Leitsatz (amtlich)

Die Jungdienstgrade der Seeschiffahrt befinden sich während der nach der Verordnung über die Eignung und Befähigung der Schiffsleute des Decksdienstes auf Kauffahrteischiffen vom 1956-05-28 idF vom 1960-07-12 = BGBl 2 1960, 1867 = BGBl 3 9513-3 vorgeschriebenen Fahrtzeiten in Ausbildung.

Das gilt auch für eine angemessene Zeit nach einer Abheuerung, wenn der Jungdienstgrad die ernsthafte Absicht hat, alsbald wieder anzuheuern und sich deshalb unverzüglich wieder um die Anheuerung auf einem anderen Schiff bemüht.

 

Normenkette

RVO § 1267 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1262 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 2. Dezember 1960 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der Kläger wurde ... 1940 geboren. Sein Vater starb ... 1944. Aus dessen Invalidenversicherung erhielt der Kläger von der Beklagten Waisenrente bis zum Ablauf des Monats Mai 1958, in welchem er sein 18. Lebensjahr vollendet hatte.

Nachdem der Kläger vom 3. Februar 1958 bis zum 30. April 1958 an einem Lehrgang der Seemannsschule H teilgenommen hatte, fuhr er auf verschiedenen Kauffahrteischiffen zur See:

vom 27. Mai 1958 bis zum 9. März 1959 als Decksjunge auf dem 2682 Bruttoregistertonnen (BRT) großen Motorschiff (MS) "A" des Reeders R. M. S jr. in H, das hauptsächlich Bananen transportiert,

vom 19. Mai 1959 bis zum 3. August 1959 als Jungmann auf dem 10350 BRT großen MS "M" des Reeders C F. A in H, das hauptsächlich Erz, Kohle, Getreide und sonstige Massengüter transportiert,

vom 9. Oktober 1959 bis zum 29. April 1960 als Jungmann auf dem 2477 BRT großen MS "F" der Reederei K & B Nfl. in H mit Stückgutladung und

vom 21. Juni 1960 bis zum 28. September 1960 als Jungmann auf dem 4022 BRT großen MS "M" der G-Reederei (M-Schiffahrtsgesellschaft) in H mit Stückgutladung und

anschließend als Leichtmatrose auf dem MS "M".

Den am 8. April 1958 eingegangenen Antrag des Klägers auf Gewährung von Waisenrente wegen Berufsausbildung über den 31. Mai 1958 hinaus hat die Beklagte durch Bescheid vom 4. Juli 1958 abgelehnt. Sie verneint das Vorliegen einer Berufsausbildung. Für sämtliche Jungdienstgrade in der Seeschiffahrt stehe die Verwertung der Arbeitskraft nach kurzer Einarbeitungszeit im Vordergrund.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage, mit der der Kläger die Weitergewährung der Waisenrente über den 31. Mai 1958 hinaus bis zur Beendigung seiner Berufsausbildung begehrt. Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß für sämtliche Jungdienstgrade in der Seeschiffahrt nach kurzer Einarbeitungszeit die Verwertung der Arbeitskraft im Vordergrund stehe, wie sich aus Umfang und Art der Arbeitsleistungen und aus der Höhe der Heuersätze ergebe. Wesentlich für Besoldung und Anmusterung der Decksjungen, Jungmänner und Leichtmatrosen und das jeweilige Aufsteigen in den nächsthöheren Dienstgrad sei lediglich die Fahrtzeit. Die Bestrebung der Gewerkschaft und des Reederverbandes, den Seemannsberuf entsprechend der Verordnung des Bundesministers für Verkehr vom 28. Mai 1956 über die Eignung und Befähigung der Schiffsleute des Deckdienstes auf Kauffahrteischiffen (BGBl II S. 591) zu einem Lehrberuf zu machen, habe bisher tatsächlich keinen Erfolg gehabt.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 26. März 1959 den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 1958 aufgehoben und diese verpflichtet, dem Kläger einen Bescheid über Gewährung von Waisenrente über den 31. Mai 1958 hinaus zu erteilen. Die Tätigkeit des Decksjungen sei Voraussetzung für die Ausübung des Matrosenberufes. Die Ausbildung von Decksjungen sei durch die Verordnung vom 28. Mai 1956 gewährleistet. Die Höhe des Gesamtverdienstes liege im Rahmen sonstiger Ausbildungsvergütungen, auch überwiege die Arbeitsleistung nicht gegenüber der Ausbildung. Das Sozialgericht versah das Urteil mit der Rechtsmittelbelehrung, daß die Berufung zulässig sei und ließ die Berufung nicht besonders zu.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 11. Mai 1959 Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Für den Fall der Unzulässigkeit der Berufung wegen Beschränkung auf einen abgelaufenen Zeitraum hat sie Klage mit dem Antrage erhoben, festzustellen, daß die Beschäftigungszeit des Klägers als Decksjunge vom 1. Juni 1958 bis zum 31. März 1959 kein Ausbildungsverhältnis im Rahmen des § 1267 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) darstelle.

Der Kläger hat beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. März 1959 zurückzuweisen und die negative Feststellungsklage der Beklagten abzuweisen.

Im Wege der Anschlußberufung hat er beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. März 1959 insoweit aufzuheben, als es die Beklagte verpflichte, ihm einen Bescheid über Gewährung von Waisenrente über den 31. Mai 1958 hinaus zu erteilen, und stattdessen die Beklagte zur Gewährung von Waisenrente über den 31. Mai 1958 hinaus zu verurteilen.

Durch Urteil vom 2. Dezember 1960 hat das Landessozialgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts dahin abgeändert, daß die Beklagte zur Gewährung der Waisenrente über den 31. Mai 1958 hinaus verurteilt wird. Es hat die Revision zugelassen.

Die Berufung sei zulässig. Insbesondere sei sie nicht nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen. Denn sie betreffe nicht "nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume". Wenn auch in den Entscheidungsgründen des sozialgerichtlichen Urteils im wesentlichen nur von der Ausbildung des Klägers als Decksjunge gesprochen werde und diese allerdings bereits am 9. März 1959 abgelaufen gewesen sei, so sei doch die Beklagte ohne jegliche zeitliche Einschränkung zur Erteilung eines neuen Bescheides über die Gewährung von Waisenrente über den 31. Mai 1958 hinaus verpflichtet worden, so daß die hiergegen gerichtete Berufung nicht nur einen bereits abgelaufenen Zeitraum betreffe. Da die Berufung zulässig sei, brauche über den hilfsweise erhobenen Feststellungsantrag nicht entschieden zu werden.

Die Berufung der Beklagten sei jedoch nicht begründet. Denn dem Kläger stehe Anspruch auf Gewährung von Waisenrente über den Ablauf des Monats, in dem er das 18. Lebensjahr vollendet habe, hinaus zu, weil er unverheiratet sei, das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet habe und sich seit dem 1. Juni 1958 in Berufsausbildung befinde.

Es sei zwar kein Lehrvertrag abgeschlossen worden, § 1267 RVO setze einen solchen aber auch nicht voraus. Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO sei die Ausbildung für einen zukünftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf, wenn sie die Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend beanspruche. Sämtliche Jungdienstgrade des Decksdienstes auf Kauffahrteischiffen befänden sich in einer solchen Berufsausbildung mindestens bis zur Zurücklegung einer zwölfmonatigen Fahrtzeit als Leichtmatrose. Dies ergebe sich aus Verordnung des Bundesministers für Verkehr vom 28. Mai 1956 (BGBl II 591) über die Eignung und Befähigung der Schiffsleute des Decksdienstes auf Kauffahrteischiffen, neugefaßt durch Verordnung vom 12. Juli 1960.

Die Beweisaufnahme habe auch ergeben, daß die Ausbildung auf den Schiffen, auf denen der Kläger gefahren sei und die als Ausbildungsschiffe anerkannt seien, die Arbeitskraft des Klägers überwiegend in Anspruch genommen habe.

Sämtliche Reedereien, von denen sich der Kläger habe anheuern lassen, hätten ihre Schiffsleitungen veranlaßt, Decksjungen, Jungmänner und Leichtmatrosen unter Beachtung der Richtlinien des Bundesministers für Verkehr für die Ausbildung zum Matrosen auszubilden. Insbesondere werde auch theoretischer Unterricht abgehalten. Dieser Unterricht und die damit verbundenen Studien und schriftlichen Arbeiten hätten die Zeit und die geistige Kraft des Klägers in erheblichem Umfang beansprucht.

Auch die zwischen den einzelnen Fahrten liegenden Zeiten müßten als Ausbildungszeiten gewertet werden. Vom 10. bis zum 20. März 1959 habe der Kläger laut Auskunft des Reeders S vom 2. November 1960 noch bezahlten Urlaub gehabt. Bereits am 20. März 1959 habe er sich beim Arbeitsamt (ArbA) Wilhelmshaven und mittelbar bei verschiedenen Reedereien für ein neues Schiff gemeldet. Vom 4. August bis zum 25. August 1959 sei der Kläger arbeitsunfähig krank gewesen. Anschließend habe er drei Tage bezahlten Urlaub und elf weitere bezahlte freie Tage gehabt. Bereits am 28. August 1959 habe er sich wieder beim ArbA W für ein neues Schiff gemeldet. Zu dieser Zeit habe er zudem damit gerechnet, daß er von der Reederei A erneut angemustert werden würde; er habe jedoch auf seine Erinnerung vom 21. September 1959 die Absage vom 29. September 1959 erhalten. Danach habe er sich beim ArbA Hamburg für ein neues Schiff gemeldet. Außerdem habe er in den heuerlosen Zeiten seine Kenntnisse in der englischen Sprache durch Selbststudium vervollkommnet. Auch habe er die seemännischen Lehrbriefe studiert und auch sonst seine seemännischen Kenntnisse an Hand seiner gesamten Unterlagen, insbesondere an Hand seiner Berichtsbücher, vertieft. Zu keiner Zeit habe er die Absicht, seine Berufsausbildung zum Matrosen und später zum Seesteuermann auf Großer Fahrt abzubrechen, gehabt. Die heuerlosen Zeiten seien nur von geringer Dauer, vom Kläger nicht verschuldet und üblich gewesen, so daß seine Berufsausbildung durch sie nicht unterbrochen worden sei.

Die Höhe der Heuer stehe der Annahme eines Ausbildungsverhältnisses nicht entgegen, denn darauf stelle es § 1267 RVO nicht ab. Die Höhe des Einkommens der Waisen könne allenfalls als Indiz in den Fällen von Bedeutung sein, in denen es zweifelhaft sei, ob überhaupt ein Ausbildungsverhältnis vorliege. Liege es aber, wie hier, vor, so komme es auf die Höhe des Einkommens nicht an. Überdies habe der Kläger als Decksjunge, Jungmann und Leichtmatrose ein Einkommen erzielt, das auch von Lehrlingen in Landbetrieben erzielt und sogar überschritten werde, insbesondere von Bergmannslehrlingen. So habe die Grundheuer des Klägers brutto neben freier Station an Bord als Decksjunge seit dem 27. Mai 1958 monatlich 65,- DM, als Jungmann seit dem 19. Mai 1959 monatlich 110,- DM, als Jungmann seit dem 1. Juli 1960 monatlich 130,- DM und als Leichtmatrose seit dem 28. September 1960 monatlich 165,- DM betragen. Dazu seien bezahlte Überstunden getreten. Bezahlung von Überstunden erhielten auch Lehrlinge in Landbetrieben. Gerade an Bord von Seeschiffen ergäben sich Überstunden aus der Natur der Seeschiffahrt. Für die Beurteilung des Ausbildungscharakters der Seefahrtzeiten der Decksjunggrade könne es jedoch nur auf die regelmäßige Arbeitszeit und die dafür neben der freien Station zustehenden Grundheuern ankommen. Ihre Höhe spreche nicht gegen das Überwiegen des Ausbildungszweckes. Die Grundheuer des Vollmatrosen betrage gleich im ersten Jahr das Doppelte oder fast das Doppelte wie die des Leichtmatrosen (Vollmatrose 300,- DM seit 1. Februar 1958 und 325,- DM seit 1. Juli 1960, Leichtmatrose 150,- DM seit 1. Februar 1958 und 165,- DM seit 1. Juli 1960).

Auf die Anschlußberufung des Klägers sei das Verpflichtungsurteil des Sozialgerichts in ein Leistungsurteil umzuwandeln gewesen.

Gegen dieses ihr am 17. Dezember 1960 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 22. Dezember 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht am 24. Dezember 1960, - unter Stellung eines Revisionsantrages - Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 13. Februar 1961, eingegangen beim Bundessozialgericht am 14. Februar 1961, begründet.

Sie rügt die Verletzung des § 1267 RVO. Die Beschäftigung der Jungdienstgrade in der Seeschiffahrt könne nicht als Berufsausbildung angesehen werden. Insbesondere gelte dies für die Zeiten an Land, die nicht auf die Fahrtzeit angerechnet würden. Unter Berufsausbildung sei die Ausbildung für einen zukünftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf zu verstehen. Diese Voraussetzungen seien aber bei den Jungdienstgraden der Seeschiffahrt nicht erfüllt. Gegen die Annahme eines Ausbildungsverhältnisses sprächen die Bestimmungen des seit dem 1. Februar 1958 gültigen Tarifvertrages für die deutsche Seeschifffahrt, der nach § 1 Abs. 1 die Heuerverhältnisse aller Besatzungsmitglieder regele und nach § 1 Abs. 5 Ziff. b nur die Besatzungsmitglieder ausnehme, "die sich ausschließlich zu ihrer Ausbildung an Bord eines nicht frachtfahrenden Schulungsschiffes befinden". Nach diesen Tarifbestimmungen würden auch die Jungdienstgrade zum Decksdienst eingeteilt und entsprechend der Art und des Umfangs ihrer Arbeitsleistungen entlohnt; neben den Heuersätzen würden bei freier Unterkunft und Verpflegung auch Vergütungen für Mehrarbeitszeit je Stunde gezahlt. Es handele sich hierbei um eine arbeitsgerechte Entlohnung. Demgegenüber stehe das "echte" Ausbildungsverhältnis der Jungdienstgrade auf Schulschiffen, das die Tarifvertragsparteien zu Recht aus dem Tarifvertrag herausgenommen hätten.

Die Beweisaufnahme zweiter Instanz habe zudem gezeigt, daß die Jungdienstgrade neben theoretischer und praktischer Ausbildung in der Hauptsache den ihnen zugewiesenen Decksdienst verrichten müßten und daß die Verteilung des vorgeschriebenen Lehrstoffes auf die drei Ausbildungsjahre nicht der Wirklichkeit entspreche.

Für ihre Ansicht spreche auch, daß § 44 Abs. 1 des Tarifvertrages ausdrücklich vorschreibe, daß die Jungdienstgrade des Decksdienstes nicht ausschließlich zur Verrichtung der Backschaft herangezogen werden dürften; hieraus sei zu folgern, daß sie außerhalb der praktischen Ausbildung mit allen einschlägigen Arbeiten des Decksdienstes beschäftigt werden müßten. § 44 Abs. 2 Satz 2 des Tarifvertrages regele auch nur für Jugendliche auf Ausbildungs- und Schulschiffen die Höchstarbeitszeit bis zu zwei Stunden täglich im Wochendurchschnitt über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus. Daraus ergebe sich, daß alle Jungdienstgrade auf Kauffahrteischiffen darüber hinaus zu weiterer Mehrarbeit herangezogen werden könnten, auch tatsächlich herangezogen würden und alsdann leistungsgerechte Vergütung für Mehrarbeit entsprechend den Bestimmungen des Tarifvertrages erhielten. Auch sei zu beachten, daß sämtliche Heuerverhältnisse des Klägers auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und daher nach §§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 3 des Tarifvertrages mit einer Frist von 48 Stunden kündbar gewesen seien; es habe auch Arbeitslosenversicherungspflicht bestanden, da die Voraussetzungen eines Ausbildungsverhältnisses im Rahmen des § 63 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) nicht erfüllt seien. Diese Tatsache spreche dafür, daß der Gesetzgeber solche kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse, die binnen kurzer Frist ohne triftigen Grund gekündigt und auf beliebig lange Zeit unterbrochen werden könnten, nicht als "echte" Ausbildungsverhältnisse werten wollte. Auch die neuesten Gesetze unterschieden aus diesem Grunde zwischen einer geregelten, straffen Ausbildung mit Überprüfung durch bestimmte staatliche Dienststellen und der Beschäftigung von Seeleuten. Sie verweist hierzu auf § 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei in Verlust geratenen Versicherungsunterlagen vom 3. März 1960 (BGBl I 138) sowie auf § 22 Abs. 1 und 3 FremdRG (BGBl I 98).

Aus § 44 Abs. 2 Satz 1 des Tarifvertrages für die deutsche Seeschiffahrt, aus §§ 3 Abs. 2 und 3, 4 Abs. 2 und 3 der Eignungs-Verordnung vom 28. Mai 1956/12. Juli 1960 könne nicht geschlossen werden, daß die Ausbildung der Jungdienstgrade auf Kauffahrteischiffen die Verwertung der Arbeitskraft überwiege; in diesen Bestimmungen werde nur allgemein festgelegt, daß die Ausbildung der Jungdienstgrade vom Reeder zu veranlassen und vom Kapitän durchzuführen sowie zu überwachen sei. Nach § 7 der Eignungs-Verordnung könne als Matrose zwar nur der anmustern, der nach dem Besuch einer Seemannsschule von drei Monaten und einer Gesamtzeit von zwei Jahren neun Monaten die Matrosenprüfung bestanden habe; aber auch hieraus könne nicht gefolgert werden, daß die vorübergehende Beschäftigungszeit als Decksjunge, Jungmann, Leichtmatrose als echte Berufsausbildung im Rahmen des § 1267 RVO anzusehen sei. Bei einer Vielzahl von Berufen beständen heute besondere Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften, um einen festen Stamm von Facharbeitern außerhalb des Rahmens einer echten Berufsausbildung heranzubilden, denen alsdann auf Grund eingehender, langjähriger praktischer Beschäftigung mit dienstlicher Fortbildung und nach einer Prüfung mit Befähigungszeugnis weitere Aufstiegsmöglichkeiten geboten würden.

Zumindest müsse die Verurteilung zur Zahlung von Waisenrente für die heuerlosen Zeiten aufgehoben werden. Die entgegengesetzte Ansicht des Berufungsgerichts würde dazu führen, daß die Versicherungsträger in jedem Falle über eine dreijährige Ausbildungszeit hinaus Waisenrenten bezahlen müßten und keine Kontrolle mehr über die Dauer der Beschäftigung der Jungdienstgrade des Decksdienstes hätten.

Sie beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 2. Dezember 1960 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. März 1959 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen und die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens der Beklagten aufzuerlegen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Maßgebend für den Ausbildungsgang der Jungdienstgrade in der Seefahrt seien nicht die von der Beklagten in der Revisionsbegründung in den Vordergrund gerückten Bestimmungen des Tarifvertrages, sondern die in der Eignungs-Verordnung vom 28. Mai 1956 in der Neufassung vom 12. Juli 1960 niedergelegten Ausbildungsbestimmungen. Die Eignungs-Verordnung stelle als Gesetz im materiellen Sinne eine allgemein gültige Rechtsnorm dar, die bei entsprechender und im vorliegenden Falle nachgewiesener Handhabung seitens der für die Ausbildung der Jungdienstgrade verantwortlichen Reedereien und Schiffsführungen eine hinreichende Grundlage dafür bildeten, den Beruf des Matrosen in der Seeschiffahrt als Ausbildungsberuf anzusehen. Die Heuer der Jungdienstgrade sei deshalb auch kein "Arbeitsentgelt", sondern eine Lehrlingsvergütung, wobei deren Höhe für die Frage, ob sich der Jungdienstgrad in der Berufsausbildung befinde, keine rechtserhebliche Rolle spiele. Die Ausbildung der Jungdienstgrade in der Seeschiffahrt für den zukünftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf eines Matrosen sei eine Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO, die die Zeit und die Arbeitskraft der Jungdienstgrade überwiegend beanspruche.

Dem Berufungsgericht sei im übrigen darin beizutreten, daß eine Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO auch für die beschäftigungslosen Zeiten an Land anzuerkennen sei, wenn diese sich objektiv in den durch die Eigenart der Ausbildung gebotenen zeitlichen Grenzen hielten und wenn subjektiv die Absicht zur Fortsetzung der seemännischen Berufsausbildung nicht aufgegeben worden sei. Es könne hier nichts anderes gelten als etwa für die durch längere Semesterferien zeitweise unterbrochene Hochschulausbildung, die bis zum Abschluß als einheitliche Berufsausbildung anzusehen ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft, da das Landessozialgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.

Wie das Berufungsgericht zu Recht entschieden hat, ist auch die Berufung statthaft. Denn die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden Berufungsausschließungsgrundes des § 146 SGG sind nicht erfüllt. In dem für die Entscheidung dieser Frage ausschließlich entscheidenden Tenor des sozialgerichtlichen Urteils ist - entsprechend dem Klageantrag - nicht über Rente für einen bereits abgelaufenen Zeitraum entschieden worden, so daß auch die gegen dieses Urteil eingelegte - uneingeschränkte - Berufung nicht Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Hierbei ist zu bedenken, daß zur Zeit der Einlegung der Berufung - und dieser Zeitpunkt ist für die Beurteilung dieser Frage grundsätzlich maßgebend - die vorgeschriebene Fahrtzeit des Klägers als Jungdienstgrad der Seeschiffahrt noch nicht beendet war.

Nach Art. 2 § 20 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) gilt § 1267 RVO auch für Versicherungsfälle vor dem Inkrafttreten des ArVNG. Obwohl also der Versicherungsfall, d. h. der Tod des versicherten Vaters des Klägers, vor dem 1. Januar 1957 eingetreten ist, richtet sich der Anspruch nach § 1267 RVO.

Da der Kläger bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Waisenrente bezogen hat, kann davon ausgegangen werden, daß die grundsätzlichen Voraussetzungen für deren Bezug gegeben sind, zumal dies unter den Beteiligten auch nicht streitig ist. Zu prüfen war daher lediglich, ob die besonderen Voraussetzungen des Satzes 2 des § 1267 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Da der Kläger zwar das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und unverheiratet ist, blieb noch zu entscheiden, ob er sich während der strittigen Zeit in Berufsausbildung befunden hat. Der Besuch der Seefahrtschule liegt noch vor Vollendung des 18. Lebensjahres, so daß die Frage, ob eine Schulausbildung im Sinne dieser Vorschrift gegeben war, nicht untersucht zu werden braucht. Es kam also nur darauf an, ob sich der Kläger während der Zeiten, in denen er Decksjunge, Jungmann und Leichtmatrose war, in Berufsausbildung befunden hat.

Wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5. März 1959 (BSG 9, 196, 198) und vom 5. Juli 1961 (BSG 14, 285, 287) ausgeführt hat, ist Berufsausbildung die Ausbildung für einen zukünftigen, gegen Entgelt auszuübenden Beruf, wenn Zeit und Arbeitskraft der Waise durch die Berufsausbildung überwiegend in Anspruch genommen werden. Diese Voraussetzungen sind bei den Jungdienstgraden der Seeschiffahrt (Decksjungen, Jungmänner und Leichtmatrosen) grundsätzlich gegeben. Es handelt sich hierbei um echte Ausbildungsverhältnisse. Ausschlaggebend spricht für diese Annahme die Verordnung über die Eignung und Befähigung der Schiffsleute des Decksdienstes auf Kauffahrteischiffen vom 28. Mai 1956 (BGBl II 591) - heutige Fassung vom 12. Juli 1960 (BGBl II 1867) -. §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 2 und 5 Abs. 2 bestimmen ausdrücklich, daß die Reeder und Kapitäne dafür zu sorgen haben, daß die Decksjungen, Jungmänner und Leichtmatrosen unter Beachtung der Richtlinien für den Beruf des Matrosen "ausgebildet" werden und daß die Jungdienstgrade ein Berichtsbuch zu führen haben, in welchem Angaben über die erledigten Arbeiten zu machen sind. §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 3 und 5 Abs. 4 aaO sprechen davon, daß aus den ausgestellten Zeugnissen zu ersehen sein muß, in welchem Umfang der Decksjunge, der Jungmann und der Leichtmatrose die notwendigen Kenntnisse erworben haben. Auch § 5 a aaO spricht von "Ausbildung". Aus diesen Vorschriften ist also deutlich zu ersehen, daß es sich hier um eine echte Ausbildung handelt. Hinzu kommt, daß die Anlage 1 zu dieser Verordnung ins einzelne gehende Richtlinien für "die Ausbildung" zum Matrosen in der Seeschiffahrt enthält und daß aus Anlage 2, in der das Berufsbild des Matrosen festgelegt ist, zu entnehmen ist, daß es sich bei dem Matrosenberuf um einen anerkannten Lehrberuf handelt. Dies wird auch durch §§ 7 der Verordnung bestätigt, nach welcher eine Matrosenprüfung als Voraussetzung für die Ausübung des Matrosenberufs vorgeschrieben ist. Es kann danach kein Zweifel bestehen, daß diese Verordnung eine echte Ausbildung für den Matrosenberuf vorschreibt.

Nun meint die Beklagte allerdings, in der Praxis würden diese Vorschriften nicht oder nicht immer in vollem Umfang beachtet, vielmehr stünde die Verrichtung von Arbeit im Vordergrund. Es kann aber nicht darauf ankommen, ob im Einzelfall der Auszubildende neben theoretischer und praktischer Belehrung und Einweisung auch praktische Arbeit leistet. Denn es gehört in aller Regel zu einem Ausbildungsverhältnis, daß auch durch Verrichtung normal anfallender Arbeit eine Vervollkommnung des Auszubildenden angestrebt wird. Die Verrichtung von normal anfallender Arbeit ist also Teil der Ausbildung. Es kann somit insoweit nicht darauf ankommen, ob im Einzelfall die theoretische und praktische Belehrung oder die Verrichtung von normal anfallender Arbeit überwiegt. Ob dann etwas anderes gelten könnte, wenn das Ausbildungsverhältnis nur der Deckmantel für ein in Wirklichkeit bestehendes Hilfsarbeiterverhältnis wäre, kann hier dahingestellt bleiben. Denn der Kläger ist nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts in ernsthaftem Umfang auf Kauffahrteischiffen im Sinne von § 1 Nr. 2 der Eignungs-Verordnung theoretisch und praktisch ausgebildet worden, und seine praktische Tätigkeit hat jedenfalls auch Ausbildungszwecken gedient. Daß dieses so verstandene, auch die Verrichtung von Arbeit umfassende Ausbildungsverhältnis Zeit und Arbeitskraft des Klägers voll in Anspruch genommen hat, ist unangefochten festgestellt. Da hier somit ein echtes Ausbildungsverhältnis vorliegt, kommt es, wie der Senat bereits entschieden hat, auf die Höhe der Entlohnung nicht an. Nur in Zweifelsfällen kann die Höhe des Entgelts ein Indiz dafür sein, ob es sich um ein Ausbildungsverhältnis oder um ein Beschäftigungsverhältnis handelt. Davon abgesehen ist aber zu bedenken, daß das Entgelt der Jungdienstgrade erheblich unter dem des Matrosen liegt. Wenn auch niedrigere Dienstgrade natürlicherweise niedriger entlohnt werden als höhere, so ist es doch zumindest auffallend, wenn, wie hier, die Heuer des Leichtmatrosen nur ungefähr die Hälfte der Heuer des Matrosen erreicht. Man kann dies nur verstehen, wenn man das Vorliegen eines Ausbildungsverhältnisses annimmt. Hinzu kommt, daß Ausbildungsbeihilfen in ähnlicher Höhe auch bei anderen Berufen vorkommen. Wie die Tarifparteien die Vergütungen bezeichnen, nämlich als Heuer, kann ebenfalls nicht von Bedeutung sein, wenn, wie hier, schon aus anderen Gründen das Vorliegen eines echten Arbeitsverhältnisses bejaht wird. Auch der Hinweis der Revision auf § 22 Abs. 1 und 3 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 (BGBl I 98) und auf § 4 Abs. 2 und 3 der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen vom 3. März 1960 (BGBl I 138) spricht nicht zwingend gegen die Annahme eines Ausbildungsverhältnisses. Er könnte allenfalls, wenn überhaupt, nur dann Bedeutung haben, wenn es zweifelhaft wäre, ob ein Ausbildungsverhältnis vorliegt. Das ist aber aus den angeführten Gründen nicht der Fall. Entgegen der Annahme der Beklagten kann aus denselben Gründen auch aus der Regelung der Frage der Arbeitslosenversicherungspflicht kein zwingender Gegenschluß gezogen werden. Das Fehlen eines Lehrvertrages steht der Annahme eines Ausbildungsverhältnisses schon deshalb nicht entgegen, weil in § 1267 RVO nicht nur das Lehrverhältnis, sondern jedes Ausbildungsverhältnis begünstigt ist. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß gegenüber einem normalen Ausbildungsverhältnis gewisse Besonderheiten vorliegen. Diese erklären sich aber aus den Erfordernissen der Seeschiffahrt und der seemännischen Ausbildung und stehen auch ihrerseits der Annahme eines Ausbildungsverhältnisses nicht zwingend entgegen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Umstandes, daß die jeweils nächsthöhere Tätigkeit nur ausgeübt werden darf, wenn vorher eine bestimmte andere Tätigkeit eine gewisse Zeit verrichtet worden ist, wenn auch nicht verkannt werden soll, daß dies auch bei einem echten Beschäftigungsverhältnis der Fall sein könnte. Dasselbe gilt hinsichtlich der Tatsachen, daß keine mehrjährige beiderseitige Bindung zwischen den Jungdienstgraden der Seeschiffahrt und den Reedereien besteht. Diese Besonderheit ergibt sich aber zwangsläufig aus dem Erfordernis, daß die Jungdienstgrade auf verschiedenartigen Seeschiffen fahren müssen, um alle erforderlichen Kenntnisse zu erlangen und nicht jede Reederei alle Arten von Seeschiffen besitzt. Auch die kurzen Kündigungsfristen sprechen aus demselben Grund nicht zwingend gegen die Annahme eines Ausbildungsverhältnisses. Denn längere Kündigungsfristen wären wegen dieses Erfordernisses der seemännischen Ausbildung zumindest unzweckmäßig. Wenn es auch richtig ist, daß der Tarifvertrag für die deutsche Seeschiffahrt auch sonst für Jungdienstgrade keine andere Regelung als für die übrigen Besatzungsmitglieder trifft, so kann dies doch angesichts des Umstandes, daß § 44 des Tarifvertrages ausdrücklich Fragen der Ausbildung der Jungdienstgrade regelt, nicht zwingend gegen die Annahme eines Ausbildungsverhältnisses sprechen. Der Umstand, daß sich Jugendliche auf Ausbildungs- und Schulschiffen zweifelsfrei in Ausbildung befinden und § 44 Abs. 2 des Tarifvertrages für die deutsche Seeschiffahrt für diese eine besondere Arbeitszeitbestimmung enthält, schließt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht aus, daß sich auch die Jungdienstgrade auf Kauffahrteischiffen in Ausbildung befinden.

Auch kurze, sich notwendigerweise ergebende Zwischenzeiten, während deren der Jungdienstgrad wegen des erforderlichen Wechsels des Schiffes nicht zur See fahren kann, sind als Ausbildungszeiten anzurechnen, wenn er die ernsthafte Absicht hat, alsbald wieder anzuheuern und sich deshalb unverzüglich nach Beendigung eines Heuerverhältnisses, etwa durch Meldung beim Arbeitsamt oder bei einer Reederei, um eine neue Anheuerung bemüht. Welche Zeitspanne hierbei höchstens anzuerkennen ist, bedurfte keiner Entscheidung, da die im vorliegenden Fall in Betracht kommenden Zeiträume von nur wenigen Wochen jedenfalls bedenkenfrei anerkannt werden konnten. Da der Kläger sich auch jeweils nach Abheuerung unverzüglich um ein neues Heuerverhältnis ernsthaft bemüht hat, bestanden somit keine Bedenken, dem Kläger auch für diese Zeiten die Waisenrente zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 115

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