Leitsatz (redaktionell)
Bei Prüfung des Anspruchs auf Elternrente besteht keine Verpflichtung sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nachzuprüfen, wenn schon die Prüfung einer dieser Voraussetzungen ergibt, daß Elternrente nicht gewährt werden kann. Deshalb braucht die Ernährereigenschaft nicht geprüft zu werden, wenn bereits BVG § 51 Abs 2 der Gewährung von Elternrente entgegensteht.
Normenkette
BVG § 50 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, Abs. 2 Fassung: 1950-12-20, Abs. 3 Fassung: 1957-07-01, § 51 Abs. 2 Fassung: 1956-06-06
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. April 1955 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Das Versorgungsamt (VersorgA.) II Berlin lehnte den Antrag der Klägerin auf Elternrente vom 15. September 1950 mit Bescheid vom 3. September 1952 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und dem Berliner Gesetz über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschäftigten sowie ihrer Hinterbliebenen (KVG) vom 24. Juli 1950 (VOBl. für Groß-Berlin S. 318) ab: Die Klägerin sei nicht bedürftig, weil ihr Einkommen die vorgeschriebene Einkommensgrenze übersteige. Es könne dahingestellt bleiben, ob die sonstigen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Elternrente erfüllt seien. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. (Entscheidung des Landesversorgungsamts Berlin vom 13.5.1953).
Das Sozialgericht (SG.) Berlin hat den Bescheid vom 3. September 1952 und die Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 1953 aufgehoben (Urteil vom 29.5.1954). In den Urteilsgründen hat das SG. ausgeführt, das VersorgA. habe feststellen müssen, ob die gesamten Voraussetzungen für die Gewährung einer Elternrente vorlägen. Es habe sich nicht darauf beschränken dürfen, darüber zu entscheiden, ob die Klägerin bedürftig sei. Die Klägerin habe ein rechtliches Interesse daran, daß über ihren Versorgungsantrag in vollem Umfang entschieden werde.
Das Landessozialgericht (LSG.) Berlin hat durch Urteil vom 1. April 1955 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG. zurückgewiesen: Der Anspruch auf Elternrente entfalle nicht schon immer dann, wenn auch nur eine der in den §§ 50, 51 BVG genannten Voraussetzungen zur Zeit nicht gegeben sei. Das VersorgA. habe sich daher nicht auf die Prüfung der Frage beschränken dürfen, ob § 51 BVG dem Anspruch auf Elternrente entgegenstehe. Vielmehr hätte, wie das SG. mit Recht festgestellt habe, zunächst geprüft werden müssen, ob die Voraussetzungen des § 50 BVG erfüllt seien. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat gegen dieses ihm am 28. April 1955 zugestellte Urteil mit einem beim Bundessozialgericht (BSG.) am 23. Mai 1955 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Berufung gegen das Urteil des SG. Berlin vom 29. September 1954 stattzugeben.
Er hat die Revision mit einem beim BSG. am 13. Juni 1955 eingegangenen Schriftsatz begründet und die Verletzung der §§ 50, 51 BVG gerügt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könne der Anspruch auf Elternrente allein mit der Begründung abgelehnt werden, daß die Einkommensgrenze des § 51 BVG überschritten sei. Wenn dies geschehe, sei damit gleichzeitig die Bedürftigkeit des Antragstellers verneint. In einem solchen Fall müsse über die Frage, ob der gefallene Sohn der Ernährer gewesen sei oder geworden wäre, nicht entschieden werden. Ein berechtigtes Interesse an der gesonderten Feststellung der Ernährereigenschaft bestehe nicht.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SOG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das BVG, nach dessen Vorschriften das LSG. den von der Klägerin geltend gemachten Elternrentenanspruch beurteilt hat, ist im Revisionsverfahren nachprüfbares Recht im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG, weil das Land Berlin dieses Gesetz inhaltsgleich durch das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 12. April 1951 übernommen hat (BSG. 2 S. 106 [108]; 1 S. 98 [100, 101] und S. 189 [190, 191]).
Der Anspruch auf Elternrente hängt zunächst davon ab, daß der Beschädigte an den Folgen einer Schädigung gestorben ist (§ 49 Abs. 1 BVG). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig; auch die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, daß der Sohn der Klägerin am 3. August 1945 in Rußland gefallen ist. Weiter muß der Verstorbene vor seinem Tod der Ernährer seiner Eltern gewesen sein; die Ernährungseigenschaft ist auch dann gegeben, wenn der Verstorbene der Ernährer seiner Eltern geworden wäre. Ferner müssen die Eltern bedürftig im Sinne des § 50 Abs. 2 BVG (= § 50 Abs. 3 BVG i.d.F. der 6. Novelle vom 1.7.1957 - BGBl. I S. 661) sein (§ 50 Abs. 1 BVG). Schließlich ist Elternrente nur insoweit zu gewähren, als sie zusammen mit dem sonstigen Einkommen die in § 51 Abs. 2 BVG genannten Monatsbeträge nicht übersteigt. Alle diese Voraussetzungen müssen, wie die Revision mit Recht annimmt, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nebeneinander erfüllt sein. Ist auch nur eine davon nicht gegeben, so besteht kein Anspruch auf Elternrente, ohne daß noch des weiteren geprüft werden müßte, ob und inwieweit die sonstigen Voraussetzungen zutreffen oder nicht (BSG. 1 S. 272 [277]; vgl. auch Wilke, KOV. 1952 S. 82). Daraus folgt, daß das VersorgA. den Anspruch der Klägerin ablehnen konnte, nachdem es die Überzeugung gewonnen hatte, daß bei ihr wegen Überschreitung der Einkommensgrenze des § 51 Abs. 2 BVG (vgl. Urteil des BSG. vom 12.9.1957 - 10 RV 155/55, SozR. BVG § 50 Bl. Ca 1 Nr. 5) Bedürftigkeit nicht vorliege.
Die gegenteilige Ansicht der Vorinstanzen beruht auf einer unzutreffenden Auslegung der §§ 50 und 51 BVG. Denn die Voraussetzungen für die Gewährung der Elternrente nach § 50 Abs. 1 und 2 BVG müssen bis zum Ablauf der Frist des § 59 Abs. 1 BVG nebeneinander erfüllt sein (§ 50 Abs. 3 BVG - jetzt § 50 Abs. 4 BVG auf Grund Art. I Nr. 11 b) der 6. Novelle vom 1.7.1957). Ist der Tod des Verstorbenen - wie hier - die Folge einer nach dem 31. August 1939 eingetretenen Schädigung, so endet die Frist nach § 59 Abs. 1 Satz 3 BVG i.d.F. vom 6. Juni 1956 (BGBl. I S. 469) am 31. Dezember 1958. Dies bedeutet, daß die Ernährereigenschaft des Verstorbenen und die Bedürftigkeit der Eltern - also die Grundvoraussetzungen für die Gewährung der Elternrente - bis zu diesem Zeitpunkt erfüllt sein müssen. Deshalb darf, wenn diese in § 50 Abs. 1 und 2 BVG genannten Voraussetzungen erst nach diesem Zeitpunkt eintreten, Elternrente nicht mehr gewährt werden. Das Gesetz gestattet nur dann eine Ausnahme, wenn eine zunächst bewilligte Elternrente wegen Wegfalls der Bedürftigkeit entzogen worden ist und die Bedürftigkeit später wieder eintritt (§ 50 Abs. 3 Satz 2 BVG a.F. = § 50 Abs. 4 Satz 2 BVG n.F.). Eine vor dem 31. Dezember 1958 getroffene Feststellung über die Ernährereigenschaft des Gefallenen ist danach ohne Bedeutung, wenn nicht auch die Bedürftigkeit bis zu diesem Zeitpunkt eintritt.
Das hiernach auf einer unrichtigen Anwendung der §§ 50, 51 BVG beruhende Urteil des LSG. (§ 162 Abs. 2 SGG) war daher aufzuheben. Gleichzeitig war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen, weil das Revisionsgericht mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden kann (§ 170 Abs. 2 SGG). Das LSG. wird nun darüber zu entscheiden haben, ob die Klägerin einen Anspruch auf Elternrente hat. Dabei wird es zu beachten haben, daß das SG. die Sache unzulässigerweise an die Verwaltungsbehörde zurückverwiesen hat. Zwar hat es im Tenor seiner Entscheidung nur die Verwaltungsentscheidungen aufgehoben; der Inhalt der Urteilsformel ist jedoch durch Heranziehung des sonstigen Urteilsinhalts, vor allem der Entscheidungsgründe, auszulegen (BSG. 4 S. 121 [123]; 3 S. 135 [137]). Im vorliegenden Fall geht aus den Entscheidungsgründen eindeutig hervor, daß das SG. die Sache an das VersorgA. zurückverweisen wollte. Es hat nämlich ausgeführt, daß die Verwaltungsbehörde nun feststellen müsse, ob der Tod des Sohnes der Klägerin die Folge einer Schädigung und ob die Ernährereigenschaft zu bejahen sei. Eine solche Zurückverweisung aber ist unzulässig (BSG. 2 S. 94; Urteil des 8. Senats vom 20.3.1956 - 8 RV 41/55 -). Das SG. hätte den Sachverhalt von Amts wegen erforschen (§ 103 SGG) und über den erhobenen Anspruch entscheiden müssen. Denn die Klägerin hat die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Rente begehrt (vgl. Klageschrift vom 3.6.1953). Daran ändert nichts, daß sie später in der mündlichen Verhandlungen vor dem SG. am 29. September 1954 nur beantragt hat, die angefochtenen Bescheide aufzuheben. Dieser Antrag konnte im richtig verstandenen Interesse der Klägerin nur dahin ausgelegt werden, daß sie neben der Aufhebung der Vorentscheidungen die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Elternrente begehrte. Einen Antrag auf Feststellung der Ernährereigenschaft ihres gefallenen Sohnes hat die Klägerin nicht gestellt. Ein solcher wäre auch unzulässig gewesen (Urteil des BSG. vom 13.11.1956, SozR. SGG § 55 Bl. Da 2 Nr. 5). Schließlich wird das LSG. zu beachten haben, daß das VersorgA. den Antrag auf Elternrente auch nach dem bis 30. September 1950 gültigen Berliner KVG abgelehnt hat. Zu der Frage, ob die Ablehnung nach diesem Gesetz mit Recht erfolgt ist, haben die Vorinstanzen überhaupt nicht Stellung genommen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG. vorbehalten.
Fundstellen