Orientierungssatz
Zur Frage, was unter einer "dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung" iS von FRG § 19 Abs 3 zu verstehen ist (hier: Invalidenrentenbezug in Rumänien).
Normenkette
FRG § 19 Abs. 3 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. November 1972 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, das Altersruhegeld des Klägers unter Berücksichtigung der Zeit vom 1. August 1963 bis 15. Oktober 1968 als nachgewiesene Versicherungszeit nach der Leistungsgruppe 3 für männliche Angestellte gemäß Anlage 1 B zu § 22 des Fremdrentengesetzes neu festzusetzen; insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch darüber, ob dem Kläger bei der Berechnung seines Altersruhegeldes Beiträge rentensteigernd anzurechnen sind, die er in Rumänien als Angestellter nach Vollendung des 60. Lebensjahres und während des Bezuges einer Invalidenrente entrichtet hat.
Der im Juli 1903 geborene Kläger war in Rumänien bis zum 15. Oktober 1968 versicherungspflichtig beschäftigt und bezog dort seit dem 15. April 1957 eine Invalidenrente. Am 6. November 1968 ist er in die Bundesrepublik Deutschland umgesiedelt. Seit 1. November 1968 bezieht er von der Beklagten Altersruhegeld (Bescheid vom 16. September 1970), bei dessen Berechnung sie die Zeit vom 1. August 1963 bis zum 15. Oktober 1968 unberücksichtigt ließ; sie meint, es müsse davon ausgegangen werden, daß der Kläger nach Vollendung seines 60. Lebensjahres ab 1. August 1968 nach rumänischem Recht Anspruch auf Altersruhegeld gehabt habe, was nach § 19 Abs. 3 des Fremdrentengesetzes (FRG) der Anrechnung weiterer Zeiten entgegenstehe. Das Landessozialgericht (LSG) hat dies im wesentlichen mit der Begründung verneint, der Kläger habe in Rumänien während der streitigen Zeit weder ein Altersruhegeld noch eine Rente bezogen, die nach dortigem Recht als solches zu gelten hätte. Er hätte zwar die Umwandlung seiner Rente in ein Altersruhegeld beantragen können, habe aber davon abgesehen. Der bloße Anspruch auf Altersruhegeld genüge nicht zur Anwendung des § 19 Abs. 3 FRG.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte (sinngemäß),
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als sie verurteilt worden ist, das Altersruhegeld des Klägers unter Berücksichtigung der Zeit vom 1. August 1963 bis 15. Oktober 1968 als nachgewiesene Versicherungszeit nach der Leistungsgruppe 3 für männliche Angestellte gemäß Anlage 1 B zu § 22 FRG neu festzusetzen, und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil insoweit zurückzuweisen.
Sie rügt die Verletzung der §§ 15 Abs. 1 und 19 Abs. 3 FRG. Die Auffassung des LSG habe zur Folge, daß es für die Anrechnung von weiteren Beitragszeiten, die während des Bezuges einer Versichertenrente im Herkunftsland zurückgelegt wurden, allein auf die oft zufällige Bezeichnung der Leistung im Herkunftsland ankomme. Die Auslegung des § 19 Abs. 3 FRG durch das LSG widerspreche ferner dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Auch eine Versichertenrente, die im Herkunftsland als Rente wegen Invalidität gewährt wurde, sei jedenfalls von dem Zeitpunkt an als "eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung" anzusehen, von dem an der Wegfall der Invalidität für den weiteren Bezug der Leistung unerheblich gewesen sei und die Leistung als Altersrente hätte gewährt werden können. Diese Auslegung entspreche im Ergebnis dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. September 1969 - 5 RKn 7/66, dem der erkennende Senat in seinem Urteil vom 17. Januar 1973 - 11 RA 20/72 - u. a. mit der vertretbaren Einschränkung beigetreten sei, daß es sich bei den nicht anzurechnenden Zeiten um solche handeln müsse, die nach Vollendung des 60. Lebensjahres zurückgelegt worden sind. Die weitere Einschränkung in dem genannten Urteil vom 17. Januar 1973, daß nach dem Rentensystem des Herkunftslandes für die Vertriebenen keine Möglichkeit bestanden haben darf, "durch weitere Berufstätigkeit Beitragszeiten zu erwerben, die für eine spätere Altersrente rentensteigernd anrechenbar gewesen wären", sei allerdings bedenklich, weil sie dem Eingliederungsgrundsatz widerspreche und die Versicherungsträger mit einer Nachprüfung des jeweils maßgeblichen Rechts des Herkunftslandes überfordert wären.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Mit dem LSG ist davon auszugehen, daß es sich bei der vom Kläger in Rumänien zurückgelegten, jetzt noch streitigen Zeit vom 1. August 1963 bis 15. Oktober 1968 um eine Beitragszeit im Sinne von § 15 Abs. 1 FRG idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I, 93) handelt. Eine derartige Beitragszeit steht einer nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeit grundsätzlich gleich. Eine Einschränkung macht lediglich § 19 Abs. 3 FRG, wonach solche Beitragszeiten, die während des Bezugs einer dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung zurückgelegt sind, erst für die Hinterbliebenenrenten zusätzlich angerechnet werden; sie dürfen also bei der Berechnung des Altersruhegeldes nicht rentensteigernd berücksichtigt werden. Der Streit geht somit allein darum, ob die vom Kläger in Rumänien bezogene Invalidenrente als eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung anzusehen ist.
Für die Frage, was im Sinne von § 19 Abs. 3 FRG unter einer "dem Altersruhegeld entsprechenden Leistung" zu verstehen ist, kommt es entscheidend auf den Sinn und Zweck dieser Bestimmung an. Danach sollen Vertriebene bei der Anrechnung von während eines Rentenbezugs zurückgelegten Beitragszeiten nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als Versicherte im Bundesgebiet (Eingliederungsgrundsatz). Bei einer Rente fremden Rechts, die nicht wegen Erreichens eines bestimmten Alters, sondern aus anderen Gründen - z. B. wegen Invalidität - gewährt wurde, ist das problematisch; sie kann gewiß nicht schlechthin als "eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung" angesehen werden. Es ist auch richtig, wenn das LSG meint, daß der bloße Anspruch auf eine Altersrente fremden Rechts noch nicht zur Anwendung des § 19 Abs. 3 FRG genügt, denn sonst würden die Vertriebenen gegenüber den einheimischen Versicherten benachteiligt. Andererseits geht jedoch die Auffassung des LSG zu weit, wenn es meint, Beitragszeiten seien solange anzurechnen, als tatsächlich keine Altersrente fremden Rechts gezahlt wurde. Dabei wird das im Herkunftsland oft geltende Prinzip der "einzigen Rente" nicht genügend berücksichtigt. Im Hinblick auf den das gesamte Fremdrentenrecht beherrschenden Eingliederungsgrundsatz ist, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 17. Januar 1973 - 11 RA 20/72 - (SozR Nr. 7 zu § 19 FRG) entschieden hat, auch eine nach Vollendung des 60. Lebensjahres gewährte Invalidenrente fremden Rechts jedenfalls dann als "eine dem Altersruhegeld entsprechende Leistung" im Sinne des § 19 Abs. 3 FRG anzusehen, wenn sie dem Vertriebenen anstelle einer ihm ebenfalls zustehenden Altersrente fremden Rechts gewährt worden ist und wenn Beiträge, die während ihres Bezugs entrichtet worden sind, für eine spätere Altersrente fremden Rechts nicht rentensteigernd anrechenbar gewesen wären. Auf die Vollendung des 60. Lebensjahres ist deshalb abzustellen, weil im Bundesgebiet Altersrenten nicht vor diesem Zeitpunkt gewährt werden können.
Die von der Beklagten gegen die zweite Voraussetzung, daß nämlich nach dem Rentensystem des Herkunftslandes für den Vertriebenen keine Möglichkeit bestand, durch weitere Berufstätigkeit Beitragszeiten zu erwerben, die für eine spätere Altersrente rentensteigernd anrechenbar gewesen wären, erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Ein Versicherter im Bundesgebiet im Alter zwischen 60 und 65 Jahren kann während eines nicht auf diesem Alter beruhenden Rentenbezugs Beitragszeiten erwerben, die bei der Berechnung eines ihm später gewährten Altersruhegeldes angerechnet werden. Ob er Anspruch auf ein (vorgezogenes) Altersruhegeld hatte, spielt keine Rolle; nur der Bezug von Altersruhegeld verhindert den Erwerb weiterer anrechenbarer Beitragszeiten. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei demjenigen, der im Alter zwischen 60 und 65 Jahren im Herkunftsland keine Altersrente, sondern eine Rente anderer Art bezogen hat, statt dieser aber eine Altersrente hätte erhalten können, auch darauf abzustellen, ob ihm im Herkunftsland die Möglichkeit offenstand, durch während dieses Rentenbezugs erworbene weitere Beitragszeiten die Höhe einer später beantragten Altersrente zu beeinflussen. Das entspricht dem Eingliederungsgrundsatz, weil die Vertriebenen damit weder besser noch schlechter gestellt werden als einheimische Versicherte. Schwierigkeiten bei der Ermittlung des fremden Rechts müssen insoweit in Kauf genommen werden; eine Nichtaufklärbarkeit geht zu Lasten desjenigen, der die Anrechnung fremder Beitragszeiten begehrt.
Im Fall des Klägers ist nach den Feststellungen des LSG die eine der beiden Voraussetzungen erfüllt; er hätte in Rumänien nach Vollendung seines 60. Lebensjahres die Umwandlung seiner Invalidenrente in eine Altersrente beantragen können (Dekret Nr. 292 Kap. X Nr. 50 Abs. 3); er hat jedoch davon abgesehen, weil er - wie er angibt - es vorgezogen hat, seine Beschäftigung fortzusetzen.
Ob auch die zweite Voraussetzung gegeben ist, ob also nach dem Rentensystem des Herkunftslandes für den Kläger keine Möglichkeit bestand, durch weitere Berufstätigkeit Beitragszeiten zu erwerben, die für eine spätere Altersrente rentensteigernd anrechenbar gewesen wären, kann der Senat mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht beurteilen. Somit müssen das angefochtene Urteil in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zu neuer Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen