Verfahrensgang
SG Reutlingen (Urteil vom 24.03.1958) |
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. März 1958 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, die Kosten der Krankenhauspflege für die Zeit vom 16. November bis 5. Dezember 1956 zu übernehmen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen
Tatbestand
I
Die Klägerin war seit dem 19. Januar 1950 bei einer Strickwarenfabrik in Nürtingen beschäftigt und bei der beklagten Ortskrankenkasse (AOK.) pflichtversichert. Am 12. September 1956 stellte sie mit Einverständnis ihres Arbeitgebers wegen ihrer bevorstehenden Niederkunft die Arbeit ein und erhielt vom 13. September 1956 an einen unbezahlten Urlaub. Auf Grund einer ärztlichen Bescheinigung, wonach sie voraussichtlich am 30. Oktober 1956 niederkommen würde, zahlte ihr die Beklagte vom 18. September 1956 an 9 also sechs Wochen vor dem angenommenen Entbindungstag, Wochengeld. Die Entbindung fand am 6. November 1956 statt. Die Beklagte gewährte der Klägerin bis zum 15. November 1956 Wöchnerinnenheimpflege 9 lehnte es jedoch ab, die in der Zeit vom 16. November bis 5. Dezember 1956 entstandenen Krankenhauskosten zu übernehmen. Sie vertrat die Auffassung, daß die Krankenhauspflege wegen einer Brustdrüsenentzündung nach Ablauf der zehntägigen Wöchnerinnenheimpflege nicht durch die Entbindung, sondern durch eine Krankheit im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO) veranlaßt sei; zur Übernahme dieser Kosten sei sie jedoch nicht verpflichtet, weil das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis am 12. September 1956 beendet worden sei. Da die Klägerin bei Beginn des Wochengeldbezugs (18. September 1956) nicht mehr in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden habe, sei die Kassenmitgliedschaft auch nicht nach § 311 Satz 2 RVO erhalten geblieben. Zur Leistung sei allenfalls die AOK. Horb a.N. 9 der der Ehemann der Klägerin als Pflichtmitglied angehört, aus dem Gesichtspunkt der Familienhilfe verpflichtet. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Bescheid vom 22./24. Juli 1957 zurückgewiesen.
Die Klägerin erhob darauf Klage beim Sozialgericht (SG.) Reutlingen mit dem Antrag, den Widerspruchsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Krankenhauspflege vom 16. November 1956 bis 5. Dezember 1956 in Höhe von DM 200933 zu tragen. Sie trug vor, durch den kurzfristigen Urlaub vor Beginn des Wochengeldbezuges sei das Arbeitsverhältnis zu ihrem früheren Arbeitgeber nicht beendet worden; sie habe die Absicht gehabt, das Arbeitsverhältnis nach der Entbindung fortzusetzen. Im Dezember 1956 sei sie jedoch an Kreislauf Störungen schwer erkrankt, so daß ihr aus gesundheitlichen Gründen eine Wiederaufnahme der Arbeit nicht möglich gewesen sei. Nachdem sie dies ihrem früheren Arbeitgeber mitgeteilt habe, seien ihr im März 1957 die Arbeitspapiere ausgehändigt worden.
Das SG. hat die AOK. Horb beigeladen und durch Urteil vom 24. März 1958 unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 24. Juli 1957 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Krankenhilfe nach § 182 RVO und Wochenhilfe nach § 195 a RVO zu gewähren: Da die Klägerin seit 1950 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, sei die Wartezeit des § 195 a Abs. 1 RVO erfüllt. Die Frage, ob das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis beendet sei, könne allein nach den Vorschriften der RVO unter Berücksichtigung der Rechtsprechung über die Bedeutung kurzfristiger Arbeitsunterbrechungen beurteilt werden. Die Klägerin habe die Absicht gehabt, ihr Arbeitsverhältnis nicht zu lösen, sondern ihre Arbeit nach der Entbindung wieder aufzunehmen. Dies sei jedoch nicht möglich gewesen, weil sie im Dezember 1956 an Kreislaufstörungen erkrankt sei und ihr der Arzt nach ihrer Krankheit die Wiederaufnahme der Arbeit untersagt habe. Der unbezahlte Urlaub in der Zeit vom 13. bis zum 17. September 1956 sei nicht geeignet gewesen, das Versicherungsverhältnis zu beenden, denn die Klägerin sei weiterhin dienstbereit geblieben und habe grundsätzlich zur Verfügung des Arbeitgebers gestanden. Auch wenn sie während dieser Tage keinen Entgelt erhalten habe, sei das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis vor dem Beginn der Wochengeldzahlung nicht erloschen. Das SG. hat die Berufung zugelassen.
Die Beklagte hat mit Einwilligung der Klägerin form- und fristgerecht Sprungrevision eingelegt. Sie ist der Meinung, das SG. habe zu Unrecht angenommen, daß die Mitgliedschaft der Klägerin trotz Einstellung der Arbeit vor Beginn der sechswöchigen Schutzfrist fortbestanden habe. Im Anschluß an das Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Gelle vom 23. Oktober 1957 (Breith. 1958 S. 103 = DOK. 1957 S. 550) sei davon auszugehen, daß auch ein kurzfristiger unbezahlter Urlaub vor Beginn des Wochengeldbezuges das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis unterbreche.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG. aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und die beigeladene Krankenkasse beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
1. Die Sprungrevision ist zulässig (§ 161 SGG). Gegenstand des Rechtsstreits war schon im Verfahren vor dem SG. allein die Übernahme der in der Zeit vom 16. November bis 5. Dezember 1956 entstandenen Kosten der Krankenhauspflege. Es handelte sich mithin um einen Streit über wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (vgl. BSG. 2 S. 135 [136 ff.]), so daß die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen war. Das SG. hat sie daher mit Recht zugelassen (§ 150 Abs. 1 SGG), so daß die Voraussetzungen für die Einlegung der Sprungrevision gegeben sind (vgl. BSG. 1 S. 69).
2. Die Revision ist jedoch nicht begründet, denn die Beklagte war zur Leistung der Wochenhilfe nach § 195 a RVO und der Krankenhilfe nach § 182 HVO verpflichtet, da das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis der Klägerin durch den kurzen unbezahlten Urlaub, den ihr der Arbeitgeber kurz vor Beginn der gesetzlichen Schutzfrist vom 13. September 1956 an gewährt hatte, nicht beendet worden ist.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des SG. ist das Arbeitsverhältnis vor Beginn der sechswöchigen Schutzfrist des § 3 Abs. 2 Buchstabe b Mutterschutzgesetz (MuSchG), die im vorliegenden Fall auf Grund der ärztlichen Bescheinigung am 18. September 1956 zu laufen begann nicht gelöst worden. Das Arbeitsverhältnis hat vielmehr fortbestanden und ist erst längere Zeit nach der Entbindung beendet worden, nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Klägerin aus Gesundheitsgründen ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen konnte. Der Auffassung der Beklagten, das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis habe am 12. September 1956 geendet, weil die Klägerin vom 13. September 1956 an ohne Entgelt beurlaubt worden sei und weil es sich im Hinblick auf die bevorstehende Entbindung und die Zeit der Arbeitsaussetzung nach der Entbindung nicht um eine Arbeitsunterbrechung von unerheblicher Dauer im Sinne der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA.) gehandelt habe, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 21. Juni 1960 – 3 RK 71/57 – in einem ähnlichen Fall, in dem der Arbeitgeber einer schwangeren Versicherten vor Beginn der sechswöchigen Schutzfrist (§ 3 Abs. 2 Buchstabe b MuSchG) unbezahlten Urlaub von 5-tägiger Dauer gewährt hatte, ausgesprochen, daß das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis dadurch nicht beendet werde. In dieser Entscheidung ist ausgeführt, daß bei der Beurteilung der Frage, ob das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis nur eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit unterbrochen worden ist, Zeiten, in denen die werdende Mutter und die Wöchnerin nach dem MuSchG nicht beschäftigt werden dürfe (§ 3 Abs. 2 und § 6 MuSchG), außer Betracht bleiben müßten, es sei mit dem Sinn und Zweck des MuSchG nicht vereinbar, wenn diese Schutzfristen zu Ungunsten der werdenden Mutter mitberücksichtigt würden. Die Anwendung des vom RVA. in ständiger Rechtsprechung aufrechterhaltenen Grundsatzes, wonach bei Unterbrechung der tatsächlichen Arbeitsleistung und der Entgeltzahlung das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis fortbesteht, wenn die Dauer der Unterbrechung nicht erheblich und ihr Ende voraussehbar ist (vgl. Grunds. Entscheidung Nr. 2789, AN. 1924 S. 84; Grunds. Entscheidung Nr. 5406, AN. 1941 S. 86), kann in Fällen der vorliegenden Art nicht abgelehnt werden. Die Nichtanwendung dieses Grundsatzes würde jedenfalls dann, wenn es sich um einen unbezahlten Urlaub von wenigen Tagen vor Beginn der Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG handelt, zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung der werdenden Mutter führen. Die Vorschrift des § 13 Abs. 7 MuSchG, auf die sich das von der Revision angeführte Urteil des LSG. Celle im wesentlichen stützt, besagt nicht, daß unbezahlter Urlaub wegen Schwangerschaft die Pflichtmitgliedschaft zur Krankenversicherung in jedem Falle zum Erlöschen bringt, sie regelt vielmehr nur die rechtlichen Folgen, die sich für die Leistungen nach dem HuSchG ergeben, wenn eine Schwangere wegen eines unter Wegfall des Arbeitsentgelts erteilten Urlaubs aus der Versicherung ausscheidet.
Es bestehen hiernach keine Bedenken, auch im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin mehr als fünf Jahre ununterbrochen beschäftigt gewesen ist, davon auszugehen, daß das entgeltliche Beschäftigungsverhältnis (§ 165 Abs. 2 RVO) durch den 5-tägigen unbezahlten Urlaub vor Beginn der Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG nicht beendet worden ist. Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin ihre Arbeit nach der Entbindung aus gesundheitlichen Gründen nicht wieder aufnehmen konnte. Solange die Beklagte der Klägerin Wochengeld nach § 195 a RVO zu gewähren hatte, blieb die Mitgliedschaft der Klägerin nach § 311 Satz 2 RVO bestehen. In diese Zeit fiel auch die hier streitige Krankenhauspflege (16. November bis 5. Dezember 1956), deren Notwendigkeit die Beklagte nicht bestreitet. Da sie die Übernahme der durch die Krankenhauspflege entstandenen Kosten allein aus Rechtsgründen abgelehnt hat, die von ihr vertretene Rechtsauffassung aber nicht zutrifft und die Verweigerung der Krankenhauspflege (§ 184 RVO) unter den gegebenen Umständen einen Ermessensmißbrauch darstellen würde, erscheint es gerechtfertigt, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Krankenhaus pflege für die genannte Zeit zu übernehmen (vgl. BSG. 9 S. 232 [239]). Da allein dieser Anspruch zwischen den Beteiligten streitig ist, hat der Senat den Tenor des angefochtenen Urteils insoweit richtiggestellt, die Revision der Beklagten aber als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Bogs, Dr. Langkeit, Richter
Fundstellen