Leitsatz (amtlich)

Es kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß Eltern das ihnen zustehende Kindergeld für den Unterhalt des Kindes verwenden, soweit dieses kein eigenes Vermögen und Einkommen hat und soweit der Regelsatz der Sozialhilfe nicht erreicht ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Kindergeld wird seinem Zweck nach dem Berechtigten zum Unterhalt des Kindes gewährt. Es kann deshalb nicht als eigenes Einkommen der Mutter iS des BSHG § 76 angesehen werden, soweit es zum Unterhalt von Kindern Verwendung findet, die selbst weder Einkommen noch Vermögen haben.

2. Zur Frage des überwiegenden Unterhalts bei Anordnung über die Auszahlung des Kindergeldes nach BKGG § 12 Abs 3.

 

Normenkette

BKGG § 12 Abs. 3 Fassung: 1964-04-14; BSHG § 76 Abs. 1 Fassung: 1961-06-30

 

Tenor

Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 1965 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beigeladene dem Kläger dessen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten hat.

 

Gründe

I

Der Kläger hat aus seiner ersten Ehe, die geschieden ist, die Kinder K (geboren 1950) und C (geboren 1952). Diese leben bei der Mutter. Zu ihrem Unterhalt gewährt die Beigeladene laufend Sozialhilfe-Leistungen. Der Kläger zahlt aufgrund eines Unterhaltsurteils monatlich 86,- DM insgesamt für beide Kinder an die Beigeladene. Die Mutter dieser Kinder bezieht Zweitkindergeld, und außerdem erhält sie für zwei nach der Scheidung außerehelich geborene Kinder weiteres Kindergeld. Der Kläger hat wieder geheiratet und aus seiner zweiten Ehe abermals zwei Kinder (W und M). Die Beklagte gewährt ihm für letztere zwar Kindergeld, zweigte jedoch hierbei einen Anteil von 55,- DM im Monat, der auf die bei der Mutter lebenden Kinder K und C (sogenannte "Zählkinder" beim Kläger) entfällt, an die Beigeladene auf deren Antrag hin gemäß § 12 Abs. 3 und 4 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) ab und verständigte davon den Kläger (Bescheid vom 13. August 1964). Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 1964) verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte, dem Kläger das Kindergeld ungekürzt auszuzahlen; die gesetzlichen Voraussetzungen für Anordnung einer (teilweisen) Auszahlung an die Beigeladene seien nicht erfüllt, weil sie K und C nicht überwiegend unterhalte (Urteil vom 17. Mai 1965). Die Berufung der Beigeladenen wies das Landessozialgericht (LSG) zurück (Urteil vom 10. Dezember 1965). Bei einem monatlichen Unterhaltsbedarf von 178,- DM (Regelsatz nach dem Bundessozialhilfegesetz - BSHG -) für K und C leiste die Beigeladene an Sozialhilfe nur 24,50 DM, da die Zahlungen des Vaters mit 86,- DM und die Anteile aus dem Kindergeld der geschiedenen Ehefrau (Mutter) mit 67,50 DM angerechnet werden müßten. Folglich unterhalte die Beigeladene diese Kinder nicht überwiegend im Sinne des § 12 Abs. 3 BKGG.

Die Revision wurde zugelassen.

Die Beigeladene hat Revision eingelegt. Sie beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Entscheidung des LSG verstößt nach Auffassung der Beigeladenen gegen §§ 1, 3 und 12 BKGG sowie gegen § 76 BSHG. Von dem Unterhaltsbedarf der Kinder K und C bringe sie bei einem Sozialhilfe-Regelsatz von 178,- DM monatlich mindestens 92,- DM auf, da der Kläger nur 86,- DM für sie beitrage. Somit unterhalte sie die Kinder K und C überwiegend und habe deshalb Anspruch auf Auszahlung der streitigen Teilbeträge aus den Kindergeldbezügen des Klägers. Anteilige Geldbeträge (67,50 DM) aus dem Kindergeldbezug der Mutter dürften nicht angerechnet werden, weil dieses Kindergeld entgegen der Ansicht des LSG rechtlich Einkommen der Mutter darstelle. Nach §§ 1 bis 3 BKGG seien nicht die Kinder, sondern die Eltern (oder die sonstigen Betreuer) anspruchsberechtigt. Das Kindergeld sei nicht zur Bestreitung der Bedürfnisse des seine Zahlung auslösenden Kindes, sondern zur Verringerung der Familienlast, mithin für die gesamte Familie bestimmt (Familienlastenausgleich). Daß das Kindergeld nicht als Einkommen der Kinder zu bewerten sei, erweise auch der ersatzlose Wegfall des § 8 Abs. 1 Satz 2 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (RGr) mit dem Inkrafttreten des BSHG; zuvor sei das Kindergeld zu den eigenen Mitteln des Kindes gerechnet worden. Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 27. Januar 1965 (DÖV 1965, 237 ff) werde ebenfalls anerkannt, daß das Kindergeld Einkommen der Mutter im Sinne des § 76 BKGG sei.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Beigeladenen zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend.

II

Die Revision der Beigeladenen ist zulässig und statthaft. Sie ist jedoch nicht begründet.

Nach § 12 Abs. 3 BKGG soll die nach § 24 zuständige Stelle (= hier das örtlich zuständige Arbeitsamt) anordnen, daß das Kindergeld, das auf ein Kind entfällt (§ 12 Abs. 4 BKGG) an eine andere Person oder Stelle als den Berechtigten ausgezahlt wird, wenn diese das Kind ganz oder überwiegend unterhält. Zutreffend hat das LSG festgestellt, daß die Beigeladene die Kinder K und C aus der ersten Ehe des Klägers, die bei seiner geschiedenen Frau leben und die hinsichtlich des dem Kläger zustehenden Kindergeldes für seine Kinder aus zweiter Ehe als "Zählkinder" gelten, nicht überwiegend unterhält, d. h. für sie nicht mehr als die Hälfte des Unterhalts aufbringt (vgl. BSG 20 S. 148, 150). Der nach den Vorschriften des BSHG errechnete Unterhaltsbedarf dieser beiden Kinder (Regelsatz) beträgt - abgestellt auf die Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung - 178,- DM im Monat. Als Unterhalt sind zunächst 86,- DM zu berücksichtigen, die der Kläger aufgrund des Unterhaltsurteils für beide zusammen monatlich an die Beigeladene zahlt. Ferner fließen ihnen aus dem der Mutter als Anspruchsberechtigter für ihre Kinder gewährten Kindergeld im Monat 67,50 DM (135 : 4 x 2 = 67,50 DM) zu. Folglich trägt die Beigeladene von dem Unterhaltsbedarf von 178,- DM nur 24,50 DM (178,- DM abzüglich 86,- DM und 67,50 DM), also selbst bei Berücksichtigung etwaiger Nebenleistungen für außergewöhnlichen Sonderbedarf (z. B. Bekleidung u. ä.) jedenfalls nur den geringeren Teil des Unterhalts.

Der Auffassung der Beigeladenen, der Kindergeldanteil von 67,50 DM sei Einkommen der Mutter und nur bei Prüfung der Hilfsbedürftigkeit für deren eigene Person anzurechnen, ist nicht beizutreten.

Wenn auch die Eltern für das Kindergeld anspruchsberechtigt sind, so muß doch beachtet werden, daß das Kindergeld seinem Zweck nach dem Berechtigten zum Unterhalt des Kindes gewährt wird. Aus diesem Grunde steht dem Kind nach § 12 Abs. 2 BKGG auch ausnahmsweise das Recht der Pfändung dieses Anspruches wegen eines Unterhaltsanspruchs gegen die Eltern zu. Es muß auch angenommen werden, daß die Eltern das Kindergeld für die in ihrem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder, denen sie unterhaltsverpflichtet sind, tatsächlich insoweit verwenden, als diese kein eigenes Vermögen oder Einkommen haben, und zwar bis der Regelsatz der Sozialhilfe erreicht ist. Darauf aber kommt es an. § 12 Abs. 3 BKGG stellt nämlich nicht auf rechtliche Verpflichtungen, sondern auf die Gewährung des überwiegenden Unterhalts, mithin auf das tatsächliche Geschehen ab. Das bedeutet, daß es bei der Abwägung, wer das Kind überwiegend unterhält, darauf ankommt, was dem Kinde tatsächlich an Unterhaltsmitteln zufließt. Nach der Zielsetzung des Kindergeldrechts, den Familien die Lasten, die durch Kinder erwachsen, wenigstens zum Teil abzunehmen, ist davon auszugehen, daß das Kindergeld regelmäßig den Kindern, die kein Vermögen oder Einkommen haben, auch tatsächlich zugute kommt, soweit der Regelsatz der Sozialhilfe nicht erreicht ist. Man darf auch nicht außer acht lassen, daß der wirkliche Bedarf der Kinder höher zu veranschlagen ist, als der Betrag des Kindergeldes. Erst wenn das Kind seinen Bedarf ohne Kindergeld durch eigenes Einkommen oder Vermögen decken kann, ist das Kindergeld bei der hilfsbedürftigen Mutter anzurechnen. So im Ergebnis auch das Urteil des BVerwG vom 27. Januar 1965 - V C 32/64 (vgl. DÖV 1965 S. 237 = BVerwGE Bd. 20 S. 188). Danach braucht sich eine Mutter, die das ihr gewährte Zweitkindergeld ihrem einkommens- und vermögenslosen minderjährigen Kinde zuwendet, das Zweitkindergeld nicht als eigenes Einkommen auf die ihr gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt anrechnen zu lassen, wobei das BVerwG davon ausgeht, daß das Zweitkindergeld nicht zu den zweckbestimmten Leistungen des § 77 BSHG gehört. Zu Recht weist das BVerwG daraufhin, daß mit dem Kindergeld nicht die persönlichen Bedürfnisse der Mutter befriedigt werden sollen; es sei nämlich das Ziel der Kindergeldgesetze, den Familien mit zwei und mehr Kindern die Lasten abzunehmen, die durch die Kinder entstehen. Die Mutter dürfe jedoch nicht darauf verwiesen werden, zunächst zur Deckung ihres eigenen Bedarfs auf das Kindergeld zurückzugreifen. Zu den Rechten der Mutter, die selbst hilfsbedürftig ist, gehöre das Recht, ihrem Kinde wenigstens das zuzuwenden, was ihr die staatliche Gemeinschaft für das Kind zukommen Lasse. Das Kindergeld könne deshalb, soweit es zum Unterhalt von Kindern Verwendung finde, die selbst weder Einkommen noch Vermögen haben, nicht als ein die tatsächliche Hilfsbedürftigkeit der Mutter minderndes und mithin nicht als ein eigenes Einkommen der Mutter im Sinne des § 76 BSHG angesehen werden.

Nach alledem ist der Anspruch der Beigeladenen nicht gerechtfertigt, daß die Auszahlung eines Teils des Kindergeldes des Klägers gemäß § 12 Abs. 3 und 4 BKGG an sie angeordnet werde.

Das Urteil des LSG ist daher als zutreffend zu bestätigen und die Revision der Beigeladenen zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 1

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