Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Berufung beim Streit über das Vorliegen einer Berufskrankheit. Speiseröhrenkarzinom. Straßenbauarbeiter. Berufskrankheit
Orientierungssatz
1. Die nach § 144 Abs 1 SGG ausgeschlossene Berufung kann nicht nach § 150 Nr 3 SGG als statthaft angesehen werden, wenn sie die Frage betrifft, ob an sich eine Berufskrankheit vorliegt (vgl BSG vom 11.2.1981 2 RU 77/78 = HVBGB RdSchr VB 105/81 = USK 8138). Das gleiche gilt für die Frage, ob an sich eine Krankheit vorliegt, die nach § 551 Abs 2 RVO wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist.
2. Für die Gruppe der Straßenbauarbeiter liegen keine ausreichenden Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft iS von § 551 Abs 2 RVO darüber vor, ob bei den Angehörigen dieser Gruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit Speiseröhrenkarzinome häufiger auftreten als bei der übrigen Bevölkerung.
Normenkette
SGG § 150 Nr. 3; RVO § 551 Abs. 2; BKVO Anl 1 Nr. 4110; SGG § 144 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
In dem Rechtsstreit um Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die Witwe streiten die Beteiligten, ob die bei dem am 24. April 1984 verstorbenen Versicherten R. L. , dem Ehemann der Klägerin, festgestellte Krebserkrankung der Speiseröhre wie eine Berufskrankheit (BK) zu entschädigen ist.
Der im Jahre 1937 geborene Ehemann der Klägerin war von 1951 bis 1983 als Straßenbauarbeiter und ab 1965 als Einbaumeister bei einer Straßenbaufirma beschäftigt.
Nachdem er 6 Monate lang Schluckbeschwerden gehabt hatte, stellten die Ärzte bei ihm am 15. Februar 1984 ein hochsitzendes Plattenepithelkarzinom im Bereich der Speiseröhre fest, das am 29. Februar 1984 operativ entfernt wurde. In der Folge bildete sich im Operationsgebiet ein Abszeß und eine große Fistel mit nachfolgender Sepsis aus, so daß der Ehemann der Klägerin am 24. April 1984 an einem protrahierten septischen Schock verstarb.
Dr. E. und Prof. Dr. B. erstatteten der Beklagten ein fachpathologisches Gutachten vom 30. April 1985 dahin, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Teer- und Asphaltexposition des Ehemannes der Klägerin und der Entwicklung seines Speiseröhrenkarzinoms nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht wahrscheinlich sei. Dem stimmte der Gewerbearzt des Gewerbeaufsichtsamts F. zu. Daraufhin lehnte die Beklagte es ab, der Klägerin Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren (Bescheid vom 27. August 1985).
Das Sozialgericht (SG) Reutlingen hat von Prof. M. - Arbeitsmedizin, Pathologische Anatomie - aus G. 2 ein schriftliches Gutachten vom 15. Januar 1987 eingeholt. Darin vertritt der Gerichtssachverständige die Meinung, der beim Ehemann der Klägerin aufgetretene Speiseröhrenkrebs sei wahrscheinlich durch seine Tätigkeit im Straßenbau verursacht. Die Personengruppe der Straßenbauarbeiter sei bei Verwendung teerhaltigen Materials in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung krebserzeugenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen ausgesetzt. Diese Substanzen seien nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet, auch an anderen Organbereichen als der Haut Karzinome zu erzeugen. Für Straßenbauarbeiter lägen zwar nur wenige Angaben im Schrifttum vor. Aber die Ofenblockarbeiter seien auch im Hinblick auf die Krebshäufigkeit ein relativ gut untersuchtes Kollektiv. Wegen der weitgehenden Übereinstimmung hinsichtlich der Exposition gegenüber Teerstoffen erscheine es berechtigt, die bei den Ofenblockarbeitern gewonnenen Erkenntnisse auf die Straßenbauarbeiter zu übertragen, sofern dort mit Teerstoffen gearbeitet worden sei. Bei seinen eigenen Untersuchungen (Manz/Berger/Waltsgott, Zur Frage des Berufskrebses bei Beschäftigten der Gasindustrie - Kohortenstudie - Forschungsbericht Nr. 352 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung, Bremerhaven 1983) hätten sich gewisse Hinweise auf ein vermehrtes Vorkommen bösartiger Tumoren des Verdauungstraktes bei gewerblich eingesetzten Arbeitern ergeben, ohne daß dem besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden sei. Er habe das eigene Material noch einmal daraufhin durchgesehen: "Von 4.516 männlichen Probanden eines seit 1953 mit Rückdatierung auf 1900 beobachteten Kollektivs waren bis 1984 insgesamt 2.251 Personen verstorben, 51 Fälle blieben ungeklärt. Unter den Verstorbenen waren 6 Fälle (= 0,27 %) mit einem Ösophaguskarzinom, 2 Fälle (= 0,09 %) mit einem Mundhöhlenkarzinom und 143 Fälle (= 6,4 %) mit einem Magenkarzinom festzustellen. Bei den 513 verstorbenen Ofenblockarbeitern traten insgesamt 43 solcher Tumoren" (Mundhöhle, Speiseröhre, Magen) "auf (= 8,38 %), bei den übrigen gewerblichen Probanden 96 auf 1.386 = 6,93 % und bei den Büroarbeitern und Verwaltungsangestellten 12 auf 352 (= 3,41 %)." Aus den Parametern, die früher aus dem beschriebenen Material auf der Grundlage einer Kohortenstudie mit der Errechnung von altersstandardisierten Mortalitätsraten zu erhalten gewesen seien, ergebe sich, daß die Ofenblockarbeiter signifikant häufiger an bösartigen Tumoren der Verdauungsorgane stürben als die Büroarbeiter und Verwaltungsangestellten. Natürlich könne nicht behauptet werden, daß die hier festgestellten Erkenntnisse über das vermehrte Auftreten von bösartigen Tumoren bei Ofenblockarbeitern bereits in der medizinischen Wissenschaft allgemein anerkannt seien, dafür seien die Ergebnisse zu neu, aber für die "generelle Geeignetheit der Einwirkung" der hier zur Diskussion stehenden Teerstoffe auf die Entstehung der Krankheit könne dies nach seiner Auffassung unterstellt werden.
Das SG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zustehenden Leistungen zu gewähren; die Berufung hat es nicht zugelassen (Urteil vom 7. Mai 1987).
Zur Begründung ihrer Berufung hat die Beklagte eine Stellungnahme vom 24. September 1987 der Arbeitsmediziner Prof. Dr. V. und Privatdozent Dr. H. vorgelegt. Darin wird ausgeführt, bislang gebe es noch keine gesicherten epidemiologischen Studien über eine Häufung bestimmter Krebserkrankungen bei Straßenbauarbeiten. Die Bemühungen von Prof. M. , die Anerkennung bösartiger Tumoren als BK auf dem Weg zu erzielen, daß heterogene Expositionsbedingungen mit denjenigen bei Kokereiarbeitern verglichen würden, beruhten auf einem nicht zulässigen Analogieschluß. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat das Urteil des SG in vollem Umfang aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. Februar 1989): Unter Hinweis auf Bley (in: SGB-SozVers-GesKomm § 150 SGG, Anm 7 Buchst d) hat es die Berufung der Beklagten gemäß § 150 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch insoweit für zulässig erachtet, wie sie die Ansprüche auf Sterbegeld, Überführungskosten und Überbrückungshilfe betrifft. Sie sei auch begründet. Die Speiseröhrenerkrankung des Ehemannes der Klägerin sei weder eine BK gewesen noch wie eine BK nach § 551 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu entschädigen. Es fehlten ausreichende Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, die sich auf das allgemeine Auftreten des Speiseröhrenkarzinoms bei Straßenbauarbeitern bezögen. Dasselbe gelte sogar auch für die von Prof. M. herangezogene Berufsgruppe der Kokereiarbeiter. Für beide Berufsgruppen lägen noch keine ausreichenden epidemiologischen Studien vor, die eine Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder nachwiesen, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liege. Soweit Prof. M. sich auf seine Kohortenstudie von 1983 beziehe und die aus diesem Material nunmehr herausgesuchten 6 Fälle eines Speiseröhrenkrebses, seien diese Erkenntnisse im übrigen seit dem Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung zum 1. April 1988 nicht mehr neu iS von § 551 Abs 2 RVO. Diese Forschungsergebnisse von Prof. M. seien vom Verordnungsgeber anläßlich der Änderung und Ergänzung der Anlage 1 zur BKVO durch die Verordnung vom 22. März 1988 als nicht ausreichend angesehen worden, um etwa durch Teerdämpfe und -stäube verursachte bösartige Neubildungen der Atemwege oder gar der Verdauungsorgane als BKen in die Berufskrankheitenliste aufzunehmen. Die Forschungsarbeiten von Prof. M. hätten nach der Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 11. November 1988 insoweit "nur" zur Aufnahme der Nr 4110 in die Berufskrankheitenliste geführt, die die als BK zu entschädigenden Krankheitsbilder auf bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase beschränke.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 551 Abs 2 RVO. Das LSG habe die Voraussetzung neuer Erkenntnisse verkannt. Die von Prof. M. in seinem Gutachten vom 15. Januar 1987 dargelegten Erkenntnisse habe der Verordnungsgeber überhaupt nicht berücksichtigt und also auch nicht abschlägig beschieden.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nur zum Teil begründet.
Das angefochtene Urteil des LSG war insoweit aufzuheben und die Berufung der Beklagten insoweit als unzulässig zu verwerfen, als sie die Ansprüche der Klägerin auf Sterbegeld (§ 589 Abs 1 Nr 1 RVO), Überführungskosten (§ 589 Abs 1 Nr 2 RVO) und Leistungen für die ersten drei Monate (- Überbrückungshilfe - § 591 RVO) betreffen (§ 144 Abs 1 Nr 1 und 2 SGG). Das Urteil des LSG leidet an einem auch ohne ausdrückliche Rüge zu berücksichtigenden Verfahrensmangel, weil das LSG die Berufung der Beklagten hinsichtlich sämtlicher Ansprüche der Klägerin für zulässig erachtet, sachlich-rechtlich darüber entschieden und die Klage in vollem Umfange abgewiesen hat, obwohl die Berufung hinsichtlich der oben genannten Ansprüche hätte als unzulässig verworfen werden müssen (BSG SozR 2200 § 144 Nr 4 mwN). Insoweit ist die Berufung entgegen der Meinung des LSG auch nicht nach § 150 SGG zulässig. Der Senat hat bereits entschieden, daß die nach § 144 Abs 1 SGG ausgeschlossene Berufung nicht nach § 150 Nr 3 SGG als statthaft angesehen werden kann, wenn sie die Frage betrifft, ob an sich eine BK vorliegt (Urteil vom 11. Februar 1981 - 2 RU 77/78 - mwN in: HVBGB RdSchr VB 105/81 = USK 8138). Das gleiche gilt für die Frage, ob an sich eine Krankheit vorliegt, die nach § 551 Abs 2 RVO wie eine BK zu entschädigen ist. Das ist im vorliegenden Rechtsstreit umstritten.
Der Senat vermag dem LSG nicht darin zu folgen, § 150 Nr 3 SGG lasse sich entgegen seinem Wortlaut so weit auslegen, daß auch der vorliegende Streit von dieser Vorschrift erfaßt und die Berufung uneingeschränkt zulässig sei. Die den Senat leitenden Gründe entnimmt er dem Beschluß des Großen Senats des BSG vom 21. November 1957 (BSGE 6, 120, 123 f). § 150 Nr 3 SGG beschränkt sich wie § 162 Abs 1 Nr 3 SGG aF auf Streitigkeiten aus der Unfallversicherung und der sozialen Entschädigung. Hier handelt es sich um die Beurteilung einer der materiellen Anspruchsvoraussetzungen, aber nur einer einzigen, genau bezeichneten und damit aus den übrigen herausgelösten Anspruchsvoraussetzung. Aus dem Zusammenhang der Vorschriften über die Statthaftigkeit der Berufung läßt sich kein Anhalt dafür entnehmen, daß in der Unfallversicherung und der sozialen Entschädigung die Berufung in einem wesentlich weiteren Umfang statthaft sein soll als in den anderen der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Rechtsgebieten. Es muß sich danach für die Anwendbarkeit des § 150 Nr 3 SGG um einen Streit über eine beiden Rechtsgebieten und nur ihnen gemeinsame Frage handeln. Das aber ist die ursächliche Verknüpfung einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Ausgleichstatbestand (s Bley in: SGB-SozVers-GesKomm § 150 SGG Anm 7 Buchst d), nämlich mit einem Arbeitsunfall oder einer BK oder einer Schädigung iS des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Demgegenüber sind die Fragen, ob die Tatbestandsmerkmale des Arbeitsunfalls oder einer BK oder einer Schädigung iS des BVG vorliegen, zwar wichtig, sie sind aber den beiden Gebieten nicht gemeinsam, und sie sind auch weder wichtiger noch schwieriger zu beurteilen als die Anspruchsvoraussetzungen in den übrigen der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Gebieten.
Geht man im vorliegenden Rechtsstreit von diesen Grundsätzen aus, kann die Meinung von Bley (aaO), auf die sich das LSG stützt, dahingestellt bleiben. Danach soll § 150 Nr 3 SGG auch dann gelten, wenn streitig ist, ob ein (im naturwissenschaftlichen Sinne) schädigender Vorgang, der als solcher einen Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung oder einen Versorgungsfall des sozialen Entschädigungsrechts begründen würde, (Mit)Ursache im Rechtssinne für eine Gesundheitsstörung oder den Tod gewesen ist; Bley räumt selbst ein (aaO), bei rechtsdogmatisch strenger Auslegung wäre § 150 Nr 3 SGG hier nicht einschlägig. Denn darauf beschränkt sich der vorliegende Streit um die Voraussetzungen einer nach § 551 Abs 2 RVO zu entschädigenden Krankheit nicht. Im vorliegenden Fall ist nicht nur - logisch vorausgehend - zusätzlich umstritten, ob die von Prof. M. angeschuldigten polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, denen der Ehemann der Klägerin in seinem Arbeitsleben ausgesetzt war, auf ihn in irgendeiner Weise schädigend eingewirkt haben. Streitig und vom LSG verneint ist vor allem auch die Voraussetzung der höheren Gefährdung der Straßenbauarbeiter iS des § 551 Abs 2 RVO, die sich auf das allgemeine Auftreten der Krankheit bezieht (s BSGE 59, 295, 298). Diese Voraussetzung des Berufskrankheitenrechts ist dem Recht der sozialen Entschädigung fremd. Schon deshalb können aus den Gründen des Großen Senats (aaO) Streitigkeiten dieser Art nicht von § 150 Nr 3 SGG erfaßt sein.
Für seine gegenteilige Ansicht kann sich das LSG auch nicht auf die Rechtsprechung des Senats zu § 55 Abs 1 Nr 3 SGG berufen. Diese Vorschrift ist lediglich eine Ausprägung des Rechtsgrundsatzes in § 55 Abs 1 Nr 1 SGG über die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, der jedenfalls die Klage auf Feststellung zuläßt, daß eine bestimmte Gesundheitsstörung eine BK ist (BSG vom 27. Juli 1989 - 2 RU 54/88 -, zur Veröffentlichung bestimmt, bisher abgedruckt in: HV-Info 1989, 2430).
Im übrigen ist die Revision unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Witwenrente (§ 590 RVO) zu, weil ihr Ehemann den Tod nicht durch eine BK oder eine Krankheit erlitten hat, die nach § 551 Abs 2 RVO wie eine BK entschädigt werden soll (§ 589 iVm § 551 RVO). Das hat das LSG zu Recht erkannt.
Eine Entschädigung der Speiseröhrenerkrankung nach § 551 Abs 1 RVO in Verbindung mit der BKVO scheidet deshalb aus, weil in der Anlage 1 zur BKVO weder das Speiseröhrenkarzinom als BK bezeichnet ist noch eine chemische oder mechanische Einwirkung der dort näher bezeichneten Stoffe, auch nicht der Kokereirohgase (s Bonnermann, SGb 1989, 416 ff, 418), in Betracht kommt. Darüber sind sich die Beteiligten auch einig.
Aber das bei dem Ehemann der Klägerin festgestellte Karzinom der Speiseröhre erfüllt auch nicht die Entschädigungsvoraussetzungen des § 551 Abs 2 RVO.
Danach sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO erfüllt sind. Diese Vorschrift will nicht erreichen, daß zusätzlich zu den in die BKVO aufgenommenen BKen auch im übrigen jede Krankheit wie eine BK entschädigt werden soll, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist (BSG SozR 2200 § 551 Nr 18). Sinn des § 551 Abs 2 RVO ist es stattdessen, solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine BK zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht vorhanden oder dem Verordnungsgeber nicht bekannt waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSGE 59, 295, 297 mwN).
Das LSG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Ehemann der Klägerin an einer durch seine versicherte Tätigkeit als Straßenbauarbeiter verursachten Krankheit gelitten hat. Trotzdem braucht das angefochtene Urteil deswegen nicht zur Nachholung derartiger Feststellungen aufgehoben zu werden. Denn selbst wenn zugunsten der Klägerin davon ausgegangen wird, daß das bei ihrem Ehemann festgestellte Speiseröhrenkarzinom durch schädigende Einwirkungen bei der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist, ist ihr Anspruch unbegründet.
Es fehlt an den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 551 Abs 2 RVO. Zu der Voraussetzung neuer medizinischer Erkenntnisse über eine erheblich höhere Gefährdung der Gruppe der Straßenbauarbeiter im Vergleich zu der übrigen Bevölkerung hat das LSG tatsächliche Feststellungen getroffen, die für den Senat bindend sind, weil gegen sie keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht worden sind (§ 163 SGG). Danach liegen schon nicht bei der Gruppe der Kokereiarbeiter und somit erst recht nicht für die Gruppe der Straßenbauarbeiter ausreichende Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber vor, ob bei den Angehörigen der jeweiligen Gruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit Speiseröhrenkarzinome häufiger auftreten als bei der übrigen Bevölkerung.
Der Senat hat die Tatbestandsvoraussetzungen des § 551 Abs 2 iVm Abs 1 RVO dahin erläutert: "Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder", um daraus schließen zu können, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liege (BSGE 59 aaO S 298). Diese Voraussetzungen hat das LSG ausdrücklich verneint. Es konnte sich dafür zu Recht auf Prof. M. ' eigene Einschränkungen in seinem Gutachten vom 15. Januar 1987 beziehen, ohne daß es nötig gewesen wäre, auf die von Prof. V. und Dr. H. vorgebrachten Gründe gegen die medizinische Zulässigkeit der von Prof. M. gezogenen Analogieschlüsse von den Verhältnissen der Ofenblockarbeiter auf die der Straßenbauarbeiter einzugehen. Insoweit läßt sich immerhin nicht übersehen, daß der Entscheidung des Verordnungsgebers der Nr 4110 der Anlage 1 zur BKVO in der Fassung der Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl I 400) Bedenken zugrundeliegen, die mit der Meinung von Prof. V. und Dr. H. übereinstimmen. Der den BMA medizinisch-wissenschaftlich beratende Ärztliche Sachverständigenbeirat hat es nämlich entgegen der von Prof. M. auf die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe festgelegten Meinung bei der Aufnahme der BK Nr 4110 offenlassen müssen, "welche der in Kokereirohgasen enthaltenen karzinogen wirkenden Substanzen nach gegenwärtigem Wissensstand allein oder im Zusammenwirken als wesentliche Ursache für die Entstehung der Tumore anzusehen sind" (BR- Drucks 33/88 S 7 zu Art 1 Nr 5 - zu 4110 -).
Bereits damit muß der geltend gemachte Anspruch entfallen.
Der vom LSG weiterhin gestellten Frage, ob die Erkenntnisse von Prof. M. hierzu, die für eine Entschädigung von Speiseröhrenkarzinomen bei Straßenbauarbeitern noch nicht ausreichen, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 23. Februar 1989 (die Maßgeblichkeit folgt auch aus der Rückwirkungsvorschrift des Art 3 Abs 2 der Verordnung zur Änderung der BKVO vom 22. März 1988) für den Zeitpunkt, als das Karzinom auftrat oder im Jahre 1984 festgestellt wurde, noch als neu iS des § 551 Abs 2 RVO gelten können, kommt deshalb keine streitentscheidende Bedeutung zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen