Leitsatz (redaktionell)

1. Die beitragsfreie Mitgliedschaft in der Krankenversicherung nach RVO § 183 Abs 6 während des Bezugs von Übergangsgeld besteht solange, als ein Anspruch auf Krankengeld "an sich" besteht.

Die Arbeitsfähigkeit eines Übergangsgeldempfängers richtet sich nicht nach seiner Tätigkeit als Umschüler oder dem für später in Aussicht genommenen Beruf, sondern nach der bis zum Eintritt des Versicherungsfalles (Arbeitsunfähigkeit) ausgeübten Beschäftigung, an deren Fortsetzung ihn seine Krankheit hinderte.

2. Zeiten der Gewährung von Übergangsgeld sind auf die Höchstbezugsdauer von Krankengeld (RVO § 183 Abs 2)nicht anzurechnen.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12, Abs. 6 S. 2 Hs. 2 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Revision der beklagten Krankenkasse gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. Juni 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, der seit 1961 Mitglied der beklagten Krankenkasse ist, und zwar ursprünglich auf Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Modelltischler, auch für die Zeit eines Bezuges von Übergangsgeld Krankenversicherungsbeiträge an die Beklagte zu entrichten hat.

Der 1934 geborene Kläger bezog von der Beklagten wegen einer Lungenkrankheit vom 18. Februar 1965 bis zum 31. August 1965 Krankengeld (nachdem er zuvor schon während einer längeren, auf Kosten der Landesversicherungsanstalt - LVA - H durchgeführten stationären Behandlung Übergangsgeld erhalten hatte). Seit dem 1. September 1965 wurde er - wiederum auf Kosten der LVA - zunächst für ein Jahr auf einer Handelsschule und anschließend für ein weiteres Jahr praktisch für den Beruf eines kaufmännischen Angestellten ausgebildet. Er erhielt während dieser Zeit erneut Übergangsgeld von der LVA.

Entgegen der Ansicht des Klägers hält die Beklagte ihn für die Zeit der Umschulung und Übergangsgeldzahlung nicht für beitragsfrei; seine Arbeitsfähigkeit sei vom Beginn der Ausbildung an nicht mehr nach dem früher ausgeübten Beruf, sondern nach dem neu gewählten Beruf zu beurteilen, für diesen sei er arbeitsfähig (Bescheid vom 26. Oktober 1965 und Widerspruchsbescheid vom 17. März 1966).

Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt und stellte unter Aufhebung der Bescheide der Beklagten fest, daß der Kläger seit dem 1. September 1965 bei der Beklagten beitragsfrei krankenversichert sei (Urteil vom 22. Februar 1967). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg wies die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurück, daß der Kläger beitragsfreies Mitglied der Beklagten sei, solange er Übergangsgeld beziehe. Nach Ansicht des LSG hängt die Dauer der beitragsfreien Mitgliedschaft nach § 183 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) allein von der Gewährung des Übergangsgeldes ab; ob und wie lange Arbeitsunfähigkeit bestehe, sei ohne Bedeutung. Im übrigen sei der Kläger bei Beginn der Umschulung arbeitsunfähig gewesen und es auch weiterhin geblieben; denn er dürfe nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden, für die er erst ausgebildet werde, vielmehr bleibe er seinem bisherigen Beruf solange verhaftet, bis die Umschulung erfolgreich durchgeführt worden sei (Urteil vom 27. Juni 1967).

Gegen dieses Urteil hat die beklagte Krankenkasse die zugelassene Revision eingelegt: Entgegen der Ansicht des LSG erhalte die Gewährung von Übergangsgeld die Kassenmitgliedschaft nicht schlechthin, sondern nur dann, wenn wegen der Übergangsgeldzahlung ein Krankengeldanspruch entfalle. Habe ein solcher bei Beginn des Übergangsgeldes bestanden, so bleibe die Mitgliedschaft allerdings während der ganzen Zeit des Übergangsgeldbezugs bestehen. Hier sei der Kläger bei Beginn des Übergangsgeldes am 1. September 1965 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen, so daß die Voraussetzungen für die Erhaltung der beitragsfreien Mitgliedschaft bei ihm nicht vorgelegen hätten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Hamburg vom 27. Juni 1967 und das Urteil des SG Hamburg vom 22. Februar 1967 aufzuheben und die Klage gegen ihre Bescheide abzuweisen.

Der Kläger beantragt unter Hinweis auf das angefochtene Urteil,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat den Kläger für die Zeit des Übergangsgeldbezuges im Ergebnis zutreffend für beitragsfrei gehalten.

Entgegen der Ansicht des LSG hat allerdings die Gewährung von Übergangsgeld nicht schlechthin zur Folge, daß der Versicherte während dieser Zeit beitragsfreies Kassenmitglied ist. Er bleibt vielmehr, wie der Senat im Urteil vom 28. August 1968 entschieden hat und auch die Beklagte annimmt, nur dann und solange beitragsfrei, als ein "an sich" bestehender Krankengeldanspruch wegen des Bezuges von Übergangsgeld entfällt (SozR Nr. 33 zu § 183 RVO). Im Falle des Klägers hat indessen, was die Beklagte verkennt, bei Beginn des Übergangsgeldes am 1. September 1965 und während seines Bezuges "an sich" ein Krankengeldanspruch bestanden, da der Kläger an dem genannten Tage arbeitsunfähig war und dies während der ganzen streitigen Zeit auch blieb.

Daß sich die Frage der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich nach der zuletzt - vor Eintritt des Versicherungsfalles - ausgeübten Tätigkeit des Versicherten beurteilt, hat der Senat mehrfach entschieden (vgl. insbes. BSG 26, 288 und dazu Töns, DOK 1968, 347). Die Arbeitsfähigkeit des Klägers richtete sich deshalb während der streitigen Zeit nicht, wie die Beklagte meint, nach seiner Tätigkeit als Umschüler oder dem für später in Aussicht genommenen neuen Beruf, sondern nach der bis zum Eintritt des Versicherungsfalls verrichteten Beschäftigung als Modelltischler, an deren Fortsetzung ihn seine Lungenerkrankung hinderte. Ob für die Zeit nach einer erfolgreichen Umschulung etwas anderes anzunehmen ist, kann dahinstehen (vgl. für die Rentenversicherung § 1246 Abs. 2 letzter Satz RVO). Der vorliegende Rechtsstreit betrifft nicht eine solche Zeit; außerdem war der Kläger bei Erlaß des angefochtenen Urteils noch nicht mit Erfolg umgeschult.

Bestand sein Krankengeldanspruch somit "an sich" während der Zeit des Übergangsgeldbezuges, über die das LSG entschieden hat (bis zur Verkündung des Urteils vom 27. Juni 1967), so blieb der Kläger insoweit gemäß § 183 Abs. 6 Satz 2 RVO beitragsfrei. Daß eine Zeit des Übergangsgeldbezuges nicht auf die Leistungsdauer des Krankengeldes anzurechnen ist, hat der Senat im Urteil vom 15. Oktober 1968 ausgeführt (SozR Nr. 35 zu § 183 RVO; vgl. auch Nr. 34 aaO). Die Revision der Beklagten ist hiernach im Ergebnis unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284937

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