Leitsatz (amtlich)

Hat der Träger der Rentenversicherung, der anstelle des Trägers der Krankenversicherung Heilbehandlung gewährt (RVO § 1239), das vorgezogene Übergangsgeld (RVO § 1241 Abs 1 S 2) zu leisten, so bestimmt sich die Höhe dieser Leistung - jedenfalls für die Zeit vor Beginn der Heilbehandlung - nicht nach RVO § 1239 S 2.

Der Betrag, um den das in dieser Zeit gezahlte Krankengeld das Übergangsgeld übersteigt, kann nicht zurückgefordert werden (Anschluß an BSG 1966-04-27 3 RK 92/63 = BSGE 25, 6).

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1239 S. 1 Fassung: 1957-02-23, S. 2 Fassung: 1957-02-23, S. 4 Fassung: 1957-02-23, § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12, Abs. 6 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Rechtsstreit wird über die Höhe des Übergangsgeldes nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geführt.

Der Versicherte erkrankte im September 1965 und bezog zunächst Krankengeld von der Klägerin - Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) D -. Ende September 1966 stellte er bei der Beklagten - Landesversicherungsanstalt (LVA) - einen Rentenantrag. Daraufhin gewährte ihm die Beklagte anstelle der Klägerin (§ 1239 RVO) stationäre Heilbehandlung in der Zeit vom 29. November bis 22. Dezember 1966 und vom 25. Juli 1967 bis 26. September 1967. Später bewilligte ihm die Beklagte rückwirkend vom 1. September 1966 an Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 RVO), weil von diesem Zeitpunkt an Rente zu zahlen gewesen wäre (§ 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO). Während er in der Zeit der stationären Heilbehandlung von der Beklagten Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO) in Höhe des Hausgeldes der Klägerin erhalten hatte, wurde das Übergangsgeld für die Zeit vorher (§ 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO) nach § 1241 Abs. 2 RVO festgesetzt und, soweit der Versicherte Krankengeld erhalten hatte, an die Klägerin überwiesen. Dem weitergehenden Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem von der Beklagten festgesetzten Übergangsgeld und dem von ihr gewährten Krankengeld in Höhe von 555,44 DM gab die Beklagte jedoch nicht statt.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Oktober 1969). In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht das vorgezogene Übergangsgeld des Versicherten nach der Richtschnur des § 1241 Abs. 2 RVO festgesetzt. Eine Barleistung in Höhe der von der Krankenversicherung zu erbringenden Leistung (§ 1239 RVO) komme entgegen der Auffassung der Klägerin nur für die Zeit der stationären Heilbehandlung in Betracht. In dieser Zeit habe aber die Beklagte Barleistungen in Höhe des Hausgeldes der Klägerin an den Versicherten gezahlt. Auf das sogenannte vorgezogene Übergangsgeld nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO finde § 1239 RVO schon seinem Wortlaut nach keine Anwendung.

Das SG hat die Berufung zugelassen, die Klägerin hat im Einverständnis mit der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Sie führt aus: Berechnungsgrundlage des Übergangsgeldes sei § 1239 RVO in dem vorliegenden Fall ebenso wie für die Zeit der stationären Heilbehandlung. Auch während dieser Zeit müsse die Beklagte nach § 1239 Satz 2 RVO mindestens die Barleistungen erbringen, die von der Klägerin hätten gewährt werden müssen. Zwar spreche das Gesetz dies nicht deutlich aus, enthalte aber insoweit eine Lücke; diese könne nur auf die vorbezeichnete Weise ausgefüllt werden.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 555,44 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Ihrer Auffassung nach scheidet in dem vorliegenden Fall § 1239 RVO als Berechnungsgrundlage aus. Diese Vorschrift beziehe sich in erster Linie auf Sachleistungen. Allenfalls würden Barleistungen für die Zeit, in der Sachleistungen vom Rentenversicherungsträger übernommen worden seien, von ihr erfaßt. Dieser Erwägung habe die Beklagte Rechnung getragen.

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Der erkennende Senat stimmt der Klägerin allerdings darin zu, daß der Anspruch des Versicherten auf Übergangsgeld für die Zeit, in der er Krankengeld bezogen hat, auf sie - die Klägerin - übergegangen ist. Sie ist wegen der von ihr geltend gemachten Forderung in Höhe von 555,44 DM aktivlegitimiert. Der Anspruch auf Krankengeld entfällt nach § 183 Abs. 6 RVO, solange von einem Träger der Rentenversicherung Übergangsgeld gewährt wird. Diese Voraussetzung ist in dem vorliegenden Fall erfüllt; eine Verpflichtung der Klägerin auf Zahlung von Krankengeld hat in der Zeit, für die die Beklagte das vorgezogene Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO) festgesetzt hat, nicht bestanden. Es fehlt allerdings im Gesetz an einer ausdrücklichen Bestimmung darüber, daß in solchen Fällen der Anspruch auf Übergangsgeld auf den Träger der Krankenversicherung übergeht. Eine solche - ausdrückliche - Regelung besteht allein in Zusammenhang mit der Rentengewährung. Hierzu bestimmt § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO, daß der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugebilligt wird, endet. Falls über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden ist, so geht der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse über (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO). Diese Vorschrift ist - wie der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits entschieden hat (vgl. hierzu BSG 25, 6 ff) - auf das vorgezogene Übergangsgeld des § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO sinngemäß anzuwenden. In der vorbezeichneten Entscheidung ist ausgeführt, daß § 183 RVO hinsichtlich des vorgezogenen Übergangsgeldes eine Lücke enthalte. Diese Lücke sei in entsprechender Anwendung der Vorschrift, die für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gelte - das ist § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO - auszufüllen.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Gleichwohl ist er der Meinung, daß der Klägerin der von ihr geltend gemachte Anspruch nicht zusteht. Dies folgt daraus, daß die Beklagte die Höhe des Übergangsgeldes richtig errechnet hat. Während der hier streitigen Zeitspanne hatte der Versicherte das Übergangsgeld nicht in Höhe des Krankengeldes zu beanspruchen.

Die Beklagte hat im Hinblick auf die von ihr durchgeführte Heilbehandlung und den zuvor vom Versicherten gestellten Rentenantrag das vorgezogene Übergangsgeld nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO gewährt, weil sie den Versicherten vom Zeitpunkt der Antragstellung an für berufsunfähig gehalten hat. Grundsätzlich errechnet sich die Höhe des Übergangsgeldes nach § 1241 Abs. 2 RVO. So ist auch die Beklagte verfahren. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn nach § 1239 Satz 2 RVO von ihr eine höhere Barleistung zu erbringen gewesen wäre. Dies ist jedoch, entgegen der Meinung der Klägerin, nicht der Fall. Falls Heilbehandlung notwendig ist und zugleich Krankenhilfe durch einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt werden muß, kann an Stelle des Trägers der Krankenversicherung der Träger der Rentenversicherung die Leistungen übernehmen (§ 1239 Satz 1 RVO). Nach den in den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen, die im Revisionsverfahren nicht angegriffen worden sind, ist die stationäre Heilbehandlung von der Beklagten in Anwendung dieser Vorschrift durchgeführt worden. Seinem Wortlaut nach schränkt § 1239 RVO die vom Rentenversicherungsträger zu übernehmenden Leistungen nicht dahingehend ein, daß nur Sachleistungen erfaßt werden. Trotzdem hält der erkennende Senat es zumindest für sehr zweifelhaft, ob die Vorschrift sich auf Barleistungen erstreckt. Dies gilt jedenfalls für die Zeit seit dem 1. August 1961. Durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 - in Kraft getreten am 1. August 1961 - hat § 183 RVO eine bedeutsame Änderung erfahren. Nach Abs. 6 der Vorschrift entfällt der Anspruch auf Krankengeld, solange Übergangsgeld gewährt wird. Daraus hat das BSG - vgl. SozR Nr. 1 zu § 1239 RVO - geschlossen, daß § 1239 Satz 4 RVO wegen seines der vorbezeichneten Regelung entgegenstehenden Inhalts keine Geltung mehr besitze. Dort heißt es: "Der Träger der Krankenversicherung hat dem Träger der Rentenversicherung Ersatz zu leisten, soweit der Betreute nach Gesetz oder Satzung von dem Träger der Krankenversicherung Krankengeld zu beanspruchen gehabt hätte." Diese Schlußfolgerung hält auch der erkennende Senat - weil in diesem Zusammenhang der Krankengeldanspruch entfällt - für zutreffend. Davon ausgehend, ist es aber nicht unbedenklich, die vorbezeichnete Erwägung im Rahmen des § 1239 Satz 2 RVO unberücksichtigt zu lassen. Nach der dort getroffenen Regelung hat der Träger der Rentenversicherung, der Leistungen übernommen hat, mindestens das zu gewähren, was der Träger der Krankenversicherung nach Gesetz oder Satzung zu leisten hätte. Krankengeld hätte aber nach § 183 Abs. 6 RVO nicht geleistet werden dürfen. Im Hinblick auf diese Erwägung mag eine Auslegung des Gesetzes dahin zulässig sein, daß sich § 1239 RVO seit Inkrafttreten der Neufassung des § 183 RVO nur noch auf Sachleistungen beziehen kann, daß also schon aus diesem Grunde der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch entfällt. - Jedoch kann diese Frage unentschieden bleiben. Die Beklagte selbst hat in der Zeit, in der sie die stationäre Heilbehandlung gewährt hat, dem Versicherten das - höhere - Hausgeld der Klägerin gezahlt. Sie ist also offenbar der Auffassung, daß in der Zeit, in der Sachleistungen an Stelle des Trägers der Krankenversicherung erbracht werden, die entsprechenden Barleistungen gewährt werden müssen. Auch wenn von der Richtigkeit dieser Überlegungen ausgegangen wird, bietet das Gesetz keinen Anhalt dafür, daß der Träger der Rentenversicherung eine höhere Barleistung in Anwendung des § 1239 Satz 2 RVO auch in der Zeit vor Beginn der Heilbehandlung zu bewirken hat. Die Beklagte hat an Stelle der Klägerin dem Versicherten Heilbehandlung gewährt (§ 1239 Satz 1 RVO). Sollte sie nun nach Satz 2 dieser Vorschrift auch zu Barleistungen in der dort angedeuteten Höhe verpflichtet gewesen sein, so wäre die Pflicht eng an die Sachleistungen gebunden und daher auf die Zeiten der Heilbehandlung beschränkt gewesen. In Zeiten, die nicht in diesen Rahmen fallen, kann ein Anspruch auf eine Barleistung in Anwendung des § 1239 Satz 2 RVO nicht entstehen.

Die Beklagte räumt ein, daß § 1239 RVO eine ausdrückliche Regelung für Fälle der zu entscheidenden Art nicht enthält. Der Senat vermag ihrer Auffassung, das Gesetz sei insoweit lückenhaft, nicht zu folgen. Übergangsgeld wird in Anwendung des § 1241 RVO gewährt; auch das vorgezogene Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO) wird von dieser Vorschrift erfaßt.

Die vom Senat vorgenommene Gesetzesinterpretation birgt - jedenfalls in der Mehrheit der Fälle - keine Unbilligkeit in sich. Dies gilt auch dann, wenn das nach § 1241 RVO errechnete Übergangsgeld das Krankengeld übersteigt. Der Betrag, um den das dem Versicherten gezahlte Krankengeld höher als das Übergangsgeld ist, kann nämlich vom Träger der Krankenversicherung nicht zurückverlangt werden. Dies hat der 3. Senat des BSG bereits entschieden (vgl. BSG 25, 6 ff); er hat dies aus § 183 Abs. 3 Satz 3 RVO gefolgert. Dort ist bestimmt, daß in den Fällen, in denen das Krankengeld die Rente übersteigt, die Kasse den überschießenden Betrag vom Versicherten nicht zurückfordern kann. Was für die Rente angeordnet ist, hat der 3. Senat auf das vorgezogene Übergangsgeld entsprechend angewendet. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Infolgedessen ist eine Erstattung in Fällen der vorliegenden Art ausgeschlossen.

Die Revision ist hiernach unbegründet, sie muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 168

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