Leitsatz (redaktionell)
Versicherungsschutz für die Folgen eines Autounfalls durch den einem Brauereivertreter als "Arbeitsgerät" dienenden eigenen Pkw.
Normenkette
RVO § 549 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. August 1964 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der in K, F.-straße ..., wohnhafte Kläger war seit 1957 bei der Brauerei D in I als Vertreter im Außendienst beschäftigt. Die hierfür erforderlichen Kundenbesuche bei Gastwirten im niederrheinischen Raum zwischen K und W erledigte der Kläger in seinem eigenen Personenkraftwagen (Pkw), den er vornehmlich für Berufszwecke benutzte. Er lieferte kein Bier aus, sondern führte nur gelegentlich zu Werbezwecken kleinere Proben mit. Er bezog für seine Vertretertätigkeit Fixum und Provision, ferner zahlte ihm die Brauerei ein Kilometergeld von 0,20 DM, das auch zur Abgeltung der laufenden Kosten der Pkw-Haltung - Garagenmiete, Versicherung, Steuer - bestimmt war. Auf seinen Kundenbesuchen legte der Kläger monatlich eine Strecke von 1800 bis 2000 km zurück. Der Pkw war in einer Kellergarage im Wohnhaus des Klägers untergebracht, die vom Hause und von der Straße aus betreten werden konnte. Von der Garage führte eine schräge Auffahrt hinauf zum Bürgersteig. Am 18. Februar 1963 gegen 9.30 Uhr wollte der Kläger eine Kundenbesuchsfahrt antreten. Er öffnete die Garagentür von außen, machte Licht und führ den Pkw rückwärts bis auf den Bürgersteig, wo er ihn mit laufendem Motor und angezogener Handbremse stehen ließ. Dann begab sich der Kläger wieder hinunter in die Garage, um vom Wagen herabgefallene Schneeklumpen zu beseitigen, das Licht wieder auszuknipsen und die Garagentür von außen zu verschließen. Während er sich hierbei noch unten aufhielt, rollte der Pkw in die Garage hinab, erfaßte den Kläger und drückte ihn gegen die Garagenrückwand. Der Kläger wurde hierbei erheblich verletzt.
Durch Bescheid vom 9. Juli 1963 lehnte die Beklagte den Entschädigungsanspruch des Klägers mit der Begründung ab, der Unfall habe sich innerhalb der dem häuslichen Bereich gleichzustellenden Garage ereignet und könne daher weder als Arbeits- noch als Wegeunfall anerkannt werden.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat durch Urteil vom 7. Januar 1964 die Klage abgewiesen: Der vom Kläger am Unfalltage beabsichtigte Berufsweg hätte frühestens mit dem Schließen der Garagentür begonnen; der bereits zuvor eingetretene Unfall habe sich noch im häuslichen Bereich abgespielt, die Tätigkeiten des Klägers im Unfallzeitpunkt seien ausschließlich durch die Fürsorge für die ordnungsgemäße Behandlung der privat gemieteten Garage bedingt gewesen, somit allein dem privaten häuslichen Bereich zuzurechnen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen am 11. August 1964 die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 18. Februar 1963 als Arbeitsunfall anzuerkennen und nach dem Gesetz zu entschädigen: Mit dem SG sei allerdings davon auszugehen, daß die vom Kläger gemietete Garage keine Betriebsstätte sei und der Kläger sich im Unfallzeitpunkt noch im häuslichen Bereich und nicht schon auf dem versicherten Weg befunden habe. Der Kläger genieße aber den Versicherungsschutz nach § 543 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, denn er sei verunglückt bei der Verwahrung eines Arbeitsgerätes, nämlich beim Heraussetzen seines Pkw aus der Garage. Der Pkw des Klägers habe nicht nur dessen eigener Beförderung von der Wohnung zur Arbeitsstätte und damit eigenwirtschaftlichen Zwecken gedient, sondern sei darüberhinaus wesentlich und überwiegend zu betrieblichen Zwecken benutzt worden. Freilich könne eine solche betriebliche Nutzung nicht für jeden Vertreter angenommen werden, auch habe es sich bei dem Pkw des Klägers nicht um einen Lieferwagen gehandelt. Mit dem Pkw habe der Kläger jedoch die von der Brauerei belieferten Kunden aufgesucht, um im Interesse seiner Arbeitgeberin mit ihnen Kontakte zu pflegen, sich nach ihren Wünschen zu erkundigen und Bestellungen entgegen zu nehmen. Dieser Aufgabe habe der Kläger bei den Verkehrsverhältnissen in dem ihm zugewiesenen Raum und der Ausdehnung dieses Gebietes wirksam zur mittels seines Pkw nachkommen können. Das wesentliche betriebliche Interesse an diesem Fahrzeug habe die Brauerei auch durch die Zahlung des Kilometergeldes zum Ausdruck gebracht. Die Benutzung eines Pkw auch für Privatzwecke stehe der Eigenschaft als Arbeitsgerät nicht entgegen. Das Heraussetzen des Pkw aus der Garage vor Antritt einer Betriebsfahrt sei als Ausfluß einer ordnungsgemäßen Verwahrung des Arbeitsgerätes anzusehen; dieser Tätigkeit seien auch die vom Kläger im Unfallzeitpunkt ausgeführten bzw. beabsichtigten Verrichtungen - Beseitigung der herabgefallenen Schneeklumpen, Licht ausknipsen, Schließen der Garagentür - zuzurechnen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 6. November 1964 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. Oktober 1964 Revision eingelegt und sie zugleich sowie am 24. Oktober 1964 folgendermaßen begründet: Zu Unrecht habe das LSG den Pkw des Klägers als dessen Arbeitsgerät im Sinne des § 543 Abs. 2 RVO aF angesehen. Die Benutzung eigener Kraftfahrzeuge für die Zurücklegung der Wege nach und von der Arbeitsstätte - insoweit sei das Kraftfahrzeug nicht als Arbeitsgerät anzusehen (BSG 16, 77) - sei heutzutage in der Arbeitnehmerschaft ganz allgemein üblich und werde als so selbstverständlich betrachtet, wie das Tragen ordentlicher Arbeitskleidung. Besonders in ländlichen Gebieten, wie im Raum um K, werde wohl kaum ein Versicherter aus der sozialen Schicht des Klägers die Arbeitsstätte anders als im eigenen Pkw aufsuchen. Der Pkw des Brauereivertreters stelle nur eine allgemeine Voraussetzung für die Ausübung der Vertretertätigkeit dar, ihm fehlten somit die besonderen Voraussetzungen, von denen § 543 Abs. 2 RVO aF den Versicherungsschutz abhängig mache. Selbst wenn man jedoch den Pkw als Arbeitsgerät gelten lasse, entfalle der Versicherungsschutz für den Kläger, da dieser sich im Unfallzeitpunkt nicht im Sinne einer Verwahrung oder Instandsetzung seines Pkw betätigt, sondern ihn hinausgefahren - also der Verwahrung entzogen - und als dann eigenwirtschaftliche, allein der Fürsorge für seine Garage dienende Verrichtungen ausgeübt habe. Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision. Er pflichtet dem angefochtenen Urteil hinsichtlich der Anwendung des § 543 Abs. 2 RVO aF bei und meint, der Versicherungsschutz ergebe sich auch daraus, daß er im Unfallzeitpunkt seine Dienstfahrt bereits angetreten habe, weil nämlich die Garage schon nicht mehr zum häuslichen Bereich gehöre.
II
Die zulässige Revision hatte keinen Erfolg, da das LSG im Ergebnis zutreffend den Unfall des Klägers vom 18. Februar 1963 als Arbeitsunfall angesehen hat.
Bei der Anwendung des - zur Zeit des Unfalls noch geltenden - § 543 Abs. 2 RVO aF ist zunächst zu prüfen, ob der dem Kläger selbst gehörende Pkw überhaupt ein "Arbeitsgerät" im Sinne dieser Vorschrift darstellt. Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht ausschlaggebend an, da das Gesetz den Versicherungsschutz bei den aufgeführten Hantierungen mit dem Arbeitsgerät auch vorsieht, wenn dieses "vom Versicherten gestellt wird".
Die Frage, inwieweit ein Kraftfahrzeug unter den Begriff des Arbeitsgerätes eingeordnet werden kann, hat der erkennende Senat im Urteil vom 20. Dezember 1961 (BSG 16, 77, 79) dahin entschieden, daß das für die Zurücklegung der Wege nach und von der Arbeitsstätte benutzte eigene Kraftfahrzeug des Beschäftigten kein Arbeitsgerät im Sinne des § 543 Abs. 2 RVO aF darstellt. Dieser - auch vom LSG eingenommene - Standpunkt bedeutet aber nicht, daß ein gewöhnlicher, nicht irgendwie für Betriebszwecke - z. B. als Lieferwagen - besonders hergerichteter Pkw von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 543 Abs. 2 RVO aF ausgeschlossen wäre. Der Hinweis der Revision auf die heutzutage weit verbreitete Gebräuchlichkeit von Kraftfahrzeugen bei der Zurücklegung der Wege nach und von der Arbeitsstätte ergibt keine überzeugenden Argumente gegen die vom LSG vertretene Auffassung. Bei zahlreichen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens mag ihre Verwendung für private Zwecke vorherrschend sein, dennoch besteht kein Zweifel, daß z. B. ein Musikinstrument in der Hand des Berufsmusikers oder ein Sportgerät in der Hand des Sportprofessionals ihre in der Regel der Freizeitgestaltung gewidmete Bestimmung ändern und in diesem Gebrauchszusammenhang zu echten Arbeitsgeräten werden. Demgemäß dürfen auch Fahrzeuge nicht schlechthin als rein private Gebrauchsgegenstände gekennzeichnet werden, nur weil bei den neuzeitlichen Verkehrsverhältnissen ein Großteil der Bevölkerung sich irgendeines eigenen Beförderungsmittels, auch für nicht arbeitsbedingte Fahrten bedient. Nach Auffassung des Senats kommt es entscheidend auf die Zweckbestimmung des Beförderungsmittels an (vgl. auch das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des 2. Senats vom 23.2.1966, 2 RU 45/65). Wird ein Pkw von einem Vertreter im Außendienst, dessen Tätigkeit sich typischerweise weitaus mehr in den Orten seiner jeweiligen Kundenbesuche als am Sitz seiner Arbeitgeberfirma abspielt, dieser Zurückbestimmung entsprechend hauptsächlich für seine Geschäftsfahrten benutzt, so erhält der Pkw ein viel stärkeres betriebliches Gepräge als ein gleichartiges Fahrzeug, welches nur für die tägliche wiederkehrenden Wege von zu Hause zur Arbeitsstätte und wieder zurück Verwendung findet. Die Feststellungen des LSG über den Umfang der vom Kläger ausgeübten Reisetätigkeit - reichen noch aus, um den Pkw als Arbeitsgerät zu charakterisieren. Die Revision macht ihrerseits auch keine Anhaltspunkte geltend, die den Schluß ließen, daß der Kläger seinen Pkw in wesentlichem Umfang für nicht unmittelbar betriebliche Zwecke - insbesondere auch für Wege im Sinne des § 543 Abs. 1 RVO aF - benutzt haben könnte.
Der Unfall des Klägers hat sich auch bei einer "Verwahrung" des Arbeitsgeräts ereignet. Nach Meinung des Senats muß dieser Begriff bei lebensnaher Betrachtung so gedeutet werden, daß ein zusammengehörender Geschehensablauf nicht punktweise in einzelne Abschnitte zerrissen wird, wobei der Versicherungsschutz davon abhängen würde, wo sich der Pkw-Halter im Augenblick gerade aufgehalten hat und ob er für einen Moment nicht unmittelbar an seinem Fahrzeug, sondern in dessen nächster Nähe in der Garage hantiert. Zur "Verwahrung" eines Kraftwagens gehören hiernach als Gegenstück jedenfalls noch das Herausbringen aus der Garage und der damit zusammenhängende einheitliche Lebensvorgang.
Da der Versicherungsschutz hiernach bereits unter dem Gesichtspunkt des § 543 Abs. 2 RVO aF zu bejahen ist, bedarf die vom Kläger in der Revisionserwiderung aufgeworfene Frage, ob die Betriebsfahrt bereits angetreten gewesen sei, keiner Entscheidung.
Die Revision ist mithin unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen