Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstufung in Leistungsgruppe B 3

 

Orientierungssatz

Mehrjährige Berufserfahrung - pädagogische Erfahrung einer Berufsschullehrerin.

 

Normenkette

FRG § 22 Anl 1 Buchst. B Fassung: 1960-03-03

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 25.01.1973; Aktenzeichen L 10 An 149/72)

SG Hannover (Entscheidung vom 09.06.1972; Aktenzeichen S 2 An 272/71)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 9. Juni 1972 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Januar 1973 geändert.

Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin die Einstufung in die Leistungsgruppe B 3 der Anlage 1 zum Fremdrentengesetz für die Zeit von September 1948 bis Dezember 1949 begehrt.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Rechtsstreit zur Hälfte zu erstatten.

 

Tatbestand

Die im Juni 1904 geborene Klägerin war nach ihrem Schulabschluß (mittlere Reife - 1920) als Stenotypistin und Buchhalterin und von Januar 1935 bis September 1944 als Hauptbuchhalterin und Verlagssekretärin beschäftigt. Am 1. September 1948 übernahm sie im Gebiet der heutigen DDR eine freie Planstelle als Berufsschullehrerin (Handelsschule). Nach dem ersten Unterrichtsjahr nahm sie an einer zweisemestrigen Ausbildung für Berufsschullehrer der Sparte Wirtschaft und Verwaltung teil. Im Juni 1950 legte sie die erste und im Oktober 1952 die zweite Lehrerprüfung für Lehramtsanwärter an berufsbildenden Schulen ab. Sie war bis Mai 1964 in der DDR als Berufsschullehrerin tätig; anschließend erhielt sie dort Altersrente. 1971 siedelte die Klägerin in die Bundesrepublik über. Die Beklagte stufte sie bei der Berechnung des ihr gewährten Altersruhegeldes für die Zeit vom 1. September 1948 bis 31. Dezember 1949 in die Leistungsgruppe B 4 der Anlage 1 zum Fremdrentengesetz (FRG) ein (Bescheid vom 5. April 1971). Allein hierum geht jetzt noch der Streit; hinsichtlich der übrigen Zeiten hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

Die Klägerin meint, ihre Beschäftigung während der streitigen Zeit müsse insbesondere auf Grund ihrer 24jährigen kaufmännischen Berufserfahrung und ihres damaligen Lebensalters der Leistungsgruppe B 3 zugeordnet werden. Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) entschieden in ihrem Sinne. Nach der Ansicht des LSG hat die Klägerin die für die Einstufung in die Leistungsgruppe B 3 geforderte "mehrjährige Berufserfahrung" besessen, weil ihre einschlägige lange Tätigkeit als Bilanzbuchhalterin und die dabei erworbenen Fachkenntnisse sie befähigt hätten, an der kaufmännischen Berufsschule zu unterrichten. Eine Einstufung in die Leistungsgruppe B 4 scheide aus, weil ein solcher Unterricht keine "einfache Tätigkeit" im Sinne dieser Leistungsgruppe sei.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt eine Verletzung des § 22 FRG. Wenn auch die frühere kaufmännische Berufspraxis der Tätigkeit als Berufsschullehrerin dienlich gewesen sei, so habe die Klägerin doch als Buchhalterin und Verlagssekretärin keine pädagogischen Erfahrungen gebraucht und sammeln können. Das LSG habe auch verkannt, daß die im Berufskatalog der Leistungsgruppe B 4 angeführten Tätigkeiten nicht als einfache Tätigkeiten zu werten seien.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist entgegen den in der Revisionserwiderung geäußerten Bedenken der Klägerin zulässig; sie ist auch begründet; der angefochtene Bescheid, durch den die Klägerin für die jetzt noch streitige Zeit in die Leistungsgruppe B 4 eingestuft wurde, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Das Bestreben der Klägerin für die erste Zeit ihrer Beschäftigung als Berufsschullehrerin (September 1948 bis Dezember 1949) der Leistungsgruppe B 3 zugeordnet zu werden, ist nach der für die Einordnung in diese Leistungsgruppe maßgebenden allgemeinen Definition zu beurteilen. Diese ist zwar wie die Definition der anderen Leistungsgruppen auf Arbeitnehmer der Privatwirtschaft ausgerichtet; die Definitionen müssen deshalb gegebenenfalls den Eigenarten des von der Klägerin geleisteten öffentlichen Dienstes angepaßt werden; das gilt jedoch hauptsächlich für diejenigen Definitionsmerkmale, die der Beschäftigung als solcher anhaften, weniger dagegen für diejenigen, die die persönliche Qualifikation des Versicherten kennzeichnen. Aus diesem Grunde ist bei Tätigkeiten im öffentlichen Dienst grundsätzlich nicht auf Merkmale zu verzichten, die Art und Umfang persönlicher Berufserfahrungen betreffen (vgl. SosR Nr. 4 zu § 22 FRG sowie Urteil des erkennenden Senats vom 20. September 1973 - 11 RA 8/73).

Die Leistungsgruppe B 3 erfaßt nach dem hier allein in Betracht kommenden Satz 1 der Definition "Angestellte mit mehrjähriger Berufserfahrung oder besonderen Fachkenntnissen und Fähigkeiten oder mit Spezialtätigkeiten, die nach allgemeiner Anweisung selbständig arbeiten, jedoch keine Verantwortung für die Tätigkeit anderer tragen". Das LSG hat von den eingangs geforderten alternativen Merkmalen das erste - mehrjährige Berufserfahrung - bejaht. Dem kann der Senat nicht beipflichten. Es genügt nicht eine "einschlägige" berufliche Erfahrung. Die mehrjährige Berufserfahrung muß sich vielmehr auf den ausgeübten Beruf beziehen. Im Lehrerberuf aber war die Klägerin erstmals mit Beginn der streitigen Zeit tätig geworden. Ihre lange kaufmännische Berufserfahrung mag ihr dabei zwar dienlich gewesen sein; es fehlte ihr aber bis dahin jede pädagogische Erfahrung im schulischen Bereich. Diese hat sie erst nach und nach im Laufe ihrer Ausbildung und der gleichzeitigen und folgenden Lehrertätigkeit erwerben können. Da bis Dezember 1949 erst 16 Monate vergangen waren, in denen die Klägerin Erfahrungen im Berufsschuldienst sammeln konnte, kann somit bis dahin noch keine "mehrjährige Berufserfahrung" bejaht werden. Ebensowenig erfüllte die Klägerin die anderen alternativen Definitionsmerkmale; sie übte keine Spezialtätigkeit aus und besaß auch keine besonderen Fachkenntnisse und Fähigkeiten als Berufsschullehrerin. Damit scheidet eine Einstufung in die Leistungsgruppe B 3 aus. Auf die Frage, ob die Tätigkeit der Klägerin "einfachen Tätigkeiten" im Sinne der Leistungsgruppe B 4 vergleichbar sei, kommt es nicht an; das Gesetz verlangt keine solchen Vergleiche (s. BSG aaO).

Da die Zuordnung der Klägerin zur Leistungsgruppe B 3 somit für die streitige Zeit nicht gerechtfertigt ist, sind die vorinstanzlichen Urteile insoweit aufzuheben; die Klage ist insoweit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Dem Senat erscheint es angemessen, daß die Beklagte der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten im Rechtsstreit erstattet, weil sie während des Revisionsverfahrens der Klägerin vergleichsweise für die Zeit ab November 1957 eine Höherstufung in B 2 (statt B 3) zugestanden hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651147

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