Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Arbeitslosengeldes. Bemessungszeitraum
Orientierungssatz
1. Die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt für Angestellte im Pflegedienst, die dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) unterfallen und nach den Sonderregelungen dieses Tarifvertrages verpflichtet sind, Bereitschaftsdienst zu leisten, 40 Stunden (vgl BSG 9.11.1983 7 RAr 42/82 = SozR 4100 § 112 Nr 22).
2. Abgerechnet ist ein Lohnabrechnungszeitraum dann, wenn der Arbeitgeber das für diesen Zeitraum in Betracht kommende Arbeitsentgelt vollständig errechnet hat, so daß dieses auf Grund des Ergebnisses dieser Berechnung dem Arbeitnehmer ohne weitere Rechenoperationen ausgezahlt oder überwiesen werden kann.
Normenkette
AFG § 112 Abs 2 S 1; AFG § 112 Abs 3; BAT § 15
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 11.11.1983; Aktenzeichen L 6 Ar 29/83) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 28.02.1983; Aktenzeichen S 4 Ar 159/82) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) der Klägerin ab 1. Oktober 1980.
Die Klägerin hatte bis 31. Oktober 1979 Alg bezogen, das nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 640,-- DM berechnet worden war. Nach ihrer Arbeitslosigkeit war sie zuletzt vom 1. April bis 30. September 1980 als medizinisch-technische Assistentin im J Krankenhaus D beschäftigt. Ihrem Arbeitsvertrag lagen die Kirchliche Arbeitsvertragsordnung -BAT/AngKAVO(Bundes-Angestelltentarifvertrag vom 23. Februar 1961 in der Fassung der Notverordnungen der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 13. Juli 1961 und 7. Juni 1962) sowie die "Sonderregelungen für Angestellte in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen" (Sonderregelungen) zugrunde. Hiernach war sie verpflichtet, auf Anordnung ihres Arbeitgebers Bereitschaftsdienst zu leisten. Außer der Grundvergütung erhielt sie eine Bereitschaftsdienstvergütung. Diese wurde nach Nr 6 B Abs 2 der Sonderregelungen berechnet. Nach einer Vereinbarung zwischen dem Krankenhaus und der Mitarbeitervertretung war für den Labordienst der Bereitschaftsdienst in die Stufe A der Sonderregelung Nr 6 B Abs 2 Buchst a eingeordnet worden. Während der Beschäftigungszeit der Klägerin waren monatlich 10 Bereitschaftsdienste üblich.
Im Monat September 1980 arbeitete die Klägerin nicht; vom 20. August bis 24. September 1980 war sie arbeitsunfähig erkrankt und hatte anschließend bis Ende des Monats Urlaub. In diesem Monat erhielt sie eine Grundvergütung von 2.553,72 DM. Außerdem erhielt sie einen Aufschlag für den wegen Krankheit und Urlaub nicht geleisteten Bereitschaftsdienst in Höhe von insgesamt 1.248,60 DM, berechnet nach der Sonderregelung Nr 6 B Abs 2 und unter Zugrundelegung einer "Überstundenvergütung" von 15,71 DM, insgesamt demnach 3.802,32 DM.
Auf die Arbeitslosmeldung der Klägerin vom 23. September 1980 gewährte das Arbeitsamt ihr Alg ab 1. Oktober 1980 in Höhe von 303,60 DM wöchentlich. Hierbei ging es vom Bruttoarbeitsentgelt der Klägerin im August 1980 und 212 Arbeitsstunden aus, weil das Entgelt für September noch nicht bekannt war. Da das sich hieraus ergebende wöchentliche Alg niedriger gewesen wäre als das zuvor bis zum 31. Oktober 1979 bezogene, die Zwischenbeschäftigung im J Krankenhaus aber innerhalb eines Jahres nach Beendigung des vorherigen Bezuges von Alg lag, legte das Arbeitsamt gemäß § 112 Abs 5 Nr 2a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung als Arbeitsentgelt im Sinne des § 111 Abs 1 AFG der Bemessung des Alg auch ab 1. Oktober 1980 ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 640,-- DM zugrunde, das sich aufgrund der Dynamisierung ab Juli 1980 auf 665,-- DM erhöht hatte. Bei der Vergleichsberechnung ging es gemäß § 112 Abs 2 Satz 1 AFG von einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im J Krankenhaus von 40 Stunden aus (Bescheid vom 17. November 1980).
Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 27. August 1981 zurückgewiesen, weil sich auch bei Zugrundelegung des Monats September, der Bemessungszeitraum sei, lediglich ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 601,60 DM ergebe (3.802,32 : 252,811 x 40). Die Klägerin stehe sich demnach ungünstiger als bei der Anwendung von § 112 Abs 5 Nr 2a AFG.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 28. Februar 1983 der Klage insoweit stattgegeben, als es die Beklagte verurteilt hat, bei der Ermittlung des Arbeitsentgelts, das der Berechnung des Alg zugrunde zu legen ist, von einer tariflichen regelmäßigen Wochenstundenzahl von 48 auszugehen. Es hat die Berufung zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten, die Klagabweisung beantragt hat, diese verpflichtet, bei der Berechnung des Arbeitsentgelts von einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 47,38 Stunden auszugehen. Es hat, wenn auch ohne ausdrücklichen Ausspruch, die weitergehende Berufung der Beklagten in der Sache zurückgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der diese begehrte, bei der Berechnung des Alg von einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 48 Stunden auszugehen, hat es zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils hat das LSG im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Nach § 111 Abs 1 AFG betrage das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfielen, verminderten Arbeitsentgelts. Arbeitsentgelt in diesem Sinne sei nach § 112 Abs 2 AFG das im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt, vervielfacht mit der Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergebe. Bemessungszeitraum sei im Falle der Klägerin nach § 112 Abs 3 AFG der Monat September 1980.
Entgegen der Auffassung der Beklagten könne die für den Bereitschaftsdienst gezahlte Vergütung nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil im Bemessungszeitraum wegen Krankheit und Urlaub kein Bereitschaftsdienst geleistet worden ist. Der Beklagten sei aber zu folgen, wenn sie für diesen Fall verlange, daß dann die der Überstundenvergütung bzw Bereitschaftsdienst-Vergütung zugrundeliegende Arbeitszeit ebenfalls berücksichtigt werden müsse. Zutreffend habe hiernach die Beklagte im Widerspruchsbescheid ein in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzieltes Arbeitsentgelt von 15,04 DM ermittelt.
Bei der Frage, mit welcher Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergäbe, das oben ermittelte Arbeitsentgelt zu vervielfältigen sei, könne im vorliegenden Falle nicht nur von der wöchentlichen Regelarbeitszeit von 40 Stunden ausgegangen werden. Vielmehr müsse auch die während der Bereitschaftsdienste geleistete Arbeitszeit mit einbezogen werden. Es handele sich auch insoweit um eine tarifliche Arbeitszeit im Sinne von § 112 Abs 2 Satz 1 AFG.
Nach Nr 6 B Abs 2a der Sonderregelungen in Verbindung mit der "hausinternen Vereinbarung" vom 9. Januar 1976 müßten 7,38 Arbeitsstunden als tarifliche regelmäßige Arbeitszeit je Woche der regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden hinzugezählt werden. Insgesamt sei daher im vorliegenden Falle von einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im Bemessungszeitraum von 47,38 Stunden auszugehen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie einen Verstoß gegen § 112 Abs 2 Satz 1 AFG rügt. Sie meint, der Auffassung des LSG, der Bereitschaftsdienst müsse bei der Berechnung der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit mit berücksichtigt werden, könne nicht gefolgt werden. Sie stehe auch im Widerspruch zur Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. November 1983 (7 RAr 42/82). Allerdings könne die danach erforderliche Heranziehung der Bereitschaftsstunden zur Ermittlung des im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielten Arbeitsentgeltes im Falle der Klägerin nicht angewendet werden; denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts habe die Klägerin im Bemessungszeitraum (September 1980) infolge Krankheit und Urlaub tatsächlich keine einzige Stunde Arbeit geleistet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. November 1983, soweit die Berufung der Beklagten zurückgewiesen wurde, und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 28. Februar 1983 aufzuheben und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen lassen eine abschließende Entscheidung des Senats nicht zu.
Streitgegenstand ist die Frage, ob die Klägerin ein höheres Alg als das bisher gewährte von 303,60 DM wöchentlich beanspruchen kann. Einen solchen Anspruch hat sie nur dann, wenn der Leistungsbemessung ein wöchentliches Arbeitsentgelt von mehr als 665,-- DM zugrunde zu legen ist. Daß die Klägerin bei einem solchen Bemessungsentgelt nicht mehr als die gewährten 303,60 DM wöchentlich beanspruchen kann, ist nicht zweifelhaft.
Im Hinblick darauf, daß die Klägerin das Urteil des LSG nicht angefochten hat, kann sie allerdings kein Alg nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von mehr als 715,-- DM verlangen. Das ist es, was ihr das LSG zugesprochen hat, und hieran ist sie gemäß § 141 SGG gebunden. Das LSG ist von einem Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum von 3.802,32 DM sowie von einer Gesamtarbeitszeit von 252,811 Stunden und einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 47,38 Stunden ausgegangen. Teilt man das Arbeitsentgelt durch die Zahl der Arbeitsstunden und multipliziert das Ergebnis mit der nach Ansicht des LSG tariflichen wöchentlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 47,38 Stunden, so errechnet sich ein Bemessungsentgelt von 712,60 DM, das gemäß § 112 Abs 9 AFG auf 715,-- DM zu runden ist. Hiernach ergibt sich in Leistungsgruppe B, der die Klägerin als Nichtverheiratete mit einem Kind gemäß § 111 Abs 2 Nr 1b AFG zuzuordnen ist, nach der AFG-Leistungsverordnung 1980 vom 7. Dezember 1979 (BGBl I 2005) ein wöchentliches Alg von 318,60 DM.
Nach § 111 Abs 1 AFG in der hier maßgeblichen Fassung des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 -EStRGEG- (BGBl I 3656), beträgt das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Arbeitsentgelt im Sinne dieser Vorschrift ist gemäß § 112 Abs 2 AFG das im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt, vervielfacht mit der Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (§ 112 Abs 2 Satz 1 AFG). Das Bemessungsentgelt ist demnach um so höher, je mehr Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum erzielt ist, je weniger an Arbeitszeit hierfür erforderlich war und je länger die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit war.
Von welchem Bemessungszeitraum im vorliegenden Falle auszugehen ist, kann nicht entschieden werden. Das LSG hat zwar ebenso wie die Beteiligten seiner Entscheidung als Bemessungszeitraum den Monat September 1980 zugrunde gelegt. Seinen tatsächlichen Feststellungen läßt sich jedoch nicht entnehmen, ob diese rechtliche Wertung zutrifft. Bemessungszeitraum sind gem § 112 Abs 3 Satz 1 AFG idF vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) die letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten, die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs. Welcher Lohnabrechnungszeitraum am Tage des Ausscheidens der Klägerin aus dem Beschäftigungsverhältnis 1. Oktober 1980) tatsächlich abgerechnet war, hat das LSG nicht ermittelt. Abgerechnet ist ein Lohnabrechnungszeitraum dann, wenn der Arbeitgeber das für diesen Zeitraum in Betracht kommende Arbeitsentgelt vollständig errechnet hat, so daß dieses auf Grund des Ergebnisses dieser Berechnung dem Arbeitnehmer ohne weitere Rechenoperationen ausgezahlt oder überwiesen werden kann. Ob dies am 1. Oktober 1980 für den Monat September zutraf, erscheint zweifelhaft. Die Beklagte ist zunächst bei der Berechnung des Bemessungsentgelts vom Arbeitsentgelt, das die Klägerin im August 1980 hatte, ausgegangen, weil das Entgelt für den September 1980 noch nicht bekannt war. Dieses hat das LSG auf Grund der Arbeitsbescheinigung vom 28. November 1980, die also nahezu zwei Monate nach dem Ausscheiden der Klägerin aus ihrer letzten Beschäftigung ausgestellt worden ist, festgestellt. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Monat September 1980 beim Ausscheiden der Klägerin noch nicht abgerechnet war. Als Bemessungszeitraum käme dann möglicherweise der Monat August in Betracht, wodurch sich wahrscheinlich ein anderes Bemessungsentgelt ergeben würde. Dafür spricht, daß die Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG im August 1980 für 212 Arbeitsstunden Arbeitsentgelt erhalten hat, während es für den Monat September 252,89 Stunden waren. Hierin können Überstundenvergütungen in unterschiedlicher Höhe enthalten sein und das Bemessungsentgelt entsprechend beeinflussen. Da das BSG keine eigenen tatsächlichen Feststellungen treffen kann, ist schon aus diesem Grunde eine Zurückverweisung der Sache an das LSG geboten, damit dieses diese Feststellungen nachholen kann (§ 172 Abs 2 S 2 SGG).
Für seine erneute Entscheidung wird das LSG auf das Urteil des Senats vom 9. November 1983 - 7 RAr 42/82 - (SozR 4100 § 112 Nr 22) hingewiesen. Danach beträgt die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Angestellte im Pflegedienst, die dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) unterfallen und nach den Sonderregelungen dieses Tarifvertrages verpflichtet sind, Bereitschaftsdienst zu leisten, 40 Stunden. Der Senat hat dies aus den Bestimmungen des § 15 BAT und der Nr 6 B der Sonderregelung für Angestellte in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen, geschlossen. Diese Bestimmungen dürften im wesentlichen mit dem im vorliegenden Falle maßgeblichen § 15 BAT/AngKAVO und der zu diesem Tarifvertrag erlassenen Sonderregelung Nr 2a übereinstimmen.
Auf die vorstehend aufgeführte Entscheidung des Senats wird auch verwiesen, soweit es darum geht, wie das im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittliche erzielte Arbeitsentgelt zu bestimmen ist.
Bei einer erneuten Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen