Leitsatz (amtlich)
Die Witwe eines Versicherten, deren nachfolgende zweite Ehe für nichtig erklärt wurde, steht im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung einer Witwe gleich, deren zweite Ehe aufgelöst worden ist; ein Anspruch auf Witwenrente kann daher nur für die Zukunft wiederaufleben.
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Januar 1964 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin nach der Nichtigerklärung ihrer zweiten Ehe einen Witwenrentenanspruch gegen die Beklagte nach ihrem - für tot erklärten - ersten Ehemann hat.
Die Klägerin heiratete 1935 zum ersten Mal, und zwar den Kraftfahrer B. Zwei Kriegskameraden versicherten nach Kriegsende an Eides Statt, B. sei Mitte März 1945 erhängt aufgefunden worden. Auf Grund dieser Versicherungen beurkundete der zuständige Standesbeamte im Sterberegister 1947 den Tod des B. mit "Mitte März 1945". Im Oktober 1948 heiratete die Klägerin zum zweiten Mal. Später stellte sich heraus, daß B. 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war und 1946 noch gelebt hat. Da nunmehr nach dem Verschollenheitsgesetz (VerschG) sein Tod erst mit dem 31. Dezember 1949 anzunehmen war, wurde auf die Klage der Klägerin hin ihre zweite Ehe als Doppelehe im Mai 1958 für nichtig erklärt. Im Mai 1960 wurde B. für tot erklärt und als Zeitpunkt des Todes der 31. Dezember 1949 festgestellt.
Im Juni 1958 beantragte die Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des B., ihres ersten Ehemannes. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 12. Februar 1959 den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Klägerin habe, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür (§ 1256 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF) nicht vorgelegen hätten, bei Eingehung ihrer zweiten Ehe keine Witwenrente zugestanden, so daß ein Anspruch darauf nicht wiederaufleben könne. Auf die hiergegen erhobene Klage hin erklärte sich die Beklagte vor dem Sozialgericht (SG) am 30. September 1960 bereit, über den Antrag erneut zu entscheiden, wenn das Bundessozialgericht (BSG) sich zu der strittigen Rechtsfrage, welche Voraussetzungen das Wiederaufleben einer Witwenrente erfordere, geäußert habe; die Klägerin erklärte den Rechtsstreit hierauf für erledigt. Mit dem unangefochten gebliebenen Bescheid vom 8. Januar 1962 lehnte die Beklagte den Witwenrentenantrag erneut ab, weil die von ihr vertretene Auffassung nunmehr durch die Rechtsprechung des BSG bestätigt worden sei (vergl. BSG 14, 238). Im September 1962 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, den ablehnenden Bescheid vom 8. Januar 1962 gemäß § 1300 RVO zu überprüfen. Sie machte geltend, ihr stehe ein Witwenrentenanspruch deshalb zu, weil die Rechtswirkung ihrer zweiten Ehe mit rückwirkender Kraft beseitigt worden sei. Mit Bescheid vom 25. Oktober 1962 lehnte die Beklagte die Erteilung eines neuen Bescheides mit der Begründung ab, sie habe sich nicht davon überzeugen können, daß der Anspruch zu Unrecht abgelehnt worden sei; an der Rechtslage habe sich nichts geändert. Der Widerspruch wurde am 1. Februar 1963 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin erfolglos Klage erhoben. Ihre Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die Beklagte habe zu Recht die Erteilung eines Witwenrentenbescheides abgelehnt, sie hätte sich nicht von der Unrichtigkeit des Bescheides vom 8. Januar 1962 überzeugen müssen. Die Auffassung der Klägerin, ihr stehe nach der Nichtigerklärung ihrer zweiten Ehe ein Witwenrentenanspruch aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes zu, sei unzutreffend.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision beantragt die Klägerin,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anerkennung ihres Rentenanspruchs einen neuen Bescheid über die Gewährung von Witwenrente zu erteilen.
Sie rügt eine Verletzung der §§ 1291, 1300 RVO. Sie meint, sie sei bei ihrer Wiederheirat tatsächlich keine Witwe im Sinne des § 1291 Abs. 2 RVO gewesen. Deshalb könne diese Vorschrift nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht kommen und folglich auch nicht zur Ablehnung ihres Anspruchs herangezogen werden. Der Gesetzgeber habe bei § 1291 RVO nicht an einen Fall wie den vorliegenden gedacht. Ihre zweite Ehe sei als nicht existent zu betrachten und ihr Witwenrentenanspruch unmittelbar aus § 1256 RVO aF und § 1264 RVO nF begründet. Ihr Anspruch auf Witwenrente sei mit Bescheid vom 8. Januar 1962 zu Unrecht abgelehnt worden. Von dieser Unrichtigkeit hätte sich die Beklagte überzeugen müssen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Die Beklagte hatte auf den Antrag der Klägerin vom September 1962 hin den gemäß § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend gewordenen Ablehnungsbescheid vom 8. Januar 1962 im Rahmen des § 1300 RVO zu überprüfen. Nach dieser Vorschrift hat der Versicherungsträger eine Leistung neu festzustellen, wenn er sich bei erneuter Prüfung überzeugt, daß die Leistung zu Unrecht abgelehnt worden ist. Als überzeugt von der Unrechtmäßigkeit der Ablehnung ist der Versicherungsträger anzusehen, wenn diese so offensichtlich ist, daß er sie bei erneuter Prüfung, sei es auf Grund tatsächlicher Feststellungen, sei es auf Grund einer gesicherten Rechtsprechung, hätte erkennen müssen (BSG 19, 38). Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, daß die Beklagte sich nicht von der Unrichtigkeit der dem Ablehnungsbescheid zugrunde gelegten Rechtsauffassung überzeugen mußte. Auszugehen ist von Art. 2 § 26 Abs. 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG). Nach dieser Vorschrift richtet sich, wie auch im Schrifttum vertreten wird (Verb. Kom., § 1291 RVO Anm. 5; Jantz/Zweng, Kom. zu den Gesetzen zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten, § 1291 RVO, Anm. II 1; Anm. zu Art. 2 § 26 ArVNG), der Witwenrentenanspruch aus der Versicherung eines früheren Ehemannes seit dem 1. Januar 1957 nach § 1291 Abs. 2 RVO. Nach dem vor dem 1. Januar 1957 geltenden Recht war die Nichtigerklärung einer Ehe (§§ 16 ff des Ehegesetzes - EheG -) auch im Hinblick auf einen Witwenrentenanspruch aus der Versicherung eines früheren Ehemannes anders als die Auflösung der Ehe durch Scheidung oder Eheaufhebung zu behandeln. Auch für die soziale Rentenversicherung entfielen nach damaligem Recht mit rückwirkender Kraft sämtliche an die Eingehung der neuen Ehe geknüpften Rechtswirkungen, so daß nach der Nichtigerklärung einer zweiten Ehe ein Witwenrentenanspruch aus der Versicherung des ersten Ehemannes entstehen konnte oder eine bereits vorher gewährte Witwenrente nachzuzahlen war (hierzu RVA in AN 1916, 456). Nach § 1291 Abs. 2 RVO ist für den Bereich der Rentenversicherung - abweichend von der Regelung im bürgerlichen Recht - die Nichtigerklärung einer Ehe der Auflösung einer Ehe durch Scheidung oder Aufhebung gleichgestellt. Danach kann auch bei Nichtigerklärung einer Ehe ein Anspruch auf Witwenrente aus einer vorhergegangenen Ehe nur wiederaufleben und auch dies nur für die Zukunft. Nach dieser Vorschrift steht der Klägerin jedoch kein Witwenrentenanspruch aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes zu. Sie erfüllt dafür die gesetzlichen Voraussetzungen nicht. Das Wiederaufleben des Witwenrentenanspruchs gemäß § 1291 Abs. 2 RVO setzt nämlich u. a. voraus, wie der Große Senat des BSG entschieden hat (BSG 14, 238), daß vor der Wiederheirat bereits ein Anspruch auf Witwenrente bestanden hatte. Die Klägerin hatte aber bei Eingehung ihrer zweiten Ehe im Jahre 1948 keinen Witwenrentenanspruch, der hätte wegfallen (§ 1287 RVO aF) und später wiederaufleben können (§ 1291 Abs. 2 RVO), weil - wie unstreitig ist - die besonderen Voraussetzungen, wie sie § 1256 Abs. 1 bis 3 RVO aF damals für die Zubilligung einer Witwenrente verlangte, nicht gegeben waren.
Die Klägerin meint, diese Auslegung des § 1291 Abs. 2 RVO sei mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu vereinbaren, weil nach Nichtigerklärung einer zweiten Ehe nicht davon gesprochen werden könne, daß sich eine Witwe "wieder verheiratet" habe. Es kann dahinstehen, ob diese Ansicht der Klägerin der des bürgerlichen Rechts über nichtige Ehen entspricht. Die Klägerin verkennt, daß § 1291 Abs. 2 RVO eine Sonderregelung für das Rentenrecht enthält. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist, wie schon die Wortfassung des § 1291 Abs. 2 RVO ergibt, im Rentenrecht für die Frage des Wiederauflebens einer Witwenrente die Eingehung der neuen Ehe - trotz ihrer späteren Nichtigkeit - als eine Wiederverheiratung aufzufassen. Die nichtige Ehe wird bis zur Nichtigkeitserklärung wie eine gültige Ehe behandelt. Auf Grund des Nichtigkeitsurteils wird die Ehe nach dem EheG mit rückwirkender Kraft als nicht geschlossen angesehen. Abweichend hiervon löst die Nichtigkeitserklärung im Rentenrecht ein Wiederaufleben der Witwenrente nur für die Zukunft aus. An dieser Sonderregelung wird auch nichts durch § 10 VerschG geändert, der eine Lebensvermutung für Verschollene aufstellt. Diese Lebensvermutung beeinflußt die spezielle Regelung über das Wiederaufleben von Renten nicht. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben zu Recht auf den Rentenanspruch der Klägerin aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes § 1291 Abs. 2 RVO angewendet.
Nach alledem hat die Beklagte richtig gehandelt, als sie die Erteilung eines Witwenrentenbescheides abgelehnt hat. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen