Leitsatz (redaktionell)
Der Ausschluß des Schutzes der sozialen Unfallversicherung der RVO bei Unfällen von Kraftfahrern in - insbesondere angesichts ihres Blutalkoholgehaltes festgestelltem - fahrunfähigem Zustande entfällt nur dann, wenn sich der Alkoholgenuß aus der Eigenart des Betriebes ergab, also in direktem inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stand.
Im übrigen besteht, selbst wenn die Möglichkeit zum sofortigen Alkoholgenuß unter Mitwirkung des Unternehmers zu angeblich betriebsfördernden Zwecken gegeben wurde, kein innerer, sondern lediglich ein äußerer, versicherungsrechtlicher irrelevanter Zusammenhang zwischen Alkoholgenuß und Betriebstätigkeit; der Alkoholgenuß ist in diesen Fällen nicht unternehmensbedingt.
Normenkette
RVO § 543 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. September 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger, der wegen Verwundungsfolgen am linken Bein eine Versorgungsrente von 70 v.H. bezog, arbeitete als Dachdecker; zur Arbeitsstätte in Pforzheim fuhr er mit einem Motorroller. Am 3. September 1954 war seine Arbeit um 19.30 Uhr beendet und er fuhr mit dem Roller nach Hause. Auf dieser Fahrt geriet er gegen 20.00 Uhr in den Strassengraben und stürzte. Wegen der dabei erlittenen schweren Knochenbrüche mußte ihm das linke Bein oberhalb des Kniegelenks amputiert werden.
Die Beklagte lehnte die Gewährung der Unfallentschädigung ab: Die in der Staatlichen Lebensmitteluntersuchungsanstalt zu Karlsruhe durchgeführte Blutuntersuchung habe einen Alkoholgehalt von 1,53 ‰ ergeben; der Kläger sei wegen der hierdurch nachgewiesenen Fahruntüchtigkeit auch mit einer Geldstrafe belegt worden; der Unfall sei also durch Trunkenheit des Klägers herbeigeführt worden und stehe deshalb nicht in innerem Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit.
Dem Sozialgericht (SG.) erstattete Prof. Dr. M... Direktor des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität Heidelberg, ein Gutachten. Darin wurde mit eingehender Begründung ausgeführt: Bei Berücksichtigung aller zugunsten des Klägers sprechenden Umstände müsse sein Blutalkoholgehalt im Zeitpunkt des Unfalls mit 1,51 ‰ angenommen werden; damit sei der Kläger fahruntüchtig gewesen. Die Alkoholmenge, die der Kläger vor dem Unfall nach seiner Angabe zu sich genommen habe - drei Flaschen Bier und ein Schnaps - widerspreche der einwandfrei durchgeführten Blutalkoholbestimmung nicht. Zur Frage der Verursachung des Unfalls meinte Prof. Dr. M..., es sei zwar nicht auszuschließen, daß der Unfall auch ohne Alkoholeinwirkung - lediglich infolge der Körperbehinderung des Klägers durch das Kriegsleiden sowie ungünstiger Fahrtumstände - hätte zustandekommen können. Wahrscheinlicher sei aber nach den ganzen Umständen, daß der Alkoholgenuß mit ursächlich gewesen sei, indem er die Reaktionszeit verlängerte, das Halten des Gleichgewichts erschwerte und die Orientierungsfähigkeit in der Dunkelheit einschränkte.
Das SG. hat die Beklagte zur Leistungsgewährung verurteilt: Es sei nicht erwiesen, daß der Alkoholeinfluß den Unfall verursacht habe, zumal da der Kläger Alkohol gewöhnt gewesen sei, den ersten Teil seines kurvenreichen Heimwegs verkehrssicher gefahren sei und auch unmittelbar nach dem Unfall keinen angetrunkenen Eindruck gemacht habe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG.) das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es ist zunächst von dem vom erkennenden Senat aufgestellten Grundsatz ausgegangen, wonach der Versicherungsschutz für einen Kraftfahrer entfällt, der sich aus unternehmensfremden Gründen durch Alkoholgenuß in den Zustand der Fahruntüchtigkeit versetzt hat, ohne daß es hierbei darauf ankommt, ob die Trunkenheit für den Unfall ursächlich war (ESG. 3 S. 116). Da der Alkoholgenuß unternehmensfremd gewesen sei, müsse hiernach dem Kläger im Hinblick auf den zweifelsfrei ermittelten Blutalkoholgehalt von mehr als 1,5 ‰ die Entschädigung versagt werden. Ferner hat das LSG. die Sach- und Rechtslage auch nach dem von ihm vertretenen abweichenden Standpunkt (Breithaupt 1957 S. 905) beurteilt, wonach auch bei absoluter Fahrunfähigkeit dann ein Arbeitsunfall anzunehmen sei, wenn der Unfall nicht auf dem Alkoholgenuß, sondern auf betrieblichen Gefahren beruht. Auch dieser Grundsatz führt nach Ansicht des LSG. im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn - entsprechend der Behauptung des Klägers - angenommen werde, er sei durch ein entgegenkommendes Fahrzeug geblendet worden, so sei doch in der Fahrunfähigkeit die wesentliche Unfallursache zu erblicken; bei solchen häufig vorkommenden Verkehrssituationen ereigne sich nur ausnahmsweise ein Unfall, weil verkehrssichere Fahrer solche Schwierigkeiten in der Regel meisterten.
Auch dem Kriegsleiden des Klägers sei nach dem Gutachten des Prof. Dr. M... keine wesentliche Bedeutung für den Eintritt des Unfalls beizumessen. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Gegen das Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht die Revision eingelegt und begründet. Er macht geltend: Das LSG. habe zu Unrecht den Alkoholgenuß als unternehmensfremd bezeichnet; der Beruf des Bauarbeiters bringe einen gewissen Bierkonsum mit sich; außerdem habe der Arbeitgeber am Unfalltage an den Kläger und dessen Kollegen Bier ausgegeben, um sie zu erhöhtem Arbeitseinsatz anzuspornen; es habe sich hierbei - entgegen der Annahme des LSG. - um mehr als nur eine Flasche gehandelt; auf jeden Fall sei aber gerade durch den vom Unternehmer aus betrieblichen Gründen ausgegebenen Alkohol beim Kläger der Blutalkoholgehalt über die absolute Grenze von 1,5 ‰ gesteigert worden. Die Darlegungen des LSG. über die Ursächlichkeit des Alkoholgenusses für den Unfallhergang seien bloße Vermutungen, für die keinerlei Wahrscheinlichkeit spreche. Das LSG. habe auch das Gutachten des Prof. Dr. M... fehlerhaft gewürdigt. Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG. dahin abzuändern, daß die Beklagte verurteilt wird, den Unfall des Klägers vom 3. September 1954 als Arbeitsunfall anzuerkennen und Rente zu gewähren.
Die Beklagte pflichtet den Ausführungen des angefochtenen Urteils bei und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Den Antrag des Klägers, ihm für das Revisionsverfahren das Armenrecht zu bewilligen, hat der erkennende Senat durch Beschluß vom 12. August 1958 (veröffentlicht in SGb. 1958 S. 285 mit Anm. von Plagemann) wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt.
II
Die Revision ist statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und - da den Formerfordernissen des § 164 SGG genügt ist - auch zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
Das LSG. hat auf Grund der beim Kläger festgestellten Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,51 ‰ Fahrunfähigkeit angenommen. Die Einwendungen der Revision hiergegen sind nicht geeignet, die Bindung des Senats an diese Feststellung (§ 163 SGG) zu beseitigen. Wie der Senat bereits in dem in Bundessozialgericht (BSG.) 3 S. 116 veröffentlichten Urteil vom 30. Mai 1956 ausführlich dargelegt hat, ist nach der fast einhelligen Auffassung der Literatur und Rechtsprechung ein Kraftfahrer bei einer solchen Blutalkoholkonzentration nicht mehr in der Lage, ein Kraftfahrzeug in allen Verkehrssituationen verkehrssicher zu führen. In der Regel ist die Fahrfähigkeit sogar schon bei einem weit geringeren Grad von Alkoholbeeinflussung infolge der Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit, der Störung des gerade bei einem Motorrollerfahrer überaus wichtigen Gleichgewichtssinns und infolge der enthemmenden Wirkung des Alkohols so beeinträchtigt, daß unerwartete und schwierige Verkehrslagen nicht mehr gemeistert werden können. Aus dem von der Revision hervorgehobenen Umstand, daß der Kläger bis zum Unfall eine längere Strecke ohne erkennbare Zeichen von Fahrunsicherheit gefahren war, lassen sich deshalb keine Bedenken gegen die Feststellung des LSG. herleiten. Die Grenze von 1,5 ‰ ist auch bewußt weit gezogen und berücksichtigt insbesondere Verschiedenheiten in der Alkoholverträglichkeit.
Die Revision wendet sich auch in erster Linie gegen die Feststellung des LSG., daß die Fahrunfähigkeit auf einen unternehmensfremden Alkoholgenuß zurückzuführen sei. Sie verweist darauf, daß der Unternehmer selbst Bier zur Verfügung gestellt habe und daß der Genuß von Alkohol während der Arbeit im Baugewerbe üblich sei. Der erkennende Senat stimmt im Ergebnis mit der vom LSG. vertretenen Ansicht. überein, daß auch die Ausgabe von Bier durch den Arbeitgeber - gleichgültig, um welche Menge es sich dabei handelt - nicht geeignet war, den Alkoholgenuß am Nachmittag des Unfalltages als unternehmensbedingt erscheinen zu lassen. An seiner im Beschluß vom 12. August 1958 (SGb. 1958 S. 286) angestellten Erwägung, daß ein beruflich bedingter Zwang gerade zum Biergenuß nicht bestand, daß vielmehr der Kläger zu Erfrischungszwecken ebensogut auch alkoholfreie Getränke zu sich nehmen und solche verlangen konnte, hält der Senat auch gegenüber den von Plagemann (a.a.O. S. 287) angedeuteten Bedenken fest; die Auffassung des erkennenden Senats ist übrigens in einem vergleichbaren Fall vom LSG. Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.5.1958 in BG. 1958 S. 516) geteilt worden. In Fällen der vorliegenden Art kann jedenfalls von einer besonderen Eigenart des Betriebes oder der Berufstätigkeit, aus welcher sich die unvermeidbare Notwendigkeit zum Genuß gerade alkoholischer Getränke ergibt, nicht die Rede sein; insofern unterscheiden sich diese Fälle, in denen die Arbeitnehmer lediglich einer Erfrischung während einer langdauernden, im Freien während der warmen Jahreszeit verrichteten Schwerarbeit bedürfen, wesentlich von den im Beschluß des Senats vom 12. August 1958 (a.a.O. S. 286) angeführten Beispielen.
Nach der Rechtsauffassung des erkennenden Senats (vgl. das bereits angeführte Urteil in BSG. 3 S. 116 sowie BSG. 4 S. 27, BG. 1956 S. 487, Breithaupt 1957, S. 315, vgl. auch Sauer in SGb. 1958 S. 233, Sperling in BB. 1958 S. 121) entfällt bei mit Kraftfahrzeugen ausgeführten Geschäftsfahrten (§ 542 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung für den Fahrer schon dann, wenn dieser sich aus unternehmensfremden Gründen durch Alkoholgenuß in einen Zustand der Fahruntüchtigkeit versetzt hat. Dasselbe gilt für die mit Kraftfahrzeugen zurückgelegten Wege nach und vor der Arbeitsstätte (§ 543 Abs. 1 RVO).
Das LSG. (vgl. auch Breithaupt 1954 S. 897; 1957 S. 905) ist der Auffassung, daß der Versicherungsschutz nur dann entfällt, wenn die durch Alkoholgenuß bedingte Fahrunfähigkeit für den Eintritt des Unfalls ursächlich war. Der vorliegende Fall gibt dem Senat keine Veranlassung, zu dieser Auffassung Stellung zu nehmen, die auch im Schrifttum verschiedentlich vertreten worden ist (Niedermeier in BB. 1957 S. 82; Maisch in-SGb. 1957 S. 292, Drefahl in SGb. 1957 s. 294; Klink in WzS. 1958 S. 227; Gumpert in BB. 1958 S. 122; vgl. auch SG. Karlsruhe, Breithaupt 1958 S. 1027). Denn auch dieser Rechtsstandpunkt muß im vorliegenden Fall nach den vom LSG. getroffenen Feststellungen zu einer Verneinung des Versicherungsschutzes führen.
Das LSG. hat die eigenen Angaben des Klägers nicht für ausreichend gehalten, um als erwiesen ansehen zu können, daß der Kläger von einem entgegenkommenden Fahrzeug geblendet worden sei. Die Entscheidung hierüber war vom LSG. auf Grund des Rechts der freien richterlichen Überzeugungsbildung (§ 128 SGG) zu treffen. Das LSG. hat die Grenzen dieses Rechts nicht überschritten, so daß auch diese Feststellung für den Senat bindend ist. Im übrigen hat das LSG. die Frage der Ursächlichkeit ergänzend auch unter Unterstellung der behaupteten Blendung geprüft. Die Feststellung, daß es selbst bei einer Blendwirkung ohne den Alkoholgenuß aller Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Unfall gekommen wäre, ist vom LSG. im Rahmen seines Beweiswürdigungsrechts ohne Verletzung von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen und unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände getroffen worden und deshalb für den Senat gleichfalls bindend.
Die Revision ist somit unbegründet und war zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen