Orientierungssatz
Die Frist des AnVNG Art 2 § 43 S 4 (= ArVNG Art 2 § 44 S 4) ist eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist. Eine Wiedereinsetzung gegen ihre Versäumung ist in keinem Falle statthaft; die Vorschrift des RVO § 131 ist nicht anwendbar. Die Frist kann auch nicht aus Billigkeitserwägungen unbeachtet bleiben.
Die Vorschrift des AnVNG Art 2 § 43 S 4 verstößt nicht gegen GG Art 3.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 43 S. 4 Fassung: 1957-02-23, § 44 S. 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 113 Fassung: 1924-12-15; GG Art. 3 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. April 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Durch Bescheid vom 17. April 1952 wurde der Antrag der Klägerin auf Witwenrente aus der Angestelltenversicherung ihres 1948 verstorbenen früheren Ehemannes, von dem sie 1947 geschieden worden war, abgelehnt. Der Bescheid blieb unangefochten.
Im April 1959 beantragte die Klägerin erneut Hinterbliebenenrente nach § 42 Angestelltenversicherungsgesetz (Art. 2 § 18 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz - AnVNG -). Die Beklagte lehnte auch diesen Antrag mit Bescheid vom 18. September 1959 ab, weil der Antrag auf Überprüfung des schon bindend abgelehnten Leistungsantrags nach Art. 2 § 43 Satz 2 und 4 AnVNG nur bis zum 31. Dezember 1958 zulässig gewesen sei. Klage und Berufung waren ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hielt in seinem Urteil vom 4. April 1962 die Frist des Art. 2 § 43 AnVNG für eine Verfahrensfrist im Sinne des § 131 Reichsversicherungsordnung (RVO), verneinte jedoch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; die Revision ließ es zu. Das Urteil des LSG wurde am 21. April 1962 zugestellt; am 21. Mai 1962 legte die Klägerin Revision ein und beantragte,
die Entscheidungen der Vorinstanzen und den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheids über die Gewährung von Hinterbliebenenrente ab Januar 1957 zu verurteilen.
Nach ihrer Ansicht ist die Fristbestimmung nichtig; sofern sie jedoch rechtswirksam sei, stehe ihr jedenfalls die Wiedereinsetzung gegen die Fristversäumnis zu.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG), aber nicht begründet. Das Urteil des LSG ist im Ergebnis zutreffend.
Die Frist des Art. 2 § 43 Satz 4 AnVNG ist eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, denn von ihrer Wahrung hängt die Anwendung des neuen Rechts auf den geltend gemachten Anspruch ab. Eine Wiedereinsetzung gegen ihre Versäumung ist in keinem Falle statthaft, auf die Ausführungen des LSG über die Gründe der Fristversäumnis kommt es deshalb nicht an; die Vorschrift des § 131 RVO, auf die sich das LSG bezieht, ist hier nicht anwendbar. Die Frist des Art. 2 § 43 Satz 4 AnVNG kann auch nicht aus Billigkeitserwägungen unbeachtet bleiben. Schließlich treffen auf sie die Erwägungen nicht zu, die den Großen Senat des Bundessozialgerichts (BSG) veranlaßt haben, die Versäumung der Anmeldefrist für Versorgungsansprüche in § 58 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes aF unter Umständen als unschädlich zu erachten (BSG 14, 246). Dies hat schon der 4. Senat des BSG in dem Urteil vom 14. Juni 1962 (SozR Nr. 9 zu Art. 2 § 44 ArVNG) zu der entsprechenden Vorschrift des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) (Art. 2 § 44) dargelegt. Der 12. Senat des BSG ist in seinem Urteil vom 20. Juli 1962 - 12/3 RJ 112/61 - der Auffassung des 4. Senats beigetreten. Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht an.
Die Vorschrift des Art. 2 § 43 Satz 4 AnVNG verstößt, wie in den genannten Entscheidungen ebenfalls zu Recht ausgeführt worden ist, auch nicht gegen das Grundgesetz (Art. 3). Es steht dem Gesetzgeber nicht nur frei zu bestimmen, ob er ein neues, günstigeres Recht auch auf bereits abgeschlossene Sachverhalte (vorher eingetretene Versicherungsfälle) anwenden will; um in solchen "Altfällen" alsbald klare Verhältnisse zu schaffen, kann der Gesetzgeber die Anwendung des neuen Rechts darüber hinaus an die Bedingung knüpfen, daß die begünstigten Personen die neu verliehenen Rechte innerhalb einer angemessenen Frist - hier von nahezu zwei Jahren - geltend machen; dies kann besonders dann geschehen, wenn der Leistungsantrag nach altem Recht bereits rechtskräftig oder bindend abgelehnt worden war; auf diese Fälle kann der Gesetzgeber auch die fristgebundene Anmeldung beschränken.
Die Revision ist danach als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen