Leitsatz (amtlich)
Die Genehmigung einer - zunächst vollmachtlosen - Prozeßführung heilt den Vollmachtmangel mit rückwirkender Kraft, auch wenn die Vorinstanz die Klage wegen dieses Mangels als unzulässig abgewiesen hat (vergleiche BFH 1967-09-28 VR 62/67 VR 107/67 V B 23/67 und V B 36/67 = BFHE 90, 280). Ob eine Ausnahme dann gilt, wenn die Vollmacht oder die Genehmigung in der Absicht der Prozeßverschleppung oder aus grober Nachlässigkeit erst verspätet beigebracht wird (vgl BFH aaO), bleibt offen.
Normenkette
SGG § 73 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1954-08-10
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. April 1970 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin, eine zur Kassenpraxis zugelassene Fachärztin für Kinderkrankheiten, wendet sich gegen einen Bescheid der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) vom 5. Februar 1969 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. April 1969, durch den sie zur Teilnahme am ärztlichen Sonntagsdienst verpflichtet worden ist.
Das Sozialgericht (SG) hat die - von ihren jetzigen Prozeßbevollmächtigten erhobene - Klage als unzulässig abgewiesen, weil bis zur Entscheidung des Gerichts keine Prozeßvollmacht vorgelegt worden sei (Urteil vom 17. September 1969). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Die Klage sei nicht wirksam erhoben worden; dieser Mangel sei auch dadurch nicht geheilt worden, daß die Vertreter der Klägerin nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils eine auf den 8. Juli 1969 datierte Prozeßvollmacht vorgelegt hätten und die Klägerin persönlich in der Sitzung des LSG am 29. April 1970 die Prozeßführung ihrer Anwälte genehmigt habe; damit seien die Voraussetzungen für das vom SG erlassene Prozeßurteil nicht nachträglich wieder entfallen (Urteil vom 29. April 1970).
Die Klägerin rügt mit der - vom LSG nicht zugelassenen - Revision, dieses habe die nachträgliche Vorlage der Vollmacht und ihre ausdrückliche Genehmigungserklärung zu Unrecht nicht als erheblich angesehen; es sei allgemein anerkannt, daß eine zunächst vollmachtlose Prozeßführung rückwirkend genehmigt werden könne. Im übrigen hätte das SG ihr vor Abweisung der Klage wegen Fehlens einer Prozeßvollmacht zu deren Nachreichung eine Frist setzen oder sie mindestens auf den Mangel hinweisen müssen; außerdem habe das SG ihr mit dem Erlaß seines Urteils trotz eines von ihr gestellten Vertagungsantrages das rechtliche Gehör versagt. Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG München,
hilfsweise an das Bayerische LSG zurückzuverweisen, wobei die Zurückverweisung an eine andere Kammer bzw. einen anderen Senat zu erfolgen hat.
Die beklagte KÄV hat weder einen Antrag gestellt noch Ausführungen zur Revision gemacht.
II
Die Revision der Klägerin ist trotz Nichtzulassung durch das LSG statthaft, weil das Verfahren des LSG an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Das Berufungsgericht hätte, wie die Klägerin zutreffend gerügt hat, das Prozeßurteil erster Instanz nicht mehr bestätigen dürfen, nachdem die Klägerin die - zunächst ohne Vorlage einer Vollmacht erhobene - Klage nachträglich genehmigt hatte.
Ihre Anwälte hatten dem SG noch vor Zustellung des erstinstanzlichen Urteils eine vom 8. Juli 1969 datierte Prozeßvollmacht vorgelegt. Schon damit hatte die Klägerin stillschweigend die bisherige Prozeßführung ihrer Anwälte genehmigt (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO 30. Auflage, § 89 Anm. 3, unter Hinweis auf RGZ 64, 217; Urteil des BSG vom 29. Mai 1962, BVBl 1963, 11). Außerdem hatte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG eine ausdrückliche Genehmigungserklärung abgegeben.
Solange die von der Klägerin vor Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ausgestellte, jedoch erst nachher eingereichte Prozeßvollmacht dem Gericht nicht vorlag, war die von ihren Anwälten für sie erhobene Klage nur vorläufig - schwebend - wirksam (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 234 u III und eine dort zitierte Entscheidung des LSG Niedersachsen; vgl. ferner Stein/Jonas, ZPO 19. Auflage, § 88 Erl. IV und § 89 Erl. II). Entgegen der Ansicht des LSG wurde die Klage nicht schon mit der Verkündung des sozialgerichtlichen Urteils endgültig unwirksam, obwohl § 73 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorschreibt, daß die Vollmacht "bis zur Verkündung der Entscheidung" zu den Gerichtsakten einzureichen ist. Auch nach Verkündung der Gerichtsentscheidung kann vielmehr ein Mangel der Vollmacht noch durch nachträgliche Genehmigung geheilt und damit die Klage von Anfang an voll wirksam gemacht werden.
Allgemein anerkannt ist dies für den Fall, daß das Gericht den Mangel der Vollmacht übersehen und deshalb irrtümlich in der Sache entschieden hat. Hier wird mit Recht aus § 89 Abs. 2 ZPO, dem § 73 Abs. 3 Satz 2 SGG entspricht, und den - im sozialgerichtlichen Verfahren sinngemäß anwendbaren - Vorschriften in §§ 551 Nr. 5 und 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO der Grundsatz entnommen, daß mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Genehmigung einer vollmachtlosen Prozeßführung die Klage rückwirkend voll wirksam wird (Stein/Jonas aaO, § 89 Erl. V 1; Baumbach/Lauterbach aaO; Wieczorek, ZPO, § 88 Anm. A I b; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 10. Auflage, § 55 I und IV, S. 254, 256 unter Hinweis auf RGZ 161, 351; BGH in MDR 1961, 313, 314). Nichts anderes gilt indessen, jedenfalls grundsätzlich, für den - hier gegebenen - Fall, daß das Gericht den Mangel der Vollmacht bemerkt und die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Auch hier kann durch spätere Genehmigung der Prozeßführung der ursprüngliche Mangel der Klage rückwirkend geheilt werden (ebenso BFH 90, 280 = NJW 1968, 910 und BVerwGE 14, 209, 212; Baumbach/Lauterbach aaO § 88 Anm. 2 B b). Daß in einem solchen Fall der Entscheidung des Gerichts durch eine Erklärung eines Beteiligten nachträglich der Boden entzogen wird, ist im Prozeßrecht nicht ungewöhnlich und geschieht z. B. auch, wenn nach Erlaß des Urteils die Klage zurückgenommen wird (vgl. § 271 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
Ob die nachträgliche Genehmigung einer vollmachtlosen Prozeßführung ausnahmsweise dann keine den Mangel heilende Wirkung hat, wenn die Prozeßvollmacht oder die Genehmigung in der Absicht der Prozeßverschleppung oder aus grober Nachlässigkeit erst nach Erlaß des Urteils beigebracht wird (vgl. BFH aaO), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Der vorliegende Fall bietet keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß eine der genannten Voraussetzungen hier vorgelegen hat. Das SG hatte die Anwälte der Klägerin vor seiner - kurze Zeit nach Eingang der Klage erlassenen - Entscheidung weder auf das Fehlen der Prozeßvollmacht hingewiesen noch ihnen, was nach den Umständen des Falles angebracht gewesen wäre, eine Frist zur Nachreichung der Vollmacht gesetzt (vgl. das Verfahren des BSG in dem in SozR Nr. 2 zu § 73 SGG mitgeteilten Fall). Ein Grund für eine "Zurückweisung" der nachträglich vorgelegten Vollmacht oder der späteren Genehmigungserklärung nach den Grundsätzen, die im Zivilprozeß für die Zurückweisung verspäteten Parteivorbringens gelten (vgl. §§ 279, 279 a, 283 Abs. 2, 529 Abs. 2 und 3 ZPO), hat deshalb nicht bestanden. Der Senat braucht daher auch nicht Stellung zu nehmen zu der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), daß in Fällen, in denen ein vollmachtloser Vertreter nicht einstweilen zur Prozeßführung zugelassen, sondern aus triftigem Grund sofort zurückgewiesen wird (§ 89 Abs. 1 ZPO), der Mangel der Vollmacht nicht durch nachträgliche Genehmigung geheilt werden kann (BAG 17, 32, 36 = NJW 1965, 1041 = AP Nr. 1 zu § 89 ZPO mit Anm. von Scheuerle). Selbst wenn hier in der Prozeßabweisung durch das SG zugleich eine Zurückweisung der - bis dahin nicht durch eine Vollmacht ausgewiesenen - Anwälte der Klägerin zu sehen wäre, hätte für deren Zurückweisung, anders als in dem vom BAG entschiedenen Fall, kein triftiger Grund vorgelegen. Im übrigen scheint zwischen der Entscheidung des BAG und der des BFH - entgegen dessen Annahme - kein eigentlicher Gegensatz zu bestehen, da auch der BFH unter bestimmten Voraussetzungen, die allerdings in seinem Fall nicht gegeben waren (und auch im Fall des Senats nicht vorliegen), eine nachträgliche Heilung des Vollmachtmangels für ausgeschlossen hält.
Das LSG hätte somit die für die Klägerin zunächst ohne Vollmacht erhobene, durch nachträgliche Genehmigung jedoch voll wirksam gewordene Klage als zulässig ansehen und über sie sachlich entscheiden müssen. Zur Nachholung dieser Entscheidung hat der Senat den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen. Die von der Klägerin in erster Linie beantragte Zurückverweisung an das SG hat der Senat nicht für zweckmäßig gehalten, um die Erledigung des Prozesses nicht unnötig zu verzögern. Entgegen dem Antrag der Klägerin ist auch von einer Zurückverweisung an einen anderen Senat des LSG abgesehen worden. Umstände, die für die Klägerin die ernstliche Besorgnis begründen könnten, der zuständige Senat des LSG sei gegen sie voreingenommen oder von vornherein auf eine bestimmte Rechtsansicht festgelegt, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Sollte die Klägerin in der Sache obsiegen, wird zu prüfen sein, ob sie die ihr durch die nachträgliche Vorlage der Vollmacht entstandenen Mehrkosten des Rechtsstreits selbst zu tragen hat.
Fundstellen