Leitsatz (amtlich)
1. Bei verspätetem Antrag (BKGG § 9 Abs 2) und verspäteter Anzeige (BKGG § 17 Abs 3 S 2 aF) ist der Kindergeldanspruch für länger als 6 Monate zurückliegende Zeiten ausgeschlossen.
2. Mit einer wegen verspäteter Anzeige (Antrag) ausgeschlossenen Forderung kann nicht aufgerechnet werden.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die ab 1979-01-01 geltende Fassung von BKGG § 17 Abs 3 ist mangels entsprechender gesetzlicher Regelung nicht rückwirkend anwendbar. Fällt eine Ausschlußfrist weg, ist eine Fristversäumung für einen einheitlichen Anspruch nur insoweit unschädlich, als er die Zeit nach dem Inkrafttreten der Neuregelung betrifft.
2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen sich eine Behörde nicht auf die Versäumung einer Ausschlußfrist berufen darf.
3. Zum Unterschied zwischen Ausschlußfristen und Verjährungsfristen.
Normenkette
SGB 1 § 51 Abs. 1 Fassung: 1975-12-11; BKGG § 9 Abs. 2, § 17 Abs. 1, 3 S. 2; BGB §§ 387, 390 S. 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.12.1978; Aktenzeichen L 5 Kg 2190/77) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 23.11.1977; Aktenzeichen S 14 Kg 2067/77) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Dezember 1978 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Kindergeld zurückzuzahlen hat.
Der Kläger und seine Ehefrau sind die Eltern der ehelichen Kinder
E P, geb. 18. November 1956,
R P, geb. 23. Februar 1958,
I P, geb. 11. Juni 1966.
Seit 1966 erhielt der Kläger Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG).
Die Beklagte teilte ihm im September 1974 mit, sein Sohn Edgar könne mit Ablauf des Monats November 1974 bei der Kindergeldzahlung nicht mehr berücksichtigt werden, weil er 18 Jahre alt werde. Am 14. Oktober 1974 übersandte der Kläger einen Vertrag über die Ausbildung von Edgar zum Maschinenschlosser, die am 1. September 1973 begonnen hatte und am 28. Februar 1977 enden sollte. Der Kläger erhielt daraufhin weiter Kindergeld für Edgar. Mit Ablauf des Monats Februar 1976 stellte die Beklagte die Kindergeldzahlung für Rita formlos ein, weil diese das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Der Kläger erhob hiergegen keine Einwendungen.
Nachdem die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 1. Februar 1977 aufgefordert hatte, das Enddatum der Ausbildung von Edgar nachzuweisen, übersandte der Kläger am 1. März 1977 eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, daß Edgar am 22. Juni 1976 die Abschlußprüfung mit Erfolg abgelegt hatte und die Berufsausbildung beendet sei. Aus einer weiteren gleichzeitig übersandten Bescheinigung geht hervor, daß die Tochter Rita bis zum 29. Juni 1976 ebenfalls in Berufsausbildung gestanden hatte.
Mit Bescheid vom 20. April 1977 entzog die Beklagte daraufhin dem Kläger das unter Berücksichtigung von Edgar bis Januar 1977 gezahlte Kindergeld ab Juli 1976 (7 x 70 DM = 490,- DM), weil für Edgar ab Juli 1976 kein Kindergeldanspruch mehr bestanden habe. Die überzahlten 490,- DM forderte die Beklagte zurück. Eine Nachbewilligung von Kindergeld für März bis Juni 1976 für Rita lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger erst im März 1977 angezeigt habe, daß Rita während dieser Zeiten noch in Berufsausbildung gestanden habe.
Mit seinem Widerspruch räumte der Kläger ein, die Rückforderung von 490,- DM dürfte gerechtfertigt sein. Da ihm aber für März bis Juni 1976 Kindergeld unter Berücksichtigung von Rita zugestanden habe, rechne er gegen die Rückforderung auf. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1977). Der Kläger könne mit einem Kindergeldanspruch für Rita nicht aufrechnen, weil ein solcher in den Monaten März bis Juni 1976 überhaupt nicht bestanden habe.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts (SG) Stuttgart vom 23. November 1977 und des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 19. Dezember 1978). Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung der §§ 9 Abs 2 BKGG und 390 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Dezember 1978 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. November 1977 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. April 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1977 dahin abzuändern, daß nur 70,- DM zurückgefordert werden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der Kläger verpflichtet ist, 490,- DM zu Unrecht empfangenes Kindergeld zurückzuzahlen.
Der Kläger hat den Bescheid vom 20. April 1977 insoweit nicht angefochten, als die Beklagte ihm das Kindergeld für seinen ältesten Sohn Edgar (E.) für die Zeit ab Juli 1976 entzogen und in Höhe von 490,- DM zurückgefordert hat. Die Entziehung und die Rückforderung des überzahlten Kindergeldes sind daher bindend (§ 77 SGG).
Der Kläger kann gegen die Rückforderung nicht mit einem Kindergeldanspruch für seine zweite Tochter Rita (R.) für die Zeit, in der sie in Berufsausbildung stand (März 1976 bis Juni 1976), aufrechnen.
Grundsätzlich darf ein Leistungsberechtigter mit eigenen Forderungen gegen Forderungen von Versicherungs- oder Leistungsträgern aufrechnen. Hierfür gelten die Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts (§§ 387 ff des BGB). § 51 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB 1) regelt nur die Voraussetzungen, unter denen Leistungsträger gegenüber Berechtigten aufrechnen können, verdrängt also nicht die §§ 387 ff BGB (Wannagat, Sozialgesetzbuch AT, § 51 RdNrn 1 und 4a; Hauck/Heines, Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil RdNr 1 aE; Burdenski/von Meydell/Schellhorn, SGB AT, Vorbemerkung zu §§ 51, 52 RdNr 7; Peters, Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil § 51 Anm 3; Harbeck, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 1975, 375, 378).
Nach § 387 BGB können Forderungen gegeneinander aufgerechnet werden, soweit sie gleichartig und fällig sind, dh gefordert werden können. Der Kläger hatte gegenüber der Beklagten keine Forderung. Alle drei Kinder des Klägers waren bei der Kindergeldgewährung nur bis einschließlich Februar 1976 zu berücksichtigen. Von März bis Juni 1976 hatte der Kläger Anspruch auf Kindergeld für das erste Kind (E.) und das dritte Kind (I.) und seitdem nur noch für I. Diese Ansprüche hat die Beklagte erfüllt.
Für die Zeit von März bis einschließlich Juni 1976 stand dem Kläger, wie die Vorinstanzen richtig entschieden haben, für sein Kind (R.) kein Kindergeld zu. Das zweite Kind des Klägers R. vollendete am 23. Februar 1976 sein 18. Lebensjahr. Zwar stand R. noch bis zum 29. Juni 1976 in Berufsausbildung und wäre deshalb als Kind nach § 2 Abs 2 Nr 1 BKGG zu berücksichtigen gewesen. Dennoch konnte der Kläger insoweit kein Kindergeld fordern, weil er die (weitere) Berufsausbildung der Beklagten erst am 1. März 1977 angezeigt hatte. Nach § 17 Abs 3 des BKGG wird nämlich ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet, nur dann weiterhin berücksichtigt, wenn der Berechtigte anzeigt, daß die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 oder 4 vorliegen. Zeigt der Berechtigte nicht an, kann die Beklagte das Kindergeld formlos entziehen (§ 22 iVm § 25 Abs 2 Nr 2 BKGG), wie sie das hier mit der Einstellung des Kindergeldes für R. ab 1. März 1976 getan hat. § 17 Abs 3 BKGG in der hier maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1975 (BGBl I, 412) bestimmt in Satz 2 ausdrücklich, daß seine Absätze 1 und 2 sowie § 9 Abs 2 BKGG entsprechend gelten. Die Anzeige muß also ebenso schriftlich erstattet werden, wie das Kindergeld schriftlich zu beantragen ist (§ 17 Abs 1 Satz 1 BKGG). Ebenso wie bei dem erstmaligen Antrag auf Kindergeld wird auch bei der Anzeige nach § 17 Abs 3 BKGG das Kindergeld nur rückwirkend für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats geleistet, in dem der Antrag oder die Anzeige eingegangen ist (§ 9 Abs 2 BKGG). Der Beginn der Leistung ist also von der Antragstellung oder der Anzeige abhängig. Ohne einen Antrag oder eine Anzeige besteht kein Anspruch auf Zahlung, und zwar auch dann nicht, wenn die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Diese Regelung entspricht derjenigen des § 1290 Absätze 1 und 2 RVO über den Rentenbeginn. Auch dort ist der Anspruch selbst (das Stammrecht) an die Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, der Beginn der Leistung aber an den Antrag geknüpft; der Beginn der Leistung ist also von dem Zeitpunkt abhängig, in dem der Antrag gestellt ist; der Rentenantrag ist ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal, das für den Beginn der Rente erheblich ist; sind die sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente erfüllt, ist weitere Voraussetzung für den Beginn der Leistung auch noch das Vorliegen des Antrages (BSGE 21, 129, 130).
Der Antrag bezieht sich nicht auf eine verfahrensrechtliche Frist für die Geltendmachung des Anspruchs. Deshalb scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Es kommt auch nicht darauf an, aus welchen Gründen der Antrag verspätet gestellt worden ist. Der frühere Beginn der Leistung wird davon abhängig gemacht, daß der Antrag binnen einer bestimmten Frist gestellt wird. Der Berechtigte wird also, wenn er den Antrag nicht innerhalb der gesetzten Frist stellt, für die Vergangenheit mit seinem Anspruch ausgeschlossen. Er kann sein Recht, den Antrag mit der Wirkung des früheren Rentenbeginns zu stellen, nur innerhalb bestimmter Fristen ausüben; insofern hat die versäumte Antragsfrist ausschließende Wirkung. Der Berechtigte wird jedoch nicht wie bei sogenannten echten Ausschlußfristen nach deren Ablauf von der Geltendmachung des Anspruchs überhaupt ausgeschlossen (BSGE 21, 129, 131; 32, 60, 61, 62), wenn die Grundsätze von Treu und Glauben nicht entgegenstehen.
So dürfte die Beklagte die Leistung unter Berufung auf die verspätete Antragstellung nicht verweigern, wenn sie sich damit etwa zu einem früheren eigenen Verhalten in Widerspruch setzen würde (BSGE 32, 60, 62). Auch bei einer echten Ausschlußfrist, etwa der des § 143 l Abs 2 Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) - jetzt § 88 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) -, kann sich die Verwaltung nicht auf deren Versäumung berufen, wenn sie die Einhaltung der Frist durch ihr eigenes Verhalten eingeschränkt hat, soweit darin im Einzelfall die mißbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsposition liegt (BSGE 22, 257 ff). Wird dem Berechtigten durch Gesetz "zugemutet", selbst an der Ordnung seines Versicherungsverhältnisses insoweit mitzuwirken, als er seinen Anspruch "anzumelden" hat, so widerspräche es dem Zweckgedanken einer solchen Ordnungsvorschrift, einen Berechtigten wegen seiner unterlassenen Mitwirkung von einem sonst begründeten Anspruch auszuschließen, wenn er etwa nur deshalb seinen Antrag nicht früher gestellt hat, weil er ihn wegen einer unrichtigen Auskunft des Versicherungsträgers für aussichtslos hielt (BSGE 32, 60, 64). Solche Umstände, die eine Berufung auf die verspätete Anzeige als treuwidrig erscheinen lassen könnten, liegen hier jedoch nicht vor. Die verspätete Anzeige hat allein der Kläger zu vertreten. Die Beklagte war nicht etwa verpflichtet, ihn darauf hinzuweisen, sie werde das Kindergeld für R. mit der Vollendung deren 18. Lebensjahres einstellen, falls nicht eine (weitere) Berufsausbildung angezeigt werde. Die Anzeigepflicht traf den Kläger, was er auch wußte oder zumindest wissen mußte.
Die von dem Großen Senat zu § 58 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) aF entwickelten Grundsätze (BSGE 14, 246 ff) führen zu keinem anderen Ergebnis. Das Kriegsopferrecht wie auch das Recht der Vertriebenen oder das Wiedergutmachungsrecht oder das Recht Besatzungsgeschädigter regeln den Ausgleich von Kriegsfolgen. Wenn dort die Berufung auf den Ausschluß jeglicher Ansprüche wegen verspäteter Anmeldung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben dann nicht vereinbar ist, wenn die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen zweifelsfrei erfüllt sind, kann daraus für das Kindergeldrecht nicht gefolgert werden, daß auch hier eine verspätete Anmeldung einen früheren Leistungsbeginn allein schon dann nicht ausschließt, wenn die Anspruchsvoraussetzungen zweifelsfrei bestehen. Damit wären die Fristenregelungen der §§ 17 Abs 3 und 9 Abs 2 BKGG praktisch gegenstandslos (vgl auch BSG in SozEntsch VIII/2 zu § 143 1 AVAVG und SozR Nrn 9 und 10 zu Art 2 § 44 ArVNG).
Mit Wirkung ab 1. Januar 1979 ist allerdings § 17 Abs 3 Satz 2 BKGG dahin geändert worden, daß § 9 Abs 2 BKGG nicht mehr entsprechend gilt (Art 1 Nr 5 und Art 4 Abs 1 des 8. Gesetzes zur Änderung des BKGG vom 14. November 1978 - BGBl I 1757). Von dieser Gesetzesänderung wird der Kindergeldanspruch des Klägers für R. aber nicht berührt. Er war nach Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 9 Abs 2 iVm § 17 Abs 3 Satz 2 BKGG aF seit dem Ende der Berufsausbildung von R. mit diesem Anspruch endgültig ausgeschlossen. Die geänderte Fassung des § 17 Abs 3 BKGG ist mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung nicht rückwirkend anwendbar. Fällt eine Ausschlußfrist weg, ist eine Fristversäumung für einen einheitlichen Anspruch nur insoweit unschädlich, als er die Zeit nach dem Inkrafttreten der Neuregelung betrifft (BSGE 16, 257; SozR Nr 1 zu § 10 FRG; SozR 2200 § 627 Nr 6 zu § 1546 RVO aF). Ein wegen einer Ausschlußfrist erloschener Anspruch lebt jedenfalls für die Zeit vor dem Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung nicht wieder auf. Insoweit können daher auch Billigkeitserwägungen nicht Platz greifen. Es liegt im Ermessen des Gesetzgebers, wann und mit welcher zeitlichen Wirkung er Anspruchsvoraussetzungen ändert, insbesondere auch gesetzliche Ausschlußfristen wegfallen läßt.
Die Möglichkeit der Aufrechnung gegen den Rückforderungsanspruch ergibt sich schließlich entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus der entsprechenden Anwendung des § 390 Satz 2 BGB. Der erkennende Senat folgt insoweit der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Urteil vom 15. November 1967 (BAGE 20, 156 ff iVm dem Vorlagebeschluß vom 30. März 1973, Der Betrieb 1974, 585, 586), wonach mit Forderungen, die im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung infolge Ablaufs einer Ausschlußfrist erloschen sind, nicht aufgerechnet werden kann. Dort führt das BAG aus, es gehöre zu den notwendigen Voraussetzungen der Aufrechnung nach § 387 BGB, daß auch die Gegenforderung fällig ist, also voll wirksam sein muß. Daraus folgt, was in § 390 Satz 1 BGB ausdrücklich bestimmt ist, daß mit einredebehafteten Forderungen nicht aufgerechnet werden kann. Eine Forderung, der eine verzögerliche oder zerstörende Einrede entgegensteht ist nämlich nicht voll wirksam, so daß mit ihr auch nicht aufgerechnet werden kann. § 390 Satz 2 BGB trifft demgegenüber eine Sonderregelung, mit der die Aufrechnungsbefugnis erweitert wird. Die Verjährung schließt die Aufrechnung nicht aus, wenn die verjährte Forderung zu der Zeit, zu welcher sie gegen die andere Forderung aufgerechnet werden konnte, noch nicht verjährt war. An die Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) wird die Wirkung der Aufrechnung geknüpft, daß die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber gestanden haben (§ 389 BGB). Die Voraussetzungen der Aufrechnung müssen daher im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung erfüllt sein; die Gegenforderung muß im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung voll wirksam sein. Ist das der Fall, wird die Aufrechnungswirkung auf den Beginn der Aufrechnungslage zurückbezogen. Hiervon abweichend stellt § 390 Satz 2 BGB im Falle der Verjährung für eine wirksame Aufrechnung insoweit nicht auf den Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung, sondern auf den der Aufrechnungslage ab. Eine entsprechende Anwendung des § 390 Satz 2 BGB scheidet jedoch deshalb aus, weil ausgeschlossene Forderungen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung erloschen, verjährte Forderungen aber, wenn auch einredebehaftet, noch vorhanden sind. Der Fall einer ausgeschlossenen und deshalb erloschenen Forderung unterscheidet sich mithin wesentlich von dem einer verjährten Forderung. Der Ausnahmecharakter des § 390 Satz 2 BGB würde verkannt, wollte man ihn auch auf eine Gegenforderung entsprechend anwenden, die zwar einmal bestanden hat, aber im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung schon erloschen ist. Ausschlußfristen und Verjährungsfristen unterscheiden sich wesentlich dadurch, daß Ausschlußfristen das Recht in seiner Wirksamkeit begrenzen und den Anspruch mit Fristablauf vernichten, während die Verjährung das Recht selbst nicht antastet und ihm nur durch die Entstehung eines Gegenrechtes seine volle Wirksamkeit nimmt, mögen auch im übrigen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) (BGHZ 26, 304 ff) gemeint hat, Ähnlichkeiten in der Zielsetzung von Ausschluß- und Verjährungsfristen bestehen. Im Gegensatz zu der von dem BGH (aaO, 309) vertretenen Auffassung, es würde dem Gerechtigkeitsgefühl widersprechen, dem Schuldner die ihm obliegende Leistung zuzumuten, obwohl seine Gegenrechte dem Anspruch des Gläubigers einmal vollgültig gegenüber gestanden haben, vermag der erkennende Senat, abgesehen davon, daß der BGH an dieser Entscheidung nicht festgehalten hat (vgl Beschluß vom 27. September 1973, Der Betrieb 1974, S 586) ebensowenig zu folgen, wie das BAG. Es würde nicht nur den in den §§ 387 ff BGB geregelten Grundsätzen der Aufrechnung, sondern auch den berechtigten Interessen der Beteiligten widersprechen, wollte man ausgeschlossene Forderungen ebenso für zur Aufrechnung geeignet erachten wie verjährte Forderungen. Ausschlußfristen des öffentlichen Rechts sollen bewirken, daß der berechtigte Gläubiger seinen Anspruch verliert, es sei denn, daß die Berufung auf die Ausschlußfrist treuwidrig ist. Es entspricht daher einer gerechten Interessenabwägung, wenn mit einer solchen erloschenen Forderung ebenso nicht aufgerechnet werden kann wie mit sonstigen einredebehafteten Forderungen (§ 390 Satz 1 BGB). Das Sozialversicherungsrecht macht Leistungsansprüche sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich des Beginns der Leistung von der Antragstellung abhängig und kennt neben Ausschlußfristen ebenso wie das Bürgerliche Recht die Verjährung mit den entsprechenden Rechtsfolgen. Besonders schutzwürdige Interessen, wie sie der BGH für Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern in der genannten Entscheidung (BGHZ 26, 304, 310) geglaubt hatte, berücksichtigen zu müssen, sind insbesondere im Kindergeldrecht nicht ersichtlich. Wenn der Kindergeldanspruch nur für Zeiten ausgeschlossen ist, die länger als sechs Monate vor dem Antrag oder der Anzeige liegen (§§ 9 Abs 2; 17 Abs 3 Satz 2 BKGG aF), so ist damit dem Berechtigten einerseits eine ausreichend lange Zeit eingeräumt, in der er seinen Antrag stellen oder die Anzeige erstatten kann, ohne daß sein Anspruch beeinträchtigt wird. Andererseits ist der Berechtigte gegen Rückforderungen zu Unrecht empfangener Leistungen dadurch ausreichend geschützt, daß der Leistungsträger solche Leistungen nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 13 BKGG zurückfordern kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1653698 |
BSGE, 154 |