Entscheidungsstichwort (Thema)
Erneute Eheschließung und Scheidung des Versicherten mit und von früherer Ehefrau. Aufteilung der Hinterbliebenenrente zwischen der früheren Ehefrau und der Witwe des Versicherten
Leitsatz (amtlich)
War die frühere Ehefrau mit dem Versicherten zweimal verheiratet und ist sie aufgrund der Scheidung der zweiten Ehe Anspruchsberechtigte nach AVG § 42 S 1 (= RVO § 1265 S 1), so ist bei der Aufteilung der Hinterbliebenenrente zwischen ihr und der Witwe des Versicherten auch die Dauer ihrer ersten Ehe zu berücksichtigen.
Normenkette
AVG § 42 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 45 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1268 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 3. Juni 1975 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beigeladenen auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Verhältnis die Hinterbliebenenrenten aus der Versicherung des am 28. Februar 1973 verstorbenen Bruno K zwischen der Klägerin und der Beigeladenen gemäß § 45 Abs. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aufzuteilen sind.
Der Versicherte heiratete 1928 in erster Ehe die Beigeladene. Beide lebten seit September 1947 in der DDR, wo der Versicherte selbständig tätig war. Dort wurde er im Jahre 1958 verhaftet. Die Beigeladene floh daraufhin in die Bundesrepublik Deutschland zu ihrer Tochter. Der Versicherte wurde in der DDR wegen Wirtschaftsvergehens zu 30 Monaten Zuchthaus verurteilt. Aus der Strafhaft heraus erhob er gegen die in Hamburg wohnende Beigeladene Scheidungsklage. Durch Urteil des Kreisgerichts Bautzen vom 11. November 1959 wurde diese Ehe geschieden. Nach den Erklärungen des Versicherten aus den Jahren 1961 und 1963 sei er gezwungen worden, die Scheidungsklage gegen die Beigeladene zu erheben. Nach der Entlassung aus der Strafhaft im November 1960 floh der Versicherte aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland, wo er sich zu der Beigeladenen begab. Am 10. März 1961 gingen der Versicherte und die Beigeladene eine zweite Ehe ein. Diese Ehe wurde 1963 aus dem Verschulden des Versicherten geschieden. Aufgrund eines Unterhaltsvergleiches zahlte der Versicherte an die Beigeladene Unterhalt in Höhe von einem Drittel seiner Rentenbezüge. Am 28. Oktober 1963 heiratete er die Klägerin.
Nach dem Tode des Versicherten bewilligte die Beklagte sowohl der Klägerin als auch der Beigeladenen Hinterbliebenenrente. Der Aufteilung der beiden Renten nach § 45 Abs. 4 AVG legte sie eine Zeit von 522 Monaten zugrunde, während der der Versicherte mit beiden Beteiligten verheiratet gewesen sei. Davon sei der Versicherte 113 Monate mit der Klägerin verheiratet gewesen, im übrigen mit der Beigeladenen. In diesem Verhältnis teilte die Beklagte die Hinterbliebenenrenten auf (Bescheide vom 19. Dezember 1973).
Gegen diese Aufteilung wandte sich die Klägerin mit der Klage, da zugunsten der Beigeladenen allein die zweite in der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Ehe mit dem Versicherten bei der Feststellung der anteiligen Rentenhöhe berücksichtigt werden dürfe. Die Klage hatte in den beiden Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) im wesentlichen mit folgender Begründung zurück: Die Voraussetzungen für die Aufteilung der Hinterbliebenenrenten nach § 45 Abs. 4 AVG sei nicht an die anspruchsbegründenden Voraussetzungen der einzelnen Rentenarten gebunden. Vielmehr habe sich der Gesetzgeber hierbei von der Stellung einer Ehefrau leiten lassen, die dadurch gekennzeichnet sei, daß diese ihren Unterhaltsbeitrag im Rahmen der Familie durch die Haushaltsführung erbracht habe und keiner eigenen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Damit habe die Ehefrau in der Regel auch nicht aus eigener Erwerbstätigkeit eine Sicherung gegen das Risiko des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit und des Alters besessen. Hätte der Gesetzgeber dabei auch an den Fall gedacht, daß ein und dieselben Partner mehrfach eine Ehe eingehen würden, hätte er im Rahmen des § 45 Abs. 4 AVG eine gleiche Regelung getroffen und auch dabei die gesellschaftliche Stellung der Ehefrau als Hausfrau berücksichtigt. Zu demselben Ergebnis käme man aber auch, wenn die Berechtigung zum Bezug einer Hinterbliebenenrente mit jeder Ehe verknüpft sein müsse, um bei der Aufteilung nach § 45 Abs. 4 AVG berücksichtigt werden zu können. In jedem Falle müsse dann im Rahmen des § 42 AVG eine neue Eheschließung zwischen denselben Partnern als eine Unterhaltsverpflichtung aus "sonstigen Gründen" angesehen werden, wenn diese Ehe beim Tode des Versicherten noch bestanden oder nach Scheidung zu einer Berechtigung nach § 42 AVG geführt habe. Wenn nach dieser Alternative des § 42 AVG bereits einfache Unterhaltsvereinbarungen reichten, um einen Hinterbliebenenrentenanspruch zu begründen, müßte erst recht eine Heirat ausreichen (Urteil vom 3. Juni 1975).
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine unrichtige Anwendung der §§ 42 Satz 1, 45 Abs. 4 AVG durch das Berufungsgericht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Bremen vom 29. November 1974 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung der Bescheide vom 19. Dezember 1973 zu verpflichten, ihr eine höhere Witwenrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht durch einen beim Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten im Sinne des § 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vertreten.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß bei der Berechnung der der Beigeladenen zustehenden Hinterbliebenenrente auch die erste Ehe der - mit dem Versicherten zweimal verheirateten - Beigeladenen einzubeziehen ist.
Die Beigeladene hat, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, aufgrund der ihr gegenüber erbrachten Unterhaltsleistungen des Versicherten bis zu dessen Tode einen Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 42 Satz 1 AVG. Als frühere Ehefrau des Versicherten ist sie somit ebenso wie die Klägerin als Witwe Berechtigte im Sinne des § 45 Abs. 4 AVG. Die Aufteilung der Hinterbliebenenrente richtet sich somit ausschließlich nach dieser Vorschrift. Danach erhält jeder Berechtigte den Teil der Rente, der im Verhältnis zum anderen Berechtigten der Dauer seiner Ehe mit dem Versicherten entspricht. Der Gesetzgeber bemißt damit - was die Revision bei ihrer abweichenden Rechtsauffassung übersieht - die Rentenaufteilung nicht nach den für die Hinterbliebenenrenten anspruchsbegründenden Voraussetzungen der §§ 41, 42, 43 AVG, sondern allein nach der Ehedauer. Dies entspricht - wie das LSG zutreffend unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Juli 1963 (BVerfGE 17, 1, 20 ff) ausgeführt hat - auch der zur Zeit der Rentenreform des Jahres 1957 gegebenen Vorstellung des Gesetzgebers über die gesellschaftliche Stellung der Ehefrau. Diese war jedenfalls damals dadurch geprägt, daß die Ehefrau ihre möglicherweise vor der Heirat ausgeübte Berufstätigkeit aufgab und sich nur noch der Haushaltsführung sowie ggf. der Kinderbetreuung widmete (zu dem sich seitdem allmählich anbahnenden Wandel vgl. Urteil des BVerfG vom 12.3.1975 in SozR 2200 § 1266 Nr. 2). Der Ehemann und Versicherte versorgte allein die Ehefrau im täglichen Bedarf und verschaffte ihr eine Alterssicherung in der Regel in der Form eines abgeleiteten Rentenanspruchs aus seiner Versicherung. Hatte die Ehefrau im Falle einer Scheidung - wie hier - dem Grunde nach Hinterbliebenenansprüche aus der Rentenversicherung des Versicherten erworben, so müssen sich diese billigerweise in der Höhe nach der Zeit richten, in der die Hinterbliebene wegen der Ehe keinen Beruf mit eigenen altersversorgenden Leistungsberechtigungen ausgeübt hat.
Geht es demnach bei § 45 Abs. 4 AVG im Kern um das Abgelten und Berücksichtigen der Dauer eines staatlich anerkannten Zusammenlebens mit den nach der zumindest bisherigen Gesellschaftsstruktur zu Lasten der Frau gehenden Folgen in der Alterssicherung, dann ergibt sich aus diesem Zweck, daß die gesamte Zeit, die eine Frau mit dem Versicherten zusammen verlebt hat, zu berücksichtigen ist. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Zeit nun zusammenhängt oder sich aufteilt, da sich die Frau auch in den aufgeteilten Zeiten auf die Versorgung durch den Versicherten verlassen hat. Dauer der Ehe im Sinne von § 45 Abs. 4 AVG bezeichnet nur den in der Regel zusammenhängenden, ausnahmsweise aber auch aufgeteilten Zustand des ehelichen Zusammenlebens.
Da die Beigeladene mit dem Versicherten zweimal verheiratet war, hat sonach das LSG zu Recht beide Zeiten des ehelichen Zusammenlebens als Dauer der Ehe im Sinne des § 45 Abs. 4 AVG angesehen. Das Vorbringen der Klägerin kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Soweit sie hinsichtlich der Beweggründe und Umstände bei der zweiten Heirat der Beigeladenen mit dem Versicherten neue Tatsachen vorbringt, können sie in der Revisionsinstanz nicht beachtet werden. Der Senat ist an die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden (§ 163 SGG). Im übrigen übersieht die Klägerin bei ihrem Vorbringen, daß die Beigeladene unabhängig davon aus der Scheidung ihrer zweiten Ehe mit dem Versicherten einen Hinterbliebenenrentenanspruch gemäß § 42 Satz 1 AVG hat und sie damit Berechtigte nach § 45 Abs. 4 AVG ist.
Bereits aus dieser Stellung der Beigeladenen als Berechtigte ist vom LSG zutreffend hergeleitet worden, daß beide Ehen der Beigeladenen mit dem Versicherten zusammen den Begriff der Dauer ihrer Ehe im Sinne des § 45 Abs. 4 AVG bestimmen und daß die Berechtigung zum Bezug einer Hinterbliebenenrente nicht mit jeder Ehe verknüpft sein muß, um bei der Rentenaufteilung berücksichtigt werden zu können. Es braucht deshalb nicht mehr geprüft zu werden, ob anderenfalls die von der Beklagten durchgeführte Aufteilung der Rente nach den weiteren - hilfsweise - angestellten Erwägungen des LSG ebenfalls gerechtfertigt wäre.
Ob die Sachlage im Hinblick auf das 1. Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl I S. 1421) anders zu beurteilen ist, kann schon deswegen dahinstehen, weil die einschlägigen Bestimmungen erst zum 1. Juli 1977 in Kraft treten (Art. 12 Nr. 13 a). Zum anderen regelt Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 1. EheRG ausdrücklich, daß sich der Unterhaltsanspruch eines Ehegatten, dessen Ehe nach den bisher geltenden Vorschriften geschieden worden ist, auch künftig nach bisherigem Recht bestimmt. Mithin sind bei der Aufteilung einer Rente, deren Entstehungsvoraussetzungen auf das alte Recht zurückgehen, die jenen gesetzlichen Regelungen zugrunde liegenden Vorstellungen maßgeblich und nicht diejenigen des 1. EheRG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen