Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis der Arbeitslosigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Dem Stempel des ArbA auf dem Entlassungsschein kommt keine besondere rechtliche Bedeutung für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit zu. Im Jahre 1946 war durch Kontrollratsbefehl die Registrierung aller arbeitsfähigen Männer und Frauen angeordnet worden und von den ArbA durchzuführen. Die Registrierung diente der Erlangung der Lebensmittelkarten und erfolgte unabhängig davon, ob der Wille der registrierten Personen darauf gerichtet war, vom ArbA eine abhängige Beschäftigung zu erhalten.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. September 1975 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Es ist umstritten, ob die Zeit von September 1946 bis September 1950 als Ersatzzeit wegen Arbeitslosigkeit rentensteigernd zu berücksichtigen ist (§ 1251 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Der 1906 geborene Kläger war bis 1933 versicherungspflichtig beschäftigt; dann war er selbständig erwerbstätig. Er gehörte der AOK Duderstadt von 1935 bis August 1949 als freiwilliges Mitglied an. Während des Krieges leistete er Dienst in der Waffen-SS. Er geriet am 2. Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft. Nach zwei Wochen kam er in das Internierungslager Sandbostel bei Stade. Am 9. August 1946 wurde er aus dem Internierungslager "No. 2 Civilian Internment Camp" mit der Bemerkung entlassen "as being adjudged no longer meriting further internment, he has been disposed to 2233 P. W. Discharge Centre Munsterlager". Dort wurde er am 31. August 1946 entlassen. Im September 1950 nahm er wieder eine selbständige Erwerbstätigkeit auf.
Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 22. Dezember 1970 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; dabei berücksichtigte sie ua die Zeit von November 1940 bis September 1946 als Ersatzzeit. In dem Neufeststellungsbescheid vom 21. Juli 1972 sind als Zeiten "militärischen Dienstes" ua die Zeit vom 1. Oktober 1942 bis 31. August 1946 berücksichtigt. Weitere Versicherungszeiten sind von April 1969 an angerechnet. Der Kläger beanstandet, daß in dem Bescheid vom 21. Juli 1972 die Zeit von September 1946 bis September 1950 nicht als Ersatzzeit einer an Kriegsgefangenschaft anschließenden Arbeitslosigkeit angerechnet ist (§ 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO); er habe sich lt. Vermerk des Arbeitsamtes auf seinem Entlassungsschein am 3. September 1946 beim Arbeitsamt N. gemeldet.
Das Sozialgericht (SG) hat die auf Gewährung einer höheren Rente gerichtete Klage abgewiesen, da eine Arbeitslosigkeit in der fraglichen Zeit nicht festzustellen sei (Urteil vom 6. Februar 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 8. September 1975).
Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nach der Mitte Mai 1945 zu Ende gegangenen Kriegsgefangenschaft aus politischen Gründen interniert und nicht mehr Kriegsgefangener gewesen (Hinweis auf SozR Nr. 47 und 70 zu § 1251 RVO).
Eine Arbeitslosigkeit des Klägers nach der Entlassung aus Munsterlager lasse sich nicht feststellen. Es sei nicht zu sehen, warum aus dem nichtssagenden Stempel des Arbeitsamtes vom 3. September 1946 auf dem Entlassungsschein zwingend geschlossen werden dürfe, es handele sich um eine Bescheinigung darüber, daß der Meldende subjektiv an abhängiger Arbeit interessiert gewesen sei. Die Zeugenaussagen reichten nicht aus, die Überzeugung zu gewinnen, daß der Kläger gegen seinen Willen keine abhängige Beschäftigung gehabt habe (Hinweis auf SozR Nr. 37 zu § 1251 RVO). Die frühere Ehefrau des Klägers habe angegeben, der Kläger habe auf ihre mehrfachen Aufforderungen, sich um eine richtige Arbeit zu bemühen, immer geantwortet, ein klein wenig Handel bringe das Vielfache von vielen Stunden harter Arbeit ein; er habe mit seinem späteren Schwiegersohn H. einen Handel mit aus Thüringen herübergebrachten Waren betrieben. Der Bruder des Klägers habe ausgesagt, der Kläger sei mit H. über die Zonengrenze gegangen und habe von dort Sachen mitgebracht. H. habe angegeben, von Ende 1946 bis zur Währungsreform hätten der Kläger und er Damenstrümpfe aus dem Erzgebirge besorgt und in die Westzone verkauft. Dieser Handel sei die einzige Einnahmequelle des Klägers gewesen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Rente unter Anrechnung der Zeit vom 15. September 1946 bis 16. September 1950 als Ersatzzeit neu zu berechnen.
Er rügt eine Verletzung des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Er habe sich unmittelbar nach der Entlassung aus dem Kriegsgefangenenlager am 3. September 1946 als Arbeitsloser gemeldet und damit sein Interesse an abhängiger Arbeit bekundet. Sein durch die besondere Situation der damaligen Zeit erzwungenes Tun begründe nicht die Unterstellung, er habe keine abhängige Tätigkeit gewollt.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, das LSG habe zutreffend entschieden, daß eine Arbeitslosigkeit des Klägers im Anschluß an die Entlassung aus Munsterlager nicht mit einer für eine Überzeugung ausreichenden Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit festzustellen sei. Der Kläger sei nicht arbeitslos im Sinne der Rechtsprechung des BSG gewesen. Der Stempel des Arbeitsamtes auf dem Entlassungsschein habe lediglich als Nachweis gedient, um Lebensmittelkarten zu erlangen. Meldekarten des Arbeitsamtes habe der Kläger nicht vorgelegt.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Die vom Kläger begehrte Anrechnung der Zeit von September 1946 bis September 1950 als Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO scheitert bereits daran, daß das LSG ohne Gesetzesverletzung das Vorliegen von Arbeitslosigkeit im Sinne dieser Vorschrift verneint hat.
Das LSG hat als Tatsache festgestellt, daß der Kläger in der umstrittenen Zeit einen Warenhandel betrieben und daraus sein Einkommen bezogen hat. Die Revision hat diese Tatsachenfeststellung nicht angegriffen, sondern nur Motive für das Verhalten des Klägers vorgebracht.
Die rechtliche Schlußfolgerung, die das LSG aus seinen Tatsachenfeststellungen gezogen hat, daß der Kläger nicht arbeitslos im Sinne des Gesetzes war, ist nicht zu beanstanden.
Zu Recht hat das LSG den Begriff "Arbeitslosigkeit" in § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO im Sinne des Rechts der Arbeitslosenversicherung verstanden. Um Arbeitslosigkeit anzunehmen, muß der Versicherte unfreiwillig ohne Arbeit, arbeitswillig und arbeitsfähig gewesen sein (vgl. BSG 26, 120). Aufgrund seiner Feststellung, daß der Kläger vom Warenhandel gelebt hat, konnte das LSG das Vorliegen einer ernstlichen Bereitschaft des Klägers, abhängige Arbeit aufzunehmen, in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung verneinen.
Zu Recht hat das LSG dem Stempel des Arbeitsamtes auf dem Entlassungsschein keine besondere rechtliche Bedeutung beigemessen. Mit dem Kontrollratsbefehl Nr. 3 vom 10. Juli 1946 (Arbeitsblatt für die britische Zone 47, 2) war die Registrierung aller arbeitsfähigen Männer im Alter von 44 bis 65 Jahren und aller arbeitsfähigen Frauen im Alter von 15 bis 50 Jahren angeordnet worden. Die Registrierung war von den Arbeitsämtern durchzuführen. Zu registrieren waren die Erwerbstätigen - alle Personen, die eine auf Erzielung von Einkommen oder auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausübten - und die Arbeitslosen. Sie erhielten ihre Lebensmittelkarten gegen Vorlage ihrer Registrierungsausweise (Nr. 4 und 9 des Befehls). Ferner waren die arbeitsunfähigen und arbeitsbefreiten Personen zu registrieren. Die Unterbringung von Arbeitslosen in Arbeit wurde vom Arbeitsamt nach Maßgabe vorliegender Anträge von Arbeitgebern vorgenommen (Nr. 15 des Befehls). Hiernach erfolgte die Registrierung der in arbeitsfähigem Alter stehenden Bevölkerung, zu der auch der Kläger gehörte, unabhängig davon, ob der Wille dieser Personen darauf gerichtet war, vom Arbeitsamt eine abhängige Beschäftigung zu erhalten.
Somit ist die Revision mangels Vorliegen von Arbeitslosigkeit in der umstrittenen Zeit nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen