Leitsatz (amtlich)
Ist nach Lage der Sache mit der Möglichkeit zu rechnen, daß eine gesetzliche Verfahrensfrist (Rechtsmittelfrist) ohne Verschulden versäumt, die für die Nachholung der versäumten Rechtshandlung geltende Monatsfrist (SGG § 67 Abs 2 S 1 und 3) aber eingehalten ist, so hat das Gericht von Amtswegen das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu klären und gegebenenfalls die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag zu bewilligen (SGG § 67 Abs 2 S 4). Unterläßt das Berufungsgericht in Fällen solcher Art eine Sachprüfung und Entscheidung über die Wiedereinsetzung, so liegt darin ein wesentlicher Verfahrensmangel (SGG § 162 Abs 1 Nr 2).
Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung aufgrund irrtümlicher Berufungseinlegung beim SG.
Normenkette
SGG § 67 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1953-09-03, S. 3 Fassung: 1953-09-03, S. 4 Fassung: 1953-09-03, § 103 Fassung: 1953-09-03, § 106 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 67 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 30. September 1955 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die am 16. Oktober 1898 geborene Klägerin beantragte am 3. September 1951 Invalidenrente. Auf Grund eines vertrauensärztlichen Gutachtens lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 6. Mai 1952 ab. Da bei Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) über die Berufung der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom Oberversicherungsamt noch nicht entschieden war, ging ihre Berufung nach § 215 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 4 SGG als Klage auf das Sozialgericht in Detmold über. Dieses verneinte die Invalidität der Klägerin entsprechend dem Gutachten des Gerichtsarztes und wies die Klage mit Urteil vom 23. Februar 1954 ab; das Urteil enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung:
"Dieses Urteil wird rechtskräftig, wenn Sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung bei dem Landessozialgericht in Essen Berufung einlegen. Die Berufung kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden.
Die Einlegung der Berufung innerhalb der Frist kann auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts in Detmold erklärt werden."
Mit Schreiben vom 26. März 1954 an das Sozialgericht in Detmold wandte sich die Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts, das ihr am 4. März 1954 zugestellt worden war. Dieses Schreiben der Klägerin, das am 29. März 1954 beim Sozialgericht in Detmold einging, lautete:
"An das
Sozialgericht in Detmold
Aktz.: 1815 J 11/52
Auf Grund der Ablehnung des Arbeitsamtes erhebe ich gegen den Bescheid vom 1. März 1954 Einspruch."
Ein Bescheid des Arbeitsamtes - vom 20. März 1954 - war in beglaubigter Abschrift beigefügt; er betraf die Ablehnung eines Unterstützungsantrages der Klägerin vom 27. Februar 1954, weil die Klägerin auf Grund ihrer Erwerbsminderung von 50 % und ihres Alters von 55 Jahren nicht mehr zu dem Personenkreis gehöre, der vom Arbeitsamt zu betreuen sei. Das Sozialgericht leitete das Schreiben der Klägerin mit Verfügung vom 21. April 1954 an das Landessozialgericht weiter; hier ging es am 8. Mai 1954 ein. Eine Rückfrage des Landessozialgerichts - Senat für Arbeitslosenversicherung - beantwortete die Klägerin dahin, sie wolle sich gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 23. Februar 1954 und nicht gegen den Bescheid des Arbeitsamtes wenden; diesen Bescheid habe sie nur beigefügt, um das Gericht zu unterrichten, daß sie überall abgewiesen werde. Der Senatsvorsitzende des Vordergerichts gab der Klägerin durch Verfügung vom 1. August 1955 Gelegenheit, Stellung zur Verspätung der Berufungseinlegung zu nehmen und auch mitzuteilen, welche Anträge sie stelle. Die Klägerin erklärte, das Urteil sei ihr am 4. März 1954 zugestellt worden; sie habe die Berufung demnach rechtzeitig binnen vier Wochen am 26. März 1954 beim Sozialgericht in Detmold eingelegt; der verspätete Eingang beim Landessozialgericht sei ausschließlich vom Sozialgericht verschuldet; sie beantrage Abänderung des Urteils des Sozialgerichts. Das Landessozialgericht verwarf die Berufung der Klägerin als unzulässig, weil sie die Berufung - entgegen § 151 Absätze 1 und 2 SGG - bis zum Ablauf der Berufungsfrist (Montag, dem 5. April 1954) weder beim Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, noch beim Sozialgericht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt habe. Wenn ihr Schreiben vom 26. März 1954, das sie - entgegen der ihr erteilten Rechtsmittelbelehrung - an das Sozialgericht gerichtet habe, erst nach dem Ablauf der Berufungsfrist an das Landessozialgericht gelangt sei, so müsse dies die Klägerin vertreten. Es gehöre nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Sozialgerichte, Eingänge sofort auf schnellstem Wege weiterzuleiten, wie dies für die der Beförderung dienenden Unternehmen von Post und Bahn gelte. Für diese handele es sich nur um die Weiterbeförderung der Eingänge, die Eingänge bei den Sozialgerichten bedürften hingegen der Bearbeitung und dabei ließen sich Verzögerungen nicht ausschließen. Außerdem habe sich die Klägerin in ihrem Schreiben so unklar ausgedrückt, daß man darin trotz Angabe des Aktenzeichens ihrer Invalidenrentenstreitsache auch eine neue Klage gegen den ihrem Schreiben beigelegten Ablehnungsbescheid des Arbeitsamtes habe erblicken können, zumal sie für die anzufechtende Entscheidung das auch für ihre Invalidenrentenstreitsache nicht zutreffende Datum "1. März 1954" angegeben habe.
Die Klägerin beantragt mit der von ihr eingelegten Revision, das Urteil des Vordergerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen; dieses habe die Berufung zu Unrecht als verspätet angesehen, im Falle der Versäumung der Berufungsfrist hätte es der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilen müssen. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision und bestreitet, daß die Klägerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt habe; die Klägerin habe dies vielmehr unterlassen, obwohl ihr das Berufungsgericht bedeutet habe, daß ihre Berufung verspätet eingegangen sei, und obwohl es ihr gerade im Hinblick auf diese Verspätung Gelegenheit zur Äußerung gegeben habe.
Die Revision ist statthaft. Da das Vordergericht sie nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), kann sie nur wegen Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels statthaft sein (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Obwohl die Klägerin in der Revisionsbegründung keine einzelnen Verfahrensvorschriften ausdrücklich als verletzt bezeichnet, hat sie doch den Erfordernissen einer Verfahrensrüge nach § 164 Abs. 2 SGG genügt. Die Verfahrensvorschriften, deren Verletzung die Klägerin rügen will, ergeben sich aus ihrem Vorbringen, das Landessozialgericht habe ihre Berufung rechtsirrtümlich als verspätet angesehen und ihr zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Daß die rechtswidrige Unterlassung einer Sachentscheidung sowie die unrechtmäßige Versagung der Wiedereinsetzung wesentliche Verfahrensmängel darstellen, hat das Bundessozialgericht bereits entschieden (BSG. 1, 283 und 1, 231).
Es war daher weiter zu prüfen, ob die gerügten Verfahrensmängel vorliegen, ob also der Vorderrichter zu Unrecht von der Versäumung der Berufungsfrist ausgegangen ist und, wenn seine Entscheidung insoweit nicht zu beanstanden ist, ob er zu Unrecht unterlassen hat, der Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsfrist (§ 151 Abs. 1 SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das an das Sozialgericht in Detmold gerichtete Schreiben der Klägerin vom 26. März 1954 stellt keine rechtzeitige Berufung dar. Die Berufungsfrist ist bei einer schriftlich eingelegten Berufung nur dann gewahrt, wenn die Berufungsschrift innerhalb der Berufungsfrist beim Landessozialgericht - also nicht wie hier beim Sozialgericht - eingegangen ist (§ 151 Abs. 1 SGG). Wie in der Amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit (Sozialgerichtsordnung - SGO) dargelegt ist (zu vgl. Drucks. des Deutschen Bundestages Nr. 4357 zu § 99, 1. Wahlperiode), soll die Berufung aus Gründen der Rechtssicherheit - abweichend vom bisherigen Rechtszustand nach der RVO (§ 129) - schriftlich nur noch beim Landessozialgericht eingelegt werden können. Der Erwägung, den in gerichtlichen Verfahrensangelegenheiten vielfach unerfahrenen und nicht schriftgewandten Beteiligten die Durchführung von Rechtsmittelverfahren ohne eine oft kostspielige Hilfe von Rechtskundigen zu ermöglichen, hatte die RVO in § 129 weitgehend Rechnung getragen; die Beteiligten konnten hiernach Rechtsmittel bei allen inländischen Behörden und auch bei Organen von Versicherungsträgern einlegen. Der Gesetzgeber des SGG hat diese alte Regelung - in Abweichung von den Vorschriften über die Klage, zu vgl. § 91 SGG - für das Berufungsverfahren nicht übernommen; dafür wurde das zwingende Erfordernis einer vom Gericht schriftlich zu erteilenden Rechtsmittelbelehrung eingeführt (§ 66 SGG).
Das Schreiben der Klägerin vom 26. März 1954 kann auch nicht als Einlegung der Berufung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts beurteilt werden, wie sie - im Sinne der früheren Regelung des § 129 RVO - für die Berufungseinlegung beim Sozialgericht in § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ergänzend vorgesehen ist. Den Anforderungen dieser Form der Berufungseinlegung hat die Klägerin nicht genügt, weil die Einlegung der Berufung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle stets die Anwesenheit des Berufungsklägers in Person voraussetzt, also nicht durch Übersendung eines Schreibens bewirkt werden kann.
Die Einlegung der Berufung durch Übersendung eines Schreibens an das Sozialgericht hätte der Klägerin somit nur dann nicht zum Nachteil gereicht, wenn ihre Berufungsschrift beim Landessozialgericht noch rechtzeitig eingegangen wäre (vgl. BSG. 1, 106 (108) für das Rechtsmittel der Revision - und für die Berufung: SozR. SGG § 151 Bl Da 2 Nr. 3). Da aber das Berufungsschreiben der Klägerin erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Landessozialgericht eingegangen ist, ist die Berufungsfrist nicht gewahrt.
Das Landessozialgericht hätte jedoch der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der gesetzlichen Berufungsfrist erteilen müssen. Dabei kommt es auf die von der Beklagten für wesentlich erachtete Frage, ob die Klägerin nach § 67 Abs 1 SGG einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt hat, nicht an, denn die Wiedereinsetzung kann unter bestimmten Voraussetzungen auch von Amts wegen gewährt werden (§ 67 Abs. 2 letzter Satz SGG). Wenn die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliegen, insbesondere die versäumte Rechtshandlung binnen Monatsfrist nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt ist, haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - übereinstimmend mit MRVO 165 (§ 36) - von Amts wegen zu prüfen, ob die Wiedereinsetzung in gleicher Weise gewährt werden soll, wie wenn ein Antrag vorläge. Zwar bestimmt § 67 Abs. 2 letzter Satz SGG lediglich, daß die Wiedereinsetzung unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Antrag gewährt werden "kann". Indessen darf aus dieser Fassung des Gesetzes nicht etwa geschlossen werden, daß es in das Belieben des Gerichts gestellt sei, ob es die Wiedereinsetzung gewähren wolle. Ist nach Lage der Sache mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ein Beteiligter eine Verfahrensfrist ohne Verschulden (§ 67 Abs. 1 SGG) versäumt, die Rechtshandlung aber innerhalb der Antragsfrist - einen Monat nach Wegfall des Hindernisses - nachgeholt hat, so entspricht es der das gesamte Sozialgerichtsverfahren beherrschenden Offizialmaxime, daß das Gericht auch ohne Antrag zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung gegeben sind.
Im vorliegenden Fall ergibt sich schon aus dem Akteninhalt, daß die offensichtlich im Rechtsverkehr ungewandte Klägerin die Berufungsfrist ohne Verschulden versäumt hat (§ 67 Abs. 1 SGG). Zwar entspricht die Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts, die den Wortlaut des Gesetzes (§ 151 Absätze 1 und 2) nur wenig verändert wiedergibt, den Vorschriften des § 66 SGG, so daß die regelmäßige Berufungsfrist von einem Monat mit der Zustellung des Urteils in Lauf gesetzt worden ist. Indessen schließt die Tatsache, daß eine Rechtsmittelbelehrung im Sinne des § 66 SGG rechtmäßig erteilt ist, nicht aus, daß dabei eine Fassung gewählt worden ist, die nach den besonderen Verhältnissen eines Beteiligten für diesen nicht verständlich war. Ein solcher Fall liegt hier vor. In der vom Sozialgericht erteilten Rechtsmittelbelehrung ist nämlich im zweiten Satz - übrigens abweichend von der Fassung des § 151 SGG - allgemein gesagt, die Berufung könne "schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden". Zwar bezieht sich dieser Satz, wie für den mit rechtlicher Ausdrucksweise Vertrauten ersichtlich ist, nur auf den in Satz 1 der Rechtsmittelbelehrung behandelten Fall der Einlegung der Berufung beim Landessozialgericht, während die Form der Berufungseinlegung beim Sozialgericht erst im zweiten Absatz der Rechtsmittelbelehrung dargelegt wird. Für einen rechtsunkundigen und geistig nicht besonders geschulten Beteiligten sind diese feineren Unterschiede bei der Einlegung des Rechtsmittels - einerseits beim Landessozialgericht, andererseits beim Sozialgericht - kaum zu verstehen. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß die in der Rechtsmittelbelehrung gebrauchten Worte "Einlegung der Berufung ... zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle" dem Laien im allgemeinen keine Vorstellung von dem Hergang bei dieser Form der Berufungseinlegung zu geben vermögen. Je abstrakter und förmlicher der Inhalt einer gerichtlichen Rechtsbelehrung erscheint, je rechtsunkundiger und in Prozeßsachen unerfahrener, ungewandter und ungeschulter Beteiligte sind, um so erklärlicher ist es, wenn sie fehlerhafte Prozeßhandlungen vornehmen, die dann auch rechtlich entschuldbar erscheinen. Da die Klägerin offenbar nur im Rahmen der täglichen Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse und somit in sehr bescheidener und recht eingeschränkter Form am allgemeinen Rechtsverkehr teilnimmt, kann es ihr nicht als Verschulden angerechnet werden, daß sie trotz der ihr erteilten, für sie leicht mißzuverstehenden Rechtsmittelbelehrung der Meinung war, sie könne Berufung schriftlich auch beim Gericht erster Instanz einlegen, - eine Auffassung, die zudem der Regelung in mehreren anderen Verfahrensarten, insbesondere im Verfahren vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, entspricht (MRVO Nr. 165 § 83 Abs. 1; VerwGG § 103; StPO § 314; vgl. auch Entw. der VGO § 123 Abs.2 - BT II/1953 Nr. 462 - und Entw. der FinGO § 104 - BT II/1953 Nr. 1716). Die Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse eines Beteiligten, insbesondere seiner Gewandtheit und Erfahrung im Rechtsverkehr, entspricht auch insofern dem Sinn des Gesetzes, als im Verfahren der ersten und der zweiten Stufe der Sozialgerichtsbarkeit kein gesetzlicher Vertretungszwang besteht. Der Gesetzgeber geht mithin davon aus, daß die am Verfahren Beteiligten nach der Art des sozialgerichtlichen Verfahrens in der ersten und zweiten Instanz in der Lage sein müssen, bei gehöriger Sorgfalt ihre Rechte im Verfahren selbst wahrzunehmen. Es kann daher der Klägerin auch nicht als Verschulden angerechnet werden, daß sie es unterlassen hat, bei Einlegung der Berufung rechtskundigen Rat einzuholen.
Nach alledem ist davon auszugehen, daß die Klägerin die Berufungsschrift ohne Verschulden im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG an das Sozialgericht statt an das Landessozialgericht gesandt hat. Der Irrtum der Klägerin über die Form der Berufungseinlegung ist durch das Schreiben des Vorsitzenden des 4. Senats des Landessozialgerichts vom 1. August 1955, das der Klägerin am 8. August 1955 zugestellt wurde, behoben worden. Da sie spätestens mit dem beim Landessozialgericht am 18. August 1955 eingegangenen Schreiben vom 16. August 1955, also innerhalb eines Monats nach Wegfall des "Hindernisses" - nämlich ihres Irrtums - die versäumte Berufung nachgeholt hat, sind die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 2 SGG gegeben. Das Landessozialgericht hätte der Klägerin somit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen müssen.
Infolge Nichtbewilligung der Wiedereinsetzung hat das Landessozialgericht zu Unrecht von einer Sachentscheidung abgesehen. Sein Verfahren leidet deswegen an einem wesentlichen Mangel, auf dem das angefochtene Urteil beruht. Die Revision ist hiernach statthaft und auch begründet. Da der Rechtsstreit mangels hinreichender Feststellungen über die Frage der Invalidität der Klägerin noch nicht spruchreif ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs.2 SGG).
Fundstellen