Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausstattung mit Akkuzellen und Ladegeräten
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine KK ist nach dem Sachleistungsprinzip verpflichtet, den Versicherten mit einer Hörhilfe auszustatten. Die Verpflichtung beinhaltet, daß die KK das Hilfsmittel so zur Verfügung stellen muß, daß es seinem Zweck entsprechend unmittelbar verwendet werden kann. Ein Hörgerät ist aber nur dann verwendungsfähig, wenn es mit Akkus oder Batterien versehen ist. Welche dieser beiden Leistungsvarianten in Betracht kommt, hat die KK nach ihrem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen des Versicherten zu entscheiden. Sie hat diesem vorrangig Rechnung zu tragen, sofern sie dadurch nicht unzumutbar belastet wird.
2. Ein Hörgerät ist ein Hilfsmittel iS des RVO § 182b.
Normenkette
RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Fassung: 1974-08-07, § 182b Fassung: 1974-08-07, § 1531 S. 1 Fassung: 1924-12-15
Verfahrensgang
SG Nürnberg (Entscheidung vom 11.02.1977; Aktenzeichen S 2 E 23/76) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11. Februar 1977 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um den Umfang der Leistungspflicht der Krankenversicherung im Rahmen der Hilfe für Behinderte geführt.
Das nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) familienhilfeberechtigte Kind der Versicherten B. ist auf beiden Ohren schwerhörig. Die beklagte Krankenkasse gewährte für dieses Kind zwei Hörgeräte zum Preis von 1.934,- DM. Die Hörgeräte werden durch acht Akku-Zellen betrieben, die von Zeit zu Zeit durch zwei Ladegeräte aufzuladen sind. Die Beklagte meint, für die Leistung dieser Zusatzgeräte sei sie nicht zuständig. Die klagende Stadt hat als Sozialhilfeträger die Kosten dieser Geräte in Höhe von insgesamt 112,40 DM vorläufig übernommen.
Der auf Ersatz dieser Kosten gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben: Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich bei den in Rede stehenden Gegenständen nicht um Betriebsmittel. Ladegeräte und Akku-Zellen seien vielmehr als Zubehör zu betrachten, ohne das die Hilfsmittel nicht sachgerecht benutzt werden könnten. Der Anspruch nach § 182b RVO umfasse auch nach dem Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 10. Juni 1975 (DOK 1975, 649, 650 Nr 4.2) solches Zubehör. Das SG hat die Berufung und die Sprungrevision zugelassen.
Die Beklagte trägt in ihrer Revision vor, die in Rede stehenden Gegenstände müßten - wie der elektrische Strom - als Betriebsmittel beurteilt werden. Hierauf bestehe nach § 182b RVO kein Anspruch. Aber auch wenn man die genannten Gegenstände als Zubehör beurteilen wollte, wäre der Anspruch nicht begründet, weil Zubehör in § 182b RVO nicht erwähnt sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 11. Februar 1977 - S 2 E 23/76 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, meint aber, auch Betriebsmittel müßten unter Umständen von den Trägern der Krankenversicherung getragen werden, wenn nämlich die Betriebsmittel nicht von dem Hilfsbedürftigen selbst beschafft werden könnten, sondern eine besondere Art der Beschaffung erforderlich sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Zutreffend hat das SG die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse verurteilt, der klagenden Stadt die Kosten zu ersetzen, die sie als Sozialhilfeträger im Wege der vorläufigen Hilfeleistung nach § 44 des Bundessozialhilfegesetzes für das behinderte Kind der Versicherten aufgewendet hat. Anspruchsgrundlage ist § 1531 iVm § 1533 Nr 3 RVO. Hiernach hat die Krankenkasse dem vorleistenden Sozialhilfeträger auch dann Ersatz zu leisten, wenn die der Leistung des Sozialhilfeträgers entsprechende Kassenleistung nicht dem unterstützten Angehörigen selbst, sondern dem Versicherten mit Rücksicht auf den Angehörigen zusteht.
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, daß die ärztlich verordnete Hörhilfe für das Kind notwendig war, um dessen Hörfähigkeit zu verbessern. Ebenso kann nicht zweifelhaft sein, daß die Hörgeräte als Hilfsmittel im Sinne der §§ 182 Abs 1 Nr 1 Buchst c und 182b RVO anzusprechen sind (vgl BSGE 33, 263, 264). Damit sind die Voraussetzungen zur Gewährung einer Hörhilfe dem Grunde nach erfüllt, und die Beklagte hat dieser Rechtslage durch die Gewährung der beiden Hörgeräte auch bereits Rechnung getragen. Fraglich ist lediglich noch der Umfang ihrer Leistungspflicht.
Die Verpflichtung der Krankenkasse zur Gewährung der Hörhilfe ist nach der Ausgestaltung, die der Gesetzgeber ihr in § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst c und § 182b RVO verliehen hat, eine Verpflichtung zur Sachleistung. Das die gesetzliche Krankenversicherung im wesentlichen beherrschende Sachleistungsprinzip fordert von der Krankenkasse, dem Versicherten das Hilfsmittel so zur Verfügung zu stellen, daß es seinem Zweck entsprechend unmittelbar verwendet werden kann. Aus der Verpflichtung der Krankenkasse zur "Ausstattung" des Berechtigten mit dem Hilfsmittel (§ 182b Satz 1 RVO) folgt, daß sie es nicht dem Versicherten auferlegen kann, noch irgendwelche zusätzlichen Leistungen aufzubringen, ehe er das Hilfsmittel zu benutzen vermag. Das Hörgerät ist jedoch nur dann verwendungsfähig, wenn es entweder mit Batterien oder mit Akkus versehen ist. Demgemäß gehört zur Gewährung des Hilfsmittels Hörgerät auch die Erstausstattung des Gerätes mit Batterien oder mit Akku-Zellen. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang auch die Ersatzbeschaffung dieser Gegenstände der Kasse obliegen kann, bedarf hier keiner Erörterung, weil sie nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist.
Desgleichen ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht darüber zu entscheiden, in welchem Fall die Krankenkasse bei der Ausstattung eines Berechtigten mit einem Hörgerät gerade zur Lieferung von Akku-Zellen oder aber von Batterien verpflichtet ist. Da das Gesetz ihr nur die Pflicht auferlegt, ein gebrauchsfähiges und taugliches Hilfsmittel zu liefern, obliegt es der Kasse, die Leistungsmodalität nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. Sind sowohl Akku-Zellen als auch Batterien zum bestimmungsgemäßen Betrieb des Hörgerätes in gleicher Weise tauglich, darf allerdings die Krankenkasse bei der Anwendung ihres Ermessens nicht ausschließlich ihre eigenen wirtschaftlichen oder verwaltungsmäßigen Interessen berücksichtigen, sie hat vielmehr auch die Interessen des Versicherten mit in Rechnung zu stellen. Ergibt eine Abwägung der Interessenlage, daß die Berücksichtigung der vom Versicherten begehrten Leistungsmodalität die Krankenkasse nicht oder jedenfalls nicht erheblich zusätzlich belastet, so gebietet es ihr die Fürsorgepflicht, diese zu gewähren. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Klägerin war für die Versicherte die Verwendung von Akku-Zellen wirtschaftlich günstiger als die von Batterien; da ihre einmalige Anschaffung der Beklagten auch keine erheblichen Mehrkosten verursacht, wäre diese im Falle der Ermessensausübung verpflichtet gewesen, dem Begehren der Versicherten Rechnung zu tragen. Indes bedarf diese Frage im vorliegenden Fall deshalb keiner abschließenden Entscheidung, weil die Beklagte überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt, sondern der Versicherten das Hilfsmittel in einem nicht gebrauchsfertigen Zustand unter Verletzung der ihr obliegenden Verschaffungspflicht angeboten hat. Dadurch war die Versicherte - wenn auch unter Mithilfe der Klägerin - gezwungen, selbst die Auswahl vorzunehmen. Da sie sich dabei in sachgerechtem Rahmen gehalten hat, ist die Beklagte zur Übernahme der entstandenen Kosten verpflichtet. Sie hat demgemäß der Klägerin, die für die Versicherte eingetreten ist, die ihr entstandenen Aufwendungen für die Akku-Zellen zu ersetzen.
Die Ersatzpflicht umfaßt jedoch nicht nur die Akku-Zellen, sondern auch die zu deren ordnungsgemäßen Betrieb erforderlichen Ladegeräte. Die Anschaffung von Akku-Zellen ohne Ladegeräte wäre sinnlos, weil allein die Verwendung eines Ladegerätes die fortlaufende Benutzung der Akku-Zellen ermöglicht. Deren wirtschaftliche Bedeutung liegt gerade in einer wiederkehrenden Benutzung, während im Gegensatz dazu Batterien nach Erschöpfung ihres Stromvorrates nicht erneut benutzungsfähig sind. Da sich mithin der bestimmungsgemäße Gebrauch der Akku-Zellen nur durch Verwendung eines Ladegerätes erreichen läßt, erfaßt die Verpflichtung der Kasse nicht nur deren Beschaffung, sondern zugleich auch die der Ladegeräte.
Diesem Ergebnis steht auch der Gedanke nicht entgegen, daß der einfache Betrieb eines Hilfsmittels dem normalen Lebensbereich eines Versicherten zuzurechnen sein kann; er führt daher in der Regel auch dazu, daß die insoweit entstehenden Kosten von ihm zu tragen sind. Der Senat hat bereits in der Entscheidung vom 28. September 1976 (BSGE 42, 229) dargelegt, daß das Sachleistungsprinzip nicht ausschließt, daß der Versicherte einen bestimmten Eigenanteil zu einem Hilfsmittel trägt. Der gleiche Gedanke gilt auch für die durch den Betrieb des Hilfsmittels entstehenden Kosten. Zu dieser Frage hat schon das Reichsversicherungsamt (RVA) in der grundsätzlichen Entscheidung Nr 4862 vom 10. Januar 1935 (AN 1935 IV S 162) entschieden, daß die Lieferung elektrischen Stroms zum Betrieb eines Heizkissens nicht von der Krankenkasse zu erstatten sei, auch wenn das Heizkissen ohne elektrischen Strom seine Funktion als Hilfsmittel nicht erfüllen könne. Es entspreche vielmehr den Grundgedanken der Solidarität der Versicherten, wenn der einzelne Versicherte Ansprüche nur im Rahmen des Notwendigen und Angemessenen stelle und dabei den Gedanken der verwaltungsmäßigen Anrechenbarkeit von Erstattungsforderungen nicht außer Betracht lasse. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, welche Betriebskosten dem alltäglichen Gebrauch des Hilfsmittels und damit dem Bereich der Lebenshaltung des Versicherten zuzuordnen sind (wie zB regelmäßige Reinigung) und welche Kosten in den Bereich der Krankenhilfe fallen können, insbesondere ob § 182b Satz 2 RVO insoweit als eine abschließende Aufzählung anzusehen ist, denn in jedem Fall ist die Beschaffung von Ladegeräten wegen ihres unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs mit den Akku-Zellen hier von der Klägerin nur für die Erstausstattung des Hilfsmittels geltend gemacht worden. Zwar ist es richtig, daß die Akku-Zellen zur Speicherung des elektrischen Stroms dienen und die Ladegeräte diesen Vorgang bewirken, allein gerade daran wird der Unterschied des streitigen Sachverhalts zu dem vom RVA entschiedenen deutlich. Auch im vorliegenden Fall erfordert das (Wieder-)Aufladen der Akku-Zellen mittels der Ladegeräte die Verwendung elektrischen Stromes; die Kosten dafür hat aber weder die Versicherte selbst beantragt noch die Klägerin im Rechtsstreit geltend gemacht.
Da mithin die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, der Versicherten Akku-Zellen und Ladegeräte zur Verfügung zu stellen, ist der Ersatzanspruch der Klägerin in vollem Umfang begründet. Die Revision der Beklagten gegen das zutreffende Urteil des SG ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen