Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.03.1993) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. März 1993 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Der im Jahre 1966 geborene Kläger war seit 1982 im Steinkohlenbergbau beschäftigt. Am 30. März 1987 wurde er arbeitsunfähig krank. Es wurden Lungenmetastasen eines bösartigen Tumors festgestellt. Der Kläger unterzog sich zwischen Mai und September 1987 einer Chemotherapie und im Oktober 1987 einer Operation des Primärtumors. Die Beklagte lehnte einen am 1. Februar 1988 gestellten Rentenantrag ab; die Wartezeit sei nicht erfüllt, da der Kläger bis zum 29. März 1987 nur eine Beitragszeit von 54 Monaten zurückgelegt habe (Bescheid vom 25. März 1988).
Am 4. September 1988 ging der Kläger bei seinem früheren Arbeitgeber ein (durch einen vor Beginn der Beschäftigung abgeschlossenen Aufhebungsvertrag) befristetes Arbeitsverhältnis für die Zeit vom 4. September 1988 bis 31. März 1989 als Hilfsarbeiter im Büro ein; tatsächlich gearbeitet hat er allerdings nur vom 5. bis 7. September 1988, am 27. und 28. Dezember 1988 und vom 16. bis 20. Januar 1989. In der übrigen Zeit war er arbeitsunfähig krank, im Heilverfahren oder im Tarifurlaub.
Im Verfahren über den im März 1989 gestellten neuen Rentenantrag nahm der sozialmedizinische Dienst der Beklagten an, der Kläger sei aufgrund der ungewissen Prognose und der noch bestehenden Folgen der intensiven Tumortherapie nicht fähig, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diese Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe seit dem 30. März 1987 und dauere fort bis Ende Juli 1990. Die Tätigkeit als Hilfsarbeiter habe der Kläger zwar nicht unter unmittelbarer Gefährdung der Restgesundheit, jedoch unter einer außergewöhnlichen Anspannung des Willens und einem nicht zu fordernden Energieaufwand verrichtet. Mit Bescheid vom 12. Juni 1989 und Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 1989 lehnte die Beklagte den Rentenantrag erneut ab. Die Wartezeit sei auch mit Hilfe der ab 4. September 1988 zurückgelegten Beitragszeiten nicht erfüllt, weil der Versicherungsfall der EU bereits vorher eingetreten sei. Mit Urteil vom 21. Februar 1991 hat das Sozialgericht (SG) auf Antrag des Klägers festgestellt, daß die Wartezeit (für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit) erfüllt sei.
Der Kläger habe in der Zeit vom 4. September 1988 bis 31. März 1989 wirksam sieben Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert, die Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers, mit welcher dieser die Gewährung von Rente wegen EU ab 1. April 1989 begehrte, zurückgewiesen (Urteil vom 4. März 1993). Der Kläger habe bei Eintritt des Versicherungsfalles der EU am 31. März 1987 die Wartezeit noch nicht erfüllt gehabt. Die von September 1988 bis März 1989 zurückgelegten Beitragszeiten könnten zur Erfüllung der Wartezeit nicht herangezogen werden, da die EU ununterbrochen jedenfalls bis zum 31. Juli 1990 angedauert habe. Nichts anderes folge aus der tatsächlichen Arbeitsleistung von nur wenigen Tagen innerhalb des Beschäftigungsverhältnisses von September 1988 bis März 1989. In dieser Zeit habe der Kläger keine Arbeiten von wirtschaftlichem Wert verrichtet (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1247 Nrn 12, 30 und 41). In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zum „mißglückten Arbeitsversuch” wäre hierfür mindestens eine tatsächliche Arbeit über einen zusammenhängenden Zeitraum von deutlich mehr als einer Woche erforderlich gewesen.
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit welcher er eine Verletzung des § 47 Abs 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) iVm § 49 Abs 1 RKG rügt. Er trägt vor, zwischen September 1988 und März 1989 seien Beiträge wirksam entrichtet worden. Die geringe Dauer seiner tatsächlichen Arbeitsleistung beruhe auch darauf, daß er auf Verlangen seines Arbeitgebers den aufgelaufenen Tarifurlaub noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses genommen habe. Dies dürfe ihm jetzt nicht zum Nachteil gereichen. Im übrigen lasse sich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum mißglückten Arbeitsversuch nicht auf die gesetzliche Rentenversicherung übertragen.
Der Kläger beantragt,
- das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21. Februar 1991 und das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. März 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 1989 abzuändern,
- die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. April 1989 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Im Einverständnis der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Auf die Revision des Klägers war das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses Gericht zurückzuverweisen. Entgegen der Auffassung des LSG ist nicht ausgeschlossen, daß dem Kläger Knappschaftsrente wegen EU zusteht.
Er kann mit Hilfe der Beitragsleistung während seines Arbeitsverhältnisses vom 4. September 1988 bis 31. März 1989 die Wartezeit für eine Rente wegen EU erfüllt haben (1), wobei auch nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG möglich bleibt, daß nach der Erfüllung der Wartezeit ein (neuer) Versicherungsfall der EU eingetreten ist (2); zudem steht dem Kläger evtl Rente nach § 53 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung -(SGB VI) zu (3).
(zu 1): Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG hat der Kläger bis zum 31. März 1987 eine Versicherungszeit von 54 mit Pflichtbeiträgen belegten Monaten zurückgelegt; ferner stand er vom 4. September 1988 bis zum 31. März 1989 (also für 7 Kalendermonate) in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis als Hilfsarbeiter im Büro. Ob diese Zeit eine Versicherungszeit nach § 49 Abs 1 Satz 2 Buchst a RKG iVm § 50 Abs 1 RKG darstellt, also eine Zeit, für die nach Bundesrecht Beiträge wirksam entrichtet sind, kann aufgrund der Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Eine Beitragsentrichtung (oder den ihr gleichstehenden Beitragsabzug vom Lohn: § 114 Abs 1 Satz 2 RKG) hat das LSG nicht festgestellt. Wurden jedoch für die oben genannte Zeit Rentenversicherungsbeiträge für den Kläger gezahlt, so ist diese als Versicherungszeit auf die Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§ 49 Abs 1 Satz 2 Buchst a RKG) anzurechnen, wenn sie rechtmäßig entrichtet wurden (a) oder nicht mehr beanstandet werden dürfen (b).
(zu a): Rechtmäßig entrichtet wären die Beiträge, wenn der Kläger in der streitigen Zeit als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt worden ist (§ 1 Abs 1 Nr 1 RKG); Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – ≪SGB IV≫).
Angesichts der Umstände des vorliegenden Falls könnten Bedenken bestehen, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorlag oder ob nicht möglicherweise der Arbeitsvertrag nur zum Schein (§ 117 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) geschlossen wurde, um dem Kläger einen Zugang zur gesetzlichen Rentenversicherung zu ermöglichen. § 117 BGB trifft den Fall, daß die Vertragsparteien einverständlich nur den äußeren Schein des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, die mit dem Vertrag verbundenen Rechtswirkungen jedoch nicht eintreten lassen wollen (vgl BSG vom 20. Juli 1988, SozR 7610 § 705 Nr 3 mwN). Im vorliegenden Fall aber sind der Kläger und sein Arbeitgeber, vorausgesetzt es wurde in der Tat Arbeitsentgelt gezahlt, durchaus ihren gegenseitigen Verpflichtungen nachgekommen. Selbst wenn der Kläger nur in dem vom LSG festgestellten Umfang tatsächlich gearbeitet hat, so hat er doch in dem ihm möglichen Umfang seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis erfüllt. Dies gilt nicht nur für die Monate September und Dezember 1988 sowie Januar 1989, in denen er tatsächlich gearbeitet hat; auch in der Zeit, in der er Tarifurlaub genommen hat, hat er sich im üblichen Umfang dem Weisungsrecht des Arbeitgebers untergeordnet, worauf es zur Feststellung eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses entscheidend ankommt (BSG vom 21. April 1993, SozR 3-4100 § 168 Nr 11 S 29 mwN). Das Arbeitsverhältnis bestand nicht nur als „leere Hülse” – wie in jenen Fällen, in denen ein Arbeitsverhältnis trotz unabsehbar andauernder Arbeitsunfähigkeit fortgesetzt wird (zur leistungsrechtlichen Behandlung eines derartigen Arbeitsverhältnisses vgl BSG vom 28. September 1993, SozR 3-4100 § 101 Nr 5 S 13 ff mwN).
Dann aber bestehen keine Bedenken dahingehend, auch hier aus dem Bestehen des Arbeitsverhältnisses auf das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu schließen (vgl BT-Drucks 7/4122 S 31; Gagel SGb 1985, 268, 270 f). Solange Arbeitsentgelt gezahlt wird, kann ein Beschäftigungsverhältnis auch dann bestehen, wenn keine Arbeitsleistung erbracht wird (BSG vom 18. April 1991, BSGE 68, 236, 240 mwN = SozR 3-4100 § 104 Nr 6).
Die hier vertretene Auffassung steht nicht im Widerspruch zu den ebenfalls vom LSG herangezogenen Entscheidungen des BSG vom 26. September 1975, 29. September 1980 sowie 9. September 1983 (SozR 2200 § 1247 Nrn 12, 30 und 41; entsprechend auch BSG vom 13. Juli 1988 – 5/5b RJ 28/87), wonach die medizinische Beurteilung eines Erwerbstätigen als „erwerbsunfähig” nicht ausschließt, daß er Arbeiten von wirtschaftlichem Wert verrichtet, entsprechend entlohnt wird und aufgrund der dadurch ausgelösten Versicherungspflicht wirksame Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Diese Entscheidungen stellen nicht etwa ein zusätzliches Erfordernis für das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis auf, sondern äußern sich lediglich dazu, ob bestimmte Beschäftigungszeiten während einer EU ausgeübt wurden oder aus dem Bestehen der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse gerade auf Erwerbsfähigkeit zu schließen war.
Dem obigen Ergebnis steht die Rechtsfigur des „mißglückten Arbeitsversuchs”, die auch das LSG ergänzend herangezogen hat, nicht entgegen. Diese ist von der Rechtsprechung zur gesetzlichen Krankenversicherung zur Mißbrauchsabwehr entwickelt worden und erklärt sich vor allem aus der dort fehlenden Wartezeit vor der Begründung von Leistungsansprüchen. Schon dies spricht gegen ihre Anwendung auch auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung (so auch BSG vom 11. Mai 1993, BSGE 72, 221, 224 = SozR 3-2200 § 165 Nr 10). Zwar mag gerade wegen des einheitlichen Beitragseinzugs für Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung und angesichts der einheitlichen Regelung des Begriffs der Beschäftigung in § 7 SGB IV sowie (entsprechend) § 168 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auch eine einheitliche Lösung für das Problem des mißglückten Arbeitsversuchs naheliegen. Der vorliegende Fall bietet jedoch keinen Anlaß, jenes durchaus umstrittene Rechtsinstitut (vgl hierzu neuerdings eingehend und ansatzweise distanzierend BSG vom 11. Mai 1993, BSGE 72, 221, 222 ff = SozR 3-2200 § 165 Nr 10) auch für das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung zu übernehmen (s auch BSG – Großer Senat – vom 11. Dezember 1973, BSGE 37, 10, 12 zur unterschiedlichen Bedeutung des Begriffs „Beschäftigungsverhältnis” in verschiedenen Versicherungszweigen; ferner KassKomm/Seewald § 7 SGB IV RdNr 23 – Stand: Juli 1991 – für eine Begründung des Rechtsinstituts außerhalb des § 7 SGB IV). Dies gilt um so mehr, als selbst beim Nichtbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses die in der fraglichen Zeit entrichteten Beiträge auf die Wartezeit anrechenbar wären (s hierzu unter b).
(zu b): Für den Fall, daß trotz Nichtbestehens eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses Rentenversicherungsbeiträge für den Kläger entrichtet wurden, sei noch darauf hingewiesen, daß auch solche uU die zur Erfüllung der Wartezeit erforderliche Versicherungszeit begründen können: Beiträge, die nach § 26 Abs 1 Satz 1 SGB IV nicht beanstandet werden dürfen, gelten gemäß § 26 Abs 1 Satz 2 SGB IV als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge.
Selbst wenn sie beanstandet (aber nicht zurückgefordert bzw erstattet) wurden, wären sie uU auf die Wartezeit des § 49 RKG anrechenbar. Beiträge, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtet sind und nicht zurückgefordert werden, gelten nämlich gemäß § 136 RKG als für die Weiterversicherung in der knappschaftlichen Rentenversicherung, in der Rentenversicherung der Arbeiter oder in der Rentenversicherung der Angestellten entrichtet. Diese Vorschrift findet auch für den Kläger Anwendung, da für ihn, wenn auch nicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung (der frühere § 33 Abs 1 RKG wurde durch Art 1 § 3 Nr 5 Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 – BGBl I S 1259 aufgehoben), das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung bestand (§ 33 Abs 2 RKG). Die für die Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten als entrichtet geltenden Beiträge dienen auch zur Erfüllung der Wartezeit des § 49 Abs 1 RKG (vgl § 100 Abs 1 Satz 1 RKG). Zuständig für die Gewährung einer Rente wegen EU wäre in einem solchen Falle jedoch nicht die Beklagte (§ 102 Abs 2 iVm § 45 Abs 1 Nr 1 RKG, § 1309 Abs 1 Satz 2 RVO).
(zu 2): Neben der Erfüllung der Wartezeit ist Voraussetzung für die vom Kläger begehrte EU-Rente weiterhin, daß danach der Versicherungsfall der EU eingetreten ist (§ 49 Abs 1 Satz 2 Buchst c, § 50 Abs 5 RKG). In Frage kommt insoweit nur ein neuer Versicherungsfall nach dem 1. August 1990.
Denn nach den Feststellungen des LSG (S 14 seines Urteils), war der Kläger jedenfalls vom 30. März 1987 bis zum 31. Juli 1990 nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nachzugehen. Zu Recht ist das LSG grundsätzlich davon ausgegangen, daß der Annahme einer EU auch während der Zeit von September 1988 bis März 1989 die Erwerbstätigkeit des Klägers in diesem Zeitraum nicht entgegensteht. Zwar kann EU auch allein dadurch entstehen, daß ein Versicherter ohne Änderung seines Gesundheitszustandes seinen behindertengerechten Arbeitsplatz verliert (BSG vom 21. Februar 1989, SozR 2200 § 1247 Nr 57). Dies heißt jedoch nicht, daß bei Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses nie EU vorliegen kann (s auch BSG vom 20. August 1987 – 5a RKn 18/86 – sowie § 44 Abs 2 Satz 1, 2. Halbs SGB VI idF durch Art 3 2. SED-UnBerG – BGBl 1994, 1311, 1319). Es zeugt nicht von einer Verkennung des Begriffs der EU, wenn das LSG sie durch eine tatsächliche Arbeitsleistung von 10 Tagen innerhalb von 7 Kalendermonaten als nicht widerlegt ansieht. Hierzu bedarf es keiner Anwendung der – auch vom LSG nur unterstützend herangezogenen – Rechtsfigur des „mißglückten Arbeitsversuchs”.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger keine Verfahrensrüge erhoben. Deshalb hatte der Senat keinen Anlaß, der Frage nachzugehen, inwieweit die vom LSG seiner Einschätzung zugrunde gelegten Verwaltungsgutachten diese Feststellungen tragen. Bemerkenswert ist, daß die Gutachten vom 12. April 1989 und 20. Oktober 1992 sich hinsichtlich der erhobenen Befunde kaum unterscheiden, so daß die gegensätzlichen Meinungen zur Erwerbsfähigkeit nicht unmittelbar einsichtig erscheinen.
Soweit der sozialmedizinische Dienst der Beklagten Erwerbsfähigkeit zum 1. August 1990 jedenfalls bis in das Jahr 1992 hinein angenommen hat, ist das LSG dieser Einschätzung nicht gefolgt; über den Zeitraum ab 1. August 1990 ist es ausweislich der Entscheidungsgründe zu keiner richterlichen Überzeugungsbildung gekommen. Damit bleibt denkbar, daß der Kläger nicht nur irgendwann nach dem 31. Juli 1990 seine Erwerbsfähigkeit wiedererlangt hat, sondern darüber hinaus danach erneut erwerbsunfähig geworden ist. Allerdings wäre kein neuer Versicherungsfall der EU eingetreten, wenn nach Erfüllung der Wartezeit zwar nicht die EU beseitigt, sie jedoch – in welcher Weise auch immer – auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Denn solange eine einmal eingetretene EU fortbesteht, kann kein neuer Versicherungsfall der EU eintreten. Darauf, ob sie noch auf „derselben Krankheit” beruht, kommt es nicht an (anders für den Anspruch auf Krankengeld, s § 48 Abs 1 S 1, Abs 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung – ≪SGB V≫).
Ob die eben geschilderte denkbare Fallkonstellation vorliegt, wird noch zu prüfen sein. Denn die Gewährung einer Rente auch für einen späteren Zeitraum ist durch den Antrag des Klägers (Rente ab 1. April 1989) als Minus mitumfaßt.
(zu 3): Hinzuweisen ist schließlich darauf, daß der Kläger selbst dann, wenn die Wartezeit nicht erfüllt wäre, evtl ab dem 1. Januar 1992 eine Rente nach § 53 Abs 2 iVm § 245 Abs 1 SGB VI beanspruchen könnte. Nach diesen Vorschriften gilt die Wartezeit auch ohne eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten als erfüllt, wenn Versicherte (nach dem 31. Dezember 1972) vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung erwerbsunfähig geworden sind und in den letzten zwei Jahren vorher mindestens ein Jahr mit Pflichtbeiträgen haben. Diese Voraussetzungen könnten bei einem Versicherungsfall im März 1987 erfüllt sein, wenn sich der Kläger im März 1981 noch in Schulausbildung befunden hätte (s BSG vom 27. September 1989, BSGE 43, 47, 48 f = SozR 2200 § 1252 Nr 1). Gemäß § 300 Abs 1 SGB VI könnten daher die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem 1. Januar 1992 vorliegen, wenn der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch erwerbsunfähig gewesen wäre. Hierzu fehlen die Feststellungen.
Beim gegenwärtigen Streitstand kann der Senat offenlassen, ob für die Anwendung des § 53 Abs 2 SGB VI dann auf den ersten Versicherungsfall abzustellen ist, wenn nach einer Zeitspanne der Erwerbsfähigkeit mittlerweile erneut EU eingetreten ist, aber auch während der zwischenzeitlichen Erwerbsfähigkeit die Wartezeit nicht erfüllt werden konnte.
Das LSG wird daher vor allem festzustellen haben, ob nach dem 1. August 1990 erneut EU eingetreten ist oder EU über den 1. Januar 1992 hinaus bestanden hat. Auf die weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 47 Abs 2a iVm § 46 Abs 3 RKG (§ 44 Abs 1 Nr 2, Abs 4 iVm § 43 Abs 3 SGB VI) sei hingewiesen.
Das LSG wird schließlich auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen