Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstufung in Leistungsgruppen 2 bzw 3 der Anl 1 Buchst B zu FRG § 22 (hier: Lehrerin)

 

Orientierungssatz

1. Bei Tätigkeiten im öffentlichen Dienst ist grundsätzlich nicht auf Merkmale zu verzichten, die Art und Umfang persönlicher Berufserfahrungen betreffen.

2. Die Berufserfahrung in Leistungsgruppe B 3 muß sich auf den ausgeübten Beruf beziehen.

3. Das Merkmal der "besonderen Erfahrungen" in der Leistungsgruppe B 2 bedeutet mehr als die für die Leistungsgruppe B 3 geforderte mehrjährige Berufserfahrung. Angestellte der Leistungsgruppe B 2 besitzen regelmäßig erst im Alter von 45 Jahren solche "besonderen Erfahrungen". Dabei ist jedoch vorausgesetzt, daß die Angestellten ihren Beruf auch stetig ausgeübt oder auf einem üblichen Berufsweg erreicht haben.

4. Grundsätze für die Beurteilung des Berufsschutzes von Versicherten bei Prüfung ihrer Berufsunfähigkeit sind auf die Feststellung von besonderen Erfahrungen nicht übertragbar.

 

Normenkette

FRG § 22 Anl 1 Buchst. B Fassung: 1960-02-25

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 14.11.1972; Aktenzeichen IV ANBf 50/71)

SG Hamburg (Entscheidung vom 17.05.1971; Aktenzeichen 12 AN 183/70)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. November 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Einstufung der Klägerin in die Leistungsgruppen der Anlage 1, Abschn. B, zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) für zwei Zeiträume ihrer Beschäftigung im O Schuldienst. Die Beklagte hat die Klägerin für die (erste) Zeit vom 7. Januar 1949 bis 31. Dezember 1952 in die Leistungsgruppe 4 und für die (zweite) Zeit vom 1. Januar 1953 bis 9. August 1961 in die Leistungsgruppe 3 eingestuft. Die Klägerin will jeweils eine Gruppe höher eingestuft werden.

Die 1908 geborene Klägerin war nach Reifeprüfung und kaufmännischer Lehre bis Februar 1946 als kaufmännische Angestellte und danach als Chefsekretärin beschäftigt. Ab Januar 1949 unterrichtete sie als Schulhelferin an einer Grundschule in O. Gleichzeitig nahm sie an pädagogischen Ausbildungskursen teil. Nach der ersten Lehrerprüfung im November 1950 wurde sie Hilfslehrerin. Im Dezember 1952 bestand sie die zweite Lehrerprüfung und wurde anschließend nach Vergütungsgruppe IV besoldet. Seit August 1954 war sie an einer Hilfsschule tätig. Sie nahm an Fortbildungskursen teil und erreichte die Vergütungsgruppe 2 b. Ein Studium für die Tätigkeit an Hilfsschulen war ihr aus ideologischen Gründen nicht möglich.

Nach ihrer Flucht in die Bundesrepublik (August 1961) war die Klägerin noch von Oktober 1961 bis März 1970 in H Lehrerin an einer Grund- und Realschule. Seit April 1970 erhält sie vorzeitiges Altersruhegeld.

Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Klagen sind: 1. Die der Klägerin am 8. August 1963 erteilte Bescheinigung über ihre Versicherungszeiten nach dem FRG und der - auf Anweisung des Bundesversicherungsamtes während des Berufungsverfahrens - dazu erlassene Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1972, 2. der Bescheid vom 11. Dezember 1969 mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1970, worin die Beklagte eine günstigere Einstufung nach § 79 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) abgelehnt hat, und 3. der Rentenbescheid vom 21. April 1970. Die Verfahren sind vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg miteinander verbunden worden.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. Mai 1971). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung aus folgenden Gründen zurückgewiesen: Nach der Erteilung des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 1972 sei die von der Beklagten vorgenommene Einstufung gerichtlich voll nachprüfbar geworden, aber sachlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin könne für die erste Beschäftigungszeit im Ostberliner Schuldienst nicht in Leistungsgruppe 3 eingestuft werden, weil ihr die dafür erforderliche "mehrjährige Berufserfahrung" im pädagogischen Bereich gefehlt habe; sie habe sich noch in Ausbildung befunden. Auch wenn sie keine "einfache Tätigkeit" ausgeübt haben möge, entfalle deswegen nicht die Leistungsgruppe 4. Für die zweite Beschäftigungszeit gehöre sie als nun voll ausgebildete Lehrerin in die Leistungsgruppe 3; zwar sei die mehrjährige Berufserfahrung weiterhin fraglich, aber nun der Besitz besonderer Fachkenntnisse und Fähigkeiten zu bejahen. Die Höherstufung in Leistungsgruppe 2 scheitere an den dazu verlangten, mit Sicherheit fehlenden "besonderen Erfahrungen". Sie hätten auch nach der Vollendung des 45. Lebensjahres (6. August 1953) nicht vorgelegen und könnten mangels akademischen Studiums der Klägerin nicht wie bei akademischen Berufen (z. B. Oberarzt, Amtsrichter, Studienrat) unterstellt werden. Daran ändere nichts der Einsatz an einer Hilfsschule ab August 1954; er sei von besonderen Erfahrungen auf diesem Gebiet nicht abhängig gewesen. Auch wenn damals schon studierte Lehrer an Hilfsschulen tätig geworden seien, sei die Klägerin ihnen nicht gleichzustellen, vielmehr nicht anders als Lehrerinnen an Grundschulen einzustufen.

Wegen der Frage der Gleichstellung mit einer akademisch ausgebildeten Hilfsschullehrerin hat das LSG die Revision zugelassen.

Mit der von ihr eingelegten Revision beantragt die Klägerin,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, die Bescheide der Beklagten ebenfalls aufzuheben oder zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die erste Beschäftigungszeit im Ostberliner Schuldienst der Leistungsgruppe B 3, die zweite der Leistungsgruppe B 2 zuzuordnen und demgemäß höheres Altersruhegeld zu gewähren.

Für die erste Beschäftigungszeit sei die Leistungsgruppe 4 nicht gerechtfertigt, weil sie sich dort in Gesellschaft mit Berufen befände (Haushälterin, Kontoristin, Telefonistin, Verkäuferin), die nur eine abgeschlossene Volksschulausbildung erforderten; mit einer solchen Ausbildung könne man niemals eine Lehramtstätigkeit übernehmen. Zur zweiten Beschäftigungszeit sei davon auszugehen, daß eine Lehrerin an einer Hilfsschule bei gleichem Einsatz wie ihre studierte Kollegin spätestens nach 5 jähriger Berufstätigkeit die gleichen Voraussetzungen erfülle.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Die Begründung, die das LSG für die Zulassung der Revision gegeben hat, hätte es zwar nahegelegt, die Zulassung auf die Zeit der Lehrtätigkeit der Klägerin an der Hilfsschule (August 1954 bis August 1961) zu beschränken. Da das LSG die Zulassung jedoch unbeschränkt ausgesprochen hat, ist das Rechtsmittel insgesamt statthaft. Das Bundessozialgericht (BSG) ist an den unbeschränkten Ausspruch der Zulassung gebunden. Für eine offensichtlich gesetzwidrige Zulassung hinsichtlich der Zeit vor August 1954 fehlen ausreichende Anhaltspunkte, zumal das Gesetz eine Begründung der Zulassung nicht fordert.

Die Revision ist jedoch unbegründet.

Das Bestreben der Klägerin, für die erste Beschäftigungszeit (bis Dezember 1952) in die Leistungsgruppe 3 und für die folgende Beschäftigungszeit in die Leistungsgruppe 2 eingestuft zu werden, ist nach den für die Einordnung in die Leistungsgruppen jeweils maßgebenden allgemeinen Definitionen zu beurteilen. Diese sind zwar auf Arbeitnehmer der Privatwirtschaft ausgerichtet, sie müssen deshalb gegebenenfalls den Eigenarten des von der Klägerin geleisteten öffentlichen Dienstes angepaßt werden; das gilt jedoch hauptsächlich für diejenigen Definitionsmerkmale, die der Beschäftigung als solche anhaften, weniger dagegen für diejenigen, die die persönliche Qualifikation des Versicherten kennzeichnen. Aus diesem Grunde ist bei Tätigkeiten im öffentlichen Dienst grundsätzlich nicht auf Merkmale zu verzichten, die Art und Umfang persönlicher Berufserfahrungen betreffen (vgl. SozR Nr. 3 und 4 zu § 22 FRG).

Die Leistungsgruppe B 3 umfaßt nach dem hier allein in Betracht kommenden Satz 1 der Definition "Angestellte mit mehrjähriger Berufserfahrung oder besonderen Fachkenntnissen und Fähigkeiten oder mit Spezialtätigkeiten, die nach allgemeiner Anweisung selbständig arbeiten, jedoch keine Verantwortung für die Tätigkeit anderer tragen". Das LSG hat für die erste Beschäftigungszeit (bis Dezember 1952) offenbar angenommen, daß von den eingangs geforderten alternativen Merkmalen allenfalls das erste - mehrjährige Berufserfahrung - einer näheren Prüfung bedarf, weil die beiden anderen - besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten, Spezialtätigkeit - von vornherein als nicht erfüllt zu behandeln sind. Insoweit sind Bedenken weder vorgebracht noch erkennbar. Aber auch die mehrjährige Berufserfahrung hat das LSG für die Zeit bis zur zweiten Lehrerprüfung der Klägerin zu Recht verneint. Die Berufserfahrung muß sich auf den ausgeübten Beruf beziehen. Im Lehrerberuf war die Klägerin aber erstmals im Jahre 1949 im Alter von 40 Jahren tätig geworden; bis dahin hatte sie keine pädagogische Erfahrung. Sie hat diese erst nach und nach im Laufe ihrer Ausbildung und der gleichzeitigen und folgenden Lehrtätigkeit erwerben können. Da bis Dezember 1952 erst 4 Jahre vergangen waren, in denen das Sammeln beruflicher Erfahrungen der Klägerin möglich war, kann bis dahin für keinen Abschnitt dieser Beschäftigungszeit eine "mehrjährige Berufserfahrung" bejaht werden, zumal diese mehr bedeutet, als die in der Leistungsgruppe 4 geforderte "mehrjährige Berufstätigkeit". Dieses Fehlen mehrjähriger Berufserfahrung kann nicht mit dem Hinweis der Revision ausgeglichen werden, daß die damals ausgeübte Tätigkeit der Klägerin eher mit im Berufskatalog der Leistungsgruppe 3 angeführten Berufen als mit solchen im Berufskatalog der Leistungsgruppe 4 vergleichbar sei. Das Gesetz verlangt auch keine solchen Vergleiche, die verschiedener subjektiver Wertung oft nur zu leicht zugänglich sind; im übrigen übersieht die Klägerin dabei, daß die Leistungsgruppe 4 nicht nur Angestellte mit abgeschlossener Volksschulbildung erfaßt (vgl. "abgeschlossene Berufsausbildung" usw.).

Die Leistungsgruppe B 2 erfaßt nach dem hier allein in Betracht kommenden Satz 1 der Definition: "Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben." Zu Recht hat das LSG das Vorhandensein der hier auch für den Lehrerberuf unverzichtbaren "besonderen Erfahrungen" verneint; wie weit die übrigen Merkmale gegeben bzw. verzichtbar sind, kann deshalb offenbleiben. Die Klägerin hatte zu Beginn der Beschäftigungszeit gerade ihre Lehrerausbildung beendet und in 4 Jahren Berufserfahrungen gesammelt; am Ende der fraglichen Beschäftigungszeit waren einschließlich der Ausbildungszeit 12 Jahre Lehrtätigkeit verstrichen. Der Senat hat zur Auslegung des Merkmals "besondere Erfahrungen" in der Leistungsgruppe 2 bereits in seinem Urteil vom 22. November 1968 (SozR Nr. 4 zu § 22 FRG) darauf hingewiesen, daß dieses Merkmal wiederum mehr als die für die Leistungsgruppe 3 geforderte mehrjährige Berufserfahrung bedeute und daß die Angestellten der Leistungsgruppe 2 regelmäßig erst im Alter von 45 Jahren solche "besonderen Erfahrungen" besitzen. Hieran hält der Senat fest. Dabei ist aber unterstellt, daß die Angestellten ihren Beruf auch stetig ausgeübt oder auf einem üblichen Berufsweg erreicht haben (vgl. SozR Nr. 5 u. 9 zu § 22 FRG). Deshalb kann bei dem beruflichen Werdegang der Klägerin, die sich erst im Alter von 40 Jahren dem Lehrerberuf zugewandt hat, das Vorhandensein "besonderer Erfahrungen" nicht ohne weiteres mit der Vollendung des 45. Lebensjahres bejaht werden. Bedenkt man, welche einschlägige Berufstätigkeit bei einem stetigen (üblichen) Berufswechsel bis zum Erreichen dieses Lebensalters zurückgelegt sein muß, dann kann das Vorliegen besonderer Erfahrungen für keinen Abschnitt der zweiten Beschäftigungszeit bis August 1961 angenommen werden. Hieran vermögen auch Vergleiche mit akademisch ausgebildeten Lehrkräften nichts zu ändern. Insoweit bedarf es zunächst der Klarstellung, daß bei diesen besondere Erfahrungen nicht "unterstellt" werden und erst recht nicht vom Ende der Ausbildung an, wie das im Berufskatalog der Leistungsgruppe 2 angeführte Beispiel des Oberarztes zeigt. Man darf nur bei ihnen nicht selten schon in jüngeren Jahren als 45 besondere Erfahrungen deshalb annehmen, weil sie auf der Grundlage ihrer abgeschlossenen Hochschulausbildung solche in kürzerer Zeit als Angestellte ohne derartige oder vergleichbare Vorbildung sammeln können (vgl. auch das heutige Urteil des Senats in der Sache 11 RA 20/72). Der Senat kann hier offenlassen, in welchem Lebensalter vor 45 bei akademisch ausgebildeten Lehrkräften etwa eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen besonderer Erfahrungen spricht. Denn eine solche Vermutung könnte sich im Fall der Klägerin wegen der bei ihr fehlenden akademischen Ausbildung nicht auswirken. Sie könnte auch nicht mit einem zeitlichen Zuschlag von 5 Jahren, wie es offenbar der Revision vorschwebt, zum Zuge kommen; Grundsätze für die Beurteilung des Berufsschutzes von Versicherten bei Prüfung ihrer Berufsunfähigkeit sind auf die hier notwendige tatsächliche Feststellung von besonderen Erfahrungen nicht übertragbar. Da die Klägerin auch keine einer akademischen Ausbildung vergleichbare Ausbildung zu verzeichnen hat, bleibt es somit dabei, daß die Dauer ihrer Lehrtätigkeit, einschließlich der an der Hilfsschule, bis zum August 1961 noch nicht ausgereicht hat, um ihr besondere Erfahrungen im pädagogischen Bereich zu verschaffen. Insoweit kann der Senat zusätzlich auf das Urteil des 1. Senats vom 11. Dezember 1968 (SozR Nr. 5 zu § 22 FRG) verweisen; auch in dieser Entscheidung wurde in einer ähnlichen Sachlage bei einer früheren Lehrerin in einer Hilfsschule in der DDR die Höherstufung von der Leistungsgruppe 3 in die Leistungsgruppe 2 als nicht gerechtfertigt erklärt.

Die Revision ist hiernach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658695

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