Leitsatz (amtlich)
1. Im Anfechtungsverfahren gegen die Wahl der Vertreterversammlung ist auch dann nur der Versicherungsträger Beklagter, wenn zugleich Entscheidungen von Landesbehörden angefochten werden, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen. Diese Behörden sind nicht notwendig beizuladen.
2. Im Anfechtungsverfahren, das die Wahl insgesamt betrifft, sind die einzelnen Gewählten nicht notwendig beizuladen.
3. Der Grundsatz der paritätischen Selbstverwaltung bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen verlangt die klare Unterscheidung von Arbeitgebern und Versicherten. Er erlaubt es nicht, versicherte Angestellte mit Arbeitgeberfunktionen (leitende Angestellte) auch dann als Arbeitgeber zu behandeln, wenn sie nicht nach der Sondervorschrift des § 51 Abs 2 SGB 4 als Arbeitgebervertreter kandidieren.
Normenkette
SGB 4 § 47 Abs 4 Fassung: 1976-12-23; SGB 4 § 51 Abs 2 Fassung: 1976-12-23; SGB 4 § 57 Fassung: 1976-12-23; SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob zu der Wahl der Vertreterversammlung der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) anläßlich der Sozialwahlen 1980 eine freie Liste der Versicherten, der die Kläger angehören, zuzulassen war.
Der Wahlausschuß der Beklagten wies die freie Liste zu den Sozialwahlen 1980 zurück, weil sie auf Betreiben von Kassenärzten zustandegekommen sei (Beschluß vom 8. Januar 1980). Der Landes(beschwerde-)wahlausschuß ließ auf Beschwerde der Kläger die Liste zunächst zu (Beschluß vom 5. Februar 1980), kündigte aber zugleich eine neue Verhandlung drei Tage später an. Im Anschluß an diese Verhandlung hob er den Zulassungsbeschluß wieder auf, weil er ihn wegen eines Verfahrensfehlers für nichtig hielt. Er wies die Beschwerde der Kläger zurück: Von den 47 Unterzeichnern der freien Liste hätten 21 erklärt, ihnen sei die Vorschlagsliste bei der Unterschrift nicht vorgelegt worden (Beschluß vom 8. Februar 1980).
Vor dem Sozialgericht (SG) haben die Kläger beantragt, den Beschluß des Landes(beschwerde)wahlausschusses vom 8. Februar 1980 und die inzwischen - am 1. Juni 1980 - erfolgte Friedenswahl für ungültig zu erklären und eine Urwahl unter Zulassung der freien Liste anzuordnen. Diesem - in der Fassung wechselnden - Antrag haben beide Vorinstanzen - mit unterschiedlichen Urteilsfassungen - entsprochen (Urteil des SG Augsburg vom 7. April 1981; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 25. November 1981): Der Beschluß vom 8. Februar 1980 sei fehlerhaft, denn der Landeswahlausschuß sei an den vorausgegangenen Beschluß vom 5. Februar 1980 gebunden gewesen. Abgesehen davon sei der Beschluß vom 5. Februar 1980 inhaltlich richtig gewesen. Die freie Liste hätte zugelassen werden müssen, weil sie keine Mängel aufweise. Die Unterschriften seien zwar nicht ganz bedenkenfrei zustandegekommen. Die Zulassungsvoraussetzungen der §§ 19 ff der Wahlordnung für die Sozialversicherung (SVWO) idF vom 9. August 1979, BGBl I 1367 seien aber erfüllt. Aus der Verletzung der Pflicht, die freie Liste zuzulassen, ergebe sich die Ungültigkeit der Wahl und die Verpflichtung des Landeswahlbeauftragten, die Wahl der Versicherungsvertreter nun in Form der Urwahl zu wiederholen. Der Wahlbeauftragte werde aber nur mittelbar von dem Urteil betroffen; er sei daher nicht notwendigerweise beizuladen. Die Ausführungen der Kläger zur Ungültigkeit der Wahl auch der Arbeitgebervertreter seien als Anschlußberufung zu werten. Diese Berufung sei aber als Klageänderung nicht zuzulassen, weil die Anfechtungsfrist versäumt sei.
Sämtliche Beteiligte haben die von dem Senat nachträglich zugelassene Revision eingelegt.
Die Beklagte und die Beigeladenen rügen übereinstimmend eine Verletzung des § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und des § 48 Abs 1 Nr 4 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften - (SGB 4). Der Landeswahlbeauftragte hätte notwendigerweise beigeladen werden müssen. Die Vorinstanzen hätten sich bei der Prüfung der freien Liste nicht auf Formvorschriften beschränken dürfen. Sie hätten prüfen müssen, ob die freie Liste dem Grundsatz der Gegnerfreiheit entspreche. Das sei nämlich offenkundig nicht der Fall. Denn aus den Feststellungen des SG, die das LSG pauschal übernommen habe, ergebe sich, daß die Klägerin Nr 1) Arbeitgeberfunktionen erfülle und sogar ursprünglich auf der Liste der Arbeitgeber gestanden habe. Die Liste sei aber auch deshalb anfechtbar, weil sie von Ärzten betrieben werde, die nach § 51 Abs 6 Nr 6 Buchst a) SGB 4 von der Wählbarkeit ausgeschlossen seien.
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klagen abzuweisen
sowie die Revision der Kläger zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen
zurückzuweisen.
Mit ihrer Revision beantragen die Kläger sinngemäß,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des
Landessozialgerichts auch die Wahl der
Arbeitgebervertreter für ungültig zu erklären
und auch insoweit eine Urwahl anzuordnen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen haben keinen Erfolg. Sie sind zurückzuweisen. Die Revisionen der Kläger sind unzulässig. Die Revisionen der beklagten Kasse und der beigeladenen Verbände sind nicht begründet.
Die Kläger sind durch das angefochtene Urteil nur insoweit beschwert, als ihre Anschlußberufungen, mit der sie die Wahl der Arbeitgebervertreter angefochten haben, zurückgewiesen wurden (Nr IV und V des Urteilsausspruchs des LSG). Die Kläger persönlich haben aber im Revisionsverfahren ihre Klage gegen diese Wahl zurückgenommen. Für diese Prozeßhandlung besteht auch im Revisionsverfahren kein Vertretungszwang (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 166 Anm 3). Soweit sich die Kläger darum bemühen, die Wahl für "nichtig" erklären zu lassen, ist eine Beschwer ebenfalls nicht ersichtlich. Denn § 131 Abs 4 SGG stellt klar, daß die Wahl für "ungültig" zu erklären ist, wenn die Wahlanfechtungsklage Erfolg hat. Das hat das LSG getan. Die zusätzlichen Anträge, die die Kläger in einer Reihe von Schriftsätzen stellen, gehen über den Streitgegenstand hinaus und sind schon daher (vgl § 168 SGG) unzulässig.
Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen sind nicht begründet. Denn das LSG hat zu Recht die Wahl für ungültig erklärt und die Wiederholung der Wahl angeordnet. Der Senat ist in der Lage, diese Sachentscheidung zu treffen, wenn auch der Landeswahlbeauftragte und die durch die angefochtene Wahl Gewählten nicht beigeladen worden sind. Zwar werden diese Personen von der begehrten Entscheidung unmittelbar betroffen. Gleichwohl sind sie nicht nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen. Das folgt aus den Besonderheiten des Wahlanfechtungsverfahrens:
Eine wesentliche Besonderheit des Wahlanfechtungsverfahrens, die die notwendige Beiladung des Landeswahlbeauftragten erübrigt, besteht darin, daß in diesem Verfahren nicht über ein mit der Wahl zusammenhängendes Verwaltungshandeln des Landeswahlbeauftragten, sondern nur über die Wahl selbst entschieden wird.
Das zeigt sich schon an § 22 Abs 4 SVWO. Danach kann die Entscheidung des Beschwerdewahlausschusses nur durch Klage nach § 57 SGB 4 - das ist die Wahlanfechtungsklage - angefochten werden. Das beanstandete Verwaltungshandeln kann nicht wie in einem üblichen Verwaltungsstreitverfahren - in der Gestalt der Widerspruchsentscheidung (§ 95 SGG) - gesondert angegriffen werden. Gewiß ist die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns von Bedeutung, aber nur dann, wenn davon die Gültigkeit der Wahl abhängt. Daß die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns dadurch nicht zum Streitgegenstand des Wahlanfechtungsverfahrens wird, verdeutlicht § 57 SGB 4 selbst. Nach dessen Abs 1 können "Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in Abs 2 und in der Wahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen angefochten werden". Der in Abs 2 genannte Rechtsbehelf ist die Wahlanfechtungsklage. Diese Klage ist gegen den Versicherungsträger zu richten. Der Versicherungsträger ist aber nicht der Rechtsträger, der die wesentlichen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf das Wahlverfahren beziehen, trifft. Der Versicherungsträger ist jedenfalls nicht der Rechtsträger, der die hier angefochtene Beschwerdeentscheidung getroffen hat oder dem diese Entscheidung zuzurechnen wäre. Der Beschwerdewahlausschuß ist vielmehr von der obersten Verwaltungsbehörde des Landes zu bestellen (§ 4 Abs 1 Satz 2 SVWO). Wenn die Beschwerdeentscheidung gesondert anfechtbar wäre, müßte sie gegen den Beschwerdewahlausschuß oder das Land gerichtet werden, das ihn bestellt (vgl § 70 Nr 3 SGG).
Da § 22 Abs 4 SVWO anordnet, daß § 57 SGB 4 unmittelbar - nicht entsprechend - angewendet wird, steht fest, daß die Klage gegen einen Rechtsträger zu richten ist, der die Beschwerdeentscheidung nicht erlassen hat. Da somit das Gesetz die Beteiligung des zuständigen Rechtsträgers offenbar nicht für geboten hält, ist auch die Beiladung dieses Rechtsträgers nicht notwendig.
Nicht anders ist die Beiladung des Landeswahlbeauftragten zu beurteilen, der ebenfalls von dem Land zu bestellen ist (§ 2 Abs 2 SVWO). Ihm obliegen allerdings nicht nur die sich auf die Wahl beziehenden Entscheidungen oder Maßnahmen, sondern "die Durchführung der Wahlen" (§ 53 Abs 2 Satz 2 SGB 4) selbst.
Wenn er trotzdem in § 57 Abs 2 SGB 4 nicht als Beklagter genannt ist, so ist dies ein weiterer Hinweis darauf, daß das Wahlanfechtungsverfahren nicht die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, sondern die Gültigkeit der Wahl als eines Bürgerakts zum Gegenstand hat.
Auch die nach § 131 Abs 4 Halbs 2 SGG ausgesprochene Verpflichtung des Landeswahlbeauftragten, die Wahl zu wiederholen, zwingt nicht zur Beiladung. Hier wird der Landeswahlbeauftragte allerdings zu Verwaltungsmaßnahmen verpflichtet. Es ist ungewöhnlich, daß er als Verurteilter nicht Beklagter ist. Ist das aber - nach dem klaren Wortlaut des § 57 Abs 2 SGB 4 - ausgeschlossen, so ist es auch nicht geboten, ihm über die notwendige Beiladung zu einem Beteiligten zu machen, der nur dann in einem normalen Sozialgerichtsverfahren verurteilt werden kann (§ 75 Abs 5 SGG).
Der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat die Beiladung des Landeswahlbeauftragten in einer das frühere Recht (§ 30 Selbstverwaltungsgesetz) betreffenden Entscheidung für notwendig gehalten (BSGE 39, 244, 252). Auch wenn das SGB 4 insoweit keine Änderung gebracht haben sollte, bedeutet die Entscheidung des erkennenden Senats keine Abweichung iS des § 42 SGG, die die Anrufung des Großen Senats erfordert. Denn der 2. Senat hat die notwendige Beiladung nur in einer die damalige Entscheidung nicht beeinflussenden Äußerung befürwortet (vgl BSGE 51, 23, 25).
Eine weitere Besonderheit des Wahlanfechtungsverfahrens, die es rechtfertigt, die Beteiligung weiterer Personen und Behörden zu unterlassen, liegt darin, daß die Beteiligten entgegen §§ 101, 102 SGG nicht befugt sind, über den Streitgegenstand frei zu verfügen (BSGE 36, 245, 246). Das hat seinen Grund darin, daß das Wahlanfechtungsverfahren nicht den Schutz subjektiver Rechte, sondern die Einhaltung des objektiven Wahlrechts zum Ziel hat (vgl BVerfGE 1, 430, 433; 1, 208, 238; 35, 300, 301; 37, 84, 89; BVerwGE 44, 172, 174; 48, 251, 254 Siefert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl, Art 41 GG Anm 9: Ähnlichkeit mit abstrakter Normenkontrolle und Popularklage; Olschewski, Wahlprüfung u subj Wahlrechtsschutz, Diss Berlin 1969 S 90: partielle Rechtsschutzverweigerungsnorm). Daher werden in diesem Verfahren nicht nur die Interessen der Allgemeinheit, sondern auch die Interessen von Nichtbeteiligten von Amts wegen berücksichtigt.
Es kann offenbleiben, ob schon der Amtsbetrieb eines Wahlanfechtungsverfahrens allein es erlaubt, von der Beiladung derjenigen abzusehen, die von dem Urteil unmittelbar in ihren Rechten betroffen werden. Insbesondere kann offenbleiben, ob der Amtsbetrieb es rechtfertigt, auf die Beteiligung derjenigen zu verzichten, die durch die angefochtene Wahl ein Amt erlangt haben. Zweifel mögen vor allem dann gerechtfertigt sein, wenn die Wahl einzelner Personen angegriffen wird (vgl BVerwG, Urteil vom 12. August 1981 in Buchholz 310, § 65 VwGO Nr 60).
Der Verzicht auf die Beiladung der Vertreterversammlung und/oder der Gruppe der Versicherten - beruht nicht allein auf dem Amtsbetrieb. Die Kasse, deren Hauptorgan die Vertreterversammlung ist, ist die Beklagte. Sie hat keine eigenen Interessen an der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahl (vgl Krause in Gemeinschaftskommentar z SGB 4, § 57 RdNr 18: "Hinkende Beteiligtenrolle"). Ihre Beteiligung hat vor allem den Sinn, die Interessen der Vertreterversammlung und der Gruppe der Vertreterversammlung wahrzunehmen, deren Wahl angefochten ist (vgl BSGE 40, 166, 167, wonach bei Anfechtung der Präsidiumswahl das vom Präsidenten vertretene Präsidium nicht beigeladen werden muß). Die beklagte Kasse ist der "geborene Vertreter" der Interessen der gewählten Mitglieder der Vertreterversammlung. Das gilt jedenfalls dann, wenn, wie hier, nicht die Wahl einzelner Mitglieder, sondern die Wahl einer Gruppe insgesamt angefochten ist.
Nach § 57 Abs 2 SGB 4 kann die Anfechtung einer Wahl darauf gestützt werden, es sei gegen das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden. Die Anfechtung ist hier darauf gestützt worden, der Beschwerdewahlausschuß habe gegen das Wahlverfahren verstoßen. Er habe zu strenge Anforderungen an die Listenunterschriften gestellt. Die Vorinstanzen sind dem gefolgt und haben die Wahl für ungültig erklärt, weil sie möglicherweise anders ausgegangen wäre, wenn der Beschwerdewahlausschuß nicht verfahrensfehlerhaft vorgegangen wäre. Dagegen haben sich die Revisionskläger nicht mehr gewandt. Aber auch die von ihnen zu Recht verlangte Prüfung der Wählbarkeit führt zu keinem anderen Ergebnis.
Zu prüfen ist im Wahlanfechtungsverfahren nicht nur die Wählbarkeit der Gewählten, sondern auch die der sonstigen Bewerber, wenn die Gültigkeit der Wahl davon abhängt, ob diese Bewerber zu Recht vom Wahlverfahren ausgeschlossen wurden. Daß der Wahlausschuß und der Beschwerdewahlausschuß die Wählbarkeit zu prüfen hatten, ergibt sich unmittelbar aus § 20 Abs 2 letzter Satz SVWO. Hiernach ist zu prüfen, ob eine Vorschlagsliste hinsichtlich einzelner Bewerber den Anforderungen entsprechen, die durch das SGB 4 oder die Wahlordnung aufgestellt sind. Ist dies nicht der Fall, so sind die Namen dieser Bewerber aus der Vorschlagsliste zu streichen. Diese Prüfung ist allerdings nur dann nötig, wenn "besonderer Anlaß" besteht, an der Wählbarkeit zu zweifeln. Diese Beschränkung ist in § 19 Abs 2 Satz 2 SVWO festgelegt, weil die Wählbarkeit auch nach der Wahl vom Vorstand zu prüfen ist (§ 59 Abs 2 SGB 4). Die Sachverhaltsdarstellung des SG zeigt, daß hier "besonderer Anlaß" bestand. Daher ist nicht entscheidungserheblich, ob auch die dem Gericht nach § 57 Abs 2 SGB 4 obliegende Prüfung der Wählbarkeit durch § 19 Abs 2 Satz 2 SVWO eingeschränkt ist.
Die Behauptung der Beklagten und der beiden Beigeladenen, die Klägerin sei nicht nur Listenführerin ihrer Liste, sondern auch auf der Liste der Arbeitgeber aufgeführt gewesen, sollte nicht nur bewirken, sie nach der Ordnungsvorschrift des § 19 Abs 5 SVWO zu streichen, sondern auch einige Bewerber der freien Liste oder die freie Liste insgesamt aus einem sachlich-rechtlichen Grund zurückzuweisen, nämlich aus der gesetzlich geregelten "paritätischen" Selbstverwaltung der Versicherten und der Arbeitgeber. Danach seien Arbeitnehmer mit Arbeitgeberfunktionen (leitende Angestellte) nicht als Versichertenvertreter auf einer freien Liste wählbar. Vom Gebot der Parität her müsse bei freien Listen besonders geprüft werden, ob die jeweilige Liste auch die Gewähr dafür biete, die Interessen der Gruppe, für die sie aufgestellt sei und nicht die der anderen Gruppe zu wahren (Grundsatz der Gegnerfreiheit - vgl dazu Schaub, Handbuch des Arbeitsrechts, 4. Aufl § 187 III, S 975; Scholz in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Kommentar Stand: Sept. 1981, Art 9 RdNr 287, 306: Schutz der Koalitionsparität). Selbst wenn aber die Klägerin und weitere versicherte Bewerber der freien Liste leitende Angestellte gewesen sein sollten, könnten sie auf einer Liste der Versicherten nach § 48 Abs 1 Nr 4 SGB 4 kandidieren.
Nach § 44 Abs 1 Nr 1 SGB 4 setzen sich die Selbstverwaltungsorgane der Ortskrankenkassen je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammen. Die Versicherten und die Arbeitgeber wählen die Vertreter ihrer Gruppen in die Vertreterversammlung getrennt aufgrund von Vorschlagslisten (§ 46 Abs 1 Nr 1 SGB 4). Wählbar ist, wer am Stichtag zu einer der Gruppen gehört, aus deren Vertreter sich die Selbstverwaltungsorgane des Versicherungsträgers zusammensetzen (§ 51 Abs 1 Nr 1 SGB 4). Auch das - aktive - Wahlrecht hängt von der Gruppenzugehörigkeit ab (§ 50 Abs 1 Nr 1 SGB 4).
Für die Gruppenzugehörigkeit besteht eine besondere Regelung: § 47 SGB 4. Hier sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen jemand Versicherter ist (§ 47 Abs 1 Nr 1) und die Voraussetzungen, unter denen jemand Arbeitgeber ist (§ 47 Abs 2 Nr 1 SGB 4). Wer sowohl die Voraussetzungen der Versicherteneigenschaft wie auch die der Arbeitgebereigenschaft erfüllt, gilt nach § 47 Abs 4 SGB 4 als nur zur Gruppe der Arbeitgeber gehörig und wird im Selbstverwaltungsrecht nur als Arbeitgeber behandelt, obwohl er auch Versicherter ist.
Die weitere Zweifelsfrage, wie diejenigen Versicherten zu behandeln sind, die zwar keine Arbeitgeber sind, aber Arbeitgeberfunktionen ausüben (leitende Angestellte) ist nicht ausdrücklich geregelt. Fehlt somit eine Regelung für die arbeitgeberähnlichen Versicherten, so müssen sie nach ihrem Status als Versicherte behandelt werden und nicht nach ihrer Arbeitgebern ähnelnden Stellung im Betrieb. Das wäre nur anders zu beurteilen, wenn eine Regelung für die arbeitgeberähnlichen Versicherten als planwidrige angesehen werden müßte. Dafür fehlen aber überzeugende Gründe.
Die Regelung der Wählbarkeit arbeitgeberähnlicher Personen (§ 51 Abs 2 SGB 4) beweist nicht, daß eine entsprechende Regelung der Gruppenzugehörigkeit vergessen worden ist. Die Wählbarkeit hängt nämlich grundsätzlich von der Gruppenzugehörigkeit ab (§ 51 Abs 1 Nr 1 SGB 4), die in § 47 SGB 4 geregelt ist. Über diesen Grundsatz geht § 51 Abs 2 SGB 4 hinaus und sagt, daß wählbar als Versichertenvertreter "auch" ein gesetzlicher Vertreter, Geschäftsführer oder bevollmächtigter Betriebsleiter eines Arbeitgebers ist. Schon dieser Wortlaut zeigt, daß es sich hier um eine nur für die Wählbarkeit gedachte Regelung handelt, die die Gruppenzugehörigkeit unberührt läßt. Außerdem bleibt das Wahlrecht von der besonderen Wählbarkeit des § 51 Abs 2 SGB 4 grundsätzlich unberührt. Denn nach § 50 Abs 4 SGB 4 kann ein gesetzlicher Vertreter oder, wenn ein solcher nicht vorhanden ist, ein Geschäftsführer oder bevollmächtigter Betriebsleiter das Wahlrecht nur ausüben, wenn der Arbeitgeber selbst nicht wahlberechtigt ist.
Gegen eine unausgesprochene Zuweisung der leitenden Angestellten zur Gruppe der Arbeitgeber spricht schließlich auch, daß der Gesetzgeber vor dem SGB 4 (vom 23. Dezember 1976) das Mitbestimmungsgesetz (vom 4. Mai 1976 - BGBl I 1153) erlassen und darin den leitenden Angestellten eine besondere rechtliche Stellung ausdrücklich zugebilligt hatte (vgl § 3 Abs 3 Nr 2 und § 15 Abs 2 dieses Gesetzes). Die öffentliche Diskussion um die Stellung der leitenden Angestellten als "Faktor Disposition" (vgl dazu Hanau/Ulmer, Mitbestimmungsgesetz, 1981, Einleitung RdNr 13) schließt die Annahme aus, sozialpolitische Bedenken aus ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe der Versicherten seien nicht erkannt worden. Zwar ist mit dem SGB 4 das Selbstverwaltungsrecht gegenüber dem Selbstverwaltungsgesetz vom 23. August 1967 (BGBl I 918) nicht grundlegend geändert worden. Immerhin sind aber die Regelungen der Gruppenzugehörigkeit und der Wählbarkeit teilweise neu gefaßt worden. Im übrigen standen auch dem Gesetzgeber des Selbstverwaltungsgesetzes von 1967 die Sonderregelungen für leitende Angestellte in § 16 Abs 4 Nr 4 SGG und § 2 Abs 7 Satz 3 des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 22. Februar 1951 (BGBl I, 124) vor Augen (zum "Problem der Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen" vgl Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, BT-Drucks 7/4244 S 32).
Die Meinung der Beklagten und der Beigeladenen, daß es an die Gegnerunabhängigkeit der freien Listen besondere Anforderungen zu stellen sind, trifft grundsätzlich zu. Denn alle Bewerber freier Listen müssen zu der Gruppe gehören, für die sie gewählt werden wollen. Darauf verzichtet der Gesetzgeber - begrenzt - nämlich nur bei den Listen der Arbeitnehmervereinigungen und der Arbeitgebervereinigungen (vgl §§ 48 Abs 6 und 51 Abs 4 SGB 4), weil diese Vereinigungen selbst als gegnerfrei gelten. Weitere über die Gruppenzugehörigkeit hinausgehende Anforderungen sind aber nicht zu stellen. Auch wenn sich möglicherweise die Bewerber der freien Liste als "dritte Kraft" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern fühlen sollten, ist das rechtlich zZt nicht zu beanstanden, zumal die freien Listen ohnehin als "dritte Kraft" zwischen Arbeitnehmervereinigungen und Arbeitgebervereinigungen gedacht sind. Denn die Zahl der Versicherten, die weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer sind, hat in der Krankenversicherung zugenommen (vgl Bericht der Bundesregierung, BT-Drucks 7/4244 S 10). Daher besteht ein Interesse daran, daß Listen nicht nur von Arbeitnehmervereinigungen oder von Arbeitgebervereinigungen eingereicht werden; es müssen auch freie Listen eingereicht und zugelassen werden können. Das schließt eine klare Unterscheidung der Gruppe der Versicherten von der Gruppe der Arbeitgeber aber nicht aus. Schon wegen der getrennten Wahl muß eindeutig sein, zu welcher Gruppe sich die Personen der freien Liste zählen. Dafür ist allerdings nur das äußere Kennzeichen der Gruppenzugehörigkeit maßgebend, nicht die innere Einstellung oder die vermutete Abhängigkeit von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen