Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezugsberechtigung. Rangfolge nach § 3 BKGG
Orientierungssatz
Durch den Eintritt der Versorgungsregelung des § 3 Abs 2 S 2 BKGG wird eine Berechtigtenbestimmung nach § 3 Abs 3 BKGG unwirksam. Die aus § 3 Abs 2 BKGG folgende Unwirksamkeit ergreift die Berechtigtenbestimmung unabhängig von der Zeit, in der sie getroffen wurde.
Normenkette
BKGG § 3 Abs 2 S 2; BKGG § 3 Abs 3; SGB 1 § 60 Abs 1 Nr 2
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 03.09.1981; Aktenzeichen VI KgBf 1/80) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 19.03.1980; Aktenzeichen 5 Kg 15/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob die beklagte Bundesanstalt (BA) berechtigt ist, dem Kläger das Kindergeld für seinen Sohn L. in der Zeit vom Juli 1976 bis Juli 1977 zu entziehen und DM 1.560,- von ihm zurückzufordern.
Der Kläger hat drei eheliche, 1959, 1962 und 1965 geborene Kinder, für die er ab 1966 Kindergeld erhielt. Seine Ehe mit der Beigeladenen wurde 1975 geschieden. Die beiden älteren Kinder verblieben beim Kläger, der jüngste Sohn L. bei der Beigeladenen. Für erstere wurde im April 1976 die elterliche Gewalt dem Kläger, für letzteren der Beigeladenen übertragen. In Juni 1976 heiratete die Beigeladene erneut und beantragte im Februar 1978 die rückwirkende Gewährung von Kindergeld für L., womit sich ihr neuer Ehemann einverstanden erklärte. Die Beklagte bewilligte der Beigeladenen Kindergeld für L. ab August 1977 bis Februar 1978 und ab März 1978 von monatlich DM 80,--. Sodann entzog sie dem Kläger das Kindergeld für L. für die Zeit von Juli 1976 bis Februar 1978 sowie ab März 1978 und forderte von ihm DM 2.270,- zurück (Bescheid vom 17. 5. 1978; Widerspruchsbescheid vom 16. 2. 1979).
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide insoweit aufgehoben, als sie dem Kläger das Kindergeld für L. vor März 1978 entzogen und zurückgefordert haben (Urteil vom 19. 3. 80).
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG geändert und die Bescheide insoweit aufgehoben, als die Beklagte das Kindergeld für die Zeit von Juli 1976 bis Juli 1977 entzogen und DM 1.560,- zurückgefordert hat (Urteil vom 3. 9. 81). Die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld seien für den Kläger von Juli 1976 bis Juli 1977 erfüllt gewesen und auch nicht weggefallen, so daß eine Entziehung und Rückforderung insoweit rechtswidrig sei. Der Antrag der Beigeladenen vom 15. 2. 1978 wirke nach § 9 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) nur sechs Monate zurück, weshalb ihr Kindergeld erst ab August 1977 zustehe. Davor sei der Kläger bezugsberechtigt geblieben, weil allein die Existenz eines vorrangig Berechtigten, der sein Recht nicht ausübe, die Anspruchsvoraussetzung für nachrangig Berechtigte nicht entfallen lasse (vgl BSG SozR 5870 § 3 Nr 1). Die Rückforderung von DM 710,- für die Zeit von August 1977 bis Februar 1978 bestehe zu Recht, weil der Kläger es zumindest grob fahrlässig unterlassen habe, der Beklagten die Änderung der Verhältnisse mitzuteilen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 2, 3, 13 und 22 BKGG und vorsorglich des § 103 Sozialgerichtsgesetz -SGG-. Sie meint, ein Vorrangverzicht zugunsten des nachrangig Berechtigten sei ausgeschlossen. Die Bezugsmöglichkeit könne auch nicht durch Unterlassen der Antragstellung des vorrangig Berechtigten herbeigeführt werden. Vielmehr gehe der Anspruch als solcher nach der Ausschlußfrist des § 9 Abs 2 BKGG unter. Die Rückzahlungspflicht des Klägers ergebe sich aus §13 BKGG. Der Zufluß von Sachleistungen für L. an die Beigeladene stelle keine Weiterleitung des Kindergeldes dar. In jedem Fall entbehre der Sachverhalt insoweit weiterer Aufklärung.
Die Beklagte beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger stellt keinen Antrag. Er schließt sich den Ausführungen des LSG an.
Die Beigeladene hat sich nicht geäußert. II II
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist im wesentlichen unbegründet. Es mußte zwar - entgegen dem angefochtenen Urteil die Entziehung des Kindergeldes für die Zeit von Juli 1976 bis Juli 1977 bestätigt werden. Die Rückforderung des in dieser Zeit gezahlten Kindergeldes ist aber rechtswidrig.
Die Bezugsberechtigung des Klägers entfiel, als seine zweiten Ehemann - Stiefvater - aufnahm. Das folgt aus § 3 Abs 2 BKGG. In dieser Vorschrift ist die Rangfolge für die Bezugsberechtigung festgelegt, wenn mehrere Personen die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 BKGG erfüllen. Danach geht der Anspruch der Stiefeltern dem Anspruch der leiblichen Eltern vor, wenn das Kind in den Haushalt der Stiefeltern aufgenommen ist. Lebt aber ein Kind im gemeinsamen Haushalt eines leibliches Elternteils mit einem Stiefelternteil, dann wird das Kindergeld in Abweichung von der grundsätzlichen Rangfolge dem leiblichen Elternteil gewährt. Auf diesen von der Grundregel abweichenden Vorrang kann der leibliche Elternteil verzichten.
Der Verzicht bewirkt aber nur, daß die Grundregel wieder eingreift, der Stiefelternteil also bezugsberechtigt wird. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 28. Juni 1979 (SozR 5870 § 3 Nr 1) entschieden und zugleich klargestellt, daß der leibliche Elternteil in Fällen dieser Art nicht mit dem anderen Elternteil gemeinsam den Berechtigten bestimmen kann, wie es § 3 Abs 3 BKGG vorsieht.
Gegen diese Rechtsansicht sind, soweit ersichtlich, keine Einwände erhoben worden. Sie entspricht auch der Verwaltungspraxis. Der Senat hält daran fest.
Zu entscheiden ist hier nur noch, ob die Vorrangsregelung des § 3 Abs 2 BKGG der Berechtigtenbestimmung des § 3 Abs 3 BKGG auch dann vorgeht, wenn die Berechtigtenbestimmung zu einer Zeit getroffen worden war, als sie noch nicht mit § 3 Abs 2 BKGG in Widerspruch stand. Der Senat sieht keinen Grund, die Berechtigtenbestimmung nach § 3 Abs 3 BKGG entgegen § 3 Abs 2 BKGG für wirksam zu halten, wenn sie aus einer Zeit stammt, als sie noch wirksam getroffen werden konnte. Die aus § 3 Abs 2 BKGG folgende Unwirksamkeit ergreift die Berechtigtenbestimmung unabhängig von der Zeit, in der sie getroffen wurde. Denn § 3 Abs 2 BKGG soll einerseits gewährleisten, daß derjenige das Kindergeld bekommt, der dem Kind Heimstatt gewährt (vgl BVerfGE 22, 163, 169, 173; 23, 258, 263, 264; BSG SozR 5870 § 2 Nr 11 und das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 17. Dezember 1981 - 10 RKg 12/81 -); § 3 Abs 2 BKGG soll andererseits ausschließen, daß das Kindergeld mehr als einmal gewährt wird (§ 3 Abs 1 BKGG). Wollte man - wie das SG - die Unwirksamkeit von dem Zeitpunkt an eingreifen lassen, zu dem der Bezugsberechtigte Kindergeld beantragt oder - wie das LSG - von dem Zeitpunkt an, zu dem an den Bezugsberechtigten rückwirkend gezahlt wird (nach § 9 Abs 2 BKGG sechs Monate), so besteht jedenfalls die Gefahr, daß ein halbes Jahr doppelt gezahlt werden muß.
Es steht demnach für den Senat fest, daß das Kindergeld dem Kläger in der Zeit von Juli 1976 bis Juli 1977 zu Unrecht gezahlt worden ist. Gleichwohl besteht keine Rückzahlungspflicht.
Maßgebend für die Entziehung des Kindergeldes und die Rückforderung sind die §§ 22 und 13 BKGG idF vor dem Inkrafttreten des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) vom 26. August 1980 (BGBl I 1469 am 1. Januar 1981).
Das ergibt sich aus Art II § 40 Abs 2 SGB X. Danach ist das neue Recht über die Beseitigung fehlerhafter Verwaltungsakte und über die Korrektur darauf beruhender Fehler (§§ 44 bis 49 SGB X) erstmals anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird oder - so die Literatur und Rechtsprechung - aufgehoben werden soll (vgl Hauck/Haines, SGB X, Stand: Juli 1981, § 44 Anm 41; BSG, Urteil vom 27. April 1982 - 1 RJ 84/80 -). Daß § 44 SGB X nur in geänderter Form anzuwenden ist (vgl Art II § 24 Nr 2 SGB X), rechtfertigt es nicht, anders zu verfahren, als Art II § 40 Abs 2 anordnet. Im vorliegenden Fall ist aber der "aufzuhebende" Verwaltungsakt unstreitig längst aufgehoben. Es wird nur noch um den Verwaltungsakt gestritten, der die Aufhebung ausgesprochen hat. Die dagegen gerichtete Anfechtungsklage ist nach altem Recht zu beurteilen. Nach diesem Recht (§ 22 BKGG) war Kindergeld ohne Rücksicht auf das Vertrauen des Berechtigten in die Rechtmäßigkeit der Kindergeldzahlung zu entziehen, soweit die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorgelegen haben. Da wegen des Wegfalls der Berechtigtenbestimmung die Voraussetzungen des Kindergeldbezugs bei dem Kläger von Juli 1976 an nicht mehr vorgelegen haben, ist die Entziehung in vollem Umfang zu bestätigen.
Nach altem Recht war aber die Rückzahlungsverpflichtung davon abhängig, daß der Empfänger des Kindesgeldes eine Anzeige nach § 21 Abs 1 BKGG vorsätzlich oder grob fahrlässig unterlassen hatte. § 21 BKGG ist zwar durch Art II § 12 Nr 1 SGB I gestrichen worden. An seine Stelle ist aber § 60 Abs 1 SGB I getreten, nach dessen Abs 2 Nr 2 leistungserhebliche Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen sind.
Der Kläger hat eine solche Mitteilung nicht grob fahrlässig unterlassen. Auch wenn man unterstellt, er habe gewußt, daß sein Kind von Juli 1976 an bei dessen Stiefvater lebte, brauchte er nicht zu wissen, daß damit seine Bezugsberechtigung entfiel. Denn das steht erst durch die Entscheidung des Senats vom heutigen Tage fest. Beide Vorinstanzen haben noch anders entschieden. Solange nicht feststeht, daß Änderungen in den Verhältnissen für die Leistung erheblich sind (so §§ 60 Abs 1 Nr 2 SGB I), besteht keine Mitteilungsverpflichtung. Der Sozialleistungsempfänger ist nicht verpflichtet, Änderungen schon dann mitzuteilen, wenn nur die Möglichkeit besteht, daß sie später als leistungserheblich beurteilt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die rückwirkende Entziehung des Kindergeldes den Kläger hier wirtschaftlich nicht belastet, ist er nicht als teilweise unterlegen zu beurteilen.
Fundstellen