Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 29.09.1986)

SG Mainz (Urteil vom 07.05.1986)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. September 1986 insoweit abgeändert als die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vor dem 25. April 1985 zu gewähren. Insoweit wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 7. Mai 1986 zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist zwischen den Beteiligten noch, ob dem Kläger Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. April 1984 oder erst ab 25. April 1985 zusteht. Den im März 1984 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. September 1984 ab.

Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens ist beim Kläger in den Monaten März und April 1985 eine Heilbehandlung im Rheumazentrum Bad Abbach durchgeführt worden. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Mai 1986). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. April 1984 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 29. September 1986).

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom Senat zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 1241d Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das LSG habe nicht beachtet, daß die Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinland-Pfalz vom 27. März bis zum 24. April 1985 für den Kläger eine medizinische Maßnahme zur Rehabilitation durchgeführt habe. Für diesen Zeitraum habe nach Mitteilung der für die Übergangsgeldzahlung zuständigen Wohnsitzanstalt, der LVA Rheinland-Pfalz, vom 21. Mai 1985 Anspruch auf Übergangsgeld bestanden. Folglich sei auch eine Rentenzahlung in der Zeit vom 1. April 1984 bis zum 26. März 1985 nach § 1241d Abs 2 Satz 2 RVO ausgeschlossen. Vielmehr könne der Kläger gemäß § 1241d Abs 1 Satz 2 RVO für diesen Zeitraum vorgezogenes Übergangsgeld beanspruchen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 29. September 1986 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte verpflichtet worden ist, für eine Zeit vor dem 25. April 1985 Rente zu gewähren.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen, hilfsweise in der Sache selbst zu entscheiden.

Es treffe zwar zu, daß gemäß § 1241d Abs 2 RVO iVm Abs 1 der genannten Vorschrift vorgezogenes Übergangsgeld ab 1. April 1984 zu gewähren sei. Indessen beruhe das angefochtene Urteil nicht auf einer Verletzung dieser Vorschrift, da die Beklagte nicht gehindert sei, gegenüber der LVA Rheinland-Pfalz nach Bewilligung der Rente einen Erstattungsanspruch geltend zu machen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Umfang des Revisionsantrags begründet. Dem Kläger steht für die Zeit vor dem 25. April 1985 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht zu.

Der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die noch streitige Zeit scheitert an § 1241d Abs 1 und 2 RVO. Nach Abs 1 dieser Vorschrift wird Übergangsgeld vom Beginn einer Maßnahme zur Rehabilitation an gewährt. Ist bereits vor Beginn dieser Maßnahme Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gestellt worden, so beginnt das Übergangsgeld mit dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre. Absatz 2 des § 1241d RVO bestimmt in Satz 1, daß während der Durchführung einer Maßnahme zur Rehabilitation neben einem Anspruch auf Übergangsgeld kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit besteht, es sei denn, daß die Rente bereits vor Beginn der Maßnahme bewilligt worden war. Das gleiche gilt gemäß Satz 2 dieses Absatzes für einen Zeitraum, für den Übergangsgeld, hier das sogenannte „vorgezogene” Übergangsgeld, zu zahlen ist. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. Das LSG hat festgestellt, beim Kläger sei im März und April 1985 eine Heilbehandlung im Rheumazentrum in Bad Abbach durchgeführt worden. Wann diese medizinische Rehabilitation genau erfolgt ist, hat es nicht ausdrücklich angegeben. Insoweit bedurfte es jedoch nicht einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Dieses hat auf den Inhalt der Prozeßakten und insbesondere auf den Entlassungsbericht aus Bad Abbach vom 25. April 1985 Bezug genommen. Aus letzterem ergibt sich, daß der Kläger vom 27. März bis zum 24. April 1985 dort stationär behandelt worden ist. Zudem ist der erkennende Senat nach übereinstimmender Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus Gründen der Prozeßökonomie befugt, die vom LSG festgestellten Tatsachen um unbestrittene zu ergänzen (vgl BSG in SozR 1300 § 45 Nr 15 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG). Bei den Akten betreffend das erstinstanzliche Verfahren befindet sich eine Mitteilung der LVA Rheinland-Pfalz an die Beklagte vom 21. Mai 1985, wonach jene LVA beim Kläger die stationäre Maßnahme zur Rehabilitation nach § 1237 RVO durchgeführt und während der Zeit vom 27. März bis zum 24. April 1985 Anspruch auf Übergangsgeld bestanden hat. Für die Dauer der Durchführung dieser Maßnahme durfte die Beklagte folglich nicht, wie sich aus § 1241d Abs 2 Satz 1 RVO ergibt, zur Rentengewährung verurteilt werden; denn die Rente war nicht bereits vor Beginn der Maßnahme bewilligt worden. Das gleiche gilt gemäß § 1241d Abs 2 Satz 2 RVO für die vorhergehende Zeit ab 1. April 1984, weil dem Kläger von da an vorgezogenes Übergangsgeld nach § 1241d Abs 1 Satz 2 RVO zugestanden hat.

Der Tenor des angefochtenen Urteils kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dem Kläger solle die ihm zustehende Leistung – Übergangsgeld oder Rente – gezahlt werden. Zwar hat der erkennende Senat – damals als 5b Senat – durch das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom 30. September 1987 – 5b RJ 78/86 – im Anschluß an das Urteil des 4a Senats vom 21. Juli 1987 – 4a RJ 71/86 (SozR 2200 § 1246 Nr 145) entschieden, für die Gewährung des Übergangsgeldes sei es nicht notwendig, daß neben dem Rentenantrag ein Antrag auf Übergangsgeld gestellt werde und – falls der Rentenantrag abgelehnt werde – eine gesonderte Entscheidung der Verwaltung über die Gewährung von Übergangsgeld nach § 1241d Abs 1 Satz 2 RVO ergehe. Diese Rechtsprechung hat der erkennende Senat aber ausdrücklich auf Fälle begrenzt, in denen die Rente oder das Übergangsgeld von dem selben Versicherungsträger zu gewähren wären. Das ist hier gerade nicht der Fall. Für die Gewährung des Übergangsgeldes ist im Falle des Klägers nicht die Beklagte, sondern die LVA Rheinland-Pfalz zuständig. Wäre das angefochtene Urteil rechtskräftig geworden, hätte die Beklagte seine Ausführung nicht unter Hinweis auf den Anspruch auf Übergangsgeld für die Zeit vor dem 25. April 1985 verweigern dürfen.

Schließlich ist es nicht möglich – wie der Kläger meint – die sich aus der Verurteilung zur Rentenzahlung ab 1. April 1984 ergebende Doppelleistung im Wege eines Erstattungsanspruchs zu bereinigen, denn insoweit sind die Voraussetzungen der §§ 102 ff des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB 10) nicht erfüllt. Soweit von der LVA Rheinland-Pfalz bereits Übergangsgeld gezahlt worden ist, hat sie nicht als unzuständiger, sondern als zuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht. Sie ist daher der Beklagten nicht nach § 105 Abs 1 SGB 10 erstattungspflichtig. Die Beklagte ist in der angefochtenen Entscheidung des LSG auch nicht verurteilt worden, vorläufige Sozialleistungen iS des § 102 Abs 1 SGB 10 zu erbringen. Zwischen ihr und der LVA Rheinland-Pfalz ist nicht streitig, wer zur Leistung des Übergangsgeldes verpflichtet ist. Das aber wäre nach § 43 Abs 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB 1) Voraussetzung für vorläufige Leistungen durch die Beklagte.

Ob die LVA Rheinland-Pfalz zu dem Rechtsstreit hätte beigeladen werden müssen, ist vom erkennenden Senat nicht zu entscheiden. Es kann sich nur um die unterlassene Beiladung eines leistungspflichtigen Versicherungsträgers iS des § 75 Abs 2 (2. Alternative) SGG handeln, die im Revisionsverfahren nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist (vgl BSG in SozR 1500 § 75 Nr 47). Auf eine solche Verpflichtung zur Beiladung haben sich die Beteiligten nicht gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG berufen. Zwar darf bei der Rüge eines Verfahrensmangels der Revisionskläger wegen der Einzelheiten auf den die Revision zulassenden Beschluß des Revisionsgerichts Bezug nehmen, wenn die Zulassung gerade auf diesen Verfahrensmangel gestützt worden ist (vgl BSG in SozR 1500 § 164 Nr 18). Eine solche Bezugnahme fehlt aber hier. Die Beklagte hat lediglich erwähnt, daß der erkennende Senat die Revision zugelassen hat. In diesem Hinweis auf die Statthaftigkeit der Revision kann nicht zugleich die Rüge eines Verfahrensmangels erblickt werden. Dazu hätte es einer eindeutigen Erklärung der Beklagten bedurft, die in der Revisionsbegründung nicht enthalten ist. Die Beklagte hat auch nicht wegen der Rüge eines Verfahrensmangels auf ihr diesbezügliches Vorbringen in der Beschwerdebegründung verwiesen. Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen unterlassener Beiladung der LVA Rheinland-Pfalz bedurfte es somit nicht.

Das angefochtene Urteil mußte daher abgeändert werden, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vor dem 25. April 1984 zu gewähren. Insoweit war die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173982

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