bestreitet sie nicht, daß die Klägerin dem Versicherten ab 30. November 1974 Krankengeld gewährt und ihren Ersatzanspruch durch schriftliche Mitteilung geltend gemacht hat. Sie ist deshalb verpflichtet, den auf die Klägerin übergegangenen Rentenanspruch der Höhe nach zu ermitteln und den ermittelten Betrag an die Klägerin zu zahlen.
Die Urteile des 4. Senats des BSG, auf die sich die Beklagte zur Stützung der von ihr vertretenen gegenteiligen Auffassung beruft, stehen dem nicht entgegen. Diese Urteile (vgl SozR 2200 § 183 RVO Nr 1; BSGE 38, 198 = SozR 2200 § 183 RVO Nr 4; BSG 42, 256 = SozR 1500 § 54 Nr 14) betreffen insofern andere Sachverhalte, als entweder der Versicherte noch lebte oder dessen Rechtsnachfolger das Rentenverfahren fortsetzten oder der Träger der Sozialhilfe nach § 1538 RVO die Feststellung der Leistung betrieb. Hierauf hat der 4. Senat schon in diesen Urteilen jeweils ausdrücklich hingewiesen und das auch in seinem Urteil vom 28. März 1979 nochmals hervorgehoben.
Nach alledem muß die Revision der Klägerin Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen