Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung Bezugsberechtigter. Verzicht auf Vorrang der Bezugsberechtigung

 

Orientierungssatz

1. Ist streitig, welcher Kindergeldberechtigte nach § 3 Abs 2 BKGG vorrangig Anspruch auf Gewährung des Kindergeldes hat, so ist der Kindergeldberechtigte, der nach dem konkreten Sachverhalt neben dem bisherigen Prozeßbeteiligten als vorrangig anspruchsberechtigt in Betracht kommt, nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen.

2. Ein Verzicht auf den Vorrang der Bezugsberechtigung und damit auf den Anspruch zugunsten des Großvaters ist nur im Falle des § 3 Abs 2 S 2 BKGG vorgesehen, nämlich wenn das Kind im gemeinsamen Haushalt von Großeltern und Eltern lebt (vgl BSG 28.6.1979 8b RKg 10/78 = SozR 5870 § 3 Nr 1).

3. Lebt das Kind im alleinigen Haushalt der Eltern, wird die in § 3 Abs 2 S 1 BKGG angeordnete Rangfolge durch einen Verzicht auf den Vorrang bzw auf den Anspruch selbst nicht beeinträchtigt, es sei denn, das Kind wäre aus anderen Gründen so zu behandeln, als ob es im gemeinsamen Haushalt von Großeltern und Eltern lebt.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BKGG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7, § 3 Abs 2 S 1, § 3 Abs 2 S 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 27.07.1983; Aktenzeichen L 1 Kg 8/83)

SG Mainz (Entscheidung vom 22.04.1983; Aktenzeichen S 2 Kg 1/83)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger Kindergeld für seinen Enkel J zu gewähren ist.

Der Kläger bezieht Kindergeld für seine vier leiblichen Kinder, ua für seinen Sohn G, der sich noch in Berufsausbildung befindet. Aus dessen Ehe mit einer Studentin ist der am 11. Juni 1982 geborene Enkel des Klägers hervorgegangen, der nicht im Haushalt des Klägers in M, sondern bei seinen Eltern in Nierstein lebt. Der Kläger zahlt seinem Sohn G monatlich 500,-- DM und seinem Enkel J monatlich 320,-- DM Unterhalt. Die Mutter des Kindes erhält von ihren Eltern monatlich 300,-- DM und erzielt daneben sonstiges Einkommen in Höhe von 250,-- DM. Übersteigen die Gesamtkosten der Haushaltsführung die Summe der genannten Einkünfte, kommt der Kläger für die unabweisbaren Mehrkosten auf; ebenso erbringt er für seinen Sohn und Enkel Sachleistungen, die er insgesamt mit monatlich 140,-- DM bewertet.

Das Arbeitsamt gewährte zunächst das Kindergeld dem Vater des Kindes, der jedoch seinen Kindergeldantrag zurücknahm, als der Kläger am 3. September 1982 das Kindergeld für J beantragte. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 18. Oktober und Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1982 abgelehnt.

Die Klage, mit der der Kläger Kindergeld für seinen Enkel ab 1. Juni 1982 begehrte, hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat im wesentlichen ausgeführt, der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 7 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), weil er seinen Enkel überwiegend unterhalte. Dem stehe nicht entgegen, daß J bei seinen leiblichen Eltern lebe, wie sich aus der Rangfolgeregelung des § 3 Abs 2 BKGG ergebe.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 Nr 7 iVm § 3 Abs 2 Nr 1 BKGG. Nach Sinn und Zweck dieser Bestimmungen und ihrer historischen Entwicklung stehe Großeltern das Kindergeld nur dann zu, wenn der Enkel bei keinem der in § 3 Abs 1 BKGG genannten Personen, insbesondere nicht bei seinen leiblichen Eltern, dauernd lebe und die Großeltern ihrerseits den überwiegenden Unterhalt leisteten. Der ausnahmsweise anders zu beurteilende Fall, daß die Großeltern den Lebensunterhalt sowohl der Eltern als auch des Enkelkindes in vollem oder doch wesentlichen Umfange leisteten, sei hier nicht gegeben. Bei einer anderen Auslegung der genannten Bestimmungen fehle es im übrigen auch an einer überwiegenden Unterhaltsleistung des Großvaters.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Juli 1983 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 22. April 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.

Das Verfahren des LSG leidet an einem wesentlichen Mangel, der von Amts wegen zu beachten ist und dessen Vorliegen dem Senat eine Entscheidung in der Sache verwehrt. Nach der Sachlage des vorliegenden Falles ist an dem streitigen Rechtsverhältnis nämlich der Sohn des Klägers derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so daß er gemäß § 75 Abs 2 des SGG notwendig beizuladen ist (vgl das Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage in der Sache 10 RKg 12/83).

Ist nicht nur darüber zu entscheiden, ob das Enkelkind des Klägers bei ihm als Kind iS von § 2 Abs 1 Nr 7 BKGG zu berücksichtigen ist, sondern auch, ob dem Kläger nach § 3 Abs 2 BKGG vorrangig vor anderen Kindergeldberechtigten Kindergeld zu gewähren ist, so greift die Entscheidung unmittelbar in die Rechtssphäre dieser anderen, bisher nicht am Rechtsstreit beteiligten Bezugsberechtigten ein, weil deren Anspruch von dem Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs des Großelternteils abhängt. Der Streitgegenstand ist für alle Personen, die für ein Kind die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld erfüllen, identisch, soweit er die vorrangige Berechtigung zum Bezug von Kindergeld für dasselbe Kind betrifft, für das nach § 3 Abs 1 BKGG nur einer Person Kindergeld gewährt werden kann. Die Entscheidung kann daher den konkurrierenden Kindergeldberechtigten gegenüber nur einheitlich ergehen. Das gilt hier gegenüber dem Sohn des Klägers, der als leiblicher Vater die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 1 BKGG erfüllt und der gemäß § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG - im Verhältnis der Eltern untereinander - zum Bezugsberechtigten bestimmt worden ist. Da er nach dem konkret gegebenen Sachverhalt gegenüber dem Kläger als vorrangig leistungsberechtigt in Betracht kommt, ist er zum Verfahren notwendig beizuladen.

Die Notwendigkeit der Beiladung entfällt nicht deshalb, weil der Sohn des Klägers seinen Antrag auf Kindergeld im Hinblick auf einen höheren Anspruch seines Vaters zurückgenommen hat. Dadurch wird eine etwaige vorrangige Bezugsberechtigung des Sohnes gegenüber seinem Vater und sein Anspruch auf Kindergeld nicht ausgeschlossen. Der Senat kann hier offenlassen, ob in der Rücknahme-Erklärung des Sohnes ein Verzicht auf den Vorrang zugunsten seines Vaters - des Klägers - zu sehen ist oder ob sie als unbedingte oder nur bedingte Antragsrücknahme - für den Fall, daß seinem Vater höheres Kindergeld gewährt wird - zu werten ist. Ein Verzicht auf den Vorrang der Bezugsberechtigung und damit auf den Anspruch zugunsten des Großvaters ist nur im Falle des § 3 Abs 2 Satz 2 BKGG vorgesehen, nämlich wenn das Kind im gemeinsamen Haushalt von Großeltern und Eltern lebt (BSG SozR 5870 § 3 Nr 1). Lebt das Kind - wie hier - im alleinigen Haushalt der Eltern, wird die in § 3 Abs 2 Satz 1 BKGG angeordnete Rangfolge durch einen Verzicht auf den Vorrang bzw auf den Anspruch selbst nicht beeinträchtigt, es sei denn, das Kind wäre aus anderen Gründen so zu behandeln, als ob es im gemeinsamen Haushalt von Großeltern und Eltern lebt. Wird dies bei der zu erwartenden Entscheidung verneint, bleibt der Verzicht des Sohnes auf seinen Vorrang zugunsten seines Vaters ohne Wirkung. Die Rangfolge des § 3 Abs 2 BKGG wird aber auch durch eine Antragsrücknahme des Sohnes nicht berührt, weil dieser auch ohne Antrag die Anspruchsvoraussetzungen iS von § 3 Abs 2 Satz 1 BKGG erfüllt und damit - in Konkurrenz zu seinem Vater - Bezugsberechtigter bleibt. Denn der Antrag ist nicht - materielle - Anspruchsvoraussetzung iS von § 3 Abs 2 Satz 1 BKGG, sondern ist als verfahrensrechtliche Voraussetzung nur für die Erfüllung des Anspruchs erforderlich, so daß die Rangfolgeregelung des § 3 Abs 2 BKGG ungeachtet des fehlenden Antrags eines der Bezugsberechtigten anwendbar bleibt. Da im übrigen der Antrag des Klägers nach den Umständen des vorliegenden Falles auch zugunsten seines Sohnes wirken kann (§ 17 Abs 1 Satz 3 BKGG), greift eine Entscheidung über den Kindergeldanspruch des Klägers auch bei einer Antragsrücknahme des Sohnes in dessen Rechtssphäre unmittelbar ein, so daß dessen Beiladung notwendig ist.

Da die Beiladung im Revisionsverfahren durch § 168 SGG ausgeschlossen ist, soweit es sich nicht um die Bundesrepublik Deutschland in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung handelt, muß der Rechtsstreit zum Zwecke der Nachholung der Beiladung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660268

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