Leitsatz (amtlich)
Der Witwe eines knappschaftlich Versicherten steht anläßlich ihrer 3. Eheschließung wegen des Wegfalls ihrer nach Auflösung der 2. Ehe wiederaufgelebten Witwenrente aus der Versicherung ihres 1. Ehemannes keine Rentenabfindung zu (Anschluß an BSG 1965-06-23 11/1 RA 70/62 = BSGE 23, 124).
Normenkette
RKG § 83 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1302 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Dezember 1964 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28. Oktober 1963 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist die Gewährung der Witwenrentenabfindung nach § 83 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) aus Anlaß der dritten Eheschließung der Klägerin.
In erster Ehe war die Klägerin mit dem Bergmann A A verheiratet. Nach dessen Tode bezog sie aus der knappschaftlichen Rentenversicherung Witwenrente. Am 19. Juli 1958 ging die Klägerin eine Ehe mit P H ein. Daraufhin wurde die Witwenrente mit Ablauf des Monats Juli 1958 eingestellt und eine Witwenabfindung in Höhe von 16.914,- DM gezahlt. Der zweite Ehemann starb am 4. März 1959. Die Beklagte gewährte der Klägerin die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Am 6. September 1962 heiratete die Klägerin den Rentner J M D und beantragte bei der Beklagten, ihr erneut eine Abfindung für die wegfallende wiederaufgelebte Witwenrente zu gewähren.
Mit Bescheid vom 29. Oktober 1962 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, daß die Klägerin im Verhältnis zu ihrem ersten Ehemann nicht mehr Witwe sei.
Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Bescheid vom 6. Februar 1963 mit derselben Begründung zurück.
Gegen diese Bescheide richtet sich die Klage.
Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat mit Urteil vom 28. Oktober 1963 die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 9. Dezember 1964 das Urteil des SG Koblenz vom 28. Oktober 1963, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 6. Februar 1963 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 1962 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin anläßlich ihrer zweiten Wiederverheiratung die Witwenabfindung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung ihres ersten Ehemannes zu gewähren; es hat die Revision zugelassen. Das LSG ist der Auffassung, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin die Abfindung nach § 83 Abs. 2 RKG anläßlich ihrer dritten Eheschließung erneut zu gewähren und führt zur Begründung im wesentlichen aus: Die Klägerin habe nach dem Tode ihres zweiten Ehemannes wieder Anspruch auf die Witwenrente aus der Rentenversicherung ihres ersten Ehemannes gehabt. Nach § 83 Abs. 2 RKG habe aber der Berechtigte - und das sei, wie sich aus Abs. 1 dieser Vorschrift ergebe, der Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente - Anspruch auf diese Abfindung, wenn er wieder heiratet. Für die Meinung, daß diese Abfindung nur bei der zweiten Heirat zu zahlen sei, ergebe sich aus dem Gesetz kein Anhalt. Die Vorschrift, daß eine gewährte Abfindung bei Zahlung einer aufgelebten Witwenrente in angemessenen monatlichen Teilbeträgen einzubehalten ist (§ 83 Abs. 3 Satz 2 RKG), spreche vielmehr dafür, daß bei jeder Wiederverheiratung eines Berechtigten die Abfindung zu bewilligen sei. Denn es bestehe durchaus die Möglichkeit, daß einer Witwe nach dem Tode des zweiten Ehemannes die bei der ersten Wiederverheiratung gezahlte Abfindung im Laufe der Zeit einbehalten worden sei, und es sei nicht einzusehen, warum die Witwe bei ihrer zweiten Wiederverheiratung, durch die der Rentenversicherungsträger von der Weiterzahlung der Witwenrente erneut befreit werde (§ 83 Abs. 1 RKG), keinen Anspruch auf Gewährung der Abfindung haben solle.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 83 Abs. 2 RKG und trägt dazu vor: Voraussetzung für die Abfindung sei, daß die Klägerin bis zur Wiederheirat den Familienstand einer Witwe im Verhältnis zu dem Versicherten habe, aus dessen Versicherung die Witwenrente gezahlt werde. "Witwe" eines Versicherten sei aber nur diejenige Frau, die im Zeitpunkt des Todes mit ihm verheiratet gewesen sei. Die Bezieherin einer nach § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wiederaufgelebten Witwenrente sei keine "Witwe" im Verhältnis zu ihrem früheren Ehemann, weil sie sich nach dessen Tod wieder verheiratet und damit die Witweneigenschaft verloren habe. Der Umstand, daß der Wortlaut des § 1302 Abs. 1 RVO, wonach eine Witwe bei Wiederheirat abzufinden ist, mit dem des § 83 Abs. 2 RKG, der einem Berechtigten, der wieder heiratet, eine Abfindung zuerkennt, nicht übereinstimmt, zwinge nicht dazu, unterschiedlich zu verfahren. Trotz der von einander abweichenden Bezeichnungen handele es sich um den gleichen Personenkreis. Die abweichende Bezeichnung im RKG sei durch die Zusammenfassung der Wegfall- und Abfindungsvorschriften in § 83 Abs. 1 und 2 RKG rein sprachlich bedingt und habe keine materiell-rechtliche Bedeutung. Wenn § 83 Abs. 2 RKG dem "Berechtigten", der wieder heiratet, eine Abfindung zuspreche, könne damit nur der in Abs. 1 aaO genannte Berechtigte, also der Bezieher einer Witwen- bzw. einer Witwerrente gemeint sein, dessen Rente mit dem Ablauf des Monats wegfällt, in dem er wieder heiratet.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28. Oktober 1963 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Rüge der Beklagten nicht für durchgreifend. Das Berufungsgericht habe überzeugend entschieden, daß sich für die Auffassung der Beklagten, diese Abfindung sei nur bei der zweiten Verheiratung zu zahlen, aus dem Gesetz kein Anhaltspunkt ergebe. Vielmehr lasse die Regelung des § 83 Abs. 3 RKG darauf schließen, daß die Abfindung bei jeder Wiederverheiratung eines Berechtigten zu zahlen ist.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Anspruch auf Gewährung einer Witwenrentenabfindung nach § 83 Abs. 2 RKG aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes anläßlich ihrer dritten Eheschließung nicht zu; denn § 83 Abs. 2 RKG erfaßt nur die zweite, nicht aber die dritte Eheschließung, wie bereits der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) durch Urteil vom 23. Juni 1965 zu der den gleichen Sachverhalt regelnden Vorschrift des § 1302 Abs. 1 RVO entschieden hat (BSG 23, 124). Dieser Entscheidung schließt sich der erkennende Senat für das Knappschaftsrecht an. Der 11. Senat hat in diesem Urteil zutreffend dargelegt, daß unter der Witwe im Sinne des § 1302 Abs. 1 RVO nur die Witwe des Versicherten verstanden werden kann; diesen Status hat die Klägerin aber bereits mit der zweiten Eheschließung verloren. Seit dieser Zeit war sie die Ehefrau ihres zweiten Ehemannes und nach seinem Tode dessen Witwe. Es ist zwar richtig, daß § 83 Abs. 2 RKG abweichend von § 1302 Abs. 1 RVO von dem "Berechtigten" und nicht von der "Witwe" (oder dem "Witwer") spricht. Unter dem "Berechtigten" im Sinne dieser Vorschrift ist aber nichts anderes zu verstehen als die "Witwe" (oder der "Witwer") im Sinne des § 1302 Abs. 1 RVO. Die unterschiedliche Bezeichnung erklärt sich allein aus der unterschiedlichen Systematik beider Gesetze. § 83 RKG enthält, anders als § 1302 RVO, in seinem ersten Absatz die Rentenwegfallvorschrift, in der ebenso wie in § 1291 Abs. 1 RVO von dem "Berechtigten" gesprochen wird. Nur darauf ist es zurückzuführen, daß § 1302 Abs. 1 RVO von der "Witwe" spricht, deren Rente abgefunden wird, während sich § 83 Abs. 2 RVO in Fortsetzung des § 83 Abs. 1 RVO der Bezeichnung "Berechtigter" bedient. Angesichts der grundsätzlichen Gleichbehandlung allgemeiner Fragen in den drei Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen kann aber insoweit nur dasselbe gemeint sein.
Es ist dem Berufungsgericht zwar zuzugeben, daß § 83 Abs. 2 RKG allein seinem Wortlaut nach zu der Auffassung führen könnte, daß jedem Berechtigten, d.h. jedem Bezieher einer Witwenrente, der wieder heiratet, als Abfindung das Fünffache des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente zu gewähren ist. Das Berufungsgericht hat aber nicht genügend berücksichtigt, daß unter dem Berechtigten im Sinne des § 83 Abs. 2 RKG, wie bereits ausgeführt, die Witwe bzw. der Witwer des Versicherten zu verstehen ist und daß die Klägerin den Status der Witwe des Versicherten bereits mit der zweiten Eheschließung verloren hatte. Hinzu kommt, daß es sich hier nicht um eine wegen des Todes des Versicherten originär gewährte, sondern um eine nach dem Tode des zweiten Ehemannes nach § 83 Abs. 3 RKG wiederaufgelebte Witwenrente handelt. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die wiederaufgelebte Witwenrente gegenüber der originären Witwenrente einen besonderen Charakter trägt, weil sie einer Frau gewährt wird, die nicht mehr Witwe des Versicherten ist. Dieser besondere Charakter schließt es aus, diese Rente hinsichtlich der Abfindung ebenso zu behandeln wie eine originäre Witwenrente. Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß die hohe Witwenrentenabfindung nach § 83 Abs. 2 RKG und die in § 83 Abs. 3 RKG enthaltene gesetzliche Zusage des Wiederauflebens der mit der Wiederverheiratung wegfallenden Witwenrente bei Auflösung der zweiten Ehe den Zweck haben, die Hemmnisse, die der Wiederverheiratung einer Witwe wegen des Wegfalls ihrer Witwenrente entgegenstehen, möglichst aus dem Wege zu räumen, um unerwünschte Rentenkonkubinate zu vermeiden (vgl. Begründung zu § 1305 ArVNG des Reg. Entwurfs, BT-Drucks. Nr. 2437, 2. Wahlperiode, S. 80); Verb.Komm., 6. Aufl., Anm. 1 Abs. 1 zu § 1291 RVO; BSG 23, 124). Wenn auch der Versicherungsträger durch die Wiederheirat einer Witwe entlastet wird, weil seine Verpflichtung zur Zahlung der Witwenrente entfällt, so hat doch die durch die Neuregelungsgesetze eingeführte Regelung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eine erhebliche zusätzliche Belastung des Versicherungsträgers zur Folge. Der Umstand, daß diese Belastung jedenfalls im wesentlichen auf allgemeinen staatspolitischen Gründen beruht, nötigt zu einer engen Auslegung in dem Sinne, daß der jeweilige Versicherungsträger mit der Abfindung nur einmal belastet wird, d.h. nicht noch ein zweites Mal die vorgesehenen Leistungen erbringen muß, um nunmehr auch noch die dritte Eheschließung zu erleichtern. Diese Leistungen könnten bei verständiger Würdigung ihres Zweckes nur zu Lasten desjenigen öffentlich-rechtlichen Systems der Hinterbliebenenversorgung gehen, dem der zweite Ehemann angehört hat. Ein nochmaliger Rückgriff auf den Versicherungsträger, dem der erste Ehemann angehört hat, kann daher selbst dann nicht im Sinne dieser Regelung liegen, wenn der zweite Ehemann keinem öffentlich-rechtlichen System der Hinterbliebenenversorgung angehört, für das eine entsprechende Regelung getroffen ist.
Die nach § 83 Abs. 3 RKG wiederaufgelebte Witwen- oder Witwerrente beruht ... auf dem Gedanken, Hemmnisse zu beseitigen, die der Wiederheirat der Witwe oder des Witwers des Versicherten wegen des Wegfalls der Rente entgegenstehen, und ihm die Besorgnis zu nehmen, daß er nach Auflösung der zweiten Ehe in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Es ist aber nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber im Falle der Auflösung der zweiten Ehe dem Bezieher der wiederaufgelebten Witwen- oder Witwerrente über diese Sicherung hinaus das Recht einräumen wollte, aus der Versicherung des ersten Ehegatten nochmals eine Abfindung zu erhalten, um eine dritte Eheschließung zu erleichtern.
Die Klägerin hat somit keinen Anspruch auf Abfindung ihrer wiederaufgelebten Witwenrente, so daß die Revision der Beklagten begründet ist.
Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts wird daher aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen