Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem ehemaligen Pflegekind. Kopfteilprinzip. angemessene Unterkunftskosten. abstrakte Angemessenheit. angemessene Wohnungsgröße. Fehlen eines schlüssigen Konzepts des Grundsicherungsträgers. Rückgriff auf die Tabellenwerte der Wohngeldtabelle. konkrete Angemessenheit
Leitsatz (amtlich)
Die Einzelfallprüfung der konkreten Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft ist auch vorzunehmen, wenn die Angemessenheit in einem ersten Schritt anhand von Werten nach dem Wohngeldgesetz (juris: WoGG) bestimmt worden ist.
Orientierungssatz
1. Für minderjährige Kinder als Mitglieder einer temporären Bedarfsgemeinschaft ist ein eigener notwendiger Wohnbedarf, der zur Aufteilung von Unterkunftsaufwendungen nach Kopfteilen führen kann, nur bezogen auf den Lebensmittelpunkt des Kindes anzuerkennen. Diese Wertung ist auf andere Umgangsrechte (zB der Großeltern oder enger Bezugspersonen des Kindes aus sozial-familiären Beziehungen gemäß § 1685 Abs 1 und 2 BGB) zu übertragen.
2. Die zeitweise Anwesenheit eines Kindes in der Wohnung führt nicht zu einer Erhöhung der abstrakt angemessenen Wohnfläche. Anzuknüpfen ist an die Zahl leistungsberechtigter Person(en) mit in der Wohnung zu deckendem Unterkunftsbedarf, zusätzlicher Raumbedarf im Rahmen von Umgangsrechten betrifft die konkrete Angemessenheit (vgl BSG vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R = NZS 2013, 389 = juris RdNr 14 f und vom 29.8.2019 - B 14 AS 43/18 R = BSGE 129, 72 = SozR 4-4200 § 22 Nr 103, RdNr 26 ff).
3. Ein das Abweichen von abstrakt geltenden Angemessenheitswerten rechtfertigender anerkennenswerter besonderer Umstand, der zur Berücksichtigungsfähigkeit abweichenden Wohnbedarfs führen kann, liegt in dem in der Rechtsordnung angelegten Schutz von engen Beziehungen eines Kindes zu seinen Bezugspersonen sowie deren Beziehungsinteressen zu dem Kind (vgl BVerfG vom 20.9.2006 - 1 BvR 1337/06 = FamRZ 2006, 1661 = juris RdNr 17).
Normenkette
SGB 2 § 22 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 22b Abs. 3 Sätze 1, 2 Nr. 2; WoGG § 12 Abs. 1 Fassung: 2008-09-24; BGB § 1685 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 8. Januar 2020 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Umstritten sind die Bedarfe für Unterkunft der Höhe nach von Januar bis Mai 2014.
Die Klägerin und der Kläger bewohnen seit 2004 eine etwa 78 qm große Mietwohnung in Erfurt. Für die Wohnung waren im verfahrensgegenständlichen Zeitraum monatlich 470 Euro Nettokaltmiete, 108,45 Euro Betriebskosten und 111,55 Euro Heizkosten zu zahlen. Der Klägerin sind ein GdB von 60 und das Merkzeichen G zuerkannt. Sie erhält seit August 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund fehlender Wegefähigkeit. Die Befristung der Rente ist mehrfach verlängert worden. Der Zahlbetrag betrug monatlich weniger als 380 Euro. Der Kläger ist erwerbstätig, erzielte aber in keinem Monat Einnahmen von mehr als 100 Euro.
Vor August 2008 zog die Familie eines 2007 geborenen Kindes in eine weitere Wohnung in dem Haus. Die Gesundheitsstörungen des Kindes sind mit einem GdB von 100 bewertet. Außerdem sind die Merkzeichen G, H, B und RF zuerkannt. Das Kind lebte seit Oktober 2008 im Haushalt der Kläger. Im Oktober 2010 erhielt die Klägerin die Erlaubnis zur Aufnahme des Kindes als Pflegekind. Im Juni 2012 widerrief das Jugendamt das Pflegeverhältnis. Zugleich wurde das Kind in einer stationären Einrichtung untergebracht. Die Kläger hielten den Kontakt zum Kind aufrecht, zunächst über Besuche in der Einrichtung. Die in einem familiengerichtlichen Verfahren beauftragte Sachverständige erklärte im Juni 2013, die Bindung des Kindes an die Kläger müsse geschützt werden. Ab Juli 2013 hielt sich das Kind in Absprache mit dem Jugendamt von Donnerstag bis Samstag bei den Klägern auf und im März 2014 wurde der Aufenthalt des Kindes im Haushalt der Kläger an jedem Wochenende von Freitagmittag bis Sonntagabend vereinbart.
Die Kläger beziehen jedenfalls seit Mitte 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nach dem Auszug des Kindes forderte sie das beklagte Jobcenter auf der Grundlage seiner zu diesem Zeitpunkt geltenden Angemessenheitsrichtlinie zur Senkung auf nach seiner Ansicht angemessene Aufwendungen für Unterkunft (402 Euro) und Heizung (96 Euro) auf. Ab März 2013 berücksichtigte der Beklagte nur noch die abgesenkten Aufwendungen als Bedarfe.
Mit Bescheid vom 23.11.2013 änderte der Beklagte seine vorangegangene Bewilligung von Alg II (vorläufiger Bescheid vom 20.11.2013 für Dezember 2013 bis Mai 2014). Er berücksichtigte ab Januar 2014 die Erhöhung der Regelbedarfe und bewilligte weiterhin vorläufig monatlich jeweils 429,70 Euro. Die ausdrücklich nur gegen den Bescheid vom 23.11.2013 eingelegten Widersprüche wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 4.2.2014).
Die auf die Übernahme der vollen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung von Januar bis Mai 2014 gerichteten Klagen hat das SG nach angenommenen Teilanerkenntnissen aus Juni 2016 über die Zahlung monatlich weiterer 40,20 Euro für Januar bis März 2014 abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 24.8.2016). Das LSG hat, nach weiteren angenommenen Teilanerkenntnissen aus Januar 2020 über die Zahlung dieses Betrags auch für April und Mai 2014, den Gerichtsbescheid des SG und die Bescheide des Beklagten abgeändert. Es hat den Beklagten verurteilt, den Klägern im Rahmen der endgültigen Festsetzung für Januar bis März 2014 sowie für April und Mai 2014 weitere Leistungen in Höhe von monatlich 97,70 Euro zu gewähren und die Berufungen im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 8.1.2020). Ausgehend von abstrakt angemessenen 60 qm für die nur aus den Klägern bestehende Bedarfsgemeinschaft seien wegen des mit dem Kind ausgeübten Umgangsrechts konkret angemessen höhere Aufwendungen für einen Drei-Personen-Haushalt, aber nicht die diesen Betrag übersteigenden tatsächlichen Kosten. Die Kostensenkungsaufforderung sei wirksam gewesen. Der Beklagte habe vom Umgangsrecht ab Juli 2013 erst im gerichtlichen Verfahren Kenntnis erlangt.
Mit den vom LSG zugelassenen Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II. Die Kostensenkungsaufforderung sei für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum objektiv unrichtig gewesen und habe sie auf eine Wohnung in dem Preissegment bis 498 Euro beschränkt, obwohl sie eine teurere Wohnung hätten anmieten dürfen. Es komme nicht darauf an, ob der Beklagte dafür einstehen müsse, dass die Aufforderung unrichtig werde.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 8. Januar 2020, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 24. August 2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2014 abzuändern und den Beklagten jeweils unter Anerkennung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 690 Euro zu verpflichten, für Januar bis März 2014 über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abschließend zu entscheiden sowie den Beklagten zu verurteilen, ihnen für Januar bis Mai 2014 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Revisionen der Kläger sind im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht entscheiden, ob bei den Klägern höhere Aufwendungen als Bedarfe für Unterkunft anzuerkennen sind und daher weiteres Alg II bzw Sozialgeld zu zahlen ist.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben dem Urteil des LSG vom 8.1.2020 und dem Gerichtsbescheid des SG vom 24.8.2016 der Bescheid des Beklagten vom 23.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.2.2014 sowie das Begehren der Kläger, für Januar bis Mai 2014 (endgültig) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, bezogen auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung zu erhalten.
Für Januar bis März 2014 fehlt es an einer abschließenden Entscheidung des Beklagten über die Leistungen. Die Vorläufigkeit der Bewilligungen aus dem Bescheid vom 23.11.2013 für Januar bis März 2014 hat sich nicht durch die beim SG im Juni 2016 erklärten und angenommenen Teilanerkenntnisse auf sonstige Weise erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Die Erklärungen des Beklagten enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass er zugleich nach Inhalt und Form neue Verwaltungsakte (§ 31 SGB X) über die nunmehr vorläufig zustehenden Leistungen erlassen wollte. Ebenso wenig enthalten diese Teilanerkenntnisse Regelungen zur Höhe der Leistungen nach Prüfung des Erwerbseinkommens des Klägers im Sinne einer abschließenden Entscheidung. Die Nachholung mit Wirkung für das Revisionsverfahren ist nicht möglich (vgl § 171 SGG).
Entgegen der Annahme des LSG gelten die Leistungen für Januar bis März 2014 nicht als abschließend festgesetzt. § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II, der gemäß § 80 Abs 2 Nr 1 SGB II(beide idF des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824) für die abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für Bewilligungszeiträume, die vor dem 1.8.2016 beendet waren, mit der Maßgabe gilt, dass die Jahresfrist mit dem 1.8.2016 beginnt, ist nicht anzuwenden. Der Beklagte hat beim SG Teilanerkenntnisse abgegeben, die die Kläger angenommen haben. Er hat die Teilanerkenntnisse aber nicht mit dem Erlass von abschließenden Verwaltungsakten verbunden. Demgegenüber beruht § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II, nach dem die Fiktionswirkung eintritt, wenn "keine abschließende Entscheidung nach Absatz 3" ergeht, auf der Vorgabe, dass der vom Jobcenter durch vorläufigen Verwaltungsakt bisher zuerkannte Anspruch für die abschließende Festsetzung der Höhe nach nicht zu verändern ist. Nur in diesem Fall können die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt gelten.
Die Vorläufigkeit der Bewilligungen für April und Mai 2014 hat sich hingegen nach Maßgabe der vorgenannten Vorschriften durch Zeitablauf erledigt; die Leistungen galten zwischenzeitlich mit Ablauf des 31.7.2017 als abschließend festgesetzt (vgl schon BSG vom 30.10.2019 - B 14 AS 2/19 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 104 RdNr 9; BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 40/19 R - RdNr 8), wobei der Beklagte im Anschluss höhere Leistungsansprüche anerkannt hat.
In der Sache ist das Verfahren beschränkt auf die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung (vgl zur Abtrennbarkeit des auf diese Leistungen bezogenen Verfügungssatzes auch nach dem 31.12.2010 nur BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10 f; BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 37/19 R - RdNr 11, zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 22 Nr 112 vorgesehen).
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Zutreffende Klagearten sind für Januar bis März 2014 die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 und 2, Abs 4, § 56 SGG), weil die Kläger im Rahmen der abschließenden Entscheidung (§ 40 Abs 2 Nr 1 SGB II ≪idF der Neubekanntmachung des SGB II vom 13.5.2011, BGBl I 850≫ iVm § 328 Abs 3 SGB III) die Zuerkennung und Zahlung höherer Leistungen als bisher beanspruchen. Grundsätzlich ist das Begehren auf die Zuerkennung höherer Leistungen im Rahmen der abschließenden Entscheidung und ihrer Zahlung im Wege der kombinierten Verpflichtungs- und Leistungsklage zu verfolgen. Ist aber - wie hier - schon die vorläufige Bewilligung angefochten und noch nicht durch die abschließende Entscheidung ersetzt, kann die Aufrechterhaltung des Anfechtungsantrags prozessökonomischen Gründen dienen. Das gilt insbesondere, wenn wegen des unterschiedlichen Verfahrensstands mehrerer Abschnitte eines streitbefangenen Zeitraums zu prüfen ist, ob die für einen Teilzeitraum noch ausstehende abschließende Entscheidung kraft Gesetzes über § 96 Abs 1 SGG in das laufende gerichtliche Verfahren einbezogen ist, weil sie "den angefochtenen Verwaltungsakt" nicht mehr ersetzt. Wegen der als erfolgt geltenden abschließenden Festsetzung für April und Mai 2014 können die Kläger höhere Leistungen über die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG) geltend machen.
Die Leistungsanträge richten sich zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG). Ein solches Grundurteil im Höhenstreit ist auch hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein strittigen Höhe der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft zulässig. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit in Abgrenzung zu einer unzulässigen Elementenfeststellungsklage ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird (stRspr; vgl nur BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 12 mwN). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, weil der Beklagte den Klägern Alg II bewilligt hat und die Kläger Anspruch auf höhere Leistungen haben, wenn ihrem Vorbringen zur Höhe der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft gefolgt wird.
3. Ob die Kläger Ansprüche auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung von Januar bis Mai 2014 gegen das beklagte Jobcenter haben, kann der Senat schon aufgrund fehlender Feststellungen zu einzelnen Leistungsvoraussetzungen nicht entscheiden (dazu a). Wegen der Höhe der Bedarfe für Unterkunft im Ausgangspunkt zutreffend hat das LSG die vollen Aufwendungen allein den Klägern zugeordnet, weil das Kind keinen in der Wohnung der Kläger zu deckenden Unterkunftsbedarf hat (dazu b). Sodann hat es in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die angemessenen Aufwendungen (dazu c) bestimmt. Ob die Angaben in der Kostensenkungsaufforderung im Fall der Kläger zur Unmöglichkeit der Kostensenkung geführt haben und daher die Aufwendungen trotz ihrer Unangemessenheit voll zu berücksichtigen sind (dazu d), wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu entscheiden haben.
a) Rechtsgrundlage für Ansprüche auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung von Januar bis Mai 2014 sind für den Kläger § 19 Abs 1 Satz 1 und 3, § 22 SGB II idF, die das SGB II für den streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch das am 1.1.2014 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) erhalten hat. Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeiträume ist das damals geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG lässt sich entnehmen, dass der Kläger die Altersgrenze aus § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm § 7a SGB II nicht erreicht hat, erwerbsfähig ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 und 4 SGB II) sowie nicht von Leistungen nach § 7 Abs 1 Satz 2, Abs 4 oder 5 SGB II ausgeschlossen ist. Er hätte als erwerbsfähiger Leistungsberechtigter Anspruch auf Alg II, das ua seine (zum Individualanspruch grundlegend BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12 ff) Bedarfe für Unterkunft und Heizung abdeckt.
Hinsichtlich der Klägerin spricht der mitgeteilte Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung dafür, dass diese die Altersgrenze aus § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm § 7a SGB II noch nicht erreicht hat, weil Rente wegen Erwerbsminderung nur bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze gezahlt wird (vgl § 43 Abs 1 Satz 1, § 235 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Sofern kein Feststellungsverfahren (vgl § 44a SGB II) eingeleitet worden ist, ist grundsätzlich von ihrer Erwerbsfähigkeit auszugehen (vgl allgemein zum Abstimmungsbedarf über die Erwerbsfähigkeit BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 ff; BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 26/13 R - BSGE 115, 210 = SozR 4-4200 § 15 Nr 3) und die Klägerin hat Anspruch auf Alg II. Anderenfalls kann ihr der Kläger über § 7 Abs 2, Abs 3 Nr 3c SGB II Anspruch auf Sozialgeld und damit auch auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung vermitteln (§ 19 Abs 1 Satz 2 und 3, § 22 SGB II).
Bedarfsdeckendes Einkommen erzielten beide Kläger nicht. Um die Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 SGB II) abschließend zu klären, wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren Feststellungen zu ggf vorhandenem Vermögen zu treffen haben.
b) Die im Ausgangspunkt zu berücksichtigenden tatsächlichen monatlichen Aufwendungen für Unterkunft (insgesamt 578,45 Euro) und Heizung (111,55 Euro) sind allein den Klägern zuzuordnen. Gründe und Umfang des Aufenthalts des minderjährigen Kindes bei den Klägern führen nicht zu seiner über das Kopfteilprinzip zu beachtenden Mitnutzung der Wohnung.
Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden im Rahmen der Bewilligung von Alg II bzw Sozialgeld in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II). Bei Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen werden die Aufwendungen grundsätzlich nach Kopfteilen auf die nutzenden Personen aufgeteilt (sogenanntes Kopfteilprinzip). Das Kopfteilprinzip zielt auf die generalisierende und typisierende Zuweisung individueller Bedarfe für alle wohnungsnutzenden Personen, unabhängig von ihren schuldrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Dritten und davon, ob alle Personen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind sowie unabhängig von Alter und Nutzungsintensität (vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 40/15 R - SozR 4-1500 § 75 Nr 24 RdNr 41 ff; zuletzt BSG vom 27.1.2021 - B 14 AS 35/19 R - RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 22 Nr 113 vorgesehen).
Für minderjährige Kinder als Mitglieder einer temporären Bedarfsgemeinschaft ist nach der Rechtsprechung des BSG ein eigener notwendiger Wohnbedarf, der zur Aufteilung von Unterkunftsaufwendungen nach Kopfteilen führen kann, nur bezogen auf den Lebensmittelpunkt des Kindes anzuerkennen. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist die Wertung, dass durch den zeitweisen Aufenthalt eines minderjährigen Kindes im Wohnraum des umgangsberechtigten Elternteils dort gerade nicht der Wohnbedarf des Kindes sichergestellt wird (BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 2/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 89 RdNr 20; BSG vom 11.7.2019 - B 14 AS 23/18 R - BSGE 128, 270 = SozR 4-4200 § 21 Nr 33, RdNr 20), sondern der Kindesaufenthalt wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts im Rahmen der elterlichen Sorge erfolgt (§§ 1626, 1631 BGB; zum Unterkunftsbedarf des umgangsberechtigten Elternteils BSG vom 29.8.2019 - B 14 AS 43/18 R - BSGE 129, 72 = SozR 4-4200 § 22 Nr 103). Diese Wertung ist auf andere Umgangsrechte (zB der Großeltern gemäß § 1685 Abs 1 BGB oder enger Bezugspersonen des Kindes aus sozial-familiären Beziehungen gemäß § 1685 Abs 2 BGB) zu übertragen, in denen der räumliche Lebensmittelpunkt des minderjährigen Kindes - hier in der Einrichtung - nicht der Ort ist, an dem der Umgangskontakt gepflegt wird.
c) Über § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II sind bei den Klägern keine höheren Bedarfe für Unterkunft zu berücksichtigen, als vom LSG mit monatlich 526,90 Euro (479 Euro + 47,90 Euro) auf der Grundlage der Tabellenwerte aus § 12 Abs 1 WoGG für einen Drei-Personen-Haushalt bestimmt.
Ob die jeweils zur Hälfte auf die Klägerin und den Kläger entfallenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in voller Höhe als Bedarfe zu berücksichtigen sind, richtet sich nach ihrer Angemessenheit. Dafür ist im ersten von zwei größeren Schritten zunächst die abstrakte Angemessenheit (dazu aa) und dann in einem zweiten Schritt die konkrete Angemessenheit (dazu bb) der Aufwendungen zu prüfen (stRspr seit BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 24 f; zusammenfassend zuletzt BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 19; vgl zur aktuellen Literatur Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 15, Stand Januar 2021; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, § 22 SGB II RdNr 33 ff, Stand Dezember 2020; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 RdNr 95 ff, Stand 17.6.2021). Erst soweit die Aufwendungen konkret unangemessen sind, ergeben sich aus § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II weitere Voraussetzungen ihrer nur teilweisen Berücksichtigung als Bedarfe.
aa) Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen: Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept, Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten (vgl zur Produkttheorie grundlegend BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 20; zuletzt BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 20).
(1) Die abstrakt angemessene Wohnungsgröße beträgt nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für die Kläger als Mitglieder einer aus zwei Personen gebildeten Bedarfsgemeinschaft unter Berücksichtigung der Richtlinie des Freistaats Thüringen für die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus und einer nach § 10 WoFG ergangenen Verwaltungsvorschrift zum Vollzug der Bindung geförderter Wohnungen 60 qm (vgl zu dieser Vorgehensweise BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 77/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 70 RdNr 20 mwN).
Die zeitweise Anwesenheit des Kindes in der Wohnung führt nicht zu einer Erhöhung der abstrakt angemessenen Wohnfläche. Anzuknüpfen ist an die Zahl leistungsberechtigter Person(en) mit in der Wohnung zu deckendem Unterkunftsbedarf, zusätzlicher Raumbedarf im Rahmen von Umgangsrechten betrifft die konkrete Angemessenheit (vgl BSG vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - RdNr 14 f; BSG vom 29.8.2019 - B 14 AS 43/18 R - BSGE 129, 72 = SozR 4-4200 § 22 Nr 103, RdNr 26 ff; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 167, Stand Januar 2021; vgl im Übrigen zum Auseinanderfallen der Zahl der Mitglieder von Haushalts- und Bedarfsgemeinschaft schon BSG vom 18.2.2010 - B 14 AS 73/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 34 RdNr 24; BSG vom 25.4.2018 - B 14 AS 14/17 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 96 RdNr 18).
Für einen angemessenen Wohnungsstandard muss die Wohnung nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen und keinen gehobenen Wohnstandard aufweisen, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (stRspr; vgl zuletzt BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 34/19 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 110 RdNr 16, zur Veröffentlichung in BSGE 131, 10 vorgesehen; BSG vom 17.9.2020 - B 4 AS 11/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 109 RdNr 17).
(2) Zutreffend hat das LSG - und über die von ihm erklärten Anerkenntnisse im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens der Beklagte - bezogen auf die abstrakte Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft auf Werte nach dem WoGG zurückgegriffen. Die Werte nach § 12 Abs 1 WoGG plus Zuschlag von 10 % wurden dabei für die Stadt Erfurt der Mietenstufe III (Anlage zu § 1 Abs 3 Wohngeldverordnung in der Fassung vom 15.12.2008, BGBl I 2487) zugeordnet und für den im verfahrensgegenständlichen Zeitraum geltenden Betrag für einen Zwei-Personen-Haushalt (402 Euro) um 40,20 Euro erhöht.
Dass der Beklagte zuvor das Stadtgebiet von Erfurt als örtlichen Vergleichsraum festgelegt hat (vgl zur erforderlichen Vornahme dieses Schritts durch das Jobcenter bzw den zuständigen kommunalen Träger umfassend BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 29, 31 f), hat das LSG überprüft und nicht beanstandet; Rügen hiergegen haben die Kläger nicht erhoben.
Mangels eines in rechtlich zulässiger Weise bestimmten abstrakten Angemessenheitswerts (vgl zu Unterschieden zwischen behördlicher und gerichtlicher Bestimmung der Angemessenheitswerte BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 37/19 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 22 Nr 112 vorgesehen) können angemessene Aufwendungen für Unterkunft durch einen Rückgriff auf die Werte nach dem WoGG plus Zuschlag von 10 % bestimmt werden (BSG vom 20.8.2009 - B 14 AS 65/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 26 RdNr 20 f; BSG vom 16.6.2015 - B 4 AS 44/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 85 RdNr 30; BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 34/19 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 110 RdNr 38 f, zur Veröffentlichung in BSGE 131, 10 vorgesehen). Dadurch soll den Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts zumindest ansatzweise gemäß gesetzgeberischer Entscheidungen durch eine "Angemessenheitsobergrenze" Rechnung getragen werden, die die Finanzierung extrem hoher und per se unangemessener Mieten verhindert (BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 29 RdNr 27; BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 30).
bb) Rechtsfehlerfrei ist das LSG davon ausgegangen, dass in der Lebenssituation der Kläger höhere als die abstrakt angemessenen Aufwendungen anzuerkennen sind.
Die Obliegenheit Leistungsberechtigter zur Senkung der Aufwendungen, aus der die Berücksichtigungsfähigkeit der vollen Aufwendungen als Bedarfe regelmäßig nur noch für einen begrenzten Zeitraum folgt, ist keine Folge der abstrakten Unangemessenheit. Wie § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II zeigt, kommt es darauf an, ob die Aufwendungen den "die Besonderheiten des Einzelfalls angemessenen Umfang" übersteigen (vgl BSG vom 22.8.2012 - B 14 AS 13/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 64 RdNr 20 f; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, § 22 SGB II RdNr 59, Stand Dezember 2020; P. Becker, SGb 2021, 1, 6). Deshalb ist vorab zu prüfen, ob und wieweit Aufwendungen konkret angemessen sein können, weil relevante Besonderheiten des Einzelfalls vorliegen. Aufgrund dieser Besonderheiten können tatsächliche Aufwendungen über das abstrakte Maß hinaus im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II angemessen sein und Leistungsberechtigten einen Verbleib in der Wohnung ermöglichen oder bei einem Wohnungswechsel den verfügbaren angemessenen Wohnraum erweitern.
Die Einzelfallprüfung ist auch vorzunehmen, wenn - wie hier - die Angemessenheit in einem ersten Schritt anhand von Werten nach dem WoGG bestimmt worden ist. Der bei dem Rückgriff auf diese Werte leitende Gedanke der Annäherung an die Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts verdeutlicht, dass sie keine absolute Obergrenze darstellen, sondern weiterhin Raum für eine personenbezogene Einzelfallprüfung bleibt (vgl zum Maßstab einer mehrstufigen Einzelfallprüfung BVerfG vom 10.10.2017 - 1 BvR 617/14 - NJW 2017, 3770). Davon ist auch das LSG ausgegangen.
Für die Ausübung eines Umgangsrechts hat der Senat bereits ausgeführt, dass hierdurch ein besonderer, im Rahmen der Bedarfsbemessung zu berücksichtigender Unterkunftsbedarf entstehen kann. Er hat dabei darauf hingewiesen, dass § 22b Abs 3 Satz 1, Satz 2 Nr 2 SGB II(idF des RBEG vom 24.3.2011, BGBl I 453) zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der Angemessenheit des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II auch dann zu berücksichtigen ist, wenn keine Satzung erlassen wurde (BVerfG vom 6.10.2017 - 1 BvL 2/15, 1 BvL 5/15 - RdNr 17; BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 17; BSG vom 29.8.2019 - B 14 AS 43/18 R - BSGE 129, 72 = SozR 4-4200 § 22 Nr 103, RdNr 29). Zudem ist im Rahmen der konkreten Angemessenheit dem grundrechtlichen Schutz des Umgangsrechts eines Elternteils durch Art 6 Abs 2 Satz 1 GG Wirkung auf die Einzelfallentscheidung über die Berücksichtigungsfähigkeit in einem ersten Schritt als abstrakt unangemessen bewerteter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beizumessen (BSG vom 29.8.2019 - B 14 AS 43/18 R - BSGE 129, 72 = SozR 4-4200 § 22 Nr 103, RdNr 30).
Umgangsrechte im Eltern-Kind-Verhältnis (§ 1684 Abs 1 BGB) stehen nur beispielhaft für eine Lebenslage, in der die besonderen Umstände des Einzelfalls ein Abweichen von abstrakt geltenden Angemessenheitswerten erfordern können. Dass der Gesetzgeber entschieden hat, die Möglichkeit für Typisierungen bei einem erhöhten Raumbedarf wegen der Ausübung des Umgangsrechts zu eröffnen (vgl BT-Drucks 17/3404 S 101), beschränkt den über § 22 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf die Prüfung der Bedarfssicherung unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls nicht (vgl dazu BVerfG vom 10.10.2017 - 1 BvR 617/14 - NJW 2017, 3770, 3771; BT-Drucks 17/3404 S 98). Maßgeblich bleibt insoweit in einem ersten Schritt, dass dem Grunde nach anerkennenswerte besondere Umstände vorliegen, die zur Berücksichtigungsfähigkeit abweichenden Wohnbedarfs über das Merkmal der Angemessenheit führen können. Ein solcher anerkennenswerter besonderer Umstand liegt in dem in der Rechtsordnung angelegten Schutz von engen Beziehungen eines Kindes zu seinen Bezugspersonen sowie deren Beziehungsinteressen zu dem Kind (§ 1685 Abs 2 BGB; vgl BVerfG vom 20.9.2006 - 1 BvR 1337/06 - juris RdNr 17; vgl zur Kindeswohldienlichkeit Brandenburgisches OLG vom 8.6.2020 - 13 UF 182/19). Ob der dem Grunde nach anerkennenswerte besondere Umstand Auswirkungen auf den konkreten Wohnbedarf hat, bleibt hingegen in einem nachfolgenden Schritt der weiteren Prüfung des Einzelfalls vorbehalten (vgl schon BSG vom 29.8.2019 - B 14 AS 43/18 R - BSGE 129, 72 = SozR 4-4200 § 22 Nr 103, RdNr 32 ff).
Nach diesen vom LSG festgestellten Gegebenheiten des Einzelfalls ist seine rechtliche Würdigung, die angemessene Wohnfläche für eine durch die Kläger genutzte Mietwohnung sei wegen des in der Wohnung ausgeübten Umgangs innerhalb einer sozial-familiären Beziehung zu erhöhen mit der Folge, dass die Tabellenwerte aus § 12 WoGG für einen Drei-Personen-Haushalt iHv 526,90 Euro konkret angemessen seien, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts einer fachkundig eingeschätzten schützenswerten Bindung des Kindes an die Kläger, der auch durch die Gesundheitsstörungen des Kindes beeinflussten konkreten Ausgestaltung der Umgangskontakte und des gerichtlich vereinbarten Umgangsrechts ist nicht erkennbar, dass das LSG die Grenzen des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verletzt hat, indem es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 34/19 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 110 RdNr 20, zur Veröffentlichung in BSGE 131, 10 vorgesehen).
Im Übrigen tragen die unangegriffenen Feststellungen des LSG zu den weiteren Umständen des Einzelfalls, insbesondere bezogen auf die Gesundheitsstörungen der Klägerin, dessen rechtliche Wertung, eine weitere Erhöhung der als konkret angemessen anzuerkennenden Aufwendungen für Unterkunft sei nicht vorzunehmen.
d) Ob bei den Klägern gleichwohl höhere als die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft als Bedarfe zu berücksichtigen sind, lässt sich anhand der Feststellungen des LSG nicht beurteilen.
Sind die tatsächlich anfallenden Aufwendungen auch unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände im Einzelfall unangemessen hoch, ist in einem abschließenden Schritt zu prüfen, ob daraus eine Obliegenheit zur Senkung der Kosten folgt (vgl BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 60/12 R - BSGE 114, 1 = SozR 4-4200 § 22 Nr 69, RdNr 28). Dafür müssen Kostensenkungsmaßnahmen objektiv und subjektiv möglich sowie subjektiv zumutbar sein.
Die subjektive Möglichkeit der Kostensenkung setzt voraus, dass Leistungsberechtigte von der Obliegenheit zur Kostensenkung Kenntnis haben, die ihnen in der Regel durch eine Kostensenkungsaufforderung vermittelt wird (vgl BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 36/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 90 RdNr 25; Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 22 RdNr 137).
Dies ergibt sich aus § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II, wonach, soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sie als Bedarf so lange anzuerkennen sind, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Aus § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II folgte schon nach der bis zum 31.12.2010 geltenden Rechtslage, dass die Absenkung auf die nach Ansicht des Jobcenters angemessenen Aufwendungen ein Kostensenkungsverfahren voraussetzt, das Leistungsberechtigte in die Lage versetzt, ihren Kostensenkungsobliegenheiten - regelmäßig innerhalb von sechs Monaten - nachzukommen (BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 60/12 R - BSGE 114, 1 = SozR 4-4200 § 22 Nr 69, RdNr 35 mwN; vgl auch § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II idF des RBEG vom 24.3.2011, BGBl I 453).
Will das Jobcenter nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarfe anerkennen, weil es sie für unangemessen hoch hält, muss es grundsätzlich das Kostensenkungsverfahren durchführen und den Leistungsberechtigten im Rahmen der einleitenden Kostensenkungsaufforderung den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang der Aufwendungen mitteilen (vgl schon BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 29; vgl letztens BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 36/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 90; vgl auch BVerfG vom 10.10.2017 - 1 BvR 617/14 unter Hinweis auf die stRspr des BSG zum Inhalt einer Kostensenkungsaufforderung). Bei der Kostensenkungsaufforderung handelt es sich (lediglich) um ein Informationsschreiben mit Aufklärungs- und Warnfunktion. Es stellt ein Angebot an den Leistungsberechtigten dar, in einen Dialog über die Angemessenheit der Unterkunftskosten einzutreten, ohne dabei aber den Leistungsträger zu verpflichten, im Einzelnen aufzuzeigen, auf welche Weise die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gesenkt werden könnten (vgl nur BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 36/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 90 RdNr 15 mwN).
Inhaltlich richtet sich die Konkretisierungspflicht in der Kostensenkungsaufforderung auf die Information des Leistungsberechtigten über die nach Ansicht des Jobcenters angemessenen Aufwendungen für Unterkunft (vgl schon BSG vom 1.6.2010 - B 4 AS 78/09 R - BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36, RdNr 15). Ob daneben stets über die Höhe der angemessenen Aufwendungen für Heizung zu informieren ist (so wohl Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 181 f, Stand Januar 2021; Šušnjar in Hohm, GK-SGB II, § 22 RdNr 184, Stand Dezember 2019; die Information als zweckmäßig bezeichnend Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 22 RdNr 139), kann offenbleiben, weil der Beklagte die Kläger auch über die seiner Ansicht nach zu hohen Heizkosten und die von ihm für angemessen erachteten Werte informiert hat.
Dass die wegen der Unterkunftsaufwendungen in der Kostensenkungsaufforderung wiedergegebenen Angemessenheitswerte als Ergebnis des eingeleiteten Dialogs und ggf eines anschließenden gerichtlichen Verfahrens in veränderter Höhe in die Anspruchsberechnung einfließen, ist grundsätzlich unschädlich (BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 77/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 70 RdNr 44). Deshalb kommt es im Ausgangspunkt nicht auf die von den Klägern gerügte objektiv fehlerhafte Wiedergabe tatsächlich angemessener Aufwendungen an. Das BSG hat mehrfach entschieden, dass der Streit darüber, ob die vom Grundsicherungsträger vorgenommene Einschätzung über die Angemessenheit der Unterkunftskosten zutreffend ist, grundsätzlich bei der Frage auszutragen ist, welche Aufwendungen iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II angemessen sind (BSG vom 20.8.2009 - B 14 AS 41/08 R - RdNr 34; BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 77/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 70 RdNr 44 und - B 4 AS 4/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 72 RdNr 16-17).
Ob darüber hinaus, was die Kläger wegen der Aufnahme des Umgangs mit dem Kind geltend machen, Änderungen der Sachlage in einer abgeänderten Kostensenkungsaufforderung mit neuen Angemessenheitswerten Rechnung getragen werden muss, ist nicht losgelöst von den Vorgaben an eine "erste" Kostensenkungsaufforderung zu beurteilen. Daher gehört es zur Dialogförmigkeit des Kostensenkungsverfahrens, dass das Jobcenter auf aus seiner Sicht bedeutsame Änderungen der Sachlage reagiert und daraufhin angepasste Werte mitteilt (ebenfalls auf die Veränderungen aus Sicht des Jobcenters abstellend Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 187, Stand Januar 2021). Von einer in dieser Hinsicht für den Beklagten bedeutsamen Änderung der Sachlage kann hier nicht ausgegangen werden. Der Beklagte hat noch beim LSG die Ansicht vertreten, die im Einzelfall angemessenen Aufwendungen für Unterkunft seien wegen des Umgangs mit dem Kind nicht zu erhöhen.
Anhand der Feststellungen des LSG kann der Senat aber nicht entscheiden, ob die fehlerhaft zu niedrige Angabe übergangsweise dazu führt, dass die vollen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung anzuerkennen sind. Ausgenommen von der Unbeachtlichkeit der objektiv fehlerhaften Angabe vom Jobcenter für konkret angemessen gehaltener Aufwendungen nach den oben genannten Maßstäben sind Fälle, in denen Leistungsberechtigte durch die Falschangabe ihre Suche nach angemessenem Wohnraum in wesentlichem Umfang beschränken (vgl schon BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, RdNr 40). Diesen Ausnahmefall hat das LSG nicht geprüft, weil es wegen des nach der Kostensenkungsaufforderung aufgenommenen Umgangs der Kläger mit dem Kind in der Wohnung davon ausgegangen ist, dass es auf einen - hier nicht zu erhebenden - Vorwurf an den Beklagten ankommen könne, zeitnah keine geänderte Kostensenkungsaufforderung veranlasst zu haben. Es hat dabei außer Acht gelassen, dass es wegen möglicher Beschränkungen bei der Suche nach einer konkret angemessenen Unterkunft auf das Ausmaß der objektiven Fehlerhaftigkeit der Angaben in der Kostensenkungsaufforderung ankommen kann. Insoweit sind auch Veränderungen während des Kostensenkungsverfahrens zu beachten. Denn Maßstab in § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II und einer Obliegenheit zur Kostensenkung sind nicht in der Vergangenheit liegende, sondern aktuell zu berücksichtigende Bedarfe im maßgeblichen Leistungszeitraum (vgl zur Bedarfsermittlung zuletzt BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 20/18 R - BSGE 128, 121 = SozR 4-4200 § 22 Nr 102).
Im Übrigen sind Gründe, die den Klägern eine Kostensenkung objektiv nicht möglich oder subjektiv unzumutbar machen könnten (vgl BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, RdNr 32 ff; BSG vom 16.6.2015 - B 4 AS 44/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 85 RdNr 36-37), nach den Feststellungen des LSG nicht ersichtlich. Wegen der vom LSG rechtsfehlerfrei für angemessen erachteten Aufwendungen für Heizung gibt es insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Wohnungswechsel nicht zu einer Kostensenkung führen würde, weil in einer alternativ zu beziehenden Wohnung insgesamt niedrigere Bruttowarmkosten entstünden (vgl BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 60/12 R - BSGE 114, 1 = SozR 4-4200 § 22 Nr 69, RdNr 33).
Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen