Leitsatz (amtlich)
Als "eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung" iS des FRG § 19 Abs 3 gilt auch eine nach Vollendung des 60. Lebensjahres bezogene Invalidenrente fremden Rechts, wenn sie dem Versicherten anstelle einer ihm ebenfalls zustehenden Altersrente fremden Rechts gewährt worden ist und wenn die Beiträge, die während ihres Bezuges entrichtet worden sind, für eine spätere Altersrente fremden Rechts nicht rentensteigernd anrechenbar sind.
Normenkette
FRG § 19 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 1971 und des Sozialgerichts Köln vom 18. September 1970 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem als Flüchtling anerkannten Kläger bei der Berechnung des Altersruhegeldes Beiträge rentensteigernd anzurechnen sind, die er in der Tschechoslowakei (CSSR) als Angestellter nach Vollendung des 60. Lebensjahres und während des Bezuges einer Invalidenrente entrichtet hat.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war der 1904 geborene Kläger bis zu seiner Flucht am 31. Juli 1968 in der CSSR im Angestelltenverhältnis als leitender Arzt der sozialen Fürsorge tätig und entrichtete als solcher Beiträge an den für ihn damals zuständigen Rentenversicherungsträger; ab 19. Juli 1966 erhielt er eine Invalidenrente. Die Beklagte ließ deshalb bei der Berechnung des ihm mit Bescheid vom 22. Oktober 1969 ab 1. September 1969 gewährten Altersruhegeldes die Zeit vom 20. Juli 1966 bis zum 31. Juli 1968 unberücksichtigt. Das Sozialgericht (SG) Köln verurteilte sie, diese Beitragszeit rentensteigernd anzurechnen (Urteil vom 18. September 1970). Ihre Berufung hatte keinen Erfolg (Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 1971). Das LSG meint, nach § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) stehe diese Beitragszeit den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Ihre rentensteigernde Anrechnung werde nicht durch § 19 Abs. 3 FRG ausgeschlossen, weil die vom Kläger damals bezogene Invalidenrente keine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung gewesen sei. Daß der Kläger damals auch die in § 11 des tschechoslowakischen Gesetzes Nr. 101/64 (G 101) genannten Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente erfüllt habe - nämlich eine Beschäftigungszeit von mindestens 25 Jahren und Erreichen des 60. Lebensjahres - ändere insoweit nichts. Dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. September 1969 - 5 RKn 7/66 - könne nicht beigetreten werden, weil der Kläger - anders als in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall - die Voraussetzungen für die Altersrente nicht erst durch weiteren Zeitablauf erfüllt habe, weshalb allein entscheidend sei, worauf der Versicherungsfall tatsächlich beruhe. Andernfalls werde der in dem Rentenbescheid zum Ausdruck kommende Wille, das Rechtsverhältnis zu dem Versicherten in einer bestimmten Weise zu regeln, ohne rechtfertigenden Grund ignoriert.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt Verletzung der §§ 15 Abs. 1, 16, 19 Abs. 3 FRG. Das LSG gehe zu Unrecht davon aus, daß die streitige Zeit als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG angerechnet werden müsse. Das Sozialversicherungssystem der CSSR kenne seit 1951 für Arbeitnehmer keine Beitragsleistungen mehr; nach § 6 Abs. 4 des tschechoslowakischen Gesetzes Nr. 102/51 würden die Aufwendungen für die Sozialversicherung seither vielmehr über den Staatshaushalt aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Die streitige Zeit könne aber auch nicht als Beschäftigungszeit nach § 16 FRG berücksichtigt werden; es sei vielmehr so anzusehen, als habe der Kläger seinerzeit eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung erhalten, weil er die Voraussetzungen für den Bezug der vollen Altersrente erfüllt gehabt, ihm diese Altersrente jedoch wegen des Bezugs der Invalidenrente nicht zugestanden habe und ihm außerdem nach § 16 G 101 eine Rentenerhöhung durch weitere Berufstätigkeit nicht möglich gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet; entgegen der Auffassung des LSG muß die streitige Zeit vom 20. Juli 1966 bis 31. Juli 1968 bei der Berechnung des dem Kläger gewährten Altersruhgeldes außer Betracht bleiben.
Nach der Feststellung des LSG hat der Kläger in der CSSR als Angestellter Beiträge an den für ihn dort zuständigen Rentenversicherungsträger entrichtet. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind wirkungslos. Die Beklagte beanstandet eine tatsächliche Feststellung des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Ihre Revisionsbegründung bezeichnet jedoch keine bestimmte Verfahrensvorschrift als verletzt (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG), so daß allenfalls an eine Rüge von Verstößen gegen die §§ 103 und 128 SGG zu denken wäre. Als Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das LSG (§ 103 SGG) hätte die Beklagte jedoch mindestens vortragen müssen, daß und weshalb das LSG gedrängt gewesen wäre, hinsichtlich der auch von ihr selbst im Verfahren vor den Vorinstanzen niemals in Zweifel gezogenen Beitragsentrichtung des Klägers weitere Ermittlungen anzustellen, und welche konkreten Ermittlungen es insoweit hätte anstellen sollen. Zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 128 SGG aber hätte die Beklagte dartun müssen, daß das von ihr genannte tschechoslowakische Gesetz Nr. 102/51 Gegenstand des Rechtsstreits gewesen ist; auch das wird jedoch nicht vorgebracht. Die möglichen Verfahrensrügen der Revision entsprechen somit nicht der durch § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gebotenen Form und greifen also nicht durch.
Mit dem LSG ist deshalb davon auszugehen, daß es sich bei der streitigen Zeit vom 20. Juli 1966 bis zum 31. Juli 1968 um eine Beitragszeit i. S. von § 15 Abs. 1 FRG (idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes - FANG - vom 25. Februar 1960, BGBl I,93) handelt. Nach dieser auf den Kläger als anerkannten Vertriebenen anwendbaren Vorschrift stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten zwar gleich. Sind derartige nichtdeutsche Beitragszeiten aber während des Bezugs einer dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung zurückgelegt worden, dann werden sie nach § 19 Abs. 3 FRG erst für die Hinterbliebenenrenten zusätzlich angerechnet, dürfen also bei der Berechnung des Altersruhegeldes nicht rentensteigernd berücksichtigt werden (BSG in SozR Nr. 6 zu § 19 FRG). Nach dem Urteil des 5. Senats vom 26. September 1969 - 5 RKn 7/66 - muß als "eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung" auch eine Rente des Herkunftslandes gelten, die - gleich der Invalidenrente des Klägers - zwar nicht auf dem Versicherungsfall des Alters beruht, dem Vertriebenen aber zu einer Zeit gewährt worden ist, in der er zugleich die Voraussetzungen für die Gewährung einer auf diesem Versicherungsfall beruhenden Rente des Herkunftslandes erfüllte, eine solche "Altersrente" jedoch wegen des Bezuges der ihm bereits gewährten Rente nicht erhalten konnte. Im Hinblick auf den das gesamte Fremdrentenrecht beherrschenden Eingliederungsgedanken muß dieser Auffassung jedenfalls insoweit beigetreten werden, als es sich um Zeiten nach Vollendung des 60. Lebensjahres handelt und nach dem Rentensystem des Herkunftslandes für den Vertriebenen keine Möglichkeit bestand, durch weitere Berufstätigkeit Beitragszeiten zu erwerben, die für eine spätere Altersrente rentensteigernd anrechenbar gewesen wären; denn nach bundesdeutschem Rentenversicherungsrecht kann ein Altersruhegeld von der Vollendung des 60. Lebensjahres an bezogen werden (§ 1248 der Reichsversicherungsordnung - RVO -; § 25 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Beiträge, die während des Bezugs einer Rente entrichtet werden, können deren Höhe aber nicht beeinflussen. Entgegen der Auffassung des LSG macht es dabei keinen Unterschied, ob dem Vertriebenen die als eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung zu wertende Rente des Herkunftslandes bereits vor der Vollendung des 60. Lebensjahres gewährt worden ist oder ob er diese Rente erst von diesem oder einem späteren Zeitpunkt an erhalten hat; nach dem Eingliederungsgedanken des Fremdrentenrechts kommt es hier entscheidend allein auf die nach Vollendung des 60. Lebensjahres gegeben gewesenen Verhältnisse an. Der Kläger aber war zu Beginn des streitigen Zeitraumes bereits älter als 60 Jahre. Auch erfüllte er damals die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente des Herkunftslandes (§ 11 G 101); wegen der ihm gewährten Invalidenrente konnte er jedoch weder diese Altersrente erhalten (§ 56 G 101), noch hatte er die Möglichkeit, durch seine weitere Berufstätigkeit Beitragszeiten zu erwerben, die sich auf eine solche Altersrente rentensteigernd hätten auswirken können (§ 16 G 101). Dem Eingliederungsgedanken des Fremdrentenrechts entsprechend muß er sich deshalb so behandeln lassen, als hätte er während der streitigen Zeit vom 20. Juli 1966 bis zum 31. Juli 1968 in der CSSR anstelle der ihm tatsächlich gewährten Invalidenrente eine Altersrente bezogen. Die von ihm damals entrichteten Beiträge sind mithin nach § 19 Abs. 3 FRG hinsichtlich seines Altersruhegeldes nicht rentensteigernd anrechenbar.
Nach alledem muß die Revision der Beklagten Erfolg haben; die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben, und die Klage ist abzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen