Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Witwenrente lebt nach RVO § 1291 Abs 2 wieder auf wenn dieser Anspruch im Zeitpunkt der Wiederverheiratung der Witwe nach den damals geltenden Vorschriften bestand.

Unerheblich ist, ob Rente infolge fehlenden Antrages nicht gezahlt wurde.

 

Normenkette

RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 26 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 21. November 1958 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die 1917 geborene Klägerin hatte im März 1943 zum ersten Mal geheiratet; ihr - pflichtversicherter - Ehemann verunglückte bereits im September 1943 im Kriegsdienst tödlich. Die im Februar 1953 eingegangene zweite Ehe der Klägerin ist seit dem 12. Februar 1957 aus beiderseitigem Verschulden der Eheleute rechtskräftig geschieden.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann durch Bescheid vom 1. Oktober 1957 ab, weil im Zeitpunkt der zweiten Eheschließung kein Anspruch auf Witwenrente für die Klägerin bestanden habe.

Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln machte die Klägerin unter Einreichung einer Bescheinigung ihres behandelnden Arztes Dr. S vom 30. Oktober 1957 insbesondere geltend, sie sei wegen ihrer Erkrankungen der Wirbelsäule, der Gelenke, des Herzens und wegen Schilddrüsenstörungen bereits seit Januar 1953 arbeitsunfähig und invalide gewesen und habe daher schon im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung einen Witwenrentenanspruch gehabt. Das SG wies die Klage ab, weil der Klägerin früher keine Witwenrente bewilligt gewesen sei.

Auch mit ihrer Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hatte die Klägerin keinen Erfolg. Das LSG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Klägerin vor ihrer zweiten Eheschließung bereits invalide geworden war. Es ist der Auffassung, ein Anspruch auf Witwenrente habe ohne Antrag ohnehin nicht entstehen können, auch wenn der Antrag keine materiell-rechtliche Voraussetzung der Rente dargestellt habe. Ein derartiger Antrag sei seinerzeit nicht gestellt worden. Nach der zweiten Eheschließung habe er nicht mehr nachgeholt werden können. Mangels eines Wegfalls eines niemals vorhandenen realen Zahlungsanspruchs könne auch von einem Wiederaufleben nicht die Rede sein.

Gegen dieses am 11. Februar 1959 zugestellte Urteil vom 21. November 1958 hat die Beklagte am 6. März 1959 unter Antragstellung die zugelassene Revision eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 24. April 1959 begründet.

Sie rügt eine Verletzung des § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Klägerin, die bereits vor ihrer Wiederverheiratung invalide gewesen sei, habe entgegen der Ansicht des LSG damals ein Anspruch auf Witwenrente zugestanden, weil sie die erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt habe. Ein Antrag sei nur für die Realisierung eines Anspruchs und die Leistungsgewährung, nicht aber für die Anspruchsentstehung erforderlich, § 1291 Abs. 2 RVO beschränke sich jedoch bewußt darauf, daß ein Anspruch bestanden habe, und setze nicht etwa die tatsächliche Rentenzahlung voraus.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte kostenpflichtig unter "Aufhebung des angefochtenen Urteils und der zugrunde liegenden Entscheidungen" zur Gewährung der Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann vom 1. März 1957 an zu verurteilen,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt demgegenüber

Zurückweisung der Revision.

Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil.

Der Klägerin ist vom Bundessozialgericht (BSG) noch der Beschluß des Großen Senats vom 9. Juni 1961, GS 2/59, mitgeteilt worden; sie hat dazu ausgeführt, jener Beschluß habe die hier maßgebliche Frage nicht ausdrücklich entschieden; auch der Beschluß lasse vielmehr die von der Klägerin weiterhin vertretene Auffassung zu, daß das Entstehen eines Witwenrentenanspruchs nach § 1256 RVO aF nicht von der Antragstellung abhängig gewesen sei; die Unterlassung des Antrags bewirke lediglich ein Hinausschieben der Zahlung der Rente, lasse jedoch den Anspruch als solchen bestehen. Diese Auffassung wird nach Ansicht der Klägerin insbesondere auch in dem Urteil des BSG (BSG 12, 293, 294) vertreten.

Beide Parteien haben sich auf Anfrage mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unter Antragstellung frist- und formgerecht eingelegt; sie ist vom LSG zugelassen und daher statthaft; sie ist auch begründet.

Da die übrigen für das Wiederaufleben der Witwenrente der Klägerin erforderlichen Voraussetzungen (nach Art. 2 § 26 Abs. 1 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG - iVm § 1291 Abs. 2 RVO) vorliegen, insbesondere die zweite Ehe erst nach Inkrafttreten des ArVNG aus beiderseitigem Verschulden geschieden ist, hängt die Entscheidung nur von der Frage ab, ob ein Anspruch auf Witwenrente, der des "Wiederauflebens" fähig ist, auch dann vorliegt, wenn eine Witwenrente vor der Wiederverheiratung trotz Vorliegens ihrer sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen nur deshalb nicht gezahlt worden ist, weil kein Rentenantrag gestellt war.

Das LSG verneint diese Frage - wie vorher schon das SG - bereits deshalb, weil nur ein einmal existent gewesener realer Zahlungsanspruch "wiederaufleben" könne. Nur wenn früher einmal eine Rente weggefallen sei, käme eine Wiedergewährung (denn dies sei mit dem Wiederaufleben gemeint) in Frage, da Wegfall und Wiedergewährung einander als Korrelate gegenüberständen. Mit dieser Folgerung setzt das LSG jedoch unzulässigerweise den "Anspruch auf Witwenrente" im Sinne des § 1291 Abs. 2 RVO gleich mit dem Anspruch auf Zahlung jener Rente. Soweit ein Rentenantrag nicht ausnahmsweise materiell-rechtliche Bedeutung hat, was bei der hier in Frage kommenden Witwenrente alten Rechts nicht der Fall war, löst er nun allerdings die Rentenzahlung als solche normalerweise zwar erst aus, er gehört jedoch nicht zu den Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls und hat keine Bedeutung für das Entstehen des Rentenanspruchs als solchen. Auch wenn keine tatsächliche Zahlung der Rente erfolgt ist, muß § 1291 Abs. 2 RVO immer dann angewandt werden, wenn vor der zweiten Eheschließung bereits ein Rentenanspruch gegeben war.

Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Beschluß des Großen Senats vom 9. Juni 1960 - GS 2/59 -, der entscheidend ebenfalls darauf abstellt, ob die Witwe "im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung einen Anspruch auf Witwenrente gehabt hätte". Wenn der Große Senat darauf hinweist, daß nur ein Anspruch, der einmal bestanden habe, wiederaufleben könne und daß insbesondere aus der Aufeinanderfolge der Absätze 1 und 2 des § 1291 RVO zu schließen sei, daß Wegfall und Wiederaufleben einer Rente miteinander korrespondierten, ein Rentenanspruch demnach nur nach vorherigem Wegfall wieder aufleben könne, so ist diese Argumentation trotz ihres scheinbaren Gleichklangs doch nicht im Sinne des angefochtenen Urteils zu verstehen. Dem Großen Senat ist es in seinem Beschluß einzig darum zu tun, ... den Gedanken an eine Anwendung der Wiederauflebensvorschriften für den Fall abzulehnen, daß vor der zweiten Eheschließung überhaupt noch kein Rentenanspruch gegeben war, ein solcher vielmehr erst später für eine nicht erneut verheiratet gedachte Witwe entstanden wäre. Wenn der Beschluß deshalb auch die im vorliegenden Fall zu entscheidende Frage nicht zu erörtern hatte, so zeigt doch gerade die Betonung des dem Gesetzeswortlaut entnommenen Begriffs "Rentenanspruch" gegenüber den in der Begründung des LSG verwandten, dem Gesetzestext nicht entsprechenden Begriffen "Zahlungsanspruch" bezw. "Rente" deutlich den sachlichen Unterschied. Der Beschluß des Großen Senats steht demnach der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, sondern stützt sie sogar noch.

Darüber hinaus spricht auch die Verwendung des durchaus ungewöhnlichen Wortes "Wiederaufleben" anstelle des sonst gebrauchten "Wiedergewährens" für eine vom Gesetzgeber bewußt auf den Anspruch als solchen und nicht auf die tatsächliche Leistung abgestellte Vorschrift.

Schließlich ist auch nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift eine Absicht verbunden haben sollte, die in ihrem Wortlaut nicht oder nicht voll zum Ausdruck gekommen sei.

Das angefochtene Urteil erweist sich damit als unrichtig, da für die Frage des Wiederauflebens nicht die tatsächlich erfolgte Rentenzahlung, sondern das Bestehen eines Rentenanspruchs maßgeblich ist; es ist deshalb aufzuheben.

Zu einer eigenen Entscheidung ist das BSG nicht in der Lage, da das LSG - aus seiner Sicht zutreffend - keinerlei Feststellungen darüber getroffen hat, ob die Klägerin tatsächlich vor ihrer zweiten Eheschließung bereits invalide gewesen ist. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Bei seiner Entscheidung wird das LSG die Entscheidung BSG 6, 70 zu beachten und erforderlichenfalls den Grundsatz der objektiven Beweislast anzuwenden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2530032

BSGE, 202

NJW 1962, 1461

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