Leitsatz (amtlich)
1. Beim Ausscheiden eines Vorstandsmitgliedes einer Krankenkasse ist eine Neuwahl aller Mitglieder derjenigen Gruppe des Vorstandes (Versicherten- oder Arbeitgebergruppe), der das ausgeschiedene Vorstandsmitglied angehörte, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen.
2. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn die Entscheidung eines Versicherungsamtes über die Ungültigkeit der Wahl eines Vorstandsmitgliedes mit Aufhebungsklage angefochten werden soll.
3. Geht während eines Rechtsstreits die Zuständigkeit zum Erlaß von Verwaltungsakten nach Art des angefochtenen kraft Gesetzes auf eine andere Behörde über, so ist nunmehr diese allein - als Funktionsnachfolgerin - die richtige Beklagte.
Normenkette
SGG § 69 Fassung: 1953-09-03, § 79 Fassung: 1953-09-03, § 80 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 99 Fassung: 1953-09-03; SVwG §§ 2, 4 Abs. 5; SVSVwWahlO § 26; SVSVwWahlO 1952 § 26
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 19. Juli 1956 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Bei Bildung der Organe für die beigeladene Kreiskrankenkasse Husum im Mai 1953 wurde die Vertreterversammlung gewählt, während der Vorstand auf Grund einer Einheitsliste ohne Wahlakt berufen wurde. Die Gruppe der Versicherten war in der Vertreterversammlung durch zwölf und im Vorstand durch vier Versicherte vertreten. Neun Mitglieder der Vertreterversammlung und drei Mitglieder des Vorstandes gehörten dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die übrigen drei Mitglieder der Vertreterversammlung und das weitere Mitglied des Vorstandes dem Deutschen Handlungsgehilfenverband (DHV) an. Als das letztgenannte, dem DHV angehörige Mitglied des Vorstandes im August 1953 aus dem Vorstand ausschied, reichten die neun dem DGB und die drei dem DHV angehörigen Mitglieder der Vertreterversammlung für die anstehende Nachwahl je eine Vorschlagsliste ein. Bei der Wahl am 29. Dezember 1953 wurden neun Stimmen für den Kandidaten des DGB, den Kläger, und drei Stimmen für den Kandidaten des DHV abgegeben. Der Wahlausschuß erklärte darauf den Kläger als gewählt und veröffentlichte dieses Wahlergebnis mit dem Hinweis, die Wahl könne bis zum 3. Februar 1954 angefochten werden.
Auf die am 21. Januar 1954 von zwei Mitgliedern der Vertreterversammlung eingelegte Beschwerde erklärte das Versicherungsamt Husum die Wahl des Klägers mit Bescheid vom 12. September 1954 für ungültig, da der die Wahlordnung beherrschende Grundsatz der Verhältniswahl nicht gewahrt sei.
Der Kläger focht den Bescheid des Versicherungsamts Husum mit der am 25. September 1954 beim Sozialgericht (SG.) Schleswig erhobenen Klage an. Seine Wahl habe den Grundsätzen der Verhältniswahl entsprochen. Der Bescheid des Versicherungsamts sei auf Beschwerde einer nicht beschwerdeberechtigten Vereinigung von Arbeitnehmern, nämlich des DHV, ergangen. Das beklagte Versicherungsamt erwiderte, für die Klage sei nur die Kreiskrankenkasse, nicht aber der Kläger aktiv legitimiert, das Versicherungsamt sei als Behörde nicht fähig, am Verfahren vor den Sozialgerichten beteiligt zu sein. Da die Wahl des Klägers den Grundsätzen der Verhältniswahl widersprochen habe, sei sie mit Recht für ungültig erklärt worden. - Das SG. lud die Kreiskrankenkasse Husum bei und wies die Klage durch Urteil vom 11. August 1955 ab. Es leitete die Parteifähigkeit des beklagten Versicherungsamts aus § 50 der MRVO Nr. 165 her, hielt ein Vorverfahren nach § 79 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht für erforderlich und eine Beschwer des Klägers für gegeben. Das Versicherungsamt habe als zuständige Behörde über die von zwei Mitgliedern der Vertreterversammlung und nicht etwa über eine vom DHV erhobene Beschwerde entschieden; die Entscheidung des Versicherungsamts sei auch zutreffend. Der Grundgedanke der Verhältniswahl verlange, daß die zu vergebenden Sitze entsprechend dem Stimmenanteil der einzelnen Listen besetzt würden; dies gewährleiste einen Schutz der Minderheiten. Da dieser Gedanke nicht durchführbar sei, wenn nur ein Sitz den Gegenstand der Wahl bilde, müsse § 26 Abs. 6 der Wahlordnung für die Organe der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 14. August 1952 - B. Anz.Nr. 168/1952 vom 30. August 1952 - (WO 52), der auf § 26 Abs. 1 bis 5 der WO 52 verweise, dahin verstanden werden, daß im Falle des Ausscheidens eines Vorstandsmitglieds alle Vorstandsmitglieder der betreffenden Gruppe nach den Grundsätzen der Verhältniswahl neu zu wählen seien; andernfalls sei der Gedanke der Verhältniswahl und der ihm entsprechende Minderheitenschutz nicht zu verwirklichen. Dies sei bei der Wahl des Klägers außer acht gelassen worden.
Der Kläger legte gegen das ihm am 31. August 1955 zugestellte Urteil des SG. am 29. September 1955 Berufung beim Landessozialgericht (LSG.) Schleswig ein und machte geltend, seine Wahl habe den Grundsätzen der Verhältniswahl sehr wohl entsprochen; es seien zwei gültige Vorschlagslisten eingereicht worden. Wenn auch bei einer solchen Wahl, sofern sie nur einen Sitz zum Gegenstand habe, die entsprechende Berücksichtigung der Stimmenminderheit nicht möglich sei, so behalte sie doch die Qualifikation einer Verhältniswahl. Das LSG. wies die Berufung zunächst durch Vorbescheid zurück. Der Kläger stellte darauf am 9. Juni 1956 beim LSG. Antrag auf mündliche Verhandlung. Das LSG. lud durch Beschluß vom 15. Juni 1956 - mit Rücksicht auf § 3 des Bundesversicherungsamtsgesetzes (BVAG) vom 9. Mai 1956 (BGBl. I S. 415) - den Minister für Arbeit, Soziales und Vertriebene des Landes Schleswig-Holstein bei. Der Kläger beantragte nunmehr (23.6.56), einer Klageänderung dahin stattzugeben, als der genannte Minister Berufungsbeklagter sei. Zur Berufungsbegründung führte er ergänzend aus, im Selbstverwaltungsgesetz (GSv) vom 22. Februar 1951 (BGBl. I S. 124) sei durch § 2 Abs. 5 Satz 3 nur festgelegt, daß ein ausscheidendes Vorstandsmitglied durch Neuwahl ersetzt werde. Das GSv unterwerfe diese Neuwahl aber nicht dem Grundsatz der Verhältniswahl; dies geschehe erst durch § 26 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 WO 52. Da jedoch mit der Neuwahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl für alle Vorstandsmitglieder der betreffenden Gruppe der Verlust des Amtes, dessen Dauer § 2 Abs. 11 GSv garantiere, verbunden sei, sei die Vorschrift des § 26 Abs. 6 WO 52 durch die Ermächtigung des § 11 Abs. 8 GSv nicht gedeckt und sei daher insoweit ungültig, als sie den Grundsatz der Verhältniswahl durch Verweisung auf § 26 Abs. 1 WO 52 auf die Nachwahl erstrecke. Das Versicherungsamt Husum stimmte der Klageänderung zu, hielt jedoch den Antrag auf mündliche Verhandlung insofern für verspätet, als er nicht rechtzeitig gegen den neuen Beklagten gerichtet worden sei. Der Minister für Arbeit, Soziales und Vertriebene widersprach der Klageänderung und beantragte hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Das LSG. ließ die Klageänderung durch Beschluß vom 9. Juli 1956 zu und wies die Berufung - unter Zulassung der Revision - durch Urteil vom 19. Juli 1956 zurück: Der Antrag auf mündliche Verhandlung sei zulässig, da er innerhalb eines Monats nach Zustellung des Vorbescheides gestellt sei. Die Klageänderung erscheine im Hinblick auf § 3 BVAG sachdienlich. Ein Vorverfahren sei gemäß § 81 Nr. 1 SGG nicht erforderlich, denn nunmehr habe eine oberste Landesbehörde den angefochtenen Bescheid zu vertreten. Das Versicherungsamt sei zum Erlaß des angefochtenen Bescheids zuständig gewesen, da es bis zum Inkrafttreten des BVAG gemäß §§ 33 und 377 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) als Aufsichtsbehörde von Amts wegen über die Gültigkeit von Wahlen zu entscheiden gehabt habe. - Sachlich sei die Berufung nicht begründet, weil die Wahl des Klägers gegen den Grundsatz der Verhältniswahl verstoße. Aus dem Unterschied der Verhältniswahl zur Mehrheitswahl ergebe sich, daß die Nachwahl eines einzelnen Mitgliedes in den Vorstand niemals im Wege der Verhältniswahl erfolgen könne. Beim Ausscheiden eines einzelnen Vorstandsmitgliedes aus seiner Gruppe müsse daher seine gesamte Gruppe neu gewählt werden.
Der Kläger hat gegen das ihm am 23. Juli 1956 zugestellte Urteil am 9. August 1956 Revision eingelegt und sie am 29. August 1956 begründet. Er macht geltend, eine Neuwahl sei gemäß § 2 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 GSv nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen, bewirke aber, wenn nur ein Vorstandsmitglied zu ersetzen sei, zwangsläufig den Ausschluß etwaiger Minderheiten. Dies beeinträchtige jedoch die Arbeit des Vorstandes nicht in dem Maße wie eine Neuwahl aller Vorstandsmitglieder und schließe eine mißbräuchliche Lahmlegung der Vorstandsarbeit aus. Die Ansicht des LSG. widerspreche dem § 2 Abs. 11 GSv, wonach das Amt der in der ersten Wahl nach dem GSv gewählten Organmitglieder erst am 30. Juni 1958 ende, und mißachte damit die in dieser Vorschrift enthaltene Garantie einer vierjährigen Amtsdauer. Das Gesetz selbst kenne nur den Schutz der einzelnen Wirtschaftszweige und Berufsgruppen (§ 2 Abs. 4 Satz 1 GSv). Gerade für die Tätigkeit im Vorstand sei nicht die Zugehörigkeit zu bestimmten Organisationen, sondern die sachliche Qualifikation des Einzelnen ausschlaggebend, denn das Recht, Vorschlagslisten für die Vorstandswahl aufzustellen, liege nicht bei den Organisationen, sondern bei jeweils zwei Mitgliedern der Vertreterversammlung.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des SG. Schleswig vom 11. August 1955 sowie des Bescheids des Versicherungsamts Husum vom 12. September 1954 festzustellen, daß er mit der am 29. Dezember 1953 durchgeführten Wahl Vorstandsmitglied der Kreiskrankenkasse Husum geworden ist.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. - Die beigeladene Kreiskrankenkasse stellte keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Der Kläger hat die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG vom LSG. zugelassene Revision form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet. Sie ist daher zulässig, der Erfolg mußte ihr jedoch versagt bleiben.
1. Es ist nicht zu beanstanden, daß das LSG. den Minister für Arbeit, Soziales und Vertriebene des Landes Schleswig-Holstein in Kiel als den an diesem Verfahren beteiligten Beklagten behandelt hat. Das Fehlen der Parteifähigkeit gehört zwar nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den im Revisionsverfahren auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Verstößen gegen das Verfahrensgesetz (zu vgl. BSG. 2 S. 245 [253]), und das Land Schleswig-Holstein hat seinen Landesbehörden erst nach der Entscheidung durch das Vordergericht vom 19. Juli 1956 - zu vgl. § 5 des Ausführungsgesetzes zum SGG in der Fassung vom 16. Juli 1957 (GOVBl. S. 95) - Parteifähigkeit eingeräumt. Die Aufhebung des vordergerichtlichen Urteils, weil das LSG. die Parteifähigkeit des Beklagten irrigerweise angenommen habe, konnte jedoch nur zur erneuten Verhandlung des Rechtsstreits mit dem vom LSG. schon bisher als Beklagten behandelten Beteiligten führen. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Vordergericht wäre daher keine sinnvolle Prozeßgestaltung (vgl. BSG. 4 S. 242 [245]).
Die Entscheidung des Vordergerichts bietet auch keinen Anlaß zu Bedenken, soweit das LSG. davon ausgegangen ist, daß ein Vorverfahren nicht erforderlich war. Es handelt sich hier nicht um eine vorverfahrenspflichtige "Angelegenheit der Krankenversicherung" (§ 80 Nr. 1 SGG). Der Begriff "Angelegenheit der Krankenversicherung" zwingt trotz seiner weiten Fassung zu einer engen Auslegung. Das Vorverfahren ist dem Rechtsweg vor den Sozialgerichten nicht generell vorgeschaltet, sondern nur in bestimmten, enumerativ ausdrücklich angeführten Fällen. Unter "Angelegenheiten der Krankenversicherung" im Sinne des § 80 Nr. 1 SGG sind nur die eigentlichen Krankenversicherungsangelegenheiten zu verstehen, also vor allem Angelegenheiten, bei denen der Versicherungsträger mit den Versicherten - etwa bei der Leistungsgewährung - in Beziehung tritt, nicht hingegen Angelegenheiten der Organisation und Verwaltung des Versicherungsträgers und demnach auch nicht die Fragen, die bei der Wahl seiner Organe auftreten. Daß bei Streitigkeiten über die Organwahlen der Versicherungsträger allgemein kein Vorverfahren gelten soll, ergibt sich auch daraus, daß bei einer anderen Auslegung des Gesetzes wohl ein Vorverfahren bei Organwahlen der Träger der Krankenversicherung durchgeführt werden müßte, nicht aber z.B. bei Wahlen, die einen Träger der Unfall- oder Rentenversicherung betreffen.
Die vom Vordergericht vorgenommene Umstellung des Verfahrens vom Versicherungsamt in Husum auf den Minister für Arbeit, Soziales und Vertriebene als Beklagten ist zu Recht erfolgt, da es sich hier um einen Fall der Funktionsnachfolge kraft Gesetzes handelt: An die Stelle der bisher bestehenden Aufsichtszuständigkeit des Versicherungsamts ist nach § 3 des Bundesversicherungsamtsgesetzes vom 9. Mai 1956 (BGBl. I S. 415) die Zuständigkeit des genannten Ministers getreten. Nach dem Übergang der Aufsichtszuständigkeit auf den Minister steht nur ihm allein das Recht zu, den angefochtenen Verwaltungsakt zu ändern, über ihn zu verfügen; er allein ist daher der richtige Beklagte.
2. Das LSG. hat die Berufung mit Recht zurückgewiesen, weil der Kläger nicht nach den das Wahlverfahren der Sozialversicherung beherrschenden Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt ist. Diese Grundsätze gelten nach der hier maßgebenden Wahlordnung vom 14. August 1952 (§ 26 Abs. 6) auch für die Nachwahl zum Vorstand. Das Selbstverwaltungsgesetz hat für den Fall des Ausscheidens einzelner Vorstandsmitglieder - abweichend von dem bei Mitgliedern der Vertreterversammlung geltenden Nachrücken der Stellvertreter - die Nachwahl vorgeschrieben (§ 2 Abs. 5 letzter Halbsatz). Bei der dem Wesen nach bestehenden Gleichartigkeit von Wahl und Nachwahl könnte die Geltung verschiedener Wahlrechtsgrundsätze für beide Arten von Wahlen nur angenommen werden, wenn das Gesetz es vorschriebe. Für die Nachwahl zum Vorstand schreibt aber nicht nur, wie der Kläger meint, § 26 Abs. 6 der VO 52 die Verhältniswahl vor, auch das GSv selbst enthält in § 4 Abs. 5 Satz 3 die Bestimmung, daß für die Wahl zum Vorstand die Grundsätze der Verhältniswahl gelten. Eine entsprechende Bestimmung ist für die Wahl zur Vertreterversammlung in § 4 Abs. 1 Satz 5 GSv enthalten. Die Wahlen zu den Organen der Sozialversicherungsträger werden demnach vom Grundsatz der Verhältniswahl beherrscht. Der grundsätzliche Unterschied zwischen der Mehrheitswahl und der Verhältniswahl liegt in der Auswirkung des Abstimmungsergebnisses auf das Wahlergebnis. Während bei der Mehrheitswahl nur den Stimmen der Mehrheit für das Wahlergebnis Bedeutung zukommt, ist die Verhältniswahl dadurch gekennzeichnet, daß sich neben den Stimmen der Mehrheit auch die Stimmen der Minderheit im Wahlergebnis widerspiegeln; bei der Verhältniswahl ist das Wahlergebnis ein Spiegelbild des Stimmenergebnisses (vgl. Maunz, Dt. Staatsrecht, 6. Aufl. S. 270 und 271; Brackmann, Hdbch.d.Soz.Vers. S. 155; Maunz-Schraft, Das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherung, Bd. 2 Erl. z. § 4 GSv Bl. 8; VGH Freiburg, Verw.Rspr. 1953 S. 848 [856]). Die Verhältniswahl wird vom Gedanken der Gleichwertigkeit aller Stimmen für das Wahlergebnis und damit von der Idee des Minderheitenschutzes beherrscht. Sie ist deshalb nur denkbar, wenn das Wahlverfahren eine Berücksichtigung des Willens der Minderheit ermöglicht. Das ist aber nicht der Fall, wenn nur eine Person zu wählen, also nur ein Sitz zu vergeben ist (vgl. z.B. Art. 54 Abs. 6 GG), weil der Kandidat, der die Mehrheit der Stimmen erhält, den Kandidaten, dem die Minderheit der Stimmen zufällt, notwendig ausschließen muß. Eine solche Wahl kann - auch wenn, wie bei der Wahl des Klägers, mehrere Vorschlagslisten eingereicht worden sind - nur eine Mehrheitswahl sein, weil ausschließlich den Stimmen der Mehrheit Bedeutung für das Wahlergebnis zukommt; das Wahlergebnis spiegelt dann nicht das Stimmenergebnis wider, d.h. der Wille der Minderheit bleibt unbeachtet.
Der Revision ist zwar zuzugeben, daß der Gedanke der Persönlichkeitswahl, wie er dem Mehrheitswahlrecht eigen ist, nach der gesetzlichen Regelung bei der Wahl des Vorstands stärker hervortritt als bei der Wahl der Vertreterversammlung. Dadurch, daß hier je zwei Mitgliedern der Vertreterversammlung das Wahlvorschlagsrecht eingeräumt ist (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 2 GSv), während dort den Verbänden dieses Recht zusteht (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 5 GSv), wird die Möglichkeit eröffnet, daß zwei Mitglieder der Vertreterversammlung, die verschiedenen Verbänden angehören können, einen Wahlvorschlag machen, der die persönliche Qualifikation der Kandidaten in besonders hohem Maße berücksichtigt. Indessen vermag diese Erwägung nicht die Annahme zu rechtfertigen, daß die "Neuwahl" beim Ausscheiden eines Vorstandsmitgliedes (§ 2 Abs. 5 letzter Halbsatz GSv) entgegen den allgemeinen Grundsätzen des GSv (§§ 4 Abs. 1 Satz 5, Abs. 5 Satz 3) als Mehrheitswahl durchgeführt werden dürfte. Eine solche Annahme wäre mit dem für die Organbildung tragenden Gedanken des GSv, dem Minderheitenschutz, nicht vereinbar. - Bei dieser gesetzlichen Regelung kann es im übrigen auch dahingestellt bleiben, ob § 11 Abs. 8 GSv eine ausreichende Ermächtigung für die im § 26 Abs. 6 WO 52 enthaltene Verweisung auf die Grundsätze der Verhältniswahl (§ 26 Abs. 1 Satz 1 WO 52) gibt, denn es handelt sich hier nur um die Wiederholung eines schon im GSv selbst enthaltenen Grundsatzes.
Ist demnach auch die Nachwahl eines ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedes nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen, so folgt daraus, daß beim Ausscheiden auch nur eines Mitgliedes des Vorstandes eine "Neuwahl" der gesamten betroffenen Gruppe des Vorstandes erforderlich ist (§ 2 Abs. 5 Satz 3 GSv); denn auf andere Weise könnte eine Verhältniswahl mit dem ihr eigenen Minderheitenschutz nicht durchgeführt werden.
Eine solche Neuwahl aller Mitglieder derjenigen Gruppe des Vorstandes (Versicherten- oder Arbeitgebergruppe), der das ausgeschiedene Mitglied angehörte, steht, wie die Revision hervorgehoben hat, in einem Widerspruch zum Grundsatz der fest bestimmten Amtsdauer der Vorstandsmitglieder (vgl. § 2 Abs. 11 Satz 1 und 2 GSv). Dieser ist gerade für die Selbstverwaltung von erheblicher Bedeutung, weil er den Amtsträgern für die Dauer ihres Amtes eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den Wählern und den Hinter diesen stehenden Verbänden gibt und dadurch eine selbstverantwortliche Amtsführung fördert. Gleichwohl ist der Senat der Auffassung, daß der für die Verhältniswahl wesentliche Gedanke des Minderheitenschutzes gegenüber dem Grundsatz der fest bestimmten Amtsdauer den Vorrang hat. Das ergibt sich schon aus der Systematik des Gesetzes. Dem Grundsatz der fest bestimmten Amtsdauer (§ 2 Abs. 11 GSv) ist der Grundsatz der Neuwahl beim Ausscheiden eines Vorstandsmitgliedes (§ 2 Abs. 5 Satz 3 GSv) vorangestellt, und zwar ohne Verzicht auf den Grundsatz der Verhältniswahl. Die Vorschrift des § 2 Abs. 11 GSv steht demnach für Vorstandsmitglieder unter dem einschränkenden Vorbehalt, daß die darin bestimmte Amtsdauer nur gilt, wenn der vom Gesetzgeber bereits an anderer Stelle - in § 2 Abs. 5 Satz 3 letzter Halbsatz - bedachte Fall des vorzeitigen Ausscheidens von Vorstandsmitgliedern nicht eintritt. Dieser Vorrang des Grundsatzes der Verhältniswahl ist auch innerlich begründet: Nur wenn und solange gewährleistet ist, daß jede Vorstandsgruppe in ihrer Zusammensetzung ein Spiegelbild ihres Wahlgremiums ist und den Willen der Wähler repräsentiert, ist es gerechtfertigt, daß die Amtsträger durch eine fest bestimmte Amtszeit eine gewisse Unabhängigkeit auch gegenüber den Wählern besitzen.
Der Kläger kann demgegenüber auch nicht geltend machen, daß eine Neuwahl der ganzen vom Ausscheiden eines Mitgliedes betroffenen Vorstandsgruppe die Stetigkeit der Arbeit des Vorstandes wesentlich stärker störe als eine nur auf die Wahl eines Mitgliedes beschränkte Ergänzungswahl. Die Vorstandsmitglieder einer Gruppe verlieren im Zeitpunkt des Ausscheidens eines ihrer Mitglieder nicht ihr Amt. Nach § 2 Abs. 5 Satz 3 GSv und § 26 Abs. 6 WO 52 hat das Ausscheiden nur zur Folge, daß die Neuwahl der im Amt verbliebenen Vorstandsmitglieder der Gruppe erforderlich wird. Sie bleiben in entsprechender Anwendung des § 2 Abs. 11 Satz 2 GSv im Amt, bis ihre Nachfolger eintreten, die sie in der Regel selbst sein werden. Eine Lähmung der Vorstandstätigkeit wird mithin durch das Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds und die dadurch bedingte Gruppenneuwahl im allgemeinen nicht eintreten. Wie sich im übrigen auch am Beispiel des vorliegenden Falles gezeigt hat, besteht gerade bei der Wahl der gesamten Vorstandsgruppe eine weitgehende Bereitschaft, im Wege einer Einheitsliste (§ 4 Abs. 6 GSv, § 26 Abs. 2 WO 52) schnell und ohne Durchführung der Wahl zu einer Neukonstituierung der Vorstandsgruppe zu gelangen.
Da der Kläger nicht nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt worden ist, war seine Wahl ungültig. Seine Revision mußte daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen