Leitsatz (amtlich)
Angestellte, die zuletzt wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherungspflichtig waren, können Ausfallzeiten nach AVG § 36 Abs 1 Nr 1 und 3 (= RVO § 1259 Abs 1 Nr 1 und 3) auch dann nicht erwerben, wenn sie für die Dauer ihrer Versicherungsfreiheit freiwillige Beiträge der höchsten zulässigen Beitragsklasse entrichtet haben.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; AVG § 36 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1965-06-09; AVG § 36 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. November 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Für den ... 1913 geborenen Kläger sind aufgrund seiner Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) bis zum 31. Juli 1961 entrichtet worden. Danach war er bis zum Ausscheiden aus der Firma seines Arbeitgebers Ende August 1964 wegen Überschreitens der damals geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze (JAV - Grenze) versicherungsfrei; er entrichtete jedoch während dieser - ganzen Zeit freiwillige Beitrage zur AnV. Nach dem 31. August 1964 sind keine Beiträge mehr für ihn entrichtet worden.
Vom 29. September 1964 bis 31. Januar 1966 und vom 22. März 1967 bis 30. Juni 1968 war der Kläger beim Arbeitsamt als arbeitslos gemeldet; vom 1. Juli 1968 bis 31 August 1968 befand er sich wegen einer kriegsbedingten Hirnverletzung in stationärer Behandlung. Seit dem 1. Juli 1968 bezieht er Rente wegen Berufsunfähigkeit.
In dem während des Berufungsverfahrens ergangenen und nach den §§ 153, 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheid vom 14. Dezember 1970, in welchem die Heute rückwirkend vom 1. Juli 1968 an neu berechnet worden war, sind für die Zeit nach dem 31. August 1964 keine Ausfallzeiten berücksichtigt.
Der Kläger hat im Berufungsverfahren zuletzt beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts (SG) Reutlingen vom 25. September 1970 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 14. Dezember 1970 zu verurteilen, ihm unter Anrechnung der Zeiten der Arbeitslosigkeit und der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vom 29. September 1964 bis 31. Januar 1966 und vom 22. März 1967 bis 31. August 1968 als Ausfallzeit eine höhere Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Diese Klage gegen den Bescheid vom 14. Dezember 1970 hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 23. November 1971 unter gleichzeitiger Zurückweisung der Berufung abgewiesen, hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers. Er beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils entsprechend seinem letzten Berufungsantrag zu erkennen, ...
hilfsweise, ...
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Gerügt wird unrichtige Anwendung des § 36 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Zutreffend ist das LSG zunächst davon ausgegangen, daß mit Rücksicht auf den Eintritt des Versicherungsfalles im Juni 1968 von § 36 Abs. 1 Nr. 1 und 3 und Abs. 3 AVG idF des Art. l § 2 Nr. 19 des Rentenversicherungs- Änderungsgesetzes (RVÄndG) vorn 9. Juni 1965 (BGBl I 476) auszugehen ist. Danach sind ua Ausfallzeiten im Sinne des § 35 AVG bei Erfüllung bestimmter weiterer Voraussetzungen Zeiten, in denen eine "versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" durch eine infolge Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit oder durch eine mindestens einen Kalendermonat andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist. Dazu hat sich das LSG der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) angeschlossen. Danach sind einerseits die in § 36 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AVG näher bezeichneten Zeiten der Krankheit und Arbeitslosigkeit schon dann Ausfallzeiten, wenn sie der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit unmittelbar nachgefolgt sind und sie damit unterbrochen haben. Dagegen ist nicht erforderlich, daß sich an die Krankheit oder an die Arbeitslosigkeit wiederum eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit angeschlossen hat; die Zeit der Krankheit oder Arbeitslosigkeit muß also nicht von versicherungspflichtigen Beschäftigungen oder Tätigkeiten umrahmt sein (BSG 16, 120; s. aber auch BSG 28. 68). Andererseits ist eine Beschäftigung oder Tätigkeit nur dann eine "versicherungspflichtige" Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne der genannten Urschriften, wenn sie nicht nur nach damaligem Recht versicherungspflichtig war (vgl. BSG 11, 274; 32, 229, 230), sondern wenn außerdem noch die erforderlichen Pflichtbeiträge entrichtet worden sind (BSG 31, 11; 32, 229, 231). Von diesem Grundsatz, daß die Zeit der Krankheit oder der Arbeitslosigkeit sich an die vorangegangene versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unmittelbar angeschlossen haben muß, sind nur wenige Ausnahmen zugelassen worden (vgl. BSG 29, 120; 31, 11; SozR § 1259 RVO Nr. 44; 11 RA 168/72 vom 16. November 1972), die aber hier nicht in Betracht kommen. Abschließend ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, an dem hiernach erforderlichen Anschluß der Arbeitslosigkeit und Krankheit an eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit fehle es beim Kläger schon deshalb, weil der letzte Pflichtbeitrag zur AnV im Juli 1961 entrichtet worden sei, während die erste Arbeitslosigkeit erst im September 1964 eingesetzt habe. Die vom Kläger erbrachten freiwilligen Beiträge könnten in diesem Zusammenhang nicht als Pflichtversicherungsbeiträge gewertet werden und seien deshalb nicht geeignet, sein letztes Beschäftigungsverhältnis zu einem versicherungspflichtigen zu machen. Damit brauche nicht mehr geprüft zu werden, ob auch im übrigen die Voraussetzungen für eine Anerkennung der genannten Zeiten als Ausfallzeiten erfüllt seien.
Hiergegen wendet der Kläger ein, eine nur wegen Überschreitens der JAV- Grenze versicherungsfreie Beschäftigung sei ihrem Wesen nach eine an sich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung geblieben. Er habe sich freiwillig weiterversichert und Beiträge entsprechend seinem Jeweiligen Einkommen entrichtet. Hier könne die Frage der Gleichstellung dieser Beiträge mit Pflichtbeiträgen nicht allein aus der Art der Beitragsentrichtung beantwortet werden, vielmehr müsse sie im Zusammenhang mit der Ausübung der Beschäftigung gesehen werden. Danach müsse grundsätzlich unterschieden werden zwischen dem die JAV- Grenze überschreitenden, jedoch fortlaufend den Höchstbeitrag zahlenden Personenkreis der Versicherten, für den lediglich aufgrund gesetzlicher Vorschriften die Entrichtung von Pflichtbeiträgen nicht mehr möglich gewesen sei, und den aus sonstigen Gründen freiwillig zahlenden Versicherten. Andernfalls würden die allein aufgrund gesetzlicher Bestimmung versicherungsfrei gewordenen Versicherten unverschuldet im Zusammenhang mit der Regelung von Ausfallzeiten benachteiligt. Er, der Kläger, sei daher der Auffassung, daß die anspruchsbegründende Voraussetzung für die Anerkennung von Ausfallzeiten, nämlich der Nachweis eines vorangegangenen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, bei ihm durch eine Gleichstellung der Beschäftigungszeit vom 1. August 1961 bis 31. August 1964 erfüllt sei.
Diesen Ausführungen kann jedoch nicht gefolgt werden. Schon angesichts des Wortlauts des Gesetzes ist die von der Revision vorgeschlagene Auslegung nicht mögliche Das Gesetz läßt eine Anrechnung von Zeiten der Krankheit und der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit nur zu, wenn sie eine vorangegangene versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen haben. Hieran fehlt es beim Kläger, weil er für die Zeit vom August 1961 bis zum Beginn seiner Arbeitslosigkeit keine Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung aufzuweisen hat. Der Gesetzgeber hat auch das Problem keineswegs übersehen, daß nach der derzeitigen Fassung des Gesetzes Angestellte, die wegen Überschreitens der jeweiligen JAV- Grenze versicherungsfrei waren, keine Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AVG erwerben können, wenn sie nach Beendigung ihres versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisses krank oder arbeitslos werden. In dem Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Rentenversicherung gemäß Entschließung des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1969 (BT- Drucks. VI/1126)heißt es auf S. 27 unter ee) unter der Überschrift "Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit, Krankheit usw., auch für freiwillig versicherte Angestellte" wie folgt
"Zeiten der Krankheit, der Schwangerschaft, der Arbeitslosigkeit und des Bezugs von Schlechtwettergeld sind nur dann Ausfallzeiten, wenn durch sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen wird. Diese Voraussetzung kann von Angestellten die in der Vergangenheit wegen Überschreitung der jeweils geltenden Versicherungspflichtgrenze versicherungsfrei waren oder die sich von der Versicherungspflicht haben befreien lassen, nicht erfüllt werden. Die betroffenen Angestellten regen an, daß ihnen die genannten Zeiten ebenfalls als Ausfallzeiten angerechnet werden, jedenfalls dann, wenn sie durch regelmäßige Entrichtung von freiwilligen Beiträgen ihren Willen, der gesetzlichen Rentenversicherung anzugehören, unter Beweis gestellt haben."
Demgemäß wurde in dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (BT-Drucks. VI/2916) vorgesehen, daß Krankheitszeiten und Zeiten einer Arbeitslosigkeit von mindestens einem Monat auch dann Ausfallzeiten sollten sein können, wenn sie nicht eine vorhergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen hatten (Neufassung des § 1259 der Reichsversicherungsordnung -RVO- und des § 36 AYG durch Art. 1 § 1 Nr. 9 und 2 Nr. 10). Dazu heißt es in der Begründung (aaO S. 40 und 45), die Absätze 1 und 1 a des § 1259 RVO und des § 36 AVG seien so gefaßt worden, daß der Ausfallzeitenkatalog auch für diejenigen Anwendung finden könne, die freiwillige Beiträge entrichten. Dieser Anregung ist jedoch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) nicht gefolgt. Schon in der BT-Drucks. VI/1126 hatte es aaO geheißen, die Auswirkungen der angeregten Gesetzesänderung auf die Rentenhöhe dürften im allgemeinen nicht sehr groß sein, weil die genannten Zeiten bei dem angesprochenen Personenkreis eine untergeordnete Rolle spielten, angesehen hiervon sei auch auf die Wirkungen der pauschalen Ausfallzeit hinzuweisen, die in der großen Mehrzahl aller Fälle die tatsächlich nachgewiesenen Ausfallzeiten verdränge.
Dazu kommt die jetzt geschaffene Möglichkeit der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen gem. Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG wenigstens für Zeiten vom 1. Januar 1956 an. Der Gesetzgeber hat somit keine Veranlassung gesehen, den erwähnten Wünschen der besser verdienenden Angestellten Rechnung zu tragen. Vielmehr hat er in dem durch das RRG geschaffenen neuen Art. 2 § 54 a AnVNG für Versicherte, die wegen Überschreitens der JAV-Grenze versicherungsfrei waren oder aufgrund von Sondervorschriften auf Antrag befreit worden waren, lediglich hinsichtlich der Anwendung des § 36 Abs. 3 AVG unter gewissen Voraussetzungen die entrichteten freiwilligen Beiträge den Pflichtbeiträgen gleichgestellt.
Unter diesen Umständen sind die Gerichte an die derzeit geltende, durch den Gesetzgeber selbst klargestellte gesetzliche Regelang gebunden; sie können sich über sie nicht hinwegsetzen.
Die Revision des Klägers ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen