Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Bremen vom 12. Januar 1967 und des Landessozialgerichts Bremen vom 31. Mai 1968 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind im Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin war von April 1950 bis November 1965 bei dem Magistrat von Ostberlin und der Deutschen Reichsbahn (Ost) als Zahnärztin und Fachärztin für Kieferorthopädie im Angestelltenverhältnis beschäftigt und pflichtversichert. Bei der Herstellung von Versicherungsunterlagen auf Grund des § 11 Abs. 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung ordnete die Beklagte diese Zeit der Angestelltenversicherung zu; sie stufte die Klägerin in die Leistungsgruppe (B) 2 der Anlage 1 zu § 22 Fremdrentengesetz (FRG) ein und bestimmte zugleich, daß der künftigen Rentenbemessungsgrundlage die Bruttojahresarbeitsentgelte zugrunde zu legen sind, welche die Tabelle 11 für weibliche Versicherte der Leistungsgruppe 2 in den Jahren 1950 bis 1965 ausweist.
Die Klägerin will demgegenüber die – höheren – Entgelte der Anlage 9 für männliche Versicherte herangezogen wie. Ihre Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) sind der Auffassung, die Klägerin werde wegen ihres Geschlechtes benachteiligt; es widerspreche Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG), Frauen geringere Entgelte zuzuweisen. Da der Gesetzgeber bei Schaffung des § 22 FRG jedoch offenbar nicht an den Gleichheitssatz gedacht habe, liege eine unbewußte Lücke, keine gewollte Differenzierung vor. Deshalb sei zu prüfen, ob sich das Gesetz verfassungskonform auslegen lasse. Das sei hier möglich, weil die Klägerin einen traditionell männlichen Beruf ausgeübt habe. Für solche Fälle, in denen einer Frau grundsätzlich der gleiche Lohn wie ihrem männlichen Kollegen zustehe, sei die Gesetzeslücke durch Zuordnung der Entgelte für männliche Versicherte (Anlage 9) zu schließen.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt Verletzung des FRG. Es sei unzulässig, weibliche Versicherte mit „traditionell männlichen Berufen” aus den Tabellen für weibliche Versicherte herauszulösen, zumal die Abgrenzung solcher Berufe unüberbrückbare Schwierigkeiten bereite. Die Auffassung des LSG habe auch Nachteile für weibliche Versicherte mit reinen Beschäftigungszeiten im Rahmen des § 18 Abs. 2 Satz 2 FRG.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Klägerin können für ihre Beitragszeiten von 1950 bis 1965 keine höheren Jahresarbeitsentgelte zugewiesen werden, als in der Anlage 11 zu § 22 FRG für weibliche Versicherte der Leistungsgruppe 2 angeführt sind.
Zur Klarstellung der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung ist zunächst auf Sinn und Zweck des § 22 FRG und seiner Anlagen einzugehen. Diese Vorschrift ist ein Ausdruck des Eingliederungsprinzips, welches das FRG beherrscht (BTDrucks. III/1109 S. 35 f, 42 ff). Danach sollen Berechtigte mit fremden Beitrags- und Beschäftigungszeiten versicherungsrechtlich in die Bundesrepublik „eingegliedert”, d. h. grundsätzlich so gestellt werden, als ob sie im Bundesgebiet beschäftigt und versichert worden wären. § 22 dient der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage bei diesen Berechtigten. Hierzu ist es erforderlich, ihnen für die anzurechnenden Zeiten – fiktive – Arbeitsentgelte (bzw. entsprechende Lohn- und Beitragsklassen) zuzuweisen. Das Gesetz weist den Berechtigten des FRG kein einheitliches Entgelt zu. In Verwirklichung des Eingliederungsprinzips sollen sie vielmehr so behandelt werden, als hätten sie den Verdienstvergleichbarer Versicherter im Bundesgebiet erzielt. Allerdings erhalten sie auch nicht individuelle Entgelte, weil dies praktisch undurchführbar gewesen wäre. Der Gesetzgeber hat vielmehr unter den Berechtigten Gruppen gebildet und diesen jeweils einen einheitlichen Verdienst zugewiesen. Diese Gruppenverdienste entsprechen den Durchschnittsverdiensten, die Angehörige der gleichen Gruppe im Bundesgebiet in den anzurechnenden Zeiten erzielt haben (BTDrucks. III/1109 S. 52 ff, Finanzieller Teil, Rechnungsgrundlagen). Bei der Gruppenbildung hat der Gesetzgeber die Gliederung der amtlichen Statistik über die Verdiensterhebungen in Industrie und Handel übernommen. Dort wird nach Leistungsgruppen (d. h. Qualifikations- und Beschäftigungsmerkmalen) und Geschlecht der Arbeitnehmer unterschieden. Die Übernahme dieser Gliederung war notwendig, weil für eine andere Gruppenbildung – insbesondere eine weitere Auffächerung nach Beschäftigungsmerkmalen – keine ausreichenden statistischen Unterlagen für die bis in das Jahr 1891 zurück benötigten Verdienstfeststellungen zur Verfügung standen und die Anlehnung an die amtliche Verdienststatistik zudem die jährliche Fortschreibung der Entgeltstabellen erleichterte.
Im vorliegenden Fall ist die Klägerin zunächst dem Versicherungszweig der Angestelltenversicherung und hier der Leistungsgruppe 2 zugeordnet worden. Dagegen erhebt sie keine Einwände. Insoweit ist es auch verfassungsrechtlich unbedenklich, daß die meisten Leistungsgruppen getrennte Berufskataloge für Männer und Frauen enthalten; die Einordnung in die Leistungsgruppen richtet sich nämlich nach der vorangestellten allgemeinen Definition, die für Männer und Frauen gleichermaßen gilt.
Der Senat hält es auch nicht für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, daß das FRG Männern und Frauen einer gleichen Leistungsgruppe unterschiedlich hohe Entgelte zuweist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das für die Frauen immer von Nachteil ist (vgl. § 18 Abs. 2 S. 2 FRG i.V.m. der Anlage 2); ebenso kann offenbleiben, ob die Klägerin bei Fortfall der Differenzierung die bisher ausschließlich für Männer ermittelten Jahresarbeitsentgelte der Anlage 9 beanspruchen könnte. Zwar ist nicht zu verkennen, daß weder biologische noch funktionale Eigenheiten männlicher und weiblicher FRG-Berechtigter die Differenzierung notwendig machen; trotzdem ist es nicht richtig, daß die weiblichen Berechtigten in den Anlagen zu § 22 FRG wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden. Die Differenzierung hat vielmehr ihren Grund allein darin, daß männliche und weibliche Versicherte der einzelnen Leistungsgruppen im Gebiet der Bundesrepublik in den jeweils in Betracht kommenden Zeiteneffektiv einen unterschiedlich hohen Durchschnittsverdienst gehabt haben. Insoweit besteht also keine Gleichheit zwischen Männern und Frauen. Gerade die unterschiedliche Höhe der Durchschnittsverdienste, die die einzelnen Gruppen der FRG-Berechtigten bei einer Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik hätten erwarten können, ist aber im Rahmen des § 22 FRG der Sache nach das wesentliche Unterscheidungselement. Wenn der Gesetzgeber daher an die effektiv unterschiedliche Höhe von Durchschnittsverdiensten männlicher und weiblicher Versicherter im Gebiet der Bundesrepublik zu bestimmten Zeiten anknüpfte, so differenzierte er damit nicht nach den unterschiedlichen Eigenschaften Mann und Frau, sondern nach anderen – hier wesentlichen – Lebensumständen. Eine solche Differenzierung ist durch Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht verboten (BVerfG 3, 241; 5, 12; 10, 74).
Die Unterlagen über die Verdiensterhebungen für die streitigen Zeiten ergeben nicht, daß dabei in irgendwie greifbarer Zahl Frauenverdienste herangezogen wurden, bei deren Festsetzung der Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit verletzt worden wäre (vgl. BSG 8, 164, 168). Die durchschnittlich niedrigeren Verdienste von Frauen in den einzelnen Leistungsgruppen können andere Gründe haben (vgl. BT-Drucksache V/909, 81, 82), vor allem können sie durch kürzere Arbeitstätigkeit und wiederholte Unterbrechungen des Arbeitslebens (z. B. wegen Geburt und Erziehung von Kindern) bedingt sein. Im übrigen wäre insoweit auch zu beachten, daß die gesetzliche Rentenversicherung nur an tatsächlich bezogene Verdienste anknüpft und daß ein „Ausgleich” von Minderverdiensten im Rahmen des FRG die weiblichen FRG-Berechtigten zudem insgesamt besser stellen würde als die weiblichen Versicherten im Bundesgebiet; das aber würde dem Eingliederungsprinzip widersprechen.
Der Senat kann dem LSG auch nicht darin folgen, daß § 22 mit seinen Anlagen für weibliche Angestellte mit „traditionell männlichen Berufen” eine Lücke enthält. Weder der Wortlaut des Gesetzes noch sonstige Anhaltspunkte sprechen dafür, daß der Gesetzgeber an solche Berufe nicht gedacht habe. Aus den Berufskatalogen bei den einzelnen Leistungsgruppen kann kein solcher Schluß gezogen werden. Davon abgesehen hält es der Senat aber auch für ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber eine etwa unbewußte Lücke in der vom LSG vorgenommenen Weise geschlossen hätte. Denn eine zusätzliche Gruppenbildung von weiblichen Berechtigten mit „traditionell männlichen Berufen” wäre, wie die Beklagte mit Recht hervorhebt, praktisch undurchführbar. Der Gesetzgeber müßte bis 1891 zurück (vgl. Anlagen 8 und 10) für jedes Jahr bestimmen, welcher Beruf traditionell männlich ist (noch ist bzw. wieder ist). Eine Einigkeit darüber, was unter diesen Begriff fallen soll, wäre schwer zu erzielen. Zudem müßte jede neue Gruppierung zu Verschiebungen im gesamten Gliederungsschema und zu Neuberechnungen bei allen anderen Gruppen führen.
Auch die in der Revisionserwiderung der Klägerin aufgeworfene Frage nach der Berechtigung einer starken Nivellierung führt zu keiner für die Klägerin günstigeren Entscheidung. Die Nivellierung ist ein Problem jeder Gruppierung, sie betrifft Gruppen männlicherund weiblicher Berechtigter und ist nur am Maßstab des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs.1 GG zu prüfen. Dabei ist zu bedenken, daß gesetzliche Regelungen fast immer generalisieren müssen; insbesondere in der gesetzlichen Rentenversicherung ist das in weitem Umfang geboten und bei der Eingliederung der FRG-Berechtigten sogar unerläßlich. Hierbei hat der Gesetzgeber, zumal er im Bereich der gewährenden Staatsverwaltung tätig wird, ein sehr weitgehendes Gestaltungsrecht. Die Grenzen dieses Rechtes sind nicht überschritten, wenn auch einer zur Leistungsgruppe 2 zugehörigen Zahnärztin – als für sie fiktives Entgelt – das Durchschnittsentgelt aller weiblichen. Versicherten dieser Leistungsgruppe im Bundesgebiet zugewissen wird.
Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben.
Die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Dr. Haueisen, Heyer, Dr. Buss
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.09.1971 durch Giesler, Reg. – Obersekretär als Urk. Beamter der Gesch. Stelle
Fundstellen
Haufe-Index 707661 |
NJW 1972, 119 |
NJW 1972, 600 |