Leitsatz (amtlich)

Solange die Mitgliedschaft eines Versicherten bei seiner bisherigen Krankenkasse nach RVO § 311 erhalten bleibt, besteht keine Krankenversicherung als Rentner (RVO § 165 Abs 1 Nr 3, Abs 6).

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Mitgliedschaftserhaltende Wirkung des Bezuges von Krankengeld wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß der Krankengeldanspruch nach RVO § 183 Abs 3 infolge Zubilligung von Altersruhegeld oder Erwerbsunfähigkeitsrente rückwirkend entfällt; das gilt auch dann, wenn dem Versicherten nach dem Übergang der Rente auf die KK kein Spitzenbetrag iS des RVO § 183 Abs 3 S 3 verbleibt.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1956-06-12, Abs. 6 Fassung: 1956-06-12, § 311 Fassung: 1911-07-19, § 183 Abs. 3 S. 3 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. August 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rentner Johann M (M.) ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Die klagende Landesversicherungsanstalt (LVA) bewilligte ihm auf seinen Antrag vom 9. November 1961 durch Bescheid vom 19. Februar 1962 Erwerbsunfähigkeitsrente vom 1. September 1961 an. M. hat als Mitglied der Beklagten aus früheren Beschäftigungsverhältnissen noch bis zum 3. März 1962 Krankengeld bezogen.

In der Beitragsabrechnung für den Monat Mai 1962 hat die Beklagte der Klägerin Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner für M. vom 1. Dezember 1961 an in Rechnung gestellt und diese gegen die von ihr als Einzugsstelle eingezogene Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung aufgerechnet.

Die Klägerin ist der Meinung, die Aufrechnung habe nicht erfolgen dürfen: Die Beklagte habe für den streitigen Zeitraum vom 1. Dezember 1961 bis 31. März 1962 keine Beiträge für M. zur Krankenversicherung der Rentner zu fordern. Denn M. sei in dieser Zeit auf Grund eines Arbeitsverhältnisses pflichtversichertes Mitglied der Krankenversicherung gewesen, so daß wegen der subsidiären Natur der Krankenversicherung der Rentner keine Mitgliedschaft zu dieser habe entstehen können. Sie hat deshalb Klage auf Zahlung von 142,94 DM erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Beklagte sei nicht berechtigt, den streitigen Betrag von den Beiträgen einzubehalten, weil die Klägerin nicht beitragspflichtig gewesen sei. Denn der Rentner M. sei in dem streitigen Zeitraum nicht Mitglied der Krankenversicherung der Rentner, sondern Mitglied der Krankenversicherung aus seinem früheren Beschäftigungsverhältnis gewesen (§ 311 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Nach § 165 Abs. 6 RVO sei die Krankenversicherung der Rentner nicht zum Zuge gekommen, weil hier eine anderweitige Versicherung vorgelegen habe. Der rückwirkende Wegfall des Krankengeldes nach § 183 Abs. 3 RVO habe nicht den rückwirkenden Wegfall der Versicherung nach § 311 RVO zur Folge.

Die Beklagte hat gegen das Urteil mit Einwilligung der Klägerin Sprungrevision eingelegt.

Sie trägt vor: Im vorliegenden Fall treffe keine der beiden Alternativen des § 311 RVO zu. Denn gemäß § 183 Abs. 4 RVO habe der Anspruch des M. auf Krankengeld nach sechs Wochen, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, also am 16. Oktober 1961 geendet. Vom 17. Oktober 1961 an habe daher kein Rechtsanspruch auf Krankengeld mehr bestanden. Zwar sei das Krankengeld bis zum 3. März 1962 tatsächlich ausgezahlt worden, aber nicht als Ermessensleistung im Sinne der zweiten Alternative des § 311 RVO, sondern weil der Wegfall des Rechtsanspruchs auf Krankengeld infolge der nachträglichen Zubilligung von Erwerbsunfähigkeitsrente erst aus der Rückschau hätte festgestellt werden können. Das über den Ablauf der gesetzlichen Bezugsdauer hinaus gezahlte Krankengeld gelte als zu Unrecht gewährt. Zu Unrecht gewährte Leistungen, die aus Billigkeitsgründen dem Versicherten verbleiben, könnten aber nicht geeignet sein, eine Mitgliedschaft zu erhalten. Weiter sei zu berücksichtigen, daß eine beitragsfreie Mitgliedschaft eine Ausnahmeregelung darstelle, die von einem besonderen Schutzbedürfnis des Versicherten ausgehe und subsidiär sei. Ein solches Schutzbedürfnis sei aber hier nicht anzuerkennen, weil mit der Zubilligung von Rente auch gleichzeitig eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner geschaffen worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 12. August 1965 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuwiesen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Anspruch der klagenden LVA auf Erstattung von Beiträgen für die Krankenversicherung der Rente, die die beklagte Krankenkasse nach Ansicht der Klägerin zu Unrecht von den an sie abzuführenden Rentenversicherungsbeiträgen einbehalten hat. Derartige Ansprüche sind solche aus der Krankenversicherung, nicht aber auf Zahlung nicht abgeführter Rentenversicherungsbeiträge, so daß der 3. Senat des BSG zur Entscheidung darüber zuständig ist (vgl. BSG 16, 172, 174). Ein Vorverfahren ist nicht erforderlich (§ 81 Nr. 3 SGG).

Materiell handelt es sich um die Frage, welche Versicherung bei einem Zusammentreffen einer Versicherung nach § 311 RVO und einer nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO vorgeht. Aus § 165 Abs. 6 RVO ergibt sich, daß die Krankenversicherung der Rentner nur dann zum Zuge kommt, wenn die in Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Personen nicht nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften versichert sind. Dies muß auch für das Zusammentreffen mit einer Versicherung nach § 311 RVO gelten, weil auch diese eine Versicherung "nach anderen gesetzlichen Vorschriften" ist, wie sie § 165 Abs. 6 RVO im Auge hat (ebenso Schmatz/Pöhler S. 29, 30 und Schlemmer/Zaft S. 22). Die Entscheidung hängt daher davon ab, ob die Voraussetzungen des § 311 RVO erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift bleiben Arbeitsunfähige Mitglieder, solange die Kasse ihnen Leistungen zu gewähren hat. Durch den Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 (AN S. 485) über Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung ist im Abschnitt Ziff. 6 zu § 311 RVO bestimmt worden, daß Arbeitsunfähige Mitglieder bleiben, solange die Kasse ihnen Krankengeld zu gewähren hat oder Krankengeld oder Krankenhauspflege gewährt. Dabei bedeutet "zu gewähren hat", daß ein Anspruch auf die Leistung besteht, ohne Rücksicht darauf, ob der Anspruch erhoben worden ist (Peters, Handbuch der Krankenversicherung § 311 S. 17/1104). M. hat Krankengeld nach den Feststellungen des SG bis zum 3. März 1962 bezogen, aber rückwirkend vom 1. September 1961 an eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugebilligt bekommen. Aus den Feststellungen des LSG ergibt sich nicht, von welchem Zeitpunkt an Krankengeld gezahlt worden ist, ob dieses vor oder nach dem 1. September 1961 eingesetzt hat. Es kann nun dahinstehen, ob M. in der streitigen Zeit einen Anspruch auf Krankengeld etwa deshalb hatte, weil er nach § 183 Abs. 3 oder Abs. 4 RVO (bei Abs. 4 sind die Sätze 2 und 3 des Abs. 3 entsprechend anzuwenden, vgl. Urteil des Senats vom 18. März 1966, SozR RVO § 183 Nr. 13) das über die hier genannten Zeitpunkte hinaus gezahlte Krankengeld behalten durfte, wofür zum Ausgleich die Rente auf die Krankenkasse überging. Denn auf alle Fälle bestand eine Versicherung nach § 311 RVO gemäß Ziff. 6 des genannten Erlasses vom 2. November 1943. Hier heißt es, daß Arbeitsunfähige Mitglieder bleiben, solange ... die Krankenkasse Krankengeld oder Krankenhauspflege gewährt. Nach dem Wortlaut kommt es nur darauf an, daß tatsächlich Krankengeld gezahlt worden ist, nicht aber darauf, aus welchem Grund es gezahlt wurde. Die Krankengeldzahlung braucht also nicht, wie die Beklagte meint, gemäß Nr. I 2 a Abs. 1 Satz 3 des genannten Erlasses als Ermessensleistung zur Wiederherstellung der Arbeitseinsatzfähigkeit erfolgt zu sein. Die Mitgliedschaft Arbeitsunfähiger bleibt nicht nur erhalten, solange der Versicherte einen Rechtsanspruch auf Krankengeld hat, sondern auch dann, wenn ihm Krankengeld oder Krankenhauspflege tatsächlich gewährt wurde.

Es bestand somit die Versicherung nach § 311 RVO, nicht aber die Rentnerkrankenversicherung. Daher sind keine Ansprüche auf eine Beitragszahlung für die Krankenversicherung der Rentner gegeben; die Aufrechnung gegen den an sich unstreitigen Anspruch auf Beiträge zur Rentenversicherung greift deshalb nicht durch. Die Klage ist damit begründet.

Unter diesen Umständen muß die Revision mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324332

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