Leitsatz (redaktionell)
Die Rechtsauffassung, ein besonderes berufliches Betroffensein iS des BVG § 30 Abs 2 sei gesetzliche Voraussetzung für den Anspruch nach BVG § 30 Abs 3, ist mit der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat angeschlossen hat, nicht vereinbar.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 2 Fassung: 1966-12-28, Abs. 3 Fassung: 1966-12-28
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. April 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Kläger ist im Jahre 1942 als Kreisinspektor in den Ruhestand versetzt worden. Er bezieht wegen der Folgen einer Granatsplitterverletzung, welche er im ersten Weltkrieg erlitten hat, Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. . Anläßlich eines Verfahrens auf Neufeststellung der Rente war im Jahre 1953 streitig geworden, ob der Kläger durch die Art seiner Schädigungsfolgen in seinem Beruf besonders betroffen war. Dies hatten die Verwaltung und das Sozialgericht (SG) - durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 5. Juli 1956 - verneint.
Im April 1964 beantragte der Kläger die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs gemäß § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG); er sei hauptsächlich wegen seiner Kriegsverletzungsfolgen vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. Nach anfänglicher Ablehnung (Bescheid vom 21. April 1964) wegen fehlenden beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs. 2 BVG führte die Verwaltung aufgrund eines Vergleichs vor dem SG sachliche Ermittlungen durch und lehnte durch den Bescheid vom 18. Februar 1966 den Antrag ab. Ausweislich der Personalakten habe der Kläger nach dem Eintritt der Schädigung in seinem Beruf als Beamter alle vorkommenden Arbeiten verrichten können. Erst nach einem privaten Unfall vom Jahre 1934 sei er öfters arbeitsunfähig gewesen und sei deshalb vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. Die Schädigungsfolgen seien keine wesentlich mitwirkende Ursache für die vorzeitige Pensionierung gewesen. Der Widerspruch blieb aus den Gründen des Bescheides erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 1966).
Mit der Klage ist der Kläger dabei geblieben, daß er wegen der Schädigungsfolgen sein Berufsziel als Amtsbürgermeister nicht habe erreichen können und sogar vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden sei. Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen hat das SG durch Urteil vom 3. November 1966 den Beklagten unter Aufhebung der Verwaltungsbescheide verurteilt, ab 1. Januar 1964 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung eines Vergleichseinkommens der Besoldungsgruppe A XI zu zahlen. Es hat als erwiesen angesehen, daß der Kläger bis zum Amtmann aufgerückt wäre, wenn er nicht vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden wäre. Die Pensionierung sei wesentlich durch die anerkannten Schädigungsfolgen mitverursacht worden.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 21. April 1967 das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Nach dem rechtskräftigen Urteil des SG vom 5. Juli 1956 stehe fest, daß der Kläger nicht besonders beruflich betreffen sei im Sinne von § 30 Abs. 2 BVG. Die Rechtskraft könne durch den Vergleich, in dem der Beklagte sich zu einer sachlichen Bescheidung verpflichtet habe, nicht berührt werden. Da das Tatbestandsmerkmal des § 30 Abs. 2 BVG nicht vorliege, fehle es an der Voraussetzung für die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG. Nach dem Zweiten Neuordnungsgesetz (2. NOG) müsse die vorgeschriebene Prüfung der Voraussetzungen des Abs. 2 zunächst zu einem positiven Ergebnis geführt haben und Abs. 3 des § 30 BVG könne nur dann angewendet werden, wenn ein besonderes berufliches Betroffensein überhaupt vorliege und durch eine Erhöhung der MdE der Einkommensverlust allein nicht ausgeglichen werden könne.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. April 1967 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Köln vom 3. November 1966 zurückzuweisen;
hilfsweise,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. April 1967 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG und ist der Ansicht, die Anwendung dieser Vorschrift hänge nicht davon ab, daß ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG vorliege.
Der Beklagte beantragt hinsichtlich des Hauptantrags der Revision,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. April 1967 als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung zumindest im Ergebnis für zutreffend.
Der Kläger hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sein zulässiges Rechtsmittel muß Erfolg haben.
Streitig ist die Gewährung von Berufsschadensausgleich im Sinne des § 30 Abs. 3 und 4 BVG in der Fassung des 2. NOG. Abs. 3 aaO lautet wie folgt:
Wer als Schwerbeschädigter durch die Schädigungsfolgen beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er einen Einkommensverlust von monatlich mindestens 75 Deutsche Mark hat, erhält nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des Verlustes, jedoch höchstens 400 Deutsche Mark monatlich.
Das LSG hat - entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht geprüft und auch keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Kläger durch die bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen im Sinne des Abs. 3 aaO ist, sondern hat zu Unrecht die Worte "nach Anwendung des Abs.2" als eine Voraussetzung für die Anwendung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG angesehen. Diese Rechtsauffassung ist mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht vereinbar. Insoweit wird auf die zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidung des 9. Senats vom 21. März 1969 (9 RV 730/67) verwiesen. Der dort vertretenen Ansicht hat sich der erkennende Senat in den Entscheidungen vom 27. März 1969 (8 RV 611/67, 629/67 und 827/68) angeschlossen. Er folgt auch in der vorliegenden Streitsache den Ausführungen dieser Entscheidungen und macht sie sich zu eigen. Unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und nach ihrem sachlichen Gehalt genügt es, für den vorliegenden Fall das Ergebnis zu wiederholen, zu welchem der Senat gelangt ist, daß nämlich die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht von einer Erhöhung der Rente des betreffenden Beschädigten gemäß § 30 Abs. 2 BVG abhängt.
Der rechtskräftigen Entscheidung des SG vom 5. Juli 1956 kommt keine Bedeutung für den jetzt streitigen Anspruch auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs zu. Damals handelte es sich um einen Anspruch nach dem jetzigen § 30 Abs. 2 BVG. Die Rechtskraft des damaligen Urteils wirkt nicht dahin, daß ein für allemal - also auch für neue Ansprüche - die Verwundung im ersten Weltkrieg nicht als wesentliche Ursache für die vorzeitige Pensionierung angesehen werden könnte. Das LSG hat es zu Unrecht unterlassen, die Voraussetzungen für den neuen Anspruch auf Berufsschadensausgleich sachlich zu prüfen. Das Berufungsgericht hat zwar die Gründe für die vorzeitige Pensionierung des Klägers im Tatbestand bei der Prozeßgeschichte mitgeteilt, es hat aber - entgegen der Ansicht des Beklagten - insoweit keine formellen Feststellungen, auch nicht etwa hilfsweise, getroffen. Infolgedessen ist dem Senat eine sachliche Entscheidung verwehrt.
Mithin mußte gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen