Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz für nebenberufliche Hausschlachter
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist ein als Hausschlachter tätiger Rentner gegenüber seinen Auftraggebern nicht verpflichtet, die Hausschlachtung zu einer bestimmten Zeit und nach irgendwelchen Anweisungen zu verrichten, so liegt wegen des Fehlens der persönlichen Abhängigkeit kein Arbeitsverhältnis iS des RVO § 539 Abs 1 Nr 1 vor.
2. Ein von seinen Auftraggebern persönlich unabhängiger Hausschlachter ist auch nicht nach RVO § 539 Abs 2 unfallversichert, da er nicht wie ein Arbeitnehmer, sondern als Selbständiger tätig ist.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob Hausschlachter als auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses Beschäftigte iS des RVO § 539 Abs 1 Nr 1 oder wie solche (RVO § 539 Abs 2) tätig werden.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Juni 1969 wird aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 27. Januar 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahre 1891 geborene Rentner W H führte, nachdem er sein Fleischereigeschäft an seinen Sohn übergeben hatte, in der Wintersaison noch Hausschlachtungen durch. Bei einer solchen Hausschlachtung bei dem Landwirt A St in O stach er sich am 21. Januar 1965 beim Ausnehmen der Eingeweide eines Schweines mit dem Messer in den linken Daumen. Infolge dieser Verletzung kam es zu einer eitrigen Entzündung, die eine stationäre Behandlung vom 6. Februar bis 2. März 1965 im Städtischen Krankenhaus Ü notwendig machte. Die klagende Ortskrankenkasse, bei welcher H gegen Krankheit versichert ist, zahlte die Krankenhauskosten in Höhe von 707,50 DM und verlangte Erstattung von der beklagten landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Mit Schreiben vom 23. September 1965 lehnte die Beklagte den Erstattungsanspruch mit der Begründung ab, die Tätigkeit des Verletzten als Hausmetzger könne nicht dem Betrieb des bei ihr versicherten Landwirts A St zugerechnet werden; der Verletzte hätte sich freiwillig bei der zuständigen Fleischereiberufsgenossenschaft versichern müssen.
Am 3. Dezember 1965 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Konstanz auf Zahlung von 707,50 DM erhoben. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. Januar 1969 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin, mit der diese zugleich vorgetragen hat, daß sich der Erstattungsanspruch durch Nachforderung des Krankenhauses auf nunmehr 715,- DM erhöht habe, hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 30. Juni 1969 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die aus Anlaß des Arbeitsunfalls des W H vom 21. Januar 1965 entstandenen Kosten im gesetzlichen Umfang zu erstatten. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt: Der Hausschlachter W H könne wegen des geringen Umfangs seiner Tätigkeit und wegen Fehlens einer eigenen Betriebsstätte und eigenen Betriebskapitals nicht als selbständiger Unternehmer angesehen werden; er sei, als er den Unfall vom 21. Januar 1965 erlitten habe, in das Unternehmen des Landwirts A St eingegliedert gewesen. Es könne dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Falle ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO vorgelegen habe, zumindest sei H wie ein derart Beschäftigter (§ 539 Abs. 2 RVO) für die Landwirtschaft des A St tätig gewesen. Für die Anwendung dieser Bestimmung sei eine wirtschaftliche oder persönliche Abhängigkeit vom Auftraggeber nicht erforderlich. Nach alledem sei der Unfall vom 21. Januar 1965 dem Betrieb des bei der Beklagten versicherten Landwirts A St zuzurechnen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Juni 1969 die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 27. Januar 1969 zurückzuweisen.
Sie rügt, das LSG habe § 539 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 539 Abs. 2 RVO verkannt. Der Rentner W H sei während der Hausschlachtung am 21. Januar 1965 weder als ein auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses bei dem Landwirt A St Beschäftigter noch wie ein solcher tätig gewesen. Er habe sich nicht derart in den Haushalt St eingeordnet, daß er mit der Hausschlachtung Tätigkeiten verrichtet habe, die nach der herkömmlichen Auffassung zu den notwendigen Geschäften jenes Betriebes gehören, noch es anderen überlassen, seine Arbeit zu regeln und über ihr Ergebnis zu verfügen. Er habe damit alle an einen Unternehmer zu stellenden Anforderungen erfüllt; er sei als "selbständiger Hausmetzger" tätig geworden, wie er auch bei der Unfalluntersuchung durch die Ortspolizeibehörde am 10. August 1965 angegeben habe.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig und begründet.
Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung ist nach § 1504 RVO eine Krankheit, welche die Folge eines von einem Träger der Unfallversicherung zu entschädigenden Arbeitsunfalls ist. Es ist deshalb im Rahmen der von der Klägerin nach § 54 Abs. 5 SGG gegen die Beklagte als den Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung erhobenen Leistungsklage mitzuentscheiden, ob der Rentner W H bei der Hausschlachtung vom 21. Januar 1965 als ein auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses Beschäftigter im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO oder wie ein solcher (§ 539 Abs. 2 RVO) in dem landwirtschaftlichen Unternehmen des A St tätig geworden ist.
Die Klägerin hat keinen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte, weil der Unfall des Rentners W H sich nicht bei einer bei der Beklagten nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 oder § 539 Abs. 2 RVO versicherten Tätigkeit ereignet hat.
Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 12. Februar 1970 (SozR Nr. 15 zu § 539 RVO) in Anlehnung u. a. an BSG 5, 168, 173; 11, 149, 150 und BSG in SozR Nrn. 19, 39 und 45 zu § 537 RVO aF entschieden hat, kommt es für das Vorliegen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses nicht auf die zivilrechtliche Erscheinungsform der getroffenen Vereinbarung oder gar auf die von den Vertragspartnern gewählte Bezeichnung an, sondern entscheidend ist allein das Vorliegen eines tatsächlichen Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber dem Auftraggeber. Ob eine Beschäftigung in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis verrichtet wird, hängt von der tatsächlichen Gestaltung des Verhältnisses und der Art der verrichteten Tätigkeit ab (BSG in SozR Nrn. 8, 39 und 45 zu § 537 RVO aF). Das Reichsversicherungsamt (RVA) hat zwar zuweilen den Versicherungsschutz eines nebenberuflich als Hausschlachter tätigen landwirtschaftlichen Arbeiters in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung schon deshalb bejaht, weil er entsprechend seiner sozialen Stellung zum Kreis der Arbeitnehmer gehöre, da er überwiegend seinen Lebensunterhalt durch abhängige Arbeit verdiene (RVA AN 1891, 184). Diese Rechtsprechung hat das RVA aber schon vor dem Inkrafttreten des Sechsten Gesetzes über Änderung der gesetzlichen Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl. I 107) ausdrücklich wieder aufgegeben (EuM 43, 335, 337). Sie kann aber auch deswegen jetzt nicht mehr herangezogen werden, wie der erkennende Senat in dem Urteil vom 12. Februar 1970 ausgeführt hat, weil es nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nur auf das Vorhandensein eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses im Einzelfall, ohne Rücksicht auf die sonstige Stellung des Versicherten im beruflichen und gesellschaftlichen Leben, ankommt (dazu auch BSG 5, 168, 174). Soweit sich die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in neuerer Zeit (vgl. LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1970, 19) noch auf die vorgenannte Rechtsprechung des RVA berufen, berücksichtigen sie nicht diese veränderte Rechtsgrundlage und die gewandelte Rechtsauffassung. Sie übersehen ferner, daß das RVA nach Inkrafttreten des Sechsten Änderungsgesetzes entschieden hat, daß es bei Hausschlachtern von den tatsächlichen Umständen im Einzelfall abhängt, ob sie ihre Tätigkeit als Unternehmer oder als Arbeitnehmer ausgeführt haben (EuM 51, 1). Gerade die vom LSG im vorliegenden Fall festgestellten Tatsachen lassen aber eine Wertung der Beschäftigung des Rentners W H bei dem Landwirt A St als abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht zu.
Maßgeblich ist nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 12. Februar 1970 für die Abhängigkeit vor allem, ob der Beschäftigte einem nach Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht seines Auftraggebers unterliegt (vgl. BAG AP Nr. 1, 3 und 6 zu § 611 BGB, Abhängigkeit; BGHZ 10, 187, 190) oder ob er, wie in § 84 Abs. 1 Satz 2 des Handelsgesetzbuches niedergelegt ist, "im wesentlichen frei seine Tätigkeit und seine Arbeitszeit bestimmen kann" (BSG 13, 196, 202; 16, 289, 293). Da meistens einzelne Umstände für und andere gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen, ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles das Gesamtbild der Tätigkeit zu ermitteln und nach der Stärke des Abhängigkeitsgrades zu beurteilen, ob die Beschäftigung auf Grund eines Abhängigkeitsverhältnisses im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO erfolgte (BSG SozR Nrn. 39 und 45 zu § 537 RVO aF). Eine solche abwägende Wertung der hier vom Berufungsgericht festgestellten und insoweit das Revisionsgericht bindenden Umstände (§ 163 SGG) führt dazu, daß eine persönliche Abhängigkeit des Rentners W H während der unfallbringenden Tätigkeit zu dem Auftraggeber, dem Landwirt A St, nicht bestanden hat. Es spricht gegen seine persönliche Abhängigkeit, daß W H nicht verpflichtet war, seine Arbeit zu einer bestimmten Zeit und nach irgendwelchen Anweisungen zu verrichten. Er schuldete seinen jeweiligen Auftraggebern, bei denen er Hausschlachtungen durchführte, nicht die Leistung von im voraus nicht bestimmten Schlachterdiensten, die er etwa zu bestimmten Zeiten auf Weisung seiner Auftraggeber hätte durchführen müssen, sondern im Vordergrund stand der geschuldete einmalige Arbeitserfolg, nämlich die einzelne Hausschlachtung. Umfang und Art der Arbeitsweise sowie insbesondere auch die Zeit und Dauer der Arbeitsleistung bestimmte W H als Hausschlachter und nicht der Auftraggeber A St. Alles dies zeigt, daß im vorliegenden Fall keine Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit verrichtet, sondern in Selbständigkeit ein Arbeitserfolg gegen Entgelt erbracht worden ist. Es sind nach dem festgestellten Sachverhalt keine Umstände zu erkennen, die auf einen erheblichen Grad von Weisungsgebundenheit des Hausschlachters W H gegenüber seinen Auftraggebern, insbesondere gegenüber dem Landwirt A St, hinweisen, also auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis schließen lassen. Der Rentner W H hat danach die Hausschlachtung am 21. Januar 1965 nicht als ein in das landwirtschaftliche Unternehmen des August St eingetretener Beschäftigter ausgeführt, so daß er im Zeitpunkt des Unfalls nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO unter Unfallversicherungsschutz gestanden hat.
Nach Ansicht des LSG soll denn H auch nur wie ein auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses Beschäftigter für den Landwirt A St tätig geworden sein (§ 539 Abs. 2 RVO). Dabei hat das LSG verkannt, daß § 539 Abs. 2 RVO im vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar ist, weil - wie dargelegt - nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Tätigkeit des Hausschlachters H nicht unter irgendwelchen Umständen geleistet worden ist, die sie einer Tätigkeit auf Grund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO ähnlich erscheinen lassen (BSG 5, 168, 174). Es kann deshalb hier auch dahinstehen, ob H etwa im Sinne des § 658 Abs. 2 RVO als Unternehmer anzusehen oder die unfallbringende Tätigkeit nur als unternehmerähnlich zu beurteilen ist. Allein entscheidend ist, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO oder doch eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung nach § 539 Abs. 2 RVO vorliegt. Da dies nach den vom LSG festgestellten Umständen nicht der Fall ist, kommt es nicht darauf an, ob H alle Voraussetzungen der hier nicht entscheidungserheblichen Vorschrift des § 658 Abs. 2 RVO erfüllt. Auch wenn die Tätigkeit des Rentners H nur als unternehmerähnlich anzusehen ist (vgl. BSG SozR Nr. 11 zu § 539 RVO), also weder die Voraussetzung des § 539 Abs. 1 Nr. 1 und § 539 Abs. 2 noch die des § 658 Abs. 2 RVO erfüllt, ist Versicherungsschutz jedenfalls bei der Beklagten nicht gegeben.
Nach alledem hat das LSG zu Unrecht entschieden, daß es sich bei dem Unfall, den der Rentner W H am 21. Januar 1965 bei dem Landwirt A St als Hausschlachter erlitten hat, um einen der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zuzurechnenden Arbeitsunfall gehandelt hat. Die Klägerin kann deshalb von der Beklagten keinen Ersatz für die von ihr aus Anlaß des Unfalls gemachten Aufwendungen nach § 1504 RVO verlangen. Auf die Revision der Beklagten ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen