Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. mehrfache Einlegung der Berufung. Prozeßvollmacht. Berufungsrücknahme. Rechtsmittelverlust. Prozeßhandlung. Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Haben zwei Prozeßbevollmächtigte unabhängig voneinander Berufung wegen desselben Anspruchs eingelegt und nimmt einer von ihnen „die Berufung” ohne weitere Beschränkung zurück, so bewirkt dies den Verlust des Rechtsmittels.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGG § 156 Abs. 2 S. 1; ZPO §§ 81, 83 Abs. 1, § 85 S. 1, §§ 84, 515
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. Mai 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen einer beginnenden Mondbeinnekrose Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Berufskrankheit (§ 551 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) nach Nr 2103 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) oder wie eine Berufskrankheit (§ 551 Abs 2 RVO) hat (ablehnender Bescheid der Beklagten vom 26. November 1992 idF des Widerspruchsbescheids vom 19. März 1993).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. August 1993). Gegen das am 21. September 1993 zugestellte Urteil des SG haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers unter Vorlage einer Prozeßvollmacht mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1993 – per Telefax am selben Tag beim Landessozialgericht (LSG) eingegangen – für ihn Berufung eingelegt. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1993 – beim LSG am 18. Oktober 1993 eingegangen – haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers, die ihn schon vor dem SG vertreten hatten, für ihn gleichfalls Berufung eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 15. November 1993 – beim LSG am darauffolgenden Tag eingegangen – haben diese Prozeßbevollmächtigten erklärt: „… ziehen wir die Berufung zurück”.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Rücknahme der Berufung durch seine früheren Prozeßbevollmächtigten sei ohne seine Beauftragung erfolgt und damit unwirksam. Die früheren Prozeßbevollmächtigten hätten die von den jetzigen Prozeßbevollmächtigten eingelegte Berufung aber auch nicht zurücknehmen können.
Das LSG hat festgestellt, daß sich die Hauptsache durch Rücknahme der Berufung erledigt habe. Diese – wirksame – Prozeßhandlung sei durch Schriftsatz seiner früheren Prozeßbevollmächtigten vom 15. November 1993 erfolgt; sie sei von der am 29. März 1993 erteilten Prozeßvollmacht, die keine Beschränkung iS des § 83 der Zivilprozeßordnung (ZPO) enthalte, gedeckt. Unerheblich sei auch, daß neben den früheren auch die jetzigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers Berufung eingelegt und daß allein die früheren Prozeßbevollmächtigten die Berufung zurückgenommen hätten. Bei mehreren Prozeßbevollmächtigten genüge für Prozeßhandlungen die Erklärung eines der Bevollmächtigten. Die früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers hätten nicht etwa „ihre” Berufung zurückgenommen, sondern „die” Berufung des Klägers. Mit der Rücknahme der Berufung sei ein Verlust des Rechtsmittels eingetreten.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt der Kläger, das LSG habe zu Unrecht durch Prozeßurteil statt durch Sachurteil entschieden. Durch die noch innerhalb der Berufungsfrist eingelegte Berufung seiner jetzigen Prozeßbevollmächtigten sei das Berufungsverfahren in der Sache noch anhängig gewesen, da die Berufungsrücknahme seiner früheren Prozeßbevollmächtigten insoweit keine Auswirkungen auf die fristgemäß eingelegte Berufung seiner jetzigen Prozeßbevollmächtigten habe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts für das Saarland vom 26. August 1993 und des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. Mai 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. November 1992 idF des Widerspruchsbescheids vom 19. März 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Erkrankung am linken Handgelenk als Berufskrankheit anzuerkennen und nach den gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß mit der Rücknahme der Berufung durch die früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat; dies hat das LSG zu Recht durch Urteil festgestellt.
Die Berufung des Klägers gegen das am 21. September 1993 seinen schon in der ersten Instanz tätigen Prozeßbevollmächtigten zugestellte Urteil des SG ist mit dem Eingang des unter dem 15. Oktober 1993 gefertigten Schriftsatzes der jetzigen Prozeßbevollmächtigen des Klägers am 15. Oktober 1993 beim LSG anhängig geworden. Die weitere mit Schriftsatz der schon früher tätigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 15. Oktober 1993 am 18. Oktober 1993 eingelegte Berufung enthielt keine selbständige Einlegung einer weiteren Berufung und leitete nicht ein zweites Berufungsverfahren ein (LSG Niedersachsen SozSich 1969, 184, 185). Es wurde damit lediglich die vorangegangene Berufungseinlegung durch die Prozeßbevollmächtigten des Klägers wiederholt, ohne daß das bereits anhängige Berufungsverfahren berührt worden wäre. Mehrere Bevollmächtigte sind entsprechend § 84 ZPO berechtigt, sowohl gemeinsam als auch einzeln den Beteiligten zu vertreten (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 73 RdNr 15). Hier sind nach den Feststellungen des LSG die erstmals im Berufungsverfahren aufgetretenen Prozeßbevollmächtigten und seine schon in erster Instanz tätigen Prozeßbevollmächtigten einzeln aufgetreten. Die Einlegung der Berufung durch die erstmals tätigen Prozeßbevollmächtigten wirkte danach für den Kläger, die von den schon in der ersten Instanz tätigen Prozeßbevollmächtigten für den Kläger ebenfalls eingelegte Berufung entfaltete keine zusätzliche Wirkung (s BFH in BFH/NV 1988, 453).
Da nach § 156 Abs 2 SGG die Rücknahme der Berufung den Verlust des Rechtsmittels bewirkt, wurde das beim LSG anhängige Berufungsverfahren gegen das Urteil des SG vom 26. August 1993 durch die Rücknahmeerklärung seiner schon im Verfahren vor dem SG tätigen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 15. November 1993 beendet (BFH aaO; LSG Niedersachsen aaO). Diese wirksame Prozeßhandlung war nach den Feststellungen des LSG gedeckt von der am 29. März 1993 erteilten Prozeßvollmacht, die keine Beschränkung iS des § 83 Abs 1 ZPO enthielt. Diese den früheren Prozeßbevollmächtigten vom Kläger erteilte Prozeßvollmacht war im Zeitpunkt der Rücknahme der Berufung auch noch nicht erloschen. Eine Prozeßvollmacht endet nicht ohne weiteres von selbst durch Bestellung eines anderen Bevollmächtigten (s BSG SozR Nr 16 zu § 73 SGG). Der Vollmachtgeber muß vielmehr dem Prozeßbevollmächtigten das Mandat entziehen und dem Gericht, bei dem die Sache anhängig ist, vom Erlöschen der Vollmacht Kenntnis geben. Das ist hier frühestens durch die Erklärung der früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 2. Mai 1996, sie legten das Mandat nieder, geschehen (Zeihe, SGG, 6. Aufl, § 73 RdNr 12 f).
Darauf, ob der Kläger seine schon in erster Instanz tätigen Prozeßbevollmächtigten ausdrücklich zur Rücknahme im Innenverhältnis beauftragt hatte oder nicht, kommt es hier nicht an (Meyer-Ladewig aaO § 73 RdNr 16). Die von diesen vorgenommenen Prozeßhandlungen – also auch hier die Rücknahme der Berufung – binden den Kläger, als hätte er sie selbst vorgenommen (§ 85 Satz 1 ZPO).
Da, wie dargelegt, nur ein Berufungsverfahren anhängig war, konnte jeder Prozeßbevollmächtigte (einzeln) dieses durch Rücknahme beenden. Ihre Rücknahmeerklärung beschränkte sich auch nicht auf ihre eigenen Prozeßerklärungen (s BFH in BFH/NV 1986, 683, 684; OLG München MDR 1979, 4097; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 55. Aufl, § 515 RdNr 17; Zöller/Gummer, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl 1997 § 515 RdNr 4; Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl, § 515, RdNr 5). Nach den Feststellungen des LSG hatten sie nicht etwa nur „ihre” Berufung, dh das von ihnen eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen, sondern „die” Berufung des Klägers. Diese Erklärung betraf damit das gesamte Prozeßrechtsverhältnis, auch soweit dies durch Erklärungen der anderen Prozeßbevollmächtigten begründet worden war (s BFH in BFH/NV 1988, 453). Dabei geht der Senat nach eigener Überprüfung der Prozeßhandlung (s BVerwG Buchholz 310 § 166 VwGO Nr 22; May, Die Revision, 2. Aufl, 1997, Kap VI RdNr 393) in Übereinstimmung mit dem LSG davon aus, daß die Erklärung der Berufungsrücknahme das gesamte Berufungsverfahren betroffen hat.
Dem steht auch nicht die von der Revision angeführte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 17. Oktober 1995 – 3 AZR 863/94 – (NJW 1996, 1365) entgegen. Nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um die Frage, ob der Kläger die Berufung rechtzeitig begründet hatte. Dazu war zu klären, ob ein – nach Einlegung der Berufung – späterer Schriftsatz eine weitere Berufung enthielt, die eine selbständige Frist zur Begründung der Berufung ausgelöst hätte. Dazu hat das BAG entschieden, daß Rechtsmittel zwar wiederholt eingelegt werden können und jede dieser Erklärungen eine selbständige Frist zur Begründung der Berufung auslöst. Jedoch handelt es sich bei einer solchen wiederholten Rechtsmitteleinlegung, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in dem vom Kläger ebenfalls angeführten Urteil vom 20. September 1993 – II ZB 10/93 – (NJW 1993, 3141) entschieden hat, um ein einheitliches Rechtsmittel, über dessen Zulässigkeit nur unter Berücksichtigung der mehreren, in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängigen Einlegungsakte entschieden werden kann.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1173573 |
NJW 1998, 2078 |
JurBüro 2000, 54 |
MDR 1998, 66 |
SozR 3-1500 § 156, Nr.1 |
SozSi 1998, 393 |