Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff der Arbeitslosigkeit im Sinne von AVG § 36 Abs 1 Nr 3 gehört nicht die Arbeitslosmeldung; sie ist nur erheblich insofern, als Zeiten, die vor der Meldung liegen, nicht als Ausfallzeiten berücksichtigt werden dürfen.

 

Normenkette

AVG § 36 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Mai 1962 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, auch die Zeit vom 1. Januar 1959 bis zum 31. Juli 1959 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG zu berücksichtigen; insoweit wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz von 30. März 1960 zurückgewiesen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger, geboren am 11. Dezember 1898, stand bis 31. Januar 1957 in einem Arbeitsverhältnis; eine Klage gegen die Kündigung dieses Arbeitsverhältnisses nahm er am 13. April 1957 zurück. Danach meldete er sich am 15. April 1957 arbeitslos; er erhielt - nach Ablauf einer Sperrfrist von zwei Wochen - vom 2. Mai 1957 bis 15. Januar 1959 Arbeitslosengeld und ab 16. Januar 1959 Arbeitslosenhilfe.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen Antrag vom August 1959 durch Bescheid vom 16. November 1959 vom 1. August 1959 an das "vorzeitige Altersruhegeld" nach § 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG); bei der Rentenberechnung wurde die Zeit der Arbeitslosigkeit des Klägers vom 15. April 1957 bis Ende Juli 1959 deshalb nicht als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG berücksichtigt, weil sich der Kläger nach Beendigung seiner vorsicherungspflichtigen Beschäftigung (31. Januar 1957) nicht sofort beim Arbeitsamt (ArbA) gemeldet habe.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, die Beklagte habe die Zeit vom 2. Mai 1957 bis 31. Juli 1959 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG berücksichtigen müssen; er habe sich nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses (Ende Januar 1957) nicht sofort beim ArbA gemeldet, weil darin "ein Anerkenntnis" der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses hätte erblickt werden können. Das Sozialgericht (SG) Koblenz wies die Klage ab (Urteil vom 30. März 1960).

Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das Urteil des SG auf und verurteilte die Beklagte, bei der Rentenfestsetzung die Zeit vom 2. Mai 1957 bis 31. Juli 1959 als Ausfallzeit zu berücksichtigen: Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG seien für die Zeit ab 2. Mai 1957 erfüllt; § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG erfordere nur, daß sich die Arbeitslosigkeit unmittelbar an die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses anschließe, nicht aber, daß die Meldung beim ArbA unverzüglich nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolge; der unmittelbare Anschluß der Arbeitslosigkeit an das Beschäftigungsverhältnis sei gegeben; der Kläger sei bereits seit dem 1. Februar 1957 arbeitslos gewesen; er habe auch in der Zeit vor der Arbeitslosmeldung (15. April 1957) dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden; er habe zwar in erster Linie seine frühere Arbeit fortsetzen wollen, er sei aber auch bereit gewesen, eine andere Arbeitsstelle des allgemeinen Arbeitsmarktes zu übernehmen.

Das LSG ließ die Revision zu.

Die Beklagte legte gegen das - ihr am 30. Juli 1962 zugestellte - Urteil des LSG am 21. August 1962 Revision ein. Sie beantragte,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Koblenz zurückzuweisen.

Die Beklagte begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 27. Oktober 1962: Das LSG habe § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG verletzt; der erforderliche unmittelbare Anschluß der Arbeitslosigkeit an das vorhergehende Beschäftigungsverhältnis sei nicht gewahrt, weil der Kläger sich erst am 15. April 1957 arbeitslos gemeldet habe; der Kläger sei nicht schon seit dem 1. Februar 1957 arbeitslos gewesen, weil er der Auffassung gewesen sei, sein Beschäftigungsverhältnis habe fortbestanden; er habe deshalb zunächst nicht dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden.

Der Kläger beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist jedoch nur zum Teil begründet.

Streitig ist, ob bei der Berechnung des vorzeitigen Altersruhegeldes des Klägers (§ 25 Abs. 2 AVG) die Zeit vom 2. Mai 1957 bis 31. Juli 1959 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und b AVG zu berücksichtigen ist. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG sind Ausfallzeiten die Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine länger als sechs Wochen andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist, vom Ablauf der sechsten Woche an, wenn der bei einem deutschen ArbA als Arbeitsuchender gemeldete Arbeitslose Arbeitslosengeld (§ 36 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) oder Arbeitslosenhilfe (§ 36 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) bezogen hat.

Die Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit des Klägers als Ausfallzeit setzt danach voraus, daß seine versicherungspflichtige Beschäftigung durch eine Arbeitslosigkeit "unterbrochen worden ist", was regelmäßig bedeutet, daß die Arbeitslosigkeit der versicherungspflichtigen Beschäftigung "unmittelbar" gefolgt ist (BSG 16, 120). Das LSG hat zu Recht angenommen, die Arbeitslosigkeit des Klägers habe sich unmittelbar an die Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses (31. Januar 1957) angeschlossen, der Kläger sei seit dem 1. Februar 1957 arbeitslos gewesen. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger nach der Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses zum 31. Januar 1957 zunächst die Fortsetzung dieses Beschäftigungsverhältnisses durch eine arbeitsgerichtliche Klage gegen die Kündigung erstrebt hat und daß er sich erst nach der Rücknahme dieser Klage am 15. April 1957 beim ArbA arbeitslos gemeldet hat. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Begriff der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG - wie auch im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG - ebenso auszulegen ist wie im Recht der Arbeitslosenversicherung. Danach setzt Arbeitslosigkeit - neben den Tatbestandsmerkmalen "berufsmäßig als Arbeitnehmer tätig" und "vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis" zu sein - auch voraus, daß der Versicherte für den allgemeinen Arbeitsmarkt subjektiv verfügbar ist; dies gilt sowohl nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) in der seit dem 1. April 1957 geltenden Fassung (§§ 75, 76) als auch nach dem AVAVG in der früheren Fassung (§§ 87, 87 a aF; BSG 2, 67); es kommt deshalb hier nicht darauf an, ob insoweit das neue oder das alte Recht der Arbeitslosenversicherung zugrunde zu legen ist (vgl. Urt. des BSG vom 18. Februar 1964, 11/1 RA 239/60 mit weiteren Hinweisen).

Die Auffassung der Beklagten, der Kläger habe vor der Arbeitslosmeldung schon deshalb nicht dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden, weil er die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses für unwirksam gehalten habe, trifft nicht zu. Wenn der Kläger nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses zunächst die Fortsetzung dieses Beschäftigungsverhältnisses zu erreichen versucht und deshalb gerichtliche Klage erhoben hat, ist daraus nicht ohne weiteres zu schließen, daß er seine Arbeitsbereitschaft auf die Wiederaufnahme seiner früheren Tätigkeit "eingeschränkt" hat und daß er damit für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verfügbar gewesen ist. Hat der Kläger lediglich "vorzugsweise" seine frühere Tätigkeit wieder aufnehmen wollen, so hat dies seine ernsthafte Arbeitsbereitschaft für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ausgeschlossen (Draeger/Buchwitz/Schönfelder, AVAVG, 1960 Anm. D zu § 76). Das LSG hat hierzu in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Kläger habe zwar in erster Linie seine frühere Beschäftigung wieder aufnehmen wollen, er sei aber auch bereit gewesen, eine andere Arbeitsstelle des allgemeinen Arbeitsmarktes zu übernehmen; dies habe sich aus den Erklärungen und aus dem Verhalten des Klägers sowie aus seinem "Berufsbild" ergeben. Gegen diese Feststellungen des LSG hat die Beklagte keine Verfahrensrügen erhoben. Diese Feststellungen sind daher für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG). Die Feststellungen des LSG rechtfertigen aber die Schlußfolgerung, der Kläger habe auch in der Zeit vom 1. Februar 1957 bis zu seiner Arbeitslosmeldung (15. April 1957) dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden, auch für diese Zeit seien alle Tatbestandsmerkmale für den Begriff Arbeitslosigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1. Nr. 3 AV erfüllt gewesen. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß Arbeitslosigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG auch schon dann vorliegen kann, wenn sich der Versicherte noch nicht beim ArbA gemeldet hat. Die Arbeitslosmeldung ist zwar als "Anzeige des Eintritts der Arbeitslosigkeit" Voraussetzung für den Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, und zwar in dem Sinne, daß vor der Arbeitslosmeldung kein Anspruch begründet ist (§§ 74, 172 AVAVG; Draeger/Buchwitz/Schönfelder, AVAVG, 1960, Anm. 4 zu § 74, Anm. 2 zu § 172); die Meldung beim ArbA ist aber kein Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit im Sinne des AVAVG. Allerdings ist die Arbeitslosmeldung auch von Bedeutung für die Frage, ob Arbeitslosigkeit vorliegt oder nicht, weil aus der Arbeitslosmeldung oder ihrem Fehlen Rückschlüsse auf die Verfügbarkeit gezogen werden können; indes ist die Arbeitslosmeldung lediglich ein - nicht zwingendes - Indiz der Verfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt; die Verfügbarkeit kann - wie das LSG angenommen hat - auch beim Fehlen der Arbeitslosmeldung vorliegen, sie kann auch durch andere Umstände dargetan sein. Die Arbeitslosmeldung ist auch kein "zusätzliches Tatbestandsmerkmal" der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG; diese Vorschrift bringt vielmehr zum Ausdruck, daß die Meldung beim ArbA - neben der Arbeitslosigkeit - ein besonderes Erfordernis für die Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit ist.

Die Arbeitslosigkeit des Klägers hat sich demnach "ohne zeitliche Lücke" der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses angeschlossen. Unter diesen Umständen steht der Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG auch nicht entgegen, daß der Kläger die Arbeitslosigkeit nicht sofort bei ihrem Eintritt, sondern erst 2 1/2 Monate später angezeigt hat. Für die Auffassung der Beklagten, § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG sei nur anwendbar, wenn die Arbeitslosmeldung "unverzüglich" nach Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung erfolgt ist, bietet das Gesetz keine Stütze. Zeiten der Arbeitslosigkeit sind zwar nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG als Ausfallzeiten nur zu berücksichtigen, wenn auch die Meldung beim ArbA erfolgt ist; diese Voraussetzung für die Anrechnung der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit muß jedoch nicht schon "zu Beginn" der Arbeitslosigkeit vorliegen; vielmehr kommt nur die Anrechnung als Ausfallzeit erst von dem Zeitpunkt an in Betracht, in dem diese Voraussetzung gegeben ist; die Meldung beim ArbA hat mithin, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die Bedeutung, daß Zeiten, die vor der Meldung liegen, nicht als Ausfallzeiten berücksichtigt werden dürfen.

Danach sind die Voraussetzungen für die Anrechnung der Arbeitslosigkeit des Klägers als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG für die Zeit vom 2. Mai 1957 an erfüllt. Der 2. Mai 1957 hat nach dem Ablauf der sechsten Woche der - am 1. Februar 1957 beginnenden und länger als sechs Wochen andauernden - Arbeitslosigkeit gelegen, die das Beschäftigungsverhältnis des Klägers unterbrochen hat; am 2. Mai 1957 ist der Kläger auch beim ArbA gemeldet gewesen und von diesem Tage an hat er auch Arbeitslosengeld bzw. später Arbeitslosenhilfe bezogen. Die Arbeitslosigkeit ist dem Kläger jedoch nicht in dem Umfang, in dem er es begehrt, d.h. für die Zeit vom 2. Mai 1957 bis 31. Juli 1959, als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG anzurechnen. Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AVG werden Ausfallzeiten längstens bis zum Eintritt des Versicherungsfalles angerechnet. Der Versicherungsfall tritt beim vorzeitigen Altersruhegeld mit Ablauf der einjährigen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres ein, wobei maßgebend der Zeitpunkt ist, der später liegt (vgl. auch Urteil des BSG vom 25. Oktober 1963, SozR Nr. 18 zu § 1248 RVO). Im vorliegenden Fall ist danach für den Anspruch des Klägers nach § 25 Abs. 2 AVG der Versicherungsfall im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AVG mit dem Ablauf des 11. Dezember 1958 (Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres des Klägers, in dem bereits einjährige Arbeitslosigkeit bestanden hat) eingetreten. Das hat zur Folge, daß zwar der Monat Dezember 1958 noch als Ausfallzeit zu berücksichtigen ist, weil nach § 36 Abs. 4 AVG die Kalendermonate, die nur teilweise mit Ausfallzeiten belegt sind, voll angerechnet werden; die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 1. Januar 1959 bis zum 31. Juli 1959 kann jedoch nicht mehr als Ausfallzeit angerechnet werden. Insoweit ist die Revision der Beklagten sonach begründet, im übrigen, d.h. für die Zeit vom 2. Mai 1957 bis zum 31. Dezember 1958, ist sie jedoch aus den im wesentlichen zutreffenden Erwägungen des LSG unbegründet. Das Urteil des LSG war daher insoweit aufzuheben, als die Beklagte verurteilt worden ist, auch die Zeit vom 1. Januar 1959 bis zum 31. Juli 1959 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG zu berücksichtigen; insoweit war die Berufung des Klägers gegen das - die Klage abweisende - Urteil des SG zurückzuweisen. Im übrigen war die Revision der Beklagten zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 und 2 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG

 

Fundstellen

Haufe-Index 2862439

BSGE, 21

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