Leitsatz (amtlich)
1. Auch soweit Renten auf § 1251a RVO beruhen (Kindererziehungszeiten), mindern sie die einkommensabhängigen Versorgungsleistungen.
Orientierungssatz
1. Die unterschiedliche Behandlung der vor und nach 1921 geborenen Mütter bei der Einkommensanrechnung verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, da die unterschiedliche Art der Anerkennung der Kindererziehung durch Renten, einmal im System der gesetzlichen Rentenversicherung und einmal als eigenständige unbedingte Leistung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vergleiche BVerfG vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86 = BGBl I 1992, 1484 ).
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. November 1991 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die 1923 geborene Klägerin bezieht Versorgung nach dem 1986 an Schädigungsfolgen verstorbenen Ehemann. Neben der Grundrente erhält sie die einkommensabhängigen Versorgungsleistungen an Ausgleichsrente und Schadensausgleich, auf die ihre eigene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet wird. Bei der Umwandlung der Erwerbsunfähigkeitsrente in das Altersruhegeld wurden ihr zusätzlich 36 Monate für Kindererziehung angerechnet (§ 1251a der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫). Der Beklagte stellte daraufhin die einkommensabhängigen Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für die Zeit ab 1. Januar 1989 neu fest und berücksichtigte den neuen Zahlbetrag in voller Höhe (Bescheid vom 29. November 1988). Die Klägerin ist demgegenüber der Auffassung, daß die auf Kindererziehung beruhenden Teile ihrer Rente die einkommensabhängigen Leistungen nicht vermindern dürften. Es sei verfassungswidrig, daß nur die Geburtsjahrgänge vor 1921 von der Anrechnung ausgenommen seien (Art 2 § 66 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ≪ArVNG≫). Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Juni 1989). Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, daß die Leistungen für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 eigenständig geregelt seien. Deren Nichtanrechnung sei gesetzgeberisch angeordnet. Sie könne auf Rententeile, die ebenfalls auf Kindererziehung beruhten, nicht übertragen werden (Urteil vom 13. November 1991).
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie hält die Gleichbehandlung aller Leistungen für Kindererziehung für verfassungsrechtlich geboten und weist darauf hin, daß ihr vom Mehrbetrag der gesetzlichen Rente von 107,40 DM nur 6,40 DM geblieben sind.
Die Klägerin beantragt,
die angefochtenen Urteile zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29. November 1988 zu verurteilen, die einkommensabhängigen Leistungen nach dem BVG für die Zeit ab 1. Januar 1989 ohne Berücksichtigung des auf Kindererziehungszeiten beruhenden Anteils des Altersruhegeldes neu zu berechnen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Anrechnungsfreiheit für Leistungen der Kindererziehung beschränkt Art 2 § 66 ArVNG , eingefügt durch Art 1 Nr 2 des Kinderleistungsgesetzes (KLG) vom 12. Juli 1987 (BGBl I 1585) auf Leistungen nach diesem Gesetz. Die Anrechenbarkeit sonstiger Rententeile, die auf Erziehungszeiten beruhen, ist nicht verfassungswidrig.
Nach § 40 a BVG (in der Fassung vom 26. Juni 1986 ≪BGBl I 915≫) und § 41 Abs 3 BVG iVm § 33 BVG (in der Fassung vom 21. Juni 1988 ≪BGBl I 826≫) sind Ausgleichsrente und Schadensausgleich der Witwen einkommensabhängig, wobei die Berücksichtigung eigenen Einkommens sich auch für den Schadensausgleich über § 10 Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV in der Fassung vom 18. Dezember 1989 ≪BGBl I 2261 berichtigt 1990 I 1337≫ nach der Ausgleichsrentenverordnung ≪AusglVO≫ in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1975 ≪BGBl I 1769≫, hier anzuwenden in der Fassung vom 20. Dezember 1988 ≪BGBl I 2451≫) bestimmt. Nach § 2 AusglVO bleiben bestimmte Einkommen unberücksichtigt, wie zB Weihnachts- und Neujahrsgratifikationen (Abs 1 Nr 17), Arbeitslosenhilfe (Abs 1 Nr 5) und auch Leistungen die mit Rücksicht auf Kinder gewährt werden, wie Kinderzuschüsse, Kinderzulagen und Kindergeld (Abs 1 Nr 8). Soweit aber derartige Einnahmen in die Rentenberechnung der gesetzlichen Rentenversicherung eingehen, sind diese Renten uneingeschränkt nach § 1 Abs 3 Nr 3 AusglVO anrechenbar. Dies hat der Senat bereits zur Weihnachtsgratifikation entschieden (BSG SozR 3642 § 10 Nr 1). Grundsätzlich wird das gesamte Alterseinkommen aus einer gesetzlichen Rente angerechnet ohne Rücksicht darauf, ob die Rentenhöhe auf Beiträgen aus Erwerbstätigkeit oder auf sonstigen Zeiten beruht, die das Rentenversicherungssystem in seiner jeweiligen Ausgestaltung rentenbegründend und/oder rentenerhöhend berücksichtigt. Zu diesen Rententeilen gehören auch die auf Kindererziehungszeiten beruhenden Ansprüche nach § 1251 a RVO , eingefügt durch Art 1 Nr 19 des Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten - Gesetz ≪HEZG≫ vom 11. Juli 1985 ≪BGBl I 1450≫). Diese Zeiten sind in das System der gesetzlichen Rentenversicherung ebenso eingepaßt worden, wie sonstige Zeiten, die schon bisher ohne Beitragsleistung die Rente erhöhten. In Verbindung mit der Geburt von Kindern kannte die gesetzliche Rentenversicherung schon immer die rentenerhöhende Anrechnung von Ausfallzeiten nach § 1259 Abs 1 Nr 2 RVO . Daß auch in diesen Fällen die Rente in vollem Umfang auf die einkommensabhängigen Versorgungsleistungen anzurechnen ist, ist nie bezweifelt worden.
Die Klägerin kann nicht verlangen so gestellt zu werden, als bezöge sie lediglich eine Rente nach dem KLG, das erst 1987 auch für die Geburtsjahrgänge vor 1921 eine rentenähnliche Leistung eingeführt hat, die jedoch nicht dem System der gesetzlichen Rentenversicherung eingegliedert worden ist. Der in das ArVNG eingefügte Sechste Abschnitt über die Leistungen für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 hat eine eigenständige Leistung, deren Beginn nach den Geburtsjahrgängen der Mütter gestaffelt ist, samt eigenen Verfahrens-, Beweis- und Zahlungsvorschriften eingeführt und in § 66 zugleich ausdrücklich angeordnet, daß diese Leistung als Einkommen unberücksichtigt bleibt, wenn andere Sozialleistungen aufgrund von Rechtsvorschriften ihre Gewährung oder Höhe von anderem Einkommen abhängig machen. Damit sollte das mit der Anerkennung verfolgte Ziel, nämlich die Verbesserung der sozialen Sicherung dieser Mütter, tatsächlich erreicht werden; zugleich sollten mittelbare Kürzungen verhindert werden ( BT-Drucks 11/197 S 10, 12). Die Eigenständigkeit der Regelung nach KLG im Vergleich zum HEZG beruht darauf, daß alle Frauen der Geburtsjahrgänge vor 1921 bei Inkrafttreten des HEZG bereits die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht hatten und daß sie wegen der herkömmlichen Rollenverteilung von Mann und Frau vormals oft nicht im Erwerbsleben gestanden und daher keine Anwartschaften erworben hatten, oder sich ihre Beiträge bei Eheschließung hatten erstatten lassen. Eine Anrechnung der Kindererziehungsleistung innerhalb des Rentensystems hätte für sie daher häufig keine Verbesserung gebracht. Deshalb erhalten diese älteren Mütter eine eigenständige, stark pauschalierte Leistung, die ihnen in jedem Fall, ungeachtet ihrer sonstigen sozialen Lage, voll zugute kommt; damit wird zugleich ihre außergewöhnliche Belastung in besonders schwierigen Kriegs- und Nachkriegszeiten anerkannt (BT-Drucks, aaO).
Diese unterschiedliche Art der Anerkennung der Kindererziehung durch Renten, einmal im System der gesetzlichen Rentenversicherung und einmal als eigenständige unbedingte Leistung führt zwar zu einer Ungleichbehandlung der Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 einerseits und nach 1921 andererseits, ist aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden hat (Urteil des 1. Senats vom 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 u.a. unter III S 64 ff des Umdrucks). Das gilt nicht nur für die - vom BVerfG entschiedenen - Fälle, in denen die Rentengewährung nach HEZG günstiger als die Leistung nach dem KLG ist. Denn sowohl die Wahl des Stichtages als auch die Einbeziehung entweder in das Rentenversicherungssystem oder in das eigenständige Leistungsrecht des KLG stehen im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, soweit er sich sachgerecht an den zu regelnden Lebensverhältnissen orientiert. Das ist hier geschehen. Die Leistungen nach KLG, die später einsetzten und wegen der geringeren Lebenserwartung der begünstigten Mütter typischerweise kürzere Zeit zu gewähren sind als diejenigen nach § 1251 a RVO , stellen sich auch nach den Darlegungen des BVerfG, denen sich der Senat anschließt, nicht durchweg als Begünstigungen der vor 1921 geborenen Mütter dar. Diesen zT hochbetagten Frauen den tatsächlichen Erhalt der neugeschaffenen Leistung zu garantieren, stellt sich unter diesen Umständen als Ausgleich sonstiger Nachteile dar. Wenn unterschiedliche Systeme für gleichartige Sachverhalte generell gerechtfertigt sind, können nicht einzelne Vorschriften herausgegriffen und je nach begünstigtem und benachteiligtem Personenkreis einzelfallbezogene verfassungsrechtliche Prüfungen vorgenommen werden. Unterschiedliche Systeme rechtfertigen unterschiedliche Wertungen auch hinsichtlich des Charakters eines bestimmten Einkommens und seiner Freistellung von der Anrechnung bei bedarfsabhängigen Sozialleistungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen