Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör bei willkürlicher Handlung des Gerichts. rechtliches Gehör und Verfahrensfehler. Aufhebung des Bescheides bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren. Verjährung im Falle des § 44 Abs 4 SGB 10
Orientierungssatz
1. Art 101 Abs 1 S 2 des GG ist nur dann verletzt, wenn die angegriffene richterliche Maßnahme oder Entscheidung auf Willkür beruht (vgl BVerfG vom 13.10.1970 - 2 BvR 618/68 = BVerfGE 29, 198). Ob ein Gericht willkürlich handelt, läßt sich nur nach den besonderen Maßstäben des Einzelfalles feststellen. Von Willkür kann nur die Rede sein, wenn sich die Entscheidung so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, daß sie nicht mehr zu rechtfertigen ist. Art 101 Abs 1 S 2 GG wird durch eine gerichtliche Entscheidung verletzt, die bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint, die den Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen, weil sie sich derartig weit von der auszulegenden Norm entfernt hat (so BVerfG vom 30.6.1970 - 2 BvR 48/70 = BVerfGE 29, 45).
2. Art 101 Abs 1 S 2 GG schützt nicht gegen Verfahrensfehler, die infolge eines Irrtums unterlaufen sind.
3. Fehler des Verwaltungsverfahrens reichen für sich allein nicht aus, einen angefochtenen Bescheid aufzuheben, ohne ihn inhaltlich auf seine Richtigkeit hin überprüft zu haben (vgl BSG vom 29.6.1978 - 5 RJ 58/77 = BSGE 47, 3).
4. Im Falle des § 44 Abs 4 SGB 10 stellt sich die Frage der Verjährung bzw der Unterbrechung nicht mehr (BSG vom 15.12.1982 - GS 2/80 = BSGE 54, 223).
Normenkette
GG Art 101 Abs 1 S 2; ZPO § 551 Nr 1; SGG § 202; SGB 10 § 42 S 1, § 40 Abs 3 Nr 1, § 44 Abs 4 S 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 24.11.1986; Aktenzeichen L 11 J 293/82) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 14.01.1982; Aktenzeichen S 10 J 430/80) |
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob Beitragszeiten des Klägers vom 8. Juli bis zum 2. September 1958 und vom 29. September 1958 bis zum 16. August 1959 für Rentenbezugszeiten vom 1. Oktober 1962 bis zum 31. Dezember 1974 zu berücksichtigen sind.
Der Kläger ist Verfolgter iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Er lebt in Israel und bezog seit dem 8. Oktober 1962 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit, die mit Wirkung vom 1. August 1974 an in Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres umgewandelt wurde. Die ursprünglich von der Beklagten geleisteten Rentenzahlungen übernahm ab 1. Mai 1976 die Beigeladene zu 1) aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973.
Im Februar 1979 beantragte der Kläger, seine Rente wegen Berufsunfähigkeit unter Berücksichtigung der oa Beitragszeiten neu festzustellen. Die Beklagte lehnte das mit Bescheid vom 28. Juni 1979 ab und berief sich auf Verjährung. Im Laufe des Vorverfahrens stellte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Januar 1980 das Altersruhegeld des Klägers mit Wirkung ab 1. Januar 1985 neu fest und berücksichtigte dabei die erwähnten Beitragszeiten. Die erhöhte Rente wurde jedoch erst für die Zeit ab 1. Januar 1975 gezahlt. Darüber hinaus blieb der Widerspruch des Klägers erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 1980).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Januar 1982). Vor dem Landessozialgericht (LSG) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. November 1986 den Vorsitzenden und den Berichterstatter des erkennenden Senats beim LSG wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dieses Ablehnungsgesuch hat der erkennende Senat des LSG - in anderer Besetzung - in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 1986 durch Beschluß zurückgewiesen. Sodann hat das LSG die Berufung des Klägers ebenfalls zurückgewiesen (Urteil vom 24. November 1986). Es hat ausgeführt, der angefochtene Bescheid der Beklagten sei zu Recht ergangen. Zwar sei nicht sie, sondern die Beigeladene zu 2) für die am 14. Februar 1979 beantragte Neufeststellung der Versichertenrente des Klägers gemäß § 1311 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zuständig gewesen. Die zusätzlich geltend gemachten Beiträge aus der Zeit vom 8. Juli bis zum 2. September 1958 sowie vom 29. September 1958 bis zum 16. August 1959 seien an die Beigeladene zu 2) entrichtet worden. Es handele sich um die letzten Beiträge im Versicherungsverlauf des Klägers. Die durch Art 29 Abs 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel begründete Zuständigkeit der Beigeladenen zu 1) greife erst für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Abkommens am 1. Mai 1975 ein. Zwar habe die Beklagte als unzuständiger Versicherungsträger über die Neufeststellung entschieden. Dieser Verfahrensverstoß führe jedoch nach § 40 Abs 3 Nr 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) nicht zur Nichtigkeit des Bescheides vom 28.Juni 1979. Deshalb könne gemäß § 42 SGB 10 seine Aufhebung nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen sei, ohne daß eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Der angefochtene Bescheid sei zu Recht ergangen. Das Neufeststellungsverfahren müsse nach § 44 SGB 10 zu Ende geführt werden. Abs 4 dieser Vorschrift enthalte eine zwingende Ausschlußfrist, nach der Sozialleistungen längstens für vier Jahre vor der Antragstellung erbracht würden. Deshalb könne der Kläger keine Nachzahlung für die Zeit vor dem 1. Januar 1975 beanspruchen. Das gelte auch für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er rügt als Mangel des Berufungsverfahrens, das LSG sei bei seiner Entscheidung des Rechtsstreits nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Die Anwendung von Vorschriften des SGB durch das LSG stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, denn diese gesetzlichen Bestimmungen seien nicht Gegenstand des bisherigen Verfahrens gewesen. In der Sache selbst ist der Kläger der Ansicht, es sei das bei Eintritt des Versicherungsfalles geltende Recht anzuwenden.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des LSG vom 24. November 1986 und des SG vom 14. Januar 1982 sowie unter Abänderung entgegenstehender Bescheide, die beigeladene Landesversicherungsanstalt Hamburg zu verurteilen, an den Kläger höheres Altersruhegeld für die Zeit vor dem 1. Januar 1975 zu zahlen;
hilfsweise beantragt er,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Seinem auf Änderung des angefochtenen Bescheides der Beklagten und auf eine Verurteilung der Beigeladenen zu 2) gerichteten Begehren kann nicht entsprochen werden.
Der Kläger meint, das angefochtene Urteil sei aus formellen Gründen aufzuheben. Das Berufungsgericht sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen; denn es sei von Richtern entschieden worden, die der Kläger wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt habe. Aufgrund dieser Rüge des Klägers konnte das angefochtene Urteil des LSG nicht aufgehoben werden.
Der Beschluß, mit dem das Berufungsgericht das Ablehnungsgesuch des Klägers zurückgewiesen hat, konnte gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Da § 548 der Zivilprozeßordnung (ZPO) über § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist, unterlag diese Entscheidung nach der insoweit übereinstimmenden neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Bundessozialgerichts (BSG) nicht der Beurteilung durch das Revisionsgericht (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nrn 48, 57 mwN, vgl zusätzlich BVerwG in Buchholz 310 § 54 Nr 35 mwN). Es erübrigt sich hier, auf die davon abweichende ältere Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 6, 256, 262 f; 7, 240, 241 ff sowie BSG SozR 1500 § 160 Nr 57) näher einzugehen. Selbst wenn man mit dieser eine unanfechtbare Vorentscheidung verneint, kann der Kläger mit seiner Rüge keinen Erfolg haben. Dasselbe gilt für sein Vorbringen, der gerügte Mangel wirke sich als Folge der beanstandeten Vorentscheidung auf das angefochtene Urteil selbst aus.
Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung eines Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund iS des § 551 Nr 1 ZPO, der über § 202 SGG auch im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gilt (vgl BSGE, 44, 131, 135; 47, 13, 15 f; 57, 15, 17 mwN). Ein solcher Revisionsgrund ist immer dann anzunehmen, wenn das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden ist. Insoweit ist die zu Art 101 Abs 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG), wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) heranzuziehen. Danach ist die genannte Norm des GG nur dann verletzt, wenn die angegriffene richterliche Maßnahme oder Entscheidung auf Willkür beruht (vgl BVerfGE 29, 198, 207 wmN; BVerfG SozR 1500 § 13 Nr 1). Ob ein Gericht willkürlich handelt, läßt sich nur nach den besonderen Maßstäben des Einzelfalles feststellen. Von Willkür kann nur die Rede sein, wenn sich die Entscheidung so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, daß sie nicht mehr zu rechtfertigen ist. Art 101 Abs 1 Satz 2 GG wird durch eine gerichtliche Entscheidung verletzt, die bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint, die den Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen, weil sie sich derartig weit von der auszulegenden Norm entfernt hat (so BVerfGE 29, 45, 49 mwN; vgl auch 58, 1, 45). Die genannte Verfassungsnorm schützt nicht gegen Verfahrensfehler, die infolge eines Irrtums unterlaufen sind (vgl BVerfGE 29, 198, 207 mwN; BVerwG NJW 1983, 896 sowie Buchholz 310 § 133 Nrn 11, 62 und 68; BSGE 5, 1, 3; 47, 13, 16; 57, 15, 17). Auch eine möglicherweise "falsche" Entscheidung muß hingenommen werden. Nur wenn sie offensichtlich unhaltbar oder sachlich ohne Bezug auf den Maßstab des Gesetzes wäre, könnte Art 101 Abs 1 Satz 2 GG verletzt sein (so BVerfGE 29, 198, 207 mwN). Dafür aber bietet der Fall des Klägers keine Anhaltspunkte. Auch die Tatsache, daß der Beschluß des LSG vom 24. November 1986 nur kurz begründet worden ist, stellt keinen Verfahrensmangel dar; denn ein Begründungszwang bestand für den Beschluß gemäß § 142 Abs 2 SGG nicht.
Der Kläger rügt ferner, was im Berufungsurteil bezüglich der Bestimmungen aus dem SGB ausgeführt worden sei, stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Die erwähnten Vorschriften seien nicht Gegenstand des bisherigen Verfahrens gewesen. Diese Rüge eines Verfahrensmangels genügt nicht den Anforderungen, die sich aus § 164 Abs 2 Satz 3 SGG für die formgerechte Begründung einer Revision ergeben. Zu jeder Verfahrensrüge gehört die Bezeichnung der Tatsachen, aus denen der Mangel und die Möglichkeit folgt, daß das Gericht ohne Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Erforderlich ist eine Darlegung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (so BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 mwN). Die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs erfordert Ausführung darüber, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers in der Revisionsbegründung wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
Im übrigen ist hier nicht der Grundsatz, wonach den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren ist, verletzt worden. Das LSG brauchte den rechtskundig vertretenen Kläger nicht auf eine mögliche Anwendung der Bestimmung des SGB 10 über das Verwaltungsverfahren hinzuweisen. Diese Vorschriften sind am 1. Januar 1981 in Kraft getreten (Art 2 § 40 Abs 1 SGB 10). In Art 2 § 37 Abs 1 SGB 10 ist bestimmt worden, daß bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende zu führen sind. Der Große Senat des BSG hat bereits mit Beschluß vom 15. Dezember 1982 (vgl BSGE 54, 223) entschieden, Art 1 § 44 SGB 10 finde, jedenfalls soweit Leistungen vor dem 1. Januar 1981 im Streit stünden und demnach eine Leistungs- bzw Verpflichtungsklage über den 31. Dezember 1980 anhängig sei, grundsätzlich selbst dann Anwendung, wenn der Verwaltungsakt, der durch den angefochtenen Verwaltungsakt aufgehoben werden solle, vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden sei. Auch ein mit der Klage angefochtener Neufeststellungsbescheid sei in seinem noch streitigen Teil dem neuen Recht unterworfen (aaO 229). Bei seiner Entscheidung vom 24. November 1986 konnte das LSG davon ausgehen, daß dem Bevollmächtigten des Klägers die Rechtsänderung durch das SGB 10 und die dazu ergangene Rechtsprechung des BSG bekannt waren.
Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, daß vor dem Inkrafttreten des Sozialversicherungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel am 1. Mai 1975 gemäß § 1311 Abs 1 Satz 1 RVO die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) (Beigeladene zu 2) zuständig für die Feststellung und Zahlung der Rente des Klägers war. Die Beklagte hat, als sie dem Kläger ab Oktober 1962 Rente wegen Berufsunfähigkeit und ab August 1974 Altersruhegeld gewährte, ihre Zuständigkeit irrtümlich angenommen. Ihr war damals nicht bekannt, daß der letzte Beitrag für den Kläger 1959 zur Beigeladenen zu 2) entrichtet worden ist. Nach der Rechtsprechung des BSG bleibt die einmal begründete Zuständigkeit eines Versicherungsträgers bestehen, wenn Neufeststellungen der Leistung ohne neuen Versicherungsfall erforderlich werden (vgl BSG SozR Nr 10 zu § 1311 RVO). Das trifft aber auf den Fall des Klägers nicht zu; denn eine Zuständigkeit der Beklagten ist in Wirklichkeit nie begründet worden (vgl BSG aaO Nrn 7, 9).
Obwohl die Beklagte über die im Februar 1979 vom Kläger beantragte Neufeststellung der Rente somit nicht hätte entscheiden dürfen, ist der angefochtene Bescheid vom 28. Juni 1979 allein aus diesem Grunde nicht aufzuheben. Das folgt aus § 42 Satz 1 iVm § 40 SGB 10, das - wie bereits erwähnt - hier anwendbar ist (Art 2 § 37 Abs 1 SGB 10). Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB 10 nichtig ist, kann gemäß § 42 Satz 1 SGB 10 nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. Eine Nichtigkeit des angefochtenen Bescheides ist auszuschließen (vgl BSG aaO Nr 7 sowie Nr 10 zu § 101 SGG). Auch vor dem Inkrafttreten des SGB 10 ging die Rechtsprechung des BSG bereits dahin, daß Fehler des Verwaltungsverfahrens für sich allein nicht ausreichten, einen angefochtenen Bescheid aufzuheben, ohne ihn inhaltlich auf seine Richtigkeit hin überprüft zu haben (vgl BSGE 47, 3, 5 mwN). Zutreffend hat das LSG daher geprüft, ob der angefochtene Bescheid der Beklagten idF des Widerspruchsbescheides rechtswidrig und ob der Kläger dadurch beschwert ist. Das ist zu Recht verneint worden.
Die Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes richtet sich nur nach § 44 SGB 10. Soweit in den Bescheiden der Beklagten über die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1962 und des Altersruhegeldes ab 1974 Beitragszeiten aus den Jahren 1958 und 1959 nicht berücksichtigt worden sind, handelt es sich um nicht begünstigende Verwaltungsakte, die insoweit rechtswidrig sind. Das ergibt sich aus dem Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 1980, in dem sie diese Zeiten angerechnet und das Altersruhegeld des Klägers ab 1. Januar 1975 neu festgestellt hat. Insoweit ist jedenfalls der Verwaltungsakt über die Gewährung des Altersruhegeldes teilweise zurückgenommen worden.
§ 44 SGB 10 ist somit unmittelbar anzuwenden einschließlich seines Abs 4, wonach bei der Rücknahme eines Verwaltungsaktes für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der die Rücknahme auslösenden Antragstellung zu erbringen sind. Dazu hat bereits der Große Senat des BSG im Beschluß vom 15. Dezember 1982 (aaO 225) ausgeführt, in diesen Fällen stelle sich die Frage der Verjährung bzw der Unterbrechung mithin nicht mehr. Deshalb kommt es hier auch nicht darauf an, ob und von wem die Einrede der Verjährung erhoben worden ist. Gleichzeitig hat der Große Senat die rückwirkende Anwendung des § 44 SGB 10, wie sie durch Art 2 § 40 Abs 2 Satz 2 SGB 10 vorgeschrieben ist, als mit dem GG vereinbar angesehen (aaO 229 ff; vgl auch BSGE 60, 158, 161 ff).
Der erkennende Senat weicht damit nicht vom 4a Senat des BSG ab. Dieser hat im Urteil vom 26. Mai 1987 entschieden, § 44 Abs 4 SGB 10 enthalte keinen allgemeinen, die Verjährungsvorschrift des § 45 Abs 1 des Sozialgesetzbuches -Allgemeiner Teil - (SGB 1) verdrängenden Grundgedanken (SozR 2200 § 1254 Nr 7). Diese Rechtsprechung des 4a Senats bezieht sich nur auf eine entsprechende, nicht dagegen auf die unmittelbare Anwendung des § 44 SGB 10. Um letztere aber handelt es sich im Falle des Klägers und dann kann auch nach Auffassung des 4a Senats (vgl SozR 1300 § 44 Nr 17) der in Abs 4 Satz 1 SGB 10 festgelegte Zeitraum von längstens vier Jahren nicht überschritten werden.
Schließlich vermag das Begehren des Klägers auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt zu werden. Dabei kann offenbleiben, ob dessen Voraussetzungen überhaupt erfüllt sind. Jedenfalls gilt auch dann für eine rückwirkende Rentenerhöhung die Beschränkung des § 44 Abs 4 SGB 10 auf den Zeitraum von vier Jahren (vgl BSG SozR 1300 § 44 Nrn 17, 24, 25).
Die somit unbegründete Revision des Klägers mußte zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen