Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 14.08.1997) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. August 1997 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung einer Kindergeldbewilligung.
Der Kläger bezog ua für seine 1977 geborene Tochter M … (M) Kindergeld (Kg). Nach Beendigung des Schulbesuchs erhielt M einen Ausbildungsplatz in einem Jugendaufbauwerk. Das Arbeitsamt gewährte für die Dauer der dort durchgeführten berufsfördernden Bildungsmaßnahme nach § 56 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zunächst für die Zeit vom 1. September 1994 bis zum 31. Juli 1995 Ausbildungsgeld in Höhe von 160 DM monatlich sowie freie Unterkunft und Verpflegung und Fahrtkosten für zwei Familienheimfahrten in Höhe von monatlich 28,88 DM. Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 26. September 1994 die Kg-Bewilligung für M ab September 1994 auf. Zur Begründung führte sie an, die im Zusammenhang mit der Ausbildung im Jugendaufbauwerk gewährten Leistungen überstiegen den Betrag von 610 DM monatlich. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 1994).
Das Sozialgericht (SG) hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Zumindest bei den Kostenerstattungen für Familienheimfahrten handele es sich nicht um als Ausbildungshilfe gewährte Zuschüsse iS von § 2 Abs 2 Satz 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Das Landessozialgericht (LSG) hat den weiteren Bescheid der Beklagten vom 21. September 1995, mit dem die Beklagte die Weitergewährung von Kg auch über den 31. Juli 1995 hinaus abgelehnt hat, weil der Besuch des Jugendaufbauwerkes durch M bis zum Ablauf des Monats Juli 1996 verlängert worden war, einbezogen. Es hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klagen, auch diejenige gegen den Bescheid vom 21. September 1995, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der Ermittlung des Grenzwertes von 610 DM, bei dessen Überschreitung Kg nicht mehr zu zahlen sei, müßten alle der Tochter des Klägers während des Besuchs des Jugendaufbauwerks gewährten Leistungen, nämlich Ausbildungsgeld, Unterbringung und Verpflegung sowie auch Fahrtkosten für Familienheimfahrten berücksichtigt werden. Die genannten Leistungen dienten alle der Ausbildung von M. Es bestehe keine rechtliche Grundlage, den Fahrtkostenzuschuß in Höhe von monatlich 28,88 DM von der Anrechnung auszunehmen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG. Die Vorschrift beziehe sich nur auf solche Leistungen, die Lohnersatzfunktion hätten. Dies seien nur Leistungen, die dazu bestimmt seien, den Leistungsempfänger, der kein Erwerbseinkommen habe, wirtschaftlich annähernd so zu stellen, wie er ohne den Ausfall stünde. Danach dürften Fahrtkosten für Familienheimfahrten nicht angerechnet werden. Eine Berücksichtigung der Fahrtkosten verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie dazu führe, daß Ausbildungsteilnehmer, die am Ausbildungsort wohnten, bessergestellt würden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. August 1997 aufzuheben, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 25. Oktober 1995 zurückzuweisen und den Bescheid der Beklagten vom 21. September 1995 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. August 1997 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (gem § 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das LSG-Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war. Das LSG hat bei der Verneinung eines Kg-Anspruchs nicht alle maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte gewürdigt. Seine Feststellungen reichen nicht aus, um im Revisionsverfahren abschließend über die Begründetheit der Klage zu entscheiden.
Die Beklagte ist im angefochtenen Erstbescheid allerdings zutreffend davon ausgegangen, daß die der Tochter M des Klägers während der berufsfördernden Bildungsmaßnahme gewährten Leistungen den Anspruch auf Kg nach § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG grundsätzlich ausschließen und die Beklagte berechtigten, den Bewiligungsbescheid über die Gewährung von Kg für M gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufzuheben (1). Es kann dagegen noch nicht festgestellt werden, ob im Hinblick auf M die besonderen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 3 BKGG vorliegen, der den Ausschluß des Kg-Anspruchs bei eigenen Einkünften des Kindes oberhalb der Freigrenzen wieder aufhebt, wenn das Kind behinderungsbedingt nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten (2).
1. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit gegenüber den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen bei seinem Erlaß eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Hinsichtlich der Bewilligung von Kg für den Kläger bezüglich seiner Tochter M war gegenüber den Verhältnissen bei Erlaß des Bewilligungsbescheides durch die Gewährung von Geld- bzw geldwerten Leistungen während der berufsfördernden Bildungsmaßnahme eine wesentliche Änderung eingetreten. Nach § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG idF des ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2353) waren bei der Zahlung von Kg ua solche Kinder nicht (mehr) zu berücksichtigen, denen Lohnersatzleistungen oder als Ausbildungshilfe gewährte Zuschüsse von Unternehmen, aus öffentlichen Mitteln oder von Förderungseinrichtungen, die hierfür öffentliche Mittel erhalten, von wenigstens 610 DM monatlich zugestanden haben. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger bezüglich seiner Tochter M vor, da diese ab September 1994 ein monatliches Ausbildungsgeld in Höhe von 160 DM, freie Kost und Verpflegung im Wert von 433,88 DM sowie Fahrtkosten für zwei Familienheimfahrten in Höhe von monatlich 28,88 DM erhielt. Das LSG hat auch den Bescheid vom 21. September 1995 in das Berufungsverfahren einbezogen, obwohl es sich zunächst um eine reine Anfechtungsklage gegen den Entziehungsbescheid handelte, bei der es allein auf die Tatsachen- und Rechtslage bei seinem Erlaß ankommt; spätere Veränderungen haben außer Betracht zu bleiben. Der zweite Bescheid hat den ersten auch nicht geändert oder ersetzt, wie es § 96 SGG verlangt (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 2. Oktober 1997, 14/10 RKg 14/95). Sein Regelungsgehalt erschöpfte sich in der Feststellung, daß weiterhin kein Anspruch auf Kg bestehe, verbunden mit der Ablehnung einer Wiederbewilligung. Die unter Verstoß gegen das Verfahrensrecht erfolgte Einbeziehung des zweiten Bescheides ist allerdings im Revisionsverfahren nicht als Verfahrensfehler gerügt worden. Dennoch ist von Amts wegen zu beachten, daß auch bei einer einverständlichen Klageänderung in der Regel nicht auf die Durchführung des vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens verzichtet werden kann. Wegen der ohnehin erforderlichen Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Berufungsinstanz bleibt Gelegenheit, das Widerspruchsverfahren nachzuholen oder durch Abgabe entsprechender prozessualer Erklärungen den Bescheid vom 21. September 1995 außergerichtlich nach dem rechtlichen Schicksal des Erstbescheides zu behandeln, zumal zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, daß der Grenzwert von 610 DM monatlich auch im Bezugszeitraum von Juli 1995 bis Juli 1996 bei Anrechnung des Fahrtkostenersatzes überschritten wurde.
Zu den als Ausbildungshilfen gewährten Zuschüssen aus öffentlichen Mitteln iS des § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG zählen auch die der Tochter M des Klägers gezahlten Fahrtkosten für Familienheimfahrten und die im Jugendaufbauwerk gewährte freie Kost und Logis, deren Geldwert nicht umstritten ist. Zusammen mit dem monatlichen Ausbildungsgeld in Höhe von 160 DM überstiegen die ihr gewährten Leistungen den Grenzwert von 610 DM.
Entgegen der Auffassung des Klägers zählen insbesondere auch die pauschal erstatteten Fahrtkosten in Höhe von 28,88 DM monatlich zu den anrechnungspflichtigen Ausbildungshilfen. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 28. Mai 1997 (14/10 RKg 27/95) entschieden, daß dieser Wertung die frühere Rechtsprechung zur Behandlung von Fahrtkostenerstattungen bei der Ermittlung des anrechnungspflichtigen Entgelts des Kindes nicht entgegensteht, weil ihr die frühere Rechtslage (vor dem Inkrafttreten des 1. SKWPG) zugrunde lag. Danach kam es darauf an, ob die vom Arbeitgeber erstatteten Fahrtkosten zu den Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis zählten, was verneint wurde (vgl Urteil vom 24. September 1986, 10 RKg 9/85 = SozR 5870 § 2 Nr 47). Nach § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG idF des 1. SKWPG ist dagegen allein maßgebend, ob es sich um ausbildungsbedingte Aufwendungen handelt. Dies kann nicht in Zweifel gezogen werden, denn die Fahrtkosten werden der Tochter des Klägers nur wegen der mit auswärtiger Unterbringung verbundenen Teilnahme an einer berufsfördernden Bildungsmaßnahme in pauschalierter Form gewährt. Das LSG ist zu Recht der Auffassung des SG entgegengetreten, die alternative Anrechenbarkeit von Lohnersatzleistungen und von Ausbildungshilfen spreche dafür, daß § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG auch als Ausbildungshilfen nur solche Leistungen erfassen wolle, die Lohnersatzfunktion haben, wozu solche Kosten nicht zählten, die – wie die Fahrtkosten – im Zusammenhang mit einer Rehabilitationsmaßnahme (zusätzlich) entstehen. Diese Auslegung berücksichtigt nicht, daß die gesetzliche Regelung Ausbildungshilfen neben Lohnersatzleistungen gesondert erwähnt. Hierfür gäbe es bei Zugrundelegung der Auffassung des SG keinen Grund. Für dessen einschränkende Auslegung bietet der Wortlaut der Vorschrift auch im übrigen keinen Anhalt. Das LSG ist ihr zutreffend unter Hinweis auf Sinn und Zweck der ausbildungsbegleitenden Kg-Gewährung entgegengetreten. § 2 Abs 2 BKGG sah idF des 1. SKWPG solche Eltern nicht als kindergeldbedürftig an, deren Kinder aus öffentlichen Mitteln mehr als 610 DM für Ausbildungszwecke beziehen. Unter diesen umfassenden Begriff sind auch solche Zahlungen zu subsumieren, durch die spezielle, nur durch die Ausbildung veranlaßte Aufwendungen, wie etwa Fahrtkosten, erstattet werden sollen. Denn auch insoweit tritt eine Entlastung der Eltern von Ausbildungskosten ein. Schließlich entspricht es der Lebenserfahrung, daß bei der Absolvierung eines Ausbildungsverhältnisses, vor allem, wenn die Familie außerhalb des Kernbereichs von Ballungszentren wohnt, besondere Fahrtkosten anfallen, die üblicherweise aus dem Familieneinkommen zu decken sind. Schon dies spricht gegen die vom Kläger geltend gemachte Ungleichbehandlung. Der Kläger kann sich zur Darlegung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz nicht allein mit der Gruppe von Kg-Berechtigten vergleichen, deren Kinder am Wohnort der Eltern in einem Ausbildungsverhältnis stehen, deshalb keine Fahrtkostenzuschüsse erhalten und bei vergleichbarer wirtschaftlicher Lage wegen Unterschreitung der 610 DM-Grenze den Kg-Anspruch behalten. Der Wegfall des Kg-Anspruchs tritt auch bei Bruttoeinkommen von über 750 DM ohne Rücksicht auf die Höhe der daraus zu bestreitenden Fahrtkosten ein. Die damit verbundenen Härten sind Folgen der Pauschalierung, die als solche verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil nur so einem unangemessenen Verwaltungsaufwand begegnet werden kann.
Eine andere Zuordnung der Fahrtkosten ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, daß die erst am 1. Januar 1996 in Kraft getretene Neuregelung des § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG idF des Jahressteuergesetzes 1996, BGBl I, 1250, die Einschränkung enthält, „Bezüge, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, bleiben hierbei außer Betracht; entsprechendes gilt für Einkünfte, soweit sie für solche Zwecke verwendet werden”. Die Neufassung des § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG läßt nicht den Schluß zu, der Gesetzgeber habe damit nur eine schon vorher geltende Einschränkung deklaratorisch geregelt. Dieser Schluß verbietet sich schon deshalb, weil das Recht des Familienlastenausgleichs (jetzt: Familienleistungsausgleich) vollkommen neu geregelt worden ist und eine Systemumstellung von einer Sozialleistung zu einer im Regelfall steuerrechtlichen Lösung stattgefunden hat (vgl zu den entsprechenden Regelungen im Einkommensteuerrecht: Schmidt, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl 1997, § 32 RdNr 30 f).
2. Dem Kläger könnte jedoch trotz der Überschreitung der Einkommensgrenzen durch die der M gewährten Ausbildungshilfen wegen der Sonderregelung in § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 3 BKGG Kindergeld für M zustehen. Nach § 2 Abs 2 Satz 2 (und entsprechend Satz 3) BKGG 1994 gilt die Nichtberücksichtigung von Kindern mit Einkünften oberhalb der genannten Grenzbeträge nicht „in Fällen des Satzes 1 Nr 3”, also wenn das Kind „wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten”. Das LSG ist der Frage, ob diese Voraussetzung bei M vorliegt, nicht nachgegangen. Die Frage drängte sich hier jedoch schon deshalb auf, weil die Beklagte der M Reha-Leistungen nach § 56 Abs 1 Satz 1 AFG iVm §§ 15, 24 Abs 1, 29 Abs 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter vom 31. Juli 1975 gewährt hat. Dies legt den Schluß nahe, daß M behindert ist. Zum Ausmaß der Behinderung sind allerdings keinerlei Feststellungen getroffen worden. Das LSG wird deshalb Art und Ausmaß der Behinderung der M zu ermitteln und danach darüber zu befinden haben, ob M behinderungsbedingt außerstande war, sich selbst zu unterhalten.
Die Höhe der Ausbildungsbeihilfe läßt allerdings nicht ohne weiteres einen Rückschluß auf die fehlende Fähigkeit zum Selbstunterhalten zu. Der Senat hat bereits im Urteil vom 28. Mai 1997 (14/10 RKg 38/95) deutlich gemacht, daß eine Entlohnung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze im Rahmen des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 3 BKGG nur dann beachtlich ist, wenn dies Folge der Behinderung ist, nicht aber wenn das Entgelt im Hinblick auf die Ausbildung festgesetzt wurde und die Art der Ausbildung sowie die sonstigen Umstände erwarten lassen, daß der Behinderte nach dem Abschluß der Ausbildung in der Lage sein wird, sich selbst zu unterhalten.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
Fundstellen