Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Berufungsfrist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Orientierungssatz

1. Bei der Versendung der Berufungsschrift mittels eines Paketes muß - besonders im Weihnachtsverkehr - mit einer Verzögerung der Zustellung gerechnet werden.

2. Erhält der Berufungskläger Kenntnis vom verspäteten Eingang der Berufungsschrift, so hat er binnen eines Monats den Wiedereinsetzungsantrag zu stellen.

 

Normenkette

SGG § 67 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.07.1960)

SG Köln (Entscheidung vom 03.09.1959)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 1960 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Das Sozialgericht (SG) Köln hat dem Kläger mit Urteil vom 3. September 1959 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Mai 1958 zugesprochen. Das Urteil ist der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -) nach dem Eingangsstempel am 7., nach dem Empfangsbekenntnis am 9. November 1959 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1959, beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingegangen am 14. Dezember 1959, legte die Beklagte gegen das Urteil Berufung ein. Die Rechtsmittelschrift wurde zusammen mit der übrigen Post für das LSG in einem Paket an dieses abgeschickt. Das LSG teilte der Beklagten am 16. Dezember 1959 mit, daß die Berufungsschrift am 14. Dezember 1959 eingegangen war. Ferner wies das LSG mit Schreiben vom 21. März 1960, zugestellt am 29. März 1960, die Beklagte darauf hin, daß die Berufungsfrist versäumt sei. Mit einem am 21. April 1960 eingegangenen Schriftsatz beantragte die Beklagte, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Reinschrift der Berufungsschrift "6 Tage vor dem Ablauf der Berufungsfrist am 9. Dezember 1959 ausgefertigt und in den Geschäftsgang zur Versendung an das LSG gegeben" worden sei. Sie, die Beklagte, habe sich darauf verlassen dürfen, daß die Berufungsschrift innerhalb der verbliebenen Zeitspanne postfertig gemacht und durch die Post zum LSG befördert werde. Da die zur Verfügung stehende Zeit ausgereicht habe, seien zusätzliche Anweisungen für das Versenden nicht erforderlich gewesen; die Sorgfaltspflicht sei also nicht verletzt (vgl. BSG vom 26.2.1958 - 1 RA 174/56 - Breith. 1958 S. 586).

Das LSG verwarf die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 13. Juli 1960 als unzulässig. Es führte aus, daß dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht hätte stattgegeben werden können, weil die Beklagte an der Einhaltung der Verfahrensfrist nicht ohne ihr Verschulden verhindert gewesen sei (§ 67 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die Beklagte habe mit einer längeren Laufzeit der Paketpost als 5 Tage (vom 4.12. - 9.12.62) rechnen müssen; die Beklagte habe nicht ermitteln können, an welchem Tage die Paketsendung, in welcher die Rechtsmittelschrift enthalten war, abgegangen sei. Zudem hätte die Beklagte in den letzten Wochen vor Weihnachten mit längeren Verzögerungen und Störungen im Paketverkehr rechnen müssen. Das LSG ließ die Revision zu.

Gegen das ihr am 5. September 1960 zugestellte Urteil des LSG Essen vom 13. Juli 1960 legte die Beklagte am 23. September 1960 Revision ein und begründete diese zugleich. Sie rügt Verletzung des § 67 SGG, weil sie den verspäteten Eingang der Rechtsmittelschrift nicht verschuldet habe und deshalb ein Wiedereinsetzungsgrund bestehe. Nach einer von ihr erlassenen Hausverfügung vom 24. Dezember 1957 sei die für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bestimmte Post täglich zu versenden. Eine Postverzögerung wegen des Weihnachtsverkehrs sei als außergewöhnlicher Tatbestand von der Beklagten nicht zu vertreten. Die Feststellungen des LSG über die Laufzeit von Schriftsätzen seien keine zwingende Beweisführung, weil die Daten der Schriftstücke nicht identisch seien mit den Absendedaten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG vom 13. Juli 1960 aufzuheben und ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens zu gewähren.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht für möglich.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ohne mündliche Verhandlung durch Urteil zu entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), jedoch nicht begründet.

Die Beklagte hat eine gesetzliche Verfahrensfrist, nämlich die Berufungsfrist (§ 151 Abs. 1 SGG), versäumt, weil die Berufungsschrift erst am 14. Dezember 1959 beim LSG eingegangen ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Berufungsfrist tatsächlich, entsprechend dem Datum des Empfangsbekenntnisses, erst am 9. Dezember 1959 ablief, oder nicht bereits am 7. Dezember 1959, entsprechend dem Eingangsstempel. Die einmonatige Berufungsfrist war damit auf jeden Fall nicht eingehalten. Da das erstinstanzliche Urteil mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war, hat von der Zustellung des Urteils an auch keine andere Frist als die Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG zu laufen begonnen; denn die Beteiligten sind über alle nach § 66 Abs. 1 SGG erforderlichen Elemente einer vorschriftsmäßigen Berufung belehrt worden. Die im Fall unrichtiger Belehrung laufende Rechtsmittelfrist von einem Jahr oder länger greift mithin hier nicht Platz (§ 66 Abs. 2 SGG). Hatte aber die Beklagte die Rechtsmittelfrist versäumt, so war auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zu gewähren, wenn die Beklagte ohne Verschulden verhindert war, die Rechtsmittelfrist einzuhalten, und der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt wurde (§ 67 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben.

Die dahingehende Entscheidung des LSG ist schon deswegen richtig, weil die Beklagte die vom Wegfall des Hindernisses für einen rechtzeitigen Wiedereinsetzungsantrag laufende Monatsfrist des § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht gewahrt hat. Das LSG hatte mit Postkarte vom 15. Dezember den Eingang der Berufungsschrift am 14. Dezember 1959 bestätigt. Die Karte trägt den Eingangsstempel der Beklagten vom 16. Dezember 1959. Damit war dieser bekannt, daß die Berufungsfrist versäumt war. Dies bestätigt der Aktenvermerk vom 3. Februar 1960 in ihrer Rentenakte. Sie beantragte jedoch erst mit Schriftsatz vom 20. April 1960, beim LSG eingegangen am 21. April 1960, Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Nach § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG muß indes der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (für eine rechtzeitige Berufungseinlegung) gestellt werden. Wenn die Beklagte überhaupt gehindert war, rechtzeitig Berufung einzulegen, so ist dieses Hindernis mit der Empfangsbestätigung des LSG, die die Beklagte am 16. Dezember 1959 erhalten hat, weggefallen, da sie nunmehr von der Versäumung der Berufungsfrist Kenntnis hatte (Baumbach/Lauterbach § 234 der Zivilprozeßordnung - ZPO - Anm. 2), oder sie doch hätte erkennen müssen. Nachdem sie erfahren hatte, daß ihre am 4. Dezember 1959 datierte Berufungsschrift erst am 14. Dezember 1959 bei dem LSG eingegangen war, hätte sie alsbald prüfen müssen, ob die Rechtsmittelfrist versäumt war. Es war daher nicht unverschuldet, wenn sie bis zu der weiteren Mitteilung des LSG über die Versäumung der Berufungsfrist untätig blieb (vgl. BGH in Lindenmaier-Möhring Nr. 27 zu § 232 ZPO). Die Beklagte konnte daher nur noch bis zum 16. Januar 1960 fristgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Der Schriftsatz vom 20. April 1960 war deshalb verspätet. Das LSG hat mithin im Ergebnis mit Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung der Beklagten ohne Rechtsirrtum als unzulässig verworfen. Ohne daß es noch darauf ankäme, teilt der Senat auch die Auffassung des LSG, daß die Beklagte die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden (§ 67 Abs. 1 SGG) versäumt hat. Bei Absendung der Berufungsschrift am 4. Dezember 1959 in einem Sammelpaket von Düsseldorf nach Essen konnte die Beklagte nach dem wahrscheinlichen Verlauf nicht sicher sein, daß die Paketsendung noch rechtzeitig beim LSG eingehen würde.

Weil sich die Beklagte die Möglichkeit eines verzögerten Ablaufs des Versendungsvorgangs mit Paketpost nicht vor Augen gestellt hat, hat sie auch die bei der Behandlung von Rechtsmittelfristen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen und deshalb nicht ohne Verschulden gehandelt. Das LSG hat sonach ohne Rechtsirrtum, insbesondere ohne Verletzung des § 67 SGG über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden. Auf die von einem anderen Sachverhalt ausgehenden Urteile des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Februar 1958 - 1 RA 174/58 - und 26. Oktober 1960 - 1 RA 200/59 - braucht nicht mehr eingegangen zu werden. SozR SGG § 67 Bl. Da 2 Nr. 3 steht dieser Entscheidung nicht entgegen, weil die Beklagte nicht, jedenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit, damit rechnen konnte, daß auch beim normalen Postverkehr die Paketsendung noch am 9. Dezember 1959 beim LSG eingegangen wäre. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf SozR SGG § 67 Bl. Da 12 Nr. 17 - 4 RJ 25/57 - stützen, weil sie bei der Besonderheit der Versendung der Rechtsmittelschrift in einem Paket mit einer Verzögerung der Zustellung rechnen mußte. Die Revision der Beklagten, welche eine Gesetzesverletzung im Hinblick auf § 67 SGG allein gerügt hat, kann daher keinen Erfolg haben. Die Revision war mithin als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379798

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