Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungen des Grades der MdE bei Lärmschwerhörigkeit. Beweiswert der Sprachaudiometrie. allgemeine Erfahrungssätze
Orientierungssatz
1. Das Gericht überschreitet nicht die Grenzen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 128 SGG, wenn es der aus dem Gutachten des Sachverständigen ersichtlichen Auswertung der Sprachaudiogramme folgt, ohne sich die dem Kläger im einzelnen vorgespielten Zahlworte nennen zu lassen.
2. Bei der Bewertung der MdE sind die von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und dem versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten.
3. Dem sogenannten Königsteiner Merkblatt ist im Fachschrifttum bisher nicht entgegengehalten worden, es sei ohne arbeitsmedizinische und arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse erstellt worden.
Normenkette
RVO § 581 Abs 1 Fassung: 1963-04-30; RVO § 581 Abs 2 Fassung: 1963-04-30; BKVO 7 Anl 1 Nr 26; SGG §§ 103, 128 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.06.1981; Aktenzeichen L 6 U 389/79) |
SG Hannover (Entscheidung vom 19.10.1979; Aktenzeichen S 13 U 136/78) |
Tatbestand
Der im Jahre 1914 geborene Kläger arbeitete bis zum Jahre 1960 in seinem erlernten Beruf als Schuhmacher ohne schädigende Lärmeinwirkung. Er war danach von März 1960 bis März 1977 bei der Firma E. C. AG in H. in der Stoffaufbereitung beschäftigt. Dort arbeitete er je Schicht etwa 6,5 Stunden im Bereich des Pulpers und etwa 1,5 Stunden am Heißzerfaserer und an den Mahlanlagen. Auf die Anzeigen über eine Berufskrankheit -BK- (Lärmschwerhörigkeit), die Dr. F., Leitender Arzt der HNO- Abteilung am Kreiskrankenhaus H., im Juli 1976 und der Unternehmer im Oktober 1976 erstatteten, führte die Beklagte am 11. November 1976 eine Arbeitsplatz-Lärmanalyse durch, die einen Beurteilungspegel von 90 dB (A) ergab. In seinem danach erstatteten Gutachten vom 6. April 1977 kam der Facharzt für Hals- Nasen-Ohren Dr. W., B., zu dem Ergebnis, der Kläger leide an einer rechts gering bis mittelgradigen, links geringgradigen Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit, die Lärmschwerhörigkeit sei nur zum Teil wahrscheinlich, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 25 vH, davon 10 vH auf einen Lärmschaden und 5 vH auf einen Unfall vom 15. Januar 1975. Dieser Beurteilung schloß sich der Gewerbemedizinaldirektor Dr. F., N. L. - Institut für Arbeitsmedizin, Immissions- und Strahlenschutz - an (Stellungnahme vom 1. Juli 1977).
Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Rente wegen einer BK ab (Bescheid vom 26. Juli 1977). Der Kläger sei an einer Innenohrschwerhörigkeit beiderseits erkrankt, die nur zum geringen Teil auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sei. Die MdE betrage lediglich 10 vH. Der dagegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 1978).
Die Beklagte prüfte unabhängig von diesem Widerspruchsverfahren, ob dem Kläger wegen der Unfälle vom 26. Februar 1963 (Verletzung des linken Armes durch einen Sturz), vom 15. Januar 1975 (Schädelprellung) und vom 10. April 1975 (Verletzung des linken Fußes) eine Stützrente zu zahlen sei. Das Sozialgericht (SG) Hannover wies die gegen den die Gewährung einer Stützrente ablehnenden Bescheid vom 25. August 1978 gerichtete Klage durch rechtskräftiges Urteil vom 19. Oktober 1979 (Az.: S 13 U 106/79) ab, weil Folgen meßbaren Grades aus dem Unfallgeschehen vom 26. Februar 1963 nicht zurückgeblieben seien.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 1978 hat der Kläger rechtzeitig vor dem SG Klage erhoben. Das SG hat in der mündlichen Verhandlung den Leitenden Medizinaldirektor Dr. K. als ärztlichen Sachverständigen gehört. Es hat die Klage durch Urteil vom 19. Oktober 1979 abgewiesen, weil es mit Dr. W., dem Landesgewerbearzt und dem in der mündlichen Verhandlung gehörten ärztlichen Sachverständigen überzeugt sei, daß der berufsbedingte Anteil der Schwerhörigkeit mit 10 vH richtig bewertet sei.
Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) nach Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. K., Universitäts- Hals-Nasen-Ohren-Klinik M., vom 3. Oktober 1980 durch Urteil vom 10. Juni 1981 zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt: Es beständen keine Bedenken, die durch die Lärmschwerhörigkeit verursachte MdE mit Prof. Dr. K. auf 10 vH unter Berücksichtigung der Tabellen von Bönninghaus, Röser und Feldmann zu schätzen, die auch nach dem sog Königsteiner Merkblatt (Ausgabe 1977 - BG 1977, 268) anzuwenden seien. Prof. Dr. K. habe sich auch mit den ungünstigeren Werten auseinandergesetzt, die Dr. W. ermittelt habe. Die Sprachabstandsprüfung, die rechts eine mittelgradige und links eine geringgradige Schwerhörigkeit ergeben habe, sei jedenfalls dann nicht maßgebend, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine genauere Dosierung der Lautstärke (Sprachaudiogramm) zu einem verwertbaren Ergebnis führe. Die Behauptung des Klägers, Prof. Dr. K. habe im Sprachaudiogramm den Hörverlust bei leiser Umgangssprache nicht ermittelt, dagegen für den nicht aussagekräftigen Beurteilungspegel von 100 dB, sei nicht stichhaltig; denn beiden Sprachaudiogrammen sei zu entnehmen, daß dem Kläger Wörter mit unterschiedlichen Lautstärken (Sprachschallpegeln) vorgespielt worden seien, bei Einsilbern beginnend mit 60 dB, bei Zahlen mit 25 dB. Diese Messung entspreche den Empfehlungen des sog Königsteiner Merkblattes. Auch die weiteren, auf den konkreten Sachverhalt bezogenen Angriffe gegen die MdE-Schätzung des Sachverständigen Prof. Dr. K. seien nicht gerechtfertigt. Der Hinweis des Klägers, daß das Hörvermögen nur unter labormäßigen Bedingungen gemessen werde, treffe zu. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft sei jedoch dies die einzige Methode, den individuellen Hörverlust in allen Fällen unter gleichen Bedingungen zu ermitteln. Prof. Dr. K. habe auch ausgeführt, die Störwirkung durch unerwünschte Sprachsignale bei Innenohrschwerhörigkeit sei in den Tabellen und Vorschlägen zur Bewertung um Klassifizierung der verschiedenen Schwerhörigkeitsgrade berücksichtigt.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 581 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und wesentliche Verfahrensmängel, die - zur Vermeidung von Wiederholungen - unten unter II näher aufgeführt sind.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Hannover vom 19. Oktober 1979 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides vom 26. Juli 1977 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 1978 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für die Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit ab 1. Oktober 1976 eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 25 vH zu zahlen hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Verletztenrente wird nach § 581 Abs 1 und 2 RVO gewährt, solange infolge des Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit (s § 551 Abs 1 Satz 1 RVO) die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. Das LSG ist aufgrund der erhobenen Beweise zu dem Ergebnis gelangt, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers wegen der Lärmschwerhörigkeit um weniger als 20 vH gemindert ist. Aufgrund des Urteils des SG Hannover vom 19. Oktober 1979 (Az.: S 13 U 136/78) hat das LSG auch ohne Rechtsirrtum entschieden, daß die Voraussetzungen des § 581 Abs 3 RVO für die Gewährung sog Stützrenten ebenfalls nicht erfüllt sind.
Der Kläger greift jedoch hinsichtlich der Bewertung der MdE nach § 581 Abs 1 und 2 RVO die Beweiswürdigung des LSG mit Verfahrensrügen an. Die gerügten wesentlichen Verfahrensmängel liegen aber nicht vor.
Der Kläger rügt, die Feststellung des LSG, daß er auf dem linken Ohr an einer knapp geringgradigen und auf dem rechten Ohr an einer geringgradigen Schwerhörigkeit leide, sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG habe seine Entscheidung auf das Sprachaudiogramm gestützt, das jedoch ein untaugliches Beweismittel sei, da es nicht die tatsächlichen Hörverluste für die Umgangssprache, sondern nur für eine fiktive Störung bewerte.
Das LSG hat die Grenzen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung nicht dadurch überschritten, daß es entgegen den Ausführungen von Schimanski (SV 1981, 140 und 172) das Sprachaudiogramm aufgrund der in der Fachliteratur zumindest ganz überwiegend vertretenen Auffassung als für die Feststellung des Hörverlustes geeignet angesehen hat (s ua Feldmann, Das Gutachten des HNO- Arztes, 1976, Seite 64, 77, 134; Niemeyer in Marx, Medizinische Begutachtung, 4. Aufl 1981, Seite 393, 401; Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 2. Aufl 1981, Seite 313). Feldmann (aaO) bezeichnet in seinem von der Revision zitierten Buch die Sprachaudiometrie als unentbehrlichen Bestandteil jeder Begutachtung einer Hörstörung; sie sei die entscheidende Grundlage für die quantitative Bemessung des Hörschadens. Das LSG hat sich insbesondere auch mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt, das Sprachaudiogramm werde unter labormäßigen Bedingungen gefertigt und somit nicht unter Geräuschverhältnissen des täglichen Lebens. Das Berufungsgericht hat diesen jedenfalls auch allen Sachverständigen bekannten Umstand im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung wiederum in Übereinstimmung mit dem Fachschrifttum ohne Rechtsirrtum nicht als ausreichend angesehen, das Sprachaudiogramm als untaugliches Beweismittel abzulehnen. Das LSG hat zudem unter Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. Dr. K. darauf hingewiesen, daß die - allen Sachverständigen bekannten - Störwirkungen durch unerwünschte Sprachsignale bei der Bewertung und Klassifizierung der verschiedenen Schwerhörigkeitsgrade berücksichtigt sind.
Der Kläger rügt weiter, das LSG gründe seine Feststellungen ausschließlich auf das von Prof. Dr. K. angefertigte Sprachaudiogramm, ohne auch die anderen Hörprüfungen - wie Sprachabstandsprüfungen und Tonaudiogramme - aus beiden vorliegenden HNO-ärztlichen Gutachten zu würdigen.
Das LSG hat jedoch entgegen dieser Rüge der Revision auch die Sprachabstandsprüfung und die Tonaudiogramme in seine Beweiswürdigung einbezogen. Es hat zu dem Ergebnis und dem Beweiswert der Sprachabstandsprüfung ausdrücklich auf Seite 7 Stellung genommen. Auf die abweichenden audiometrischen Befunde zum Gutachten des Dr. W. vom 6. April 1977 ist Prof. Dr. K. auf Seite 18 seines Gutachtens vom 3. Oktober 1980 eingegangen. Das LSG hat auf diese Ausführungen in seinem Urteil auf Seite 7 hingewiesen und sie gewürdigt.
Der Kläger rügt außerdem, das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, durch ein weiteres HNO-ärztliches Gutachten die Richtigkeit der vorliegenden Sprachaudiogramme nachzuprüfen, da ihm bei der Würdigung aller Hörprüfungsbefunde erhebliche Zweifel an der Richtigkeit hätten aufkommen müssen. Das Gutachten von Prof. Dr. K. sei schon deshalb nicht als Beweis zu werten, weil aus dem Gutachten nicht ersichtlich sei, wie die in den Aufzeichnungen enthaltenen Ergebnisse zustande gekommen seien, welche Worte und Silben unter welchen Bedingungen (räumlich, zeitlich) dem Kläger zu Gehör gebracht worden seien und welche davon er verstanden habe und welche nicht.
Das LSG hat sich jedoch allein aufgrund der abweichenden Befunderhebung bei der Begutachtung durch Prof. Dr. K. und aufgrund der abweichenden Bewertung der einzelnen Befunde durch den Kläger nicht dazu gedrängt fühlen müssen, ein weiteres Gutachten einzuholen. Es hat sich ohne Überschreitung der Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung dem Gutachten von Prof. Dr. K. nach eigener Prüfung anschließen dürfen. Ein Verstoß gegen § 128 SGG liegt auch nicht, wie die Revision meint, darin, daß dem LSG vom Sachverständigen nicht mitgeteilt wurde, welche Wörter und Silben dem Kläger unter welchen Bedingungen zu Gehör gebracht worden sind und welche er davon verstanden hat. Beim Sprachaudiogramm wird dem Untersuchten "standardisierte, auf Tonband oder Schallplatte konservierte Sprache von einer besonderen Wiedergabeapparatur (Sprachaudiometer nach DIN 45624) vorgespielt und das Verständnis prozentual bestimmt. Als Prüfmaterial stehen Gruppen von zweistelligen Zahlwörtern und einsilbigen Hauptwörtern nach DIN 45621 und 45626 sowie Gruppen einfacher Sätze (Marburger Satzverständnistest, DIN 45621 Teil 2 und 45626 Teil 2) zur Verfügung. Die Wörter bzw Sätze jeweils einer Gruppe werden über Kopfhörer oder Lautsprecher mit gleichem Sprachschallpegel gegeben und die prozentualen Verständnisquoten bei verschiedenen Sprachschallstärken protokolliert. Es resultieren Verständniskurven für Zahlen, einsilbige Wörter oder Sätze" (Niemeyer aaO Seite 401). Bei dieser Befunderhebung hat das LSG nicht die Grenzen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten, als es der aus dem Gutachten des Sachverständigen ersichtlichen Auswertung der Sprachaudiogramme gefolgt ist, ohne sich über die dem Kläger im einzelnen vorgespielten Zahlworte (s Stellungnahme von Prof. Dr. K. vom 29. Dezember 1980) nennen zu lassen. Das Sprachaudiogramm und seine Auswertung durch ärztliche Sachverständige unterscheidet sich in der hier in Betracht kommenden Frage wesentlich von dem der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Juli 1975 (4 RJ 353/74) zugrunde liegenden Sachverhalt, nach dem vor allem keine dem Audiogramm entsprechende Auswertung gegeben war. Auch in der Fachliteratur wird, soweit ersichtlich, bei der Bewertung der Sprachaudiogramme nicht davon ausgegangen, daß für eine Begutachtung erforderlich ist, im Gutachten die eingegebenen und die davon verstandenen Wörter bzw Zahlen im einzelnen zu nennen (s Feldmann aaO Seite 75 und das sog Königsteiner Merkblatt, hier unter 3.6, am Ende, das ebenfalls auf das Aufzeichnen der Zahlen- und Wörterverständniskurven abstellt).
Der Kläger rügt, er habe im Schriftsatz vom 29. Mai 1981 unter Beweis gestellt, er habe bei leiser Umgangssprache von 40 dB Lautstärke den größten Hörverlust, im Nahbereich sei er somit hochgradig hörgemindert. Über diesen Beweisantrag habe sich das LSG ohne hinreichende Begründung hinweggesetzt.
Das LSG hat sich jedoch auch nicht aufgrund dieser Ausführungen des Klägers gedrängt fühlen müssen, ein weiteres ärztliches Gutachten einzuholen. In dem Schriftsatz des Klägers vom 29. Mai 1981 sind diese Ausführungen enthalten, ohne daß der Kläger jedoch dargelegt hat, daß das zu einer anderen Bewertung gelangte Gutachten insoweit in sich widerspruchsvoll sei oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoße oder aus anderen Gründen der Beweiswürdigung nicht zugrunde gelegt werden dürfe. Auch diese Ausführungen des Klägers stehen unter den im Schriftsatz vom 29. Mai 1981 ebenfalls vorangestellten Angriffen gegen den Beweiswert der Sprachaudiometrie bei der Beurteilung der Lärmschwerhörigkeit und der durch sie bedingten MdE. Daß in der vom LSG abweichenden Auffassung des Klägers über den Beweiswert eines Sprachaudiogrammes kein wesentlicher Verfahrensmangel liegt, ist jedoch bereits dargelegt.
Anschließend rügt der Kläger, die vom LSG vorgenommene Schätzung der beim Kläger durch die Lärmschwerhörigkeit hervorgerufenen MdE sei rechtsfehlerhaft, da das Berufungsgericht verkannt habe, daß es nicht Aufgabe des Gutachters sei, den Grad der MdE zu schätzen. Es sei auch nicht Sache der medizinischen Wissenschaft, MdE-Tabellen zu entwerfen, denen die Gerichte zu folgen hätten.
Bei der Feststellung der MdE besteht trotz der oft großen Bedeutung der ärztlichen Sachverständigen (BSGE 41, 99, 101) keine Bindung an die ärztlichen Gutachten (vgl ua BSGE 4, 147, 149; 41, 99, 101; BSG SozR Nr 2 zu § 128 SGG; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, Seite 570a/570b). Allein aus dem Umstand, daß das LSG der Schätzung der durch die BK verursachten MdE durch den ärztlichen Sachverständigen gefolgt ist, kann aber nicht gefolgert werden, daß das Berufungsgericht sich nicht aufgrund eigner Prüfung und Überzeugungsbildung dem Gutachten auch insoweit angeschlossen hat. Entgegen der Auffassung der Revision gehört es durchaus zu den Aufgaben des medizinischen Sachverständigen, in der gesetzlichen Unfallversicherung dem Versicherungsträger und im gerichtlichen Verfahren dem Gericht die ärztliche Sachkunde auch in der Form für die Urteilsfindung zur Verfügung zu stellen, daß der Sachverständige zur Vorbereitung der Feststellung der MdE durch die Verwaltung bzw durch das Gericht aufgrund seines Gutachtens und seiner fachärztlichen Sicht seine Schätzung der MdE mitteilt. Dies entspricht einer seit Anbeginn der gesetzlichen Unfallversicherung bestehenden und weiterhin auch rechtlich nicht zu beanstandenden Übung. Seit Jahrzehnten geht auch die Rechtsprechung davon aus, daß bei der Bewertung der MdE die von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und dem versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätzen zu beachten sind. Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend (BSGE 4, 147, 149; 31, 185, 186; BSG SozR Nr 9 zu § 581 RVO; Brackmann aaO, Seite 570b; Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, Seite 163 ff), sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in den zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSGE 43, 53, 55; BSG SozR 2200 § 622 Nr 19; BSG Urteile vom 18. Dezember 1979 - 2 RU 70/79 - und 30. September 1980 - 2 RU 31/80 -; BSG Beschluß vom 25. August 1982 - 2 BU 181/81 -). Das LSG hat deshalb ohne Überschreitung der Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung aufgrund der die besonderen Umstände des Einzelfalles beachtenden medizinischen Gutachten die MdE des Klägers auch unter Berücksichtigung des sog Königsteiner Merkblattes feststellen dürfen. Diesem Merkblatt ist im Fachschrifttum bisher nicht - wie von der Revision - entgegengehalten worden, es sei ohne arbeitsmedizinische und arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse erstellt worden. Das LSG hat sich deshalb auch insoweit nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen, zumal da es auch auf die vom Kläger geltend gemachten Nebengeräusche und ihre Berücksichtigung in der Tabelle eingegangen ist (s Seite 10 der Urteilsbegründung; s dazu auch Niemeyer aaO Seite 407).
Schließlich rügt der Kläger, das LSG habe in seinem Fall die im Urteil angeführten Tabellen schematisch angewandt. Nach der Rechtsprechung des BSG komme es jedoch auf die Ermittlung der individuellen MdE an. Dabei seien alle für die individuelle MdE bedeutsamen Umstände zu prüfen und zu würdigen. Das sei im vorliegenden Fall nicht geschehen, insbesondere sei seine Vorschädigung wegen Bluthochdrucks, Kreislaufstörungen und der Folgen einer Schulterverletzung (MdE 50 vH) nicht berücksichtigt worden. Hinzu komme, daß er bei Beginn der festgestellten Lärmschwerhörigkeit bereits 62 Jahre alt gewesen sei.
Der in dieser Rüge enthaltene Vorwurf, das LSG habe bei seiner Beweiswürdigung die besonderen Umstände des Einzelfalles nicht beachtet, ist lediglich mit dem Hinweis auf die angeführten Gesundheitsstörungen und das Alter des Klägers begründet. Sämtliche ärztlichen Sachverständigen haben jedoch in diesen Umständen keinen Grund dafür gesehen, daß sich die Folgen der BK beim Kläger stärker als sonst bei anderen Versicherten auswirken. Es ist bei den vom Kläger angeführten Umständen nicht verfahrensfehlerhaft, wenn das LSG ohne nähere Begründung in Übereinstimmung mit den ärztlichen Gutachten ebenfalls davon ausgegangen ist.
Aufgrund der vom Kläger somit nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Beweiswürdigung durch das LSG ist, wie bereits dargelegt, § 581 RVO nicht verletzt, so daß die Revision zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen